fernvonlummerland
fernvonlummerland
vakantio.de/fernvonlummerland

Im Nest des Tigers

Veröffentlicht: 09.05.2025

Von unserem letzten Reiseziel Bumthang ging für uns die vom verpflichtenden Guide geführte Reise durch Bhutan weiter in die Hochebene, wo man Anfang April Kraniche sehen kann, die aber schon ausgeflogen waren, als wir kamen. Dafür konnten wir 2 Invaliden-Kraniche anschauen und insbesondere die Hochebene mit ihren Rindern und Yaks. Highlights waren hier eine Adler-Sichtung und eine Krähe, die einem um ein Vielfaches größeren Geier auf den Rücken flog, um ihn aus ihrem Jagdrevier zu vertreiben – scheinbar erfolgreich.

Von der Hochebene ging es weiter zu einem auf 3088 Meter Höhe gelegenen Pass. Von hier aus konnten wir einen kleinen Nebengipfel auf ca. 4010 bis 4015 Metern Höhe erklimmen und so beide das erste mal im Leben die Luft auf über 4000 Meter Höhe genießen, die wenig verblüffend frei von Pollen aber auch arm an Sauerstoff war. Aber das alles war auch ein gutes Training für den Marsch zum berühmten Tigernest, der uns noch bevorstand. Auch genossen wir den Blick auf den zweithöchsten Berg Bhutans mit über 700 Metern Höhe so wie den Blick auf Berge in Tibet (ca. 6700 Meter) und in Sikkim (einstmals selbstständig wie Bhutan und heute Teil Indiens) mit dem Kangchendzönga, dem dritthöchsten Berg der Welt mit 8586 Metern.

Wir wanderten von unserem nicht einmal halb so hohen Gipfel dann zu einem Frauentempel, der auf vergleichsweise moderaten 3600 Metern lag und uns sehr gut gefiel – vielleicht unsere schönste Tempelerfahrung.

Um dort hin zu gelangen, musste man allerdings einen engen Weg entlang des Abhanges bewandern. Und als uns dann ein Schild auf einen engen Abschnitt hinwies, verhieß das nichts gutes. Manch eine*r mag es erfrischend finden, auf 3600 Meter Höhe über ein 20 cm breites Brett am Abhang geführt zu werden – Herr Ärmel indes vermochte diesem Erlebnis nur wenig abzugewinnen.

Danach erwartete uns die Hauptstadt Thimphu. Hier sieht man am deutlichsten die Einflüsse der westlichen Moderne, die Bhutans Charme und Einzigartigkeit nach und nach auszulöschen drohen: Westliche Ketten, der Versuch, westliche Cuisine zu imitieren (wenn ihr jemals dort seid, versucht nicht die Linzer Torte) und billige Plastikschuhe und ähnliche Wegwerfartikel. Dennoch bewahrt sich Bhutan auch in seiner 90.000er-Metropole viel von seinem Charme. Der prächtigste Dzong des Landes (nein, wir erläutern nicht noch einmal, was das ist) sowie die 54 Meter hohe Buddha-Statue prägen die Stadt. Jedoch kamen wir nicht ganz an die Buddha-Statue ran, da aufgrund des anstehenden Besuches des Königs von Thailand die ganze Stadt samt Umland in Aufruhr war und Straßen geschmückt und wichtige Bereiche abgesperrt wurden. Das gute an einer 54 Meter hohen Statue ist allerdings, dass man sie auch aus einiger Entfernung betrachten kann. Unser umsichtiger Reiseleiter sorgte im Übrigen dafür, dass wir Thimphu noch rechtzeitig verließen, bevor auch die Straße nach Paro gesperrt wurde wegen des Königsbesuchs. So kamen wir aber in den Genuss die Straße über dutzende Kilometer mit Gebetsfahnen gesäumt geschmückt zu sehen. Schulkinder in Thimphu und in Paro scheinen Glück zu haben und häufiger mal frei zu bekommen, wenn wieder einmal Staatsbesuch ist, damit alles vorbereitet werden kann.

Doch zurück zur Hauptstadt: Wir kamen in einem sehr auf indische Tourist*innen zugeschnittenen Hotel zentral unter. Von hier war es ein Katzensprung zum zweistöckigen Bauernmarkt, und auf der anderen Straßenseite konnte man rund 10 Männer um ein Carrom-Brett versammelt spielen sehen. Da Herr Ärmel gerne Carrom (eine Art indisch-zentralasiatisches Fingerbillard) spielt, schaute er kurz zu, hielt sich aber anders als die anderen Zuschauer mit guten Ratschlägen zurück, da sein Dzongka nicht gut genug war.

Wir fanden nette Cafés und nette Shops neben viel Touri-Shops, und Frau Waas fand ein typisches bhutanisches Oberteil für sich. Als sie es am Abend trug, bekam sie entsprechende Komplimente von bhutanischer Seite.

Da wir beide im Grunde unseres Herzens Großstädter sind und die liberale Atmosphäre von „Metropolen“ genießen, verließen wir Thimphu (das mittlerweile z.B. auch eine LGBTIQ-Gemeinde hat) mit einem weinenden Auge. Doch stand uns noch ein letztes Highlight bevor: Das Tigernest. Es werden schon viele Menschen Bilder vom Tigernest gesehen haben, die nicht wissen, dass es sich so nennt. Sie werden es als Bildschirmhintergrund für den Computer angeboten gesehen haben oder als Puzzle oder als beeindruckendes Foto in den (einstmals) sozialen Netzwerken. Das Tigernest (Taktshang) ist der heiligste Ort Bhutans und die Sehenswürdigkeit für Tourist*innen. Gegründet wurde es an dem Ort, an dem der Begründer des Buddhismus in Tibet, der den Buddhismus auch nach Bhutan gebracht haben soll, Guru Padmasambhava, im 8. Jahrhundert 3 Jahre, 3 Monate, 3 Wochen, 3 Tage und 3 Stunden meditiert haben soll. Dorthin gelangte er, als er auf dem Rücken eines Tigers dorthin floh (und flog), was eine weit unbequemere Art des Reisens zu sein scheint, als den Nachtzug zu nehmen. Dennoch erschien uns die Idee mit dem Tiger zwischenzeitlich verlockend. Zwar gibt es mittlerweile einen Privathubschrauber in Bhutan, der manchen Tourist*innen beim Schummeln hilft, aber auch dann muss man noch mindestens zwei Stunden laufen. Für 99% der Tourist*innen gibt es indes nur zwei Möglichkeiten: Entweder mehrere Stunden Aufstieg zu Fuß bis zum auf 3120 Metern Höhe gelegenen Kloster wandern oder – wie wir – gleich auf 3800 Meter Höhe wandern, dann übernachten und morgens frühzeitig zum Abstieg aufbrechen, um noch vor den größten Tourist*innenströmen am Tigernest anzulangen. Dies bedeutete für uns eine Übernachtung im komfortablen Zelt mit vielen Decken und Wärmflaschen, während draußen Nachtfrost herrschte. Allerdings hatte es auch dieser Abstieg in sich und war eine Herausforderung für Knie und Höhenangst. Dafür wurden wir bei Auf- und Abstieg mit schönen Aussichten und wunderschön blühender Natur belohnt. Während Rhododendren für die deutsche Fauna leider völlig wertlos sind, gehören sie hier in den Himalaya hin und bieten kleinen Vögeln eine Nahrungsgrundlage. Auch zahlreiche Primeln und andere Blumen und Blüten mehr konnten wir bewundern, ebenso wie Kalifasane und andere Vögel. Unsere verzweifelte winzige Hoffnung auf die Sichtung eines Roten Pandas erfüllte sich indes erwartungsgemäß nicht.

Und schließlich am Ende unserer Wanderungen erreichten wir es also, das wahrhaft wunderschön gelegene Tigernest. Im Inneren war wie in allen Tempeln fotografieren streng verboten. Was sollen wir sagen/schreiben? Wir werden das Innere nicht beschreiben. Entweder, man erlebe es selbst oder stelle es sich so vor, wie man es sich wünscht. Insgesamt müssen wir aber sagen, wird man vergleichsweise schnell hindurchgeleitet. Selbst die Gläubigen verharren nicht lange an diesem nach buddhistischer Sicht heiligsten Ort Bhutans. Wir kamen uns wie ein Teil des Problems vor. Vielleicht sollte man es mit einem Blick auf das Tigernest bewenden lassen und die Mönche lieber in Ruhe lassen. Unsere schönsten Einblicke in den Buddhismus und Kontakte zu Nonnen und Mönchen erlebten wir jedenfalls an anderen Orten. Nichtsdestominder war das Tigernest indes ein unbestreitbares Highlight unserer insgesamt 7 Monate Reisen durch fremde Länder und Kulturen und wird uns eine wertvolle Erinnerung bleiben.

Nach einem traurigen Abschied von unserem Guide und von Bhutan ging es schließlich zum Flughafen mit sechs Stromausfällen, während wir auf unser Flugzeug warteten. Und wieder nahm uns dieser Flughafen für uns ein mit schönen Wartebereichen und schönen Kinderbüchern aus Bhutan, die wir auf den letzten Drücker fanden, bevor es in den Flieger ging. Hier unterhielten wir uns noch mit Dave, einem US-Amerikaner, der sich aus Scham wegen seiner Regierung erst als Kanadier vorstellen wollte. Doch sind wir letztlich alle nur Menschen, und die Staatsangehörigkeit mit der wir geboren werden bleibt nichts als dummer Zufall.

Als wir nach 6 Monaten in Nord- und Mittelamerika in Amsterdam ankamen, hatten wir ein heimatliches Gefühl, wieder in Europa zu sein. Als wir jetzt über Delhi und Frankfurt nach Lummerland zurückkamen, fehlte uns dieses Gefühl. Ja, wir sehnten uns nach Lummerländer Essen, aber ansonsten hatten wir nicht so sehr das Gefühl, jetzt sei alles wieder normal oder vertraut. Lummerland ist nicht „normal“ und alles andere Abweichung. Lummerland ist nur eine kleine Insel auf der Welt und die Dinge laufen hier lummerländisch. Das ist nicht besser oder schlechter als andernorts. Und was uns als Lummerländer*innen völlig normal vorkommt, mag anderen als bizarr erscheinen. Mit Sicherheit ist Lummerlands Kultur nicht besser als die anderer Länder – nur anders. Natürlich war es ein unglaublicher Luxus und ein großes Geschenk, sieben Monate die Welt erkunden zu können, und es mag überheblich klingen, aber wie enden mit einem Zitat, das Alexander von Humboldt zugeschrieben wird:

"Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, welche sich die Welt nie angeschaut haben."

Antworten