Jambo Kenya
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Kapitel weg!

Veröffentlicht: 11.02.2019

Tag 129


Erst mal weg. Raus aus der Stadt, in der man 18 Jahre lang war und rein in die Welt. Weg von Alltag und Gewohnheiten, weg von der Komfortzone, weg von bekannten Gesichtern, bekannten Umgebungen und bekannten Dingen im Allgemeinen. Das war mein Gedanke, den ich hatte, als mir Anfang des letzten Jahres klar wurde, dass ich auf Reise gehen muss. Das Kapitel Schule war vorbei und es musste ein neues beginnen. Ein neues Kapitel in dem man einfach vorrübergehend weg ist. Und das bin ich nun.


Wie so viele Gleichaltrige bin ich also Ende des Sommers losgezogen auf Reisen. Wie für so viele junge Leute ging es auch für mich nach der Schule ins Flugzeug auf dem Weg in ein neues Kapitel. Sich selbst finden. Die Reise des Lebens verwirklichen. Ein neuer Mensch werden. Das sind poetische Phrasen, die ich eigentlich so nie in den Mund genommen habe. Aber eigentlich stimmt es ja doch. Mit all den Erfahrungen, die man auf so einer Reise sammelt, will man natürlich nicht nur eine gute Zeit haben, sondern auch mehr über sich selbst lernen und darüber, wie die Welt eigentlich so tickt. Und so individuell, wie mir und allen anderen Reisenden ihr ganz persönliches Erlebnis wohl vorkommen mag, so allgemein ist doch irgendwie der Wunsch danach, einmal loszulassen und einfach abzuhauen. In jeden Winkel der Erde treibt es dann jährlich tausende Abiturienten, die alle mit verschiedenen Eindrücken wiederkehren, was das Reisen, egal in welchem Umfang und zu welchem Umstand, am Ende dann doch immer verdammt individuell macht.

Und dann ist da natürlich noch die Frage, warum wir überhaupt reisen, die ich jetzt versuchen könnte in pseudo philosophischen Formulierungen zu ergründen, so richtig beantworten kann ich sie aber eigentlich nicht. Um neue Länder, Menschen und Kulturen kennenzulernen, ist immer so die Standardantwort. Ist auf jeden Fall was dran. Aber das ist ja nur ein Teil der Antwort. Eigentlich sehen wir, oder ich zumindest, so eine Reise auch immer als Herausforderung. Außerdem will man natürlich einfach schöne Orte sehen. Klingt jetzt ganz humorlos, aber warum fliegt man sonst nach Neuseeland? Genau aus diesem Grund. Aber eben nicht nur. Man macht es auch, um einfach mal in dem Land zu sein, welches das von Deutschland am weitesten entfernte ist, um sagen zu können, dass man drei Monate in einem Auto geschlafen hat, um in den Lebenslauf schreiben zu können, man habe auf einer Kiwifarm gearbeitet, um das Leben ohne Wasch- und Spülmaschine kennenzulernen, und um eine neue Perspektive zu bekommen. Alles Dinge, die man auf die Frage, warum man denn jetzt eigentlich reist, nennen müsste. Finde ich zumindest. Grob und zusammenfassend könnte man es auch „Erfahrungen sammeln“ nennen, aber das klingt zu langweilig für meinen Blog. Jetzt, nach etwa viereinhalb Monaten unterwegs, haben Linus und ich schon so viel erlebt, dass wir es immer weniger wahrhaben können, was wir hier eigentlich machen. Die Phrase „Was machen wir hier eigentlich?“, hat sich bei uns beiden zu einem Running Gag entwickelt und fällt ziemlich oft, wenn wir zum Beispiel mal wieder mit vollem Gepäck an einem menschenleeren Highway bei Windstärke neun entlanglaufen und nach einem Supermarkt suchen. Oder wenn wir bei strömendem Regen mit einem 27 Jahre alten Auto auf den Schotterpisten des „Te Urewera“ Nationalparks ohne Hoffnung auf Zivilisation umherfahren und uns nur gegenseitig ratlos angucken. „Ich weiß es nicht“, antwortet der andere dann meistens. Und wir wissen es manchmal wirklich nicht. Umso öfter wissen wir aber natürlich auch genau, warum wir das hier alles machen. Wenn wir auf einer einsamen Insel auf der Südinsel Neuseelands die Einzigen sind, die am weißen Sandstrand liegen und danach ins glasklare Wasser springen. Wenn wir auf einem Campingplatz im Dschungel unseren Reis kochen und uns mit anderen Backpackern austauschen. Wenn wir uns über den ein oder anderen Deutschen in Neuseeland lustig machen. Wenn wir in Buenos Aires das beste Rindfleisch unseres Lebens essen oder im Süden vor einem Gletscher stehen, der uns mit seinem unbeschreiblich gewaltigem Ausmaß einfach nur die Sprache raubt. Und ich könnte noch so viel mehr aufzählen. Die Frage, warum wir eigentlich diese Reise machen oder warum Menschen generell Reisen ist also manchmal ganz einfach und dann wieder so schwierig. Um erst einmal weg zu sein, wie ich vor einem Jahr dachte. 

Jetzt weiß ich, dass mehr dazu gehört. Dass es viel mehr Gründe gibt. Und trotzdem versteh ich es manchmal immer noch nicht. Vielleicht kommt das auch erst, wenn wir schon lange wieder in Deutschland sind. Wenn ich alt bin, weise in meinem Schaukelstuhl sitze und endlich weiß, was das alles sollte. Bis dahin versuche ich aber nochmal, etwas bequemer, den Rest der Reise einfach so zu genießen, wie es kommt.

Hier in diesem Café in dem wir jetzt sitzen und unseren Submarino trinken, geht das schon mal ganz gut.

Nachdem wir mit Ushuaia den südlichstem Ort der Welt und somit auch den südlichsten Punkt unserer Route hinter uns gelassen haben, ist die Hälfte unserer Rundreise durch den Süden Südamerikas zumindest geographisch gesehen, vorüber. Nun heißt es Ozean statt Anden. Nach unserer Strecke am zweitgrößten Gebirge der Welt entlang Richtung Süden, geht es ab jetzt im Osten des Landes wieder zurück in den Norden. Wir sind an der Atlantikküste, in Rio Gallegos.

Seit Ushuaia ist eigentlich wirklich nicht viel passiert. Wir wollen es nach alldem, was wir bis jetzt schon so erlebt haben die nächste Zeit an der Küste generell ein bisschen ruhiger angehen. Wenn wir dann aus dem Süden hier weg sind, wird es auch endlich wieder sommerlicher und wir können die nächsten Wochen einfach mal am Strand entspannen, so wie wir es hier bei Kälte im Aufenthaltsraum der Unterkunft tun.

Bleibt genug Zeit mal ein wenig nachzudenken. Über die Reise und so im Allgemeinen. Das tut zwischendurch auch mal ganz gut. Darüber hinaus bleibt einem, so traurig es klingt in diesem dann doch recht trostlosen Rio Gallegos sowieso nicht viel anderes übrig. Und dann geht es morgen weiter an der Küste Richtung Noden, weiter auf der Reise und weiter im Kapitel weg.

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