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Irgendwie durchgehend im falschen Film

Veröffentlicht: 11.10.2020

Beim Aufbruch in Finale Ligure strahlte die Sonne nur so. Zwar war alles noch recht durchfeuchtet, inklusive meiner Schuhe, aber die Verheißung auf eine nachhaltige Wetterbesserung war unmissverständlich gegeben. Mit mindestens neun Tagesetappen rechnete ich bis La Spezia, plus Ruhetage und dem ein oder anderen Trailtag. Auch galt es, wieder vom all-inclusive und alles-erreichbar Modus auf den enthaltsameren Bikepacking-Modus umzuschalten. Nachdem ich die ersten  600 Höhenmeter noch angenehm auf Forststraßen hochkurbelte, erblickte ich die altbekannten AV-Zeichen auf rot-weißem Untergund. Ich war back-on-track. Und schon gleich wurde der Weg rauer. Die Überreste des Sturms lagen in Form abgerissener Äste und Zweige kreuz und quer auf den Wegen verstreut, und seegleiche Pfützen und Schlammgruben gerierten sich als engagierte Spaßverderber. Das Vorankommen war also vergleichsweise mühsam und matschig, aber schier unüberwindbare Hindernisse wie umgefallene Bäume blieben mir weitgehend erspart. Immer wieder gewährten Lichtungen auf den bewaldeten Bergrücken schöne Blicke bis zu den Badeorten an der Küste, so dass diese Tagesetappe den erwarteten Genuss bot, und ich am späten Nachmittag recht entspannt bei meiner Unterkunft im winzigen Bergdorf Santa Giustina eintraf.

Ein großer Nachteil des AVML im Vergleich zu den Alpen ist übrigens, dass hier so gut wie keine Zeltplätze zu finden sind. Und Wildcampen erforderte ein recht kompliziertes Wassermanagement, da ich aufgrund meiner Erfahrungen vor Ventimiglia keiner auf der Karte eingetragenen Wasserquelle des AVML mehr traute. Dementsprechend plante ich verstärkt mit den spärlichen B&B´s auf der Route als Unterkunft. Die Gastgeberin heute händigte mir also die Schlüssel aus, und übergab mir ein beinahe komplettes Apartment, leider aber ohne Küche. Aber das sollte ja kein Problem sein, schließlich gab es in dem Ort eine Bar, einen Lebensmittelhandel und ein Restaurant. Allerdings musste ich zu fortschreitender Stunde feststellen, dass alle diese Versorgungsstellen unverändert geschlossen blieben. Und das an einem Montag. Um 18:30 Uhr wurde ich mit zunehmendem Magenknurren langsam nervös. Auch meine Vermieterin war nicht mehr erreichbar. Ich kam mir vor wie der einzige Überlebende im Dorf, und wartete jetzt nur noch auf das Eintreffen der ersten Zombies. Doch verbarrikadieren würde halt auch nur zum Hungertod führen, und so überredete ich mich dazu, zum nächsten auf Google Maps verzeichneten Restaurant zu radeln, in der Hoffnung dass wenigstens dieses von der Apokalypse verschont geblieben war. Der Haken an der Sache waren die 5 Kilometer und vor allem 185 Höhenmeter, die dieses entfernt war. Eine schöner Bonus nach einem sowieso schon anstrengenden Tag im Sattel. Aber half ja alles nix. Los ging’s also, und kurz vor der Dunkelheit erblickte ich das schummrig erleuchtete Gebäude zwischen den dunklen Wäldern am Rande der Landstraße. Im Gegensatz zu mir hatten es die Zombies wohl übersehen, so dass ich im Kreise der anderen Überlebenden eine leckere Pizza genießen konnte. Im Eiltempo raste ich anschließend in der Dunkelheit, und zum Glück bergab, zurück nach Santa Giustina.

Nach dieser Nacht der lebenden Toten kehrte morgens das Leben zurück. Wundersamerweise hatten Bar und Lebensmittelladen wieder geöffnet, so dass ich nach einem ausgiebigen Frühstück meine Vorräte aufstocken konnte um den Monte Beigua in Angriff zu nehmen. Der höchste Berg im gleichnamigen Naturpark hinter Savona versprach einige spannende Trails, und so wollte ich nach dessen Überquerung noch einige Tagestouren in dem Gebiet dranhängen. Doch das Wetter wollte da nicht mitspielen. Anstatt dem erwarteten gleißenden Sonnenschein, der die Wege trocknen sollte, verknuddelten sich trübe und nasskalte Wolken in dem Gebirge. Umso höher ich kam, umso ungemütlicher und herbstlicher wurde es. In dichtem Nebel steuerte ich ein Rifugio kurz unterhalb der Bergspitze an. Hier wollte ich das schlechte Wetter erstmal aussitzen und einen behaglichen Schlafplatz finden. Doch entgegen aller Erwartung war es geschlossen.

Mir blieb nichts anderes übrig, als weiter dem AVML über den gesamten Bergrücken zu folgen. Inzwischen hatte auch ein leichter Nieselregen eingesetzt, und die dumpfe Kälte kroch mir immer tiefer in die Glieder. Ich hatte mehr Klamotten an als auf den windigsten Alpenpässen, und war doch eigentlich nur wenige Kilometer Luftlinie vom spätsommerlichen Mittelmeer entfernt. In diese Kakophonie der Übel stimmte sich nun noch der weitere Wegverlauf ein. Es wurde zunehmend verblockt, und auf den glitschig-nassen Felsen wäre das Vorankommen schon ohne Radel eine einzige rutschige Mühsal gewesen. Es war klar, mit den Trailtagen hier, das wird nix. Ich war ja schon froh, wenn ich das nächste Etappenziel Masone heute noch heil erreichen würde.

Wahrscheinlich wäre die Überschreitung bei guten Bedingungen ein einziger Genuss mit grandioser Aussicht gewesen, aber so war ich nur noch froh als ich nachmittags dieses neblige Etwas verlassen konnte und endlich wieder eine befestigte Straße erreichte. Auf dieser ging es jetzt flott unterhalb der Wolkendecke weiter über einen beeindruckenden Bergpass. Nicht nur das Klima, auch die Landschaft war hochalpin-herb. Ich konnte einfach nicht fassen, dass das tief unter mir Genua und nicht Chamonix sein sollte.

Als ich in Masone eintraf, musste ich schließlich den Widrigkeiten des Tages doch noch Tribut zollen in Form einer konstant laufenden Nase. Eine Erkältung kündigte sich an, und in Corona-Zeiten schrillen da natürlich alle Alarmglocken ob der möglichen Konsequenz einer gesamtgesellschaftlichen Abstoßungsreaktion gegen mich wegen dieser Symptome. Und da ich nun nicht die nächsten zwei Wochen in Zeltquarantäne am Monte Beigua verbringen wollte, bestellte ich mir in meiner Unterkunft noch schnell eine Pizza, und mümmelte mich ganz tief in die warmen Decken ein, um eine Expresskurierung meiner Erkältung in die Wege zu leiten.

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#bikepacking #ligurien#beigua#masone