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Weiter über Stock, Stein und Zweig

Veröffentlicht: 14.10.2020

Ich war selbst verblüfft. Wider aller Befürchtungen hatte die Expresskurierung tatsächlich funktioniert. Nach der morgendlichen Nahrungsaufnahme kamen tatsächlich die Lebensgeister zurück, und die Nase lief auch nicht mehr. Selbst das Wetter hatte sich wieder beruhigt. Die Landschaft war zwar generell noch mit Abtropfen beschäftigt, aber die Sonne hatte wieder die Dominanz an sich gerissen und bereitete dem Frühnebel langsam aber sicher den Garaus.

So schob ich mein Radel also weiterhin über Stock, Stein und Zweig die Wege hoch. Zu meinem Erstaunen erreichte ich recht bald sogar die Baumgrenze. Durch weitläufige Graslandschaften ging es nun bis zum Monte Piazza, der mit einem atemberaubenden Panorama aufwartete - vor mir lag die Bucht von Genua, und im Hintergrund reichte der Blick bis zum fernen, und inzwischen schneebedeckten, Monte Viso. Wie lange mein Besuch bei diesem König aus Stein doch schon wieder zurücklag, und doch setzte er sich von hier aus immer noch prominent in Szene.

Erst dachte ich, damit wäre die anstrengendste Schiebepassage für heute erstmal gegessen. Aber im Folgenden sollte mich die Bezwingung des Passo Mezzano noch eines Besseren belehren. Nicht, dass steile Schiebepassagen und verblocktes Gelände mich generell abschrecken würden, aber das frustrierende beim AVML im Gegensatz zu ähnlichen Passagen im Alpenraum war die fehlende Belohnung. Der schöne, epische Abfahrtstrail nach der Mühsal entfiel hier meist. Entweder die Passagen waren ein konstantes Auf und Ab mit sehr kurzen Trailpassagen, oder die Abfahrt war zu verblockt oder gar nur eine langweilige Teerstraße. Irgendeine Spaßbremse gab es es immer, und so ist der AVML zwar sicher noch ein Abenteuer, aber fahrtechnisch über weite Strecken kein wirkliches Highlight.

Nach einiger Mühsal erreichte ich den Giovipass. Dem Nicht-Bikepacker auch bekannt als die Stelle, an der die A7 das Gebirge nach der Poebene überquert, und sich dem motorisierten Italienreisenden erstmals der Blick auf Genua und das Mittelmeer eröffnet. Hier wollte ich endlich mal wieder mein Zelt aufschlagen. Ich fand dafür auch einen wunderbaren und vermeintlich einsamen Platz zwischen zwei Dörfern mit exklusivem Meeresblick. Allerdings zeigte sich, dass ich durchaus nicht der Einzige war, der dieses Kleinod zu schätzen wusste. Ich musste mich in Geduld üben mit dem Aufbau des Zeltes bis alle Spaziergänger, Mountainbiker, Reiter und pilzsuchenden Teenagergruppen mich passiert hatten und schließlich die Dunkelheit einsetzte.

Als ich am nächsten Morgen aufbrach waren dann schon die ersten Jäger unterwegs. Eine weiterer zu berücksichtigender Faktor bei spätherbstlichen Touren. Es war Jagdsaison, und ich hoffte inständig dass ich weiterhin auch aus der Ferne und trotz nun schon einiger Wochen Wildnis-Adaption mit sehr eingeschränktem Friseur-Kontakt immer noch ausreichend gut von einem Wildschwein zu unterscheiden war. Diese Jäger grüßten jedenfalls freundlich aus Ihrem Versteck, waren aber sicher nicht allzu glücklich dass so ein Trampel ihnen wohl gerade alles andere vor der Flinte vertrieben hatte.

Auch an diesem Tag erwartete mich wieder eine unangenehm lange Schiebepassage. Als ich ungefähr auf der Hälfte des Weges die Situation gerade mal wieder akzeptiert hatte und nicht mehr weiter mit meinem Schicksal haderte, tauchte auf einmal ein weiterer Mountainbiker auf. Ich freute mich, endlich mal mitten auf dem AVML einen weiteren Wahnsinnigen zu treffen. Im zügigen Vorbeifahren rief er mir noch hinterher - Vorsicht, es kommen noch 15 weitere. Und tatsächlich, ich konnte es nicht fassen. Eine Gruppe von sage und schreibe fünfzehn weiteren Bikern holperte peu a peu an mir vorbei. Ich meine, wer macht denn eine Tour in so einer Gruppengröße?! Und dann noch in so einem Gebiet. Da die allerdings ohne Gepäck unterwegs waren, musste es wohl eine Tagestour gewesen sein, oder irgendwas organisiertes mit Gepäcktransport. Wie auch immer, nach dem Pulk kehrte die Einsamkeit zurück, bis ich zum Passo della Scoffera kam, dem Standort meiner nächsten Unterkunft.

Hier wartete die nächste Überraschung. Zuerst wirkte alles ganz normal und erfreulich auf mich. Die Unterkunft hatte eine tolle Terrasse um die letzten Sonnenstrahlen des Tages einzufangen, im kleinen Lebensmittelladen konnte ich meine Vorräte auffüllen, und ein nettes, bescheiden wirkendes Restaurant gab es auf der Passhöhe auch noch. Bis mir der sehr zuvorkommende Wirt die Speisekarte vorlegte. Die Preise waren jenseits von Gut und Böse. Die Pasta startete ab 20 Euro aufwärts. Gut, es waren Trüffel dabei, und Meeresfrüchte, es war schon alles etwas exklusiver. Aber für Provinz war das trotzdem unverhältnismäßig. Mangels Alternativen blieb mir trotzdem nichts anderes übrig als für dieses eine Abendessen soviel auszugeben wie für alle Mahlzeiten der letzten drei Tage zusammen. 

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