Veröffentlicht: 04.03.2018
Von Guatemala City fuhren wir mit einem Shuttlebus nach Antigua. Shuttlebusse sind in Guatemala sehr verbreitet für die Touristen. Es handelt sich um Kleinbusse mit so 16-20 Plätzen und sie fahren direkt von Hotel zu Hotel. Der Vorteil: Kein Gepäck schleppen. Der Nachteil: im Vergleich zu den von den Einheimischen genutzten Verkehrsmitteln um ein Vielfaches teurer. Bei den «von den Einheimischen genutzten Verkehrsmitteln» handelt es sich um sogenannte «Chicken Buses». Dieser Name kommt offenbar daher, dass die Menschen oft wie Hühner eingequetscht im überfüllten Bus hocken. Es wurde uns versichert, dass die Einheimischen den Bus nicht «Chicken Bus» nennen. Sie nennen ihn entweder Camioneta oder irgendein anderes guatemaltekisches Wort, an das ich mich leider nicht erinnere, das aber einen weiblichen Affen bezeichnet. Aha….man hat also die Wahl zwischen dem Huhn und dem Affen…
Wir vermieden jedenfalls die Chicken Buses für lange Fahrten, hauptsächlich aus Platzgründen wegen Jörg. Über eine kurze Strecke mag das ja noch gehen, aber sicher nicht für einige Stunden. Viele Reisende preisen das als das ultimative kulturelle Erlebnis an, und das ist es auch, mal für eine Weile zwischen den Einheimischen im Bus zusammengequetscht hocken. Aber man hat es dann definitiv auch mal gesehen. Und wenn man zur Rush Hour in einen Bus steigt und feststellt, dass dieser bereits mit Guatemalteken vollgestopft ist, stellt man ebenfalls fest, dass diese auch nicht unbedingt erfreut sind, 2 grosse, breite Touristen und ihre ebenso riesigen Rucksäcke hier anzutreffen.
Ich war wirklich sehr überrascht, als ich in Antigua sah, wie touristisch Guatemala wirklich ist. Im Zentrum Antiguas leben wohl kaum mehr viele Guatemalteken. Natürlich sind aber alle tagsüber in der Stadt, und betreiben irgendein Geschäft, bieten ihre Dienste als Guide an oder wollen dir sonst etwas andrehen.
Besonders zu spüren bekommt man das im Parque Central. Der Park ist wirklich sehr hübsch, direkt vor einer Kathedrale, es gibt viele Bäume, einen Brunnen im Zentrum und vielen Bänkchen, die zum verweilen einladen. Auch wir haben immer mal wieder eine Stunde oder zwei dort verbracht und das Geschehen und die Leute beobachtet. Es ist eigentlich eine schöne Atmosphäre auf dem Platz, es gibt Prediger, die im Park die Runde ziehen und mit der Bibel in der Hand katholische Weisheiten in vollem Karacho zum Besten geben, es gibt spielende Kinder, und allerlei bunte Mischung aus Touristen und Einheimischen.
Alle paar Minuten kommt ein Schuhputzer mit seinem Schemmelchen und seiner Kiste vorbei, traurigerweise handelt es sich zu einem grossen Teil auch um Kinder, junge Burschen. Sie betrachten meine ausgelatschten und staubigen Ledersneakers und sagen, es sei dringend nötig diese Schuhe zu reinigen, obwohl ich dies gerade erst vor 2 Tagen tatsächlich hatte machen lassen. Es dauerte etwa 5 Minuten, kostete mich 5 Quetzal (ca. 80 Rp.) und meine Schuhe glänzten wie neu.
Wenn dich gerade mal kein Schuhputzer auf deine dreckigen Latschen hinweist, hält dir eine freundlich aussehende, runde Frau im traditionellen, farbigen Dress und mit Baby auf dem Rücken eine Ladung Schals und Halsketten unter die Nase. Oder ein junger Mann flötet dich an mit seinen Holzinstrumenten. Mich stört das auch nicht weiter, zumindest wenn sie nach einem freundlichen aber bestimmten «Das ist wirklich hübsch, aber nein, vielen Dank» wieder abziehen. Aber wenn sie dann neben dir stehen und denken, dass du nach dem hundertsten «Nein Danke» dann urplötzlich einen unerwarteten Geistesblitz haben wirst, und ihnen doch noch einen Schal oder eine Flöte abkaufst, dann nerven sie irgendwann mal. Zugegeben. Und wenn sie dann noch ständig immer wieder kommen, noch ein kleines bisschen mehr. Jörgs Strategie in dieser Situation war: Er begann den lästigen Verkäufern im Gegenzug unser soeben auf dem Markt gekauftes Gemüse zu einem horrenden Preis zu verkaufen. 1 Fr. für eine Zwiebel?! Das war den potentiellen Kunden dann doch zu teuer und sie dampften ab und liessen uns dann auch meistens in Ruhe.
Das besagte Gemüse kauften wir auf dem lokalen Gemüsemarkt. Man merkt schnell: auch hier bezahlen Touristen deutlich mehr als Einheimische. Beispielsweise ist uns aufgefallen, dass den Einheimischen die Preise stets pro Pfund angeboten wurden. Uns immer pro Stück. Am allerdeutlichsten war es allerdings, als uns eine ältere Verkäuferin folgendes verlockende Angebot machte: 2 Mangos for 6 Quetzales, 3 for 10! Das ist ja ein richtiges Schnäppchen.
Wenn man das Gemüse im Laden kauft, zahlen zwar alle gleichviel, aber die Ware ist wirklich auch nicht so frisch wie auf dem Markt und meist von schlechterer Qualität. Und eigentlich habe ich auch nichts dagegen, wenn die Bauersfrau auch noch was vom Touristenboom abbekommt. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass wir meistens die einzigen Touristen sind, die auf den Märkten Gemüse und Früchte einkaufen. Seit Mexiko tragen wir Tropfen bei uns, mit denen man Früchte einlegen und so desinfizieren kann. Man sollte ja eigentlich nur Früchte essen, die man schälen kann, oder gekochtes Gemüse. Aber wenn man lange unterwegs ist, kann man einfach nicht auf alles verzichten. Ein leckerer Apfel zum Beispiel, oder ein Tomatensalat…mmmhh…
Die Märkte sind immer wieder sehr spannend zu besuchen, es ist immer sehr farbig und authentisch und ein kunterbuntes Gewusel in der Markthalle. Und immer mal wieder läuft eine Frau vorbei, ihre Schultern vollbeladen mit Tüchern, Schals und ähnlichem, auf dem Kopf trägt sie einen riesigen Plastikkorb mit irgendwelchem Zeugs drin, ein Kleinkind hängt in einem umgebundenen Tuch an ihrem Rücken und im linken Arm trägt sie ein Baby, welches an ihrer entblössten Brust saugt. Tja, Frauen können eben Multi-Tasking.
Bei uns kriegen ja immer wieder irgendwelche Leute die Krise, wenn eine Frau es wagt, in der Öffentlichkeit ihr Kind zu stillen, selbst wenn sie es auch noch nach allen Regeln der Kunst versteckt. Hier kümmert das niemanden und es gibt auch keine Hemmungen. Gestillt wird immer und überall, im Laufen, Stehen, Sitzen, auf dem Markt, im Bus, auf dem Schiff, mitten auf der Strasse….und es wird auch nichts gross versteckt: Brust raus, Baby ran, Futter marsch! Ich muss sagen, diese Einstellung gefällt mir besser, immerhin ist es doch das Natürlichste auf der Welt oder nicht? Es hat wohl schon jeder mal einen nackten Busen gesehen, und sonst kann er ja froh sein, dass er gerade die Gelegenheit dazu hatte….
Antigua selber ist eine recht hübsche Stadt. Sie ist umgeben von drei atemberaubenden Vulkanen: dem Agua, dem Acatenango und dem Fuego, von denen einzig der Fuego momentan aktiv ist. Wir haben auch einige Eruptionen beobachten können, allerdings leider nur bei Tag.
Es gibt in der Stadt viele Kolonialbauten und Kirchen. Schön war es vor allem auch mit all den farbig blühenden Bäumen überall. Ausserdem ist Antigua bekannt für die Ruinen von Kirchen und Klostern, die während den verheerenden Erdbeben eingestürzt sind. Wir haben allerdings nur eine Ruine betreten, nämlich « Convento La Recolección», da die Eintrittspreise wirklich horrend sind, nur um sich ein paar herumliegende Steinklötze anzusehen. Der Eintrittspreis für die Touristen ist jedenfalls um etwa Faktor 10 höher als für Einheimische. Die anderen Ruinen haben wir nur von aussen angeschaut, so spannend ist es nun wirklich auch nicht, vor allem weil es weder Erklärungen dazu gibt, noch Bilder, wie die Gebäude zuvor ausgesehen hatten.
Natürlich sind wir auch auf den Aussichtspunkt Mirador del Cerro de la Cruz hochgewandert, um uns die Stadt von oben anzusehen. Das Schönste ist aber definitiv die Sicht auf den Vulkan Agua.
Etwas befremdlich in Antigua war, dass wir auf der Strasse immer wieder Angestellte von Polizei und Feuerwehr angetroffen haben, die Spenden gesammelt haben. Da fühlt man sich gleich wahnsinnig sicher und beschützt von «Freund und Helfer», wenn die wichtigsten Behörden von Spendengeldern leben. Tatsächlich hat uns jemand erzählt, dass es in den letzten Wochen in Antigua mehrere Morde an Frauen gegeben hatte und dass man von einem Serientäter ausgeht. Es seien allerdings alles lokale Frauen gewesen. Es wurde uns gesagt, dass in Guatemala die Touristen zwar ausgeraubt und gelegentlich vergewaltigt würden, allerdings würde man davor zurückschrecken, sie umzubringen, weil man fürchte, damit internationale Polizeien wie Interpol oder das FBI auf den Plan zu rufen. Aha…wirklich sehr beruhigend. Ausserdem wurden die kürzlich verübten Morde wohl in der Öffentlichkeit totgeschwiegen und tauchten auch nicht in den Medien auf, weil man nicht will, dass die Touristen davon Wind bekommen und dann nicht mehr nach Guatemala reisen. Auch das, sehr beruhigend. Man will dann eigentlich gar nicht mehr darüber wissen, was noch so alles hinter vorgehaltener Hand abgeht. Ich jedenfalls hinterfrage an dieser Stelle ernsthaft, weshalb dann alle so eine riesen Krise haben, wenn man sagt, man sei einige Tage in Guate ciudad gewesen.
Tatsächlich aber scheint es, dass dieses Land ohne den Tourismus ruck zuck zu Grunde gehen würde. Es wird uns berichtet, dass alle früher blühenden Industrien, wie zum Beispiel der Kaffee- und Baumwollexport kaum mehr von Bedeutung sind. Heutzutage seien es nur noch die Textilindustrie und die Landwirtschaft (und diese auch nur im Rahmen der Selbstversorgung), die überhaupt noch eine Rolle spielen. Das Land lebt sozusagen von Immigranten und Touristen. Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass mit aller Macht versucht wird, den Tourismus am Laufen zu halten und die Sicherheit wenigstens einigermassen zu gewährleisten. So darf man sich nicht darüber wundern, wenn vor jedem Einkaufszentrum, vor jeder Bank, vor jedem grösseren MacDonalds etc. ein kaum 20-jähriger Junge mit einer Pump-Gun postiert ist, die fast grösser ist, als er selbst.
Wir verbrachten relativ lange in Antigua, weil wir 2 Touren mit der NGO Niños de Guatemala buchen wollten, die leider nur wochentags stattfanden. Da nun die eine am Freitag und die andere am Montag war, verbrachten wir auch das ganze Wochenende dort.
Niños de Guatemala ist eine Non-Profit-Organisation, die von einem Holländer ins Leben gerufen wurde. Die Idee kam ihm, als er in Guatemala ein kleines Mädchen traf, das barfuss zur Schule ging. Er kaufte ihr ein paar Schuhe und war völlig überwältigt von der Dankbarkeit ihrer Familie. Also ging er in die Niederlande um Spenden zu sammeln und gründete die Organisation.
Die Organisation betreibt mittlerweile 3 Schulen: 2 Primarschulen in 2 unterschiedlichen Städtchen rund um Antigua und eine Sekundarschule in Ciudad Vieja. 500 Schüler gibt es insgesamt, je 200 in den Primarschulen und 100 in der Sekundarschule.
Der Schulbesuch in Guatemala ist nicht obligatorisch, es gibt keine entsprechenden Gesetze. Gerade für ärmere Familien ist es sehr schwierig, ihrer Kinderschar die Schule zu ermöglichen, vor allem weil neben den Schulkosten auch noch Kosten für Bücher, Kleidung, Anfahrt etc. dazukommen. Die Schulen der Niños de Guatemala nehmen ausschliesslich Kinder auf, die aus armen Verhältnissen kommen, dh. Das Einkommen der Eltern darf gewisse Grenzwerte nicht überschreiten. Es gibt auch weitere Kriterien, die für die Aufnahme gelten, und vorweg geprüft werden. Eltern, die etwas mehr verdienen als andere, müssen einen symbolischen Beitrag leisten. Ausserdem müssen nicht-berufstätige Mütter in der Schule mithelfen, zu kochen und zu putzen. Dies im Turnus-Verfahren, jede ist mal für einen Tag dran.
Die Kinder dürfen auch nur einmal ein Jahr wiederholen, wenn ihre Leistung ungenügend ist. Das Motto ist, dass auch noch andere Kinder auf einen Platz warten, die vielleicht motivierter sind zu lernen. Problematisch ist dies halt, wenn es sich um Kinder mit Lernschwierigkeiten handelt. Die würden zwar gerne, können aber nicht so gut. Dafür bietet die Schule nachmittags Förderunterricht an für die betroffenen Kinder.
Die Schule bietet ausserdem psychologische Betreuung, da viele Kinder aus Problemfamilien stammen, wo auch häusliche Gewalt an der Tagesordnung sei. Es gibt analog auch eine Anlaufstelle für die Eltern, wo sich beispielsweise Mütter melden könnten, die sich beispielsweise nicht getrauen, sich vom gewalttätigen Vater/Mann zu trennen.
Ausserdem bietet die Schule Lese- und Schreibunterricht auch für die Eltern an. Stolz erzählen unsere Guides, dass der Analphabetismus in den Dörfern wo sich die Schulen befinden, massiv zurückgegangen sei.
Unsere erste Tour startete im Büro der Organisation in Antigua. Sie wurde von einer jungen Frau und einem jungen Kerl (Christian! Gott, wenn ich nur nicht immer so schlecht mit den Namen wäre) geführt. Christian machte die Touren früher und lernt nun die Dame an. Jörg und ich waren die einzigen Teilnehmer der Tour, und das war auch sehr gut so, so konnten wir fleissig unser spanisch üben, und viele Fragen stellen. Die junge Dame war jedenfalls überrascht, als wir sie gebeten haben, die Tour in Spanisch abzuhalten, nachdem sie sich in ihrem besten Englisch vorgestellt hatte.
Als erstes besuchten wir ein Hotel, welches mit der NGO verbunden ist, und aus den Gewinnen auch einen Beitrag an die Schulen leistet. Leider können aber nur 5% des Gewinns gespendet werden, da zuerst wohl hohe Investorengelder bedient werden müssen. Tja, man nimmt eben was man kriegt. Dort konnten wir die Zimmer (mit Aussendusche) besichtigen. Hier haben jedenfalls nicht nur die Zimmer, sondern auch die Preise europäischen Standard. Wir bekamen einen typischen kalten Hibiskus-Tee, den die Einheimischen «Rosa de Jamaica» nennen zu trinken, der wirklich sehr lecker war.
Als nächstes fuhren wir mit dem Chicken Bus nach Ciudad Vieja. Es war nur eine kurze Reise von ca. 20 Minuten, daher war das mit dem Bus auch kein Problem. Er war zudem auch fast leer. Aber es war eine gute Einleitung, denn als erstes würden wir eine Werkstatt (bzw. einen Hinterhof ) besuchen, wo alte Schulbusse aus den USA in guatemaltekische Chicken Buses (oder eben das weibliche-Affen-Pendant) verwandelt werden.
Wie uns gesagt wird, werden die Busse nach deren Ausmusterung in den USA für ca. 5000- 10'000 USD gekauft. Die Busse haben zu diesem Zeitpunkt etwa 120'000 – 150'000 Meilen auf dem Tacho. Sie werden nach Guatemala importiert, und dort in eine solche Werkstatt gebracht. An einem Bus dauert die Arbeit etwa 30 Tage. Als erstes werden die Busse verkürzt, damit sie besser durch die engen Strassen passen. Am Hinterteil werden einfach ca. 1.5m herausgesägt. Die Innenbänke werden ausgetauscht, die neue Bestuhlung erfolgt dichter, damit mehr Leute hineinpassen. Ausserdem werden Ablageflächen über den Sitzen für Handgepäck installiert, sowie ein Dachträger für grösseres Gepäck. Allfällige Klimaanlagen werden ausgebaut. Ob der Tacho oder die Füllanzeige funktioniert, ist egal. Auch dass das Lenkrad scharf nach rechts zeigt, während man geradeaus fährt, interessiert niemanden weiter. Musik gibt es. Musik gibt es immer. Und LED-Leuchtketten. Und das Bild von Jesus natürlich. Das auch.
Die Busse werden aussen möglichst farbig und auffällig bemalt und dekoriert, unter anderem auch mit blinkenden Lichtern und Leuchtketten. Auf der Seite gibt es immer einen Schriftzug mit dem Namen der Besitzer-Familie. Der Zweck des farbigen Designs ist wohl hauptsächlich Marketing. Im Reiseführer liest man, wenn man Chicken Bus fährt, sollte man sich den Auffälligsten und detailliert Bemaltesten aussuchen, da es wahrscheinlicher ist, dass ein Besitzer, der genug Geld hat für eine teure Deko, auch genug Geld hat für anständige Bremsen. Tatsächlich geschieht in Guatemala wohl etwa ein tragischer Busunfall pro Woche.
Bei den Besitzern handelt es sich meistens um kleine Firmen, die von Familien geführt werden. Die Firma importiert den Bus und lässt ihn umbauen. Anschliessend stellt sie Fahrer und Helfer ein. In jedem Bus gibt es immer 2 Männer: einen der fährt, und einen der in der offenen Tür steht, das Fahrziel rausschreit, Leute einsammelt und das Geld einfordert. Wir erfahren, dass die Firma dem Busfahrer ein tägliches Umsatzziel vorgibt, zb. 1000 Quetzales. Wenn er dies nicht erreicht, muss er die Differenz an einem anderen Tag durch Mehrumsatz kompensieren. Wenn er mehr einnimmt, dann sagt er das einfach niemandem, gibt dem Chef die 1000 und teilt sich die Extra-Quetzales mit dem Helfer auf. Das ist auch der Grund, weshalb die Fahrer meist halsbrecherisch und in überrissenem Tempo unterwegs sind, und die Busse derart vollstopfen, dass es einen wundert, dass sie die Leute nicht auch noch aussen an die Carrosserie oder auf den Dachträger binden. Offiziell sind 60 Personen pro Bus zugelassen, pro Sitzbank 3 Personen (mit Maya-Grösse). In Tat und Wahrheit teilt sich häufig eine ganze Familie mit 5-6 Personen eine Bank. Dies wird auch von der Polizei nicht wirklich kontrolliert.
Das Leben als Busfahrer sei gefährlich, erzählen unsere Guides. Sie selber und auch die Firmen würden häufig von Maras (Gang-Mitgliedern) auf Schutzgelder erpresst.
Die Betreiber benötigen eine Lizenz pro gefahrene Strecke. Die Fahrpreise sind geregelt, die Fahrt von A nach B kostet gleichviel, egal mit welchem Betreiber man fährt. Sicher haben die Einheimischen trotzdem auch eine Art «Stammbusfirma».
Das war ein wirklich interessanter Teil der Tour und eigentlich auch der Hauptgrund weshalb wir diese Tour gebucht hatten. Es war sehr spannend, eine solch typische und wichtige lokale Industrie kennenzulernen. Bei uns zuhause undenkbar sowas, und wieder stelle ich mir den netten Beamten vom Aargauer Strassenverkehrsamt beim «Vorführen» vor. 😊 Aber hier ist dies das zentrale Verkehrsmittel, dass die Städte und Regionen und die Menschen im Land miteinander verbindet und viele Arbeitsplätze schafft.
Als nächstes besuchten wir die Schule im Ort, das wird diese Schule sein, wo wir am Montag den Tag verbringen würden. Dazu später mehr.
Auf dem Weg zur Schule spazierten wir durch Ciudad Vieja. Unser Guide erzählte uns, dass dies die zweite Hauptstadt Guatemalas war. An den Namen der ersten kann ich mich leider nicht mehr erinnern, aber es war jedenfalls nichts bekanntes. Die Spanier waren es, die die Hauptstadt das erste Mal verlegten, und zwar nach Ciudad Vieja. Die Stadt liegt direkt unterhalb des Vulkans Agua. Der Vulkan ist erloschen, aber es sammelte sich Wasser in seinem Kegel, daher der Name. Scheinbar ist er einmal überlaufen und hat die ganze Stadt geflutet. Daraufhin wurde die Hauptstadt erneut verlegt, und zwar nach Antigua. Einige Zeit später wurde Antigua von einem Erdbeben nahezu komplett zerstört, worauf dann Guatemala City die Hauptstadt wurde.
Die letzte Etappe der Tour führte uns an einen unkonventionellen Ort: in eine Sargfabrik. Damit wäre die im Reiseführer als Must-See aufgeführte Rubrik «Herstellung von Holzarbeiten» auch gleich abgehakt. Warum also nicht. Auch bei dieser Fabrik handelte es sich um einen Hinterhof mit Wellblechdach. Die Särge werden von Hand gefertigt. Die Herstellung dauere 2 Tage, wobei die Särge erst im Bedarfsfall hergestellt werden, es gibt keinen Vorrat. Das war ganz interessant zu sehen, aber letzten Endes handelt es sich um katholische Särge mit Guckfenster und seidiger Innenverkleidung. Vielleicht etwas kleiner in den Massen als bei uns. Die Zeremonien sind hier auch nicht viel anders, man trägt zb. schwarz, Kremierung ist unüblich. Etwas ungewohnt für uns ist es, dass der Tote im Sarg noch in einer langen Prozession durch die ganze Stadt getragen wird, zwischen Zuhause, der Kirche und dem Friedhof. Wir hatten sogar schon mal zufällig eine solche Prozession gesehen. Wir brauchten damals einen Moment, um zu begreifen was vor sich ging, da zuerst mal nur ein langer Zug von schwarzgekleideten Menschen an unserem Tisch auf der Restaurantterrasse vorbeizog.
Am Montag besuchten wir wieder dieselbe Schule, die wir am Freitag schon kurz besichtigt hatten, diesmal aber in offizieller Funktion als «Freiwillige für einen Tag». Die Schule bietet auch längere Freiwilligenprogramme an, aber die Mindestdauer ist 4 Wochen, und solange wollten wir auch nicht hier herumhängen. Um Freiwilliger für einen Tag sein zu können, muss man natürlich auch einen finanziellen Beitrag in Form einer kleinen Spende leisten. In der kurzen Zeit kann man natürlich auch nicht viel sinnvolle Arbeit vollbringen. Aber darum ging es ja auch weniger, sondern vielmehr darum, mal einen Einblick in eine solche Schule zu erhalten, etwas Zeit mit den Kindern zu verbringen, und ein gutes Projekt zu unterstützen. Und wer weiss? Vielleicht melden wir uns auch (wenn wir dann mal wieder ein sesshaftes Leben haben) als Padrinos, und übernehmen eine Patenschaft für eines dieser Kinder. Da hat man wenigstens schon einmal hautnah erleben können, wohin das Geld dann fliesst.
Und die Schule kann wirklich noch finanzielle Mittel brauchen. Das vorher kostenlose Znüni und Mittagessen für die Kinder musste gekürzt werden auf nur noch einen Snack in der Pause. Das Essens-Budget sei früher etwa 140'000 Dollar im Jahr gewesen, jetzt nur noch etwa 37’000. 140'000 Dollar? Sieht auf den ersten Blick nach sehr viel aus. Teilt man das durch 500 Kinder und ein kaufmännisches Jahr von 220 Schultagen ergibt das pro Kind nur etwa 1.25 Dollar pro Tag.
Nachdem wir in der Schule angekommen waren, wurden wir den Klassen zugeteilt. Ich bekam die 3. Klasse, Jörg die 1. Und hier eine Beschreibung unserer jeweiligen Tage:
Lisi’s Tag:
Als ich in meinem Klassenraum ankam, war dieser bis auf die Lehrerin Jolanda leer. Die Kinder seien noch draussen, würden an einem Projekt arbeiten. Sie würden aber gleich kommen. Inzwischen wies mich Jolanda in meine Arbeit ein. Ich sollte für das Fach Kaligraphie einige Wörter in jedes Hausaufgabenbüchlein der Kinder schreiben, die sie dann zuhause mehrmals abschreiben mussten. Klingt einfach? Dachte ich auch! Bis mir bewusst wurde, dass gewisse Buchstaben anders geschrieben werden, als wir es mit der «Schnüerlischrift» beigebracht bekamen. Insbesondere das grosse «G» hätte ich also nicht mal als G wiedererkannt. Also musste ich alle Buchstaben und Wörter zuerst mal selber üben und einige Male auf ein separates Blatt schreiben, bevor ich mich an die Büchlein der Kinder traute.
Plötzlich war draussen Lärm zu hören, und es war klar: die Kinder waren im Anmarsch. Brav blieben sie vor der Tür stehen und baten um Einlass. Dann stürmten sie das Klassenzimmer und das Chaos war perfekt. Sobald sie mich sahen, fielen sie über meine Haare her, sie waren alle völlig fasziniert von meinen Zöpfen, von allen Seiten zog es an meinem Kopf und ich erhielt wohl so viele Komplimente wie in meinem gesamten Leben nicht. Kaum war ich vorgestellt und hatte «Hola» gesagt, wurde ich bereits von den ersten Kleinen überschwänglich umarmt. Das hat mich sehr überrascht. Generell habe ich gestaunt, wie herzlich die Kinder die Lehrerin behandeln, sie umarmen, herankommen um sich über die Haare streichen zu lassen, ihre Nähe suchen. In der Pause konnte ich das auch bei einem männlichen Lehrer beobachten. Bei uns wäre das ja undenkbar, der Lehrer könnte wohl seinen Beruf gleich an den Nagel hängen, wenn er sich so von den jungen Mädchen umarmen und herzen liesse. Aber viele Kinder hier kommen aus armen und oftmals auch sehr grossen Familien. Die meisten haben sehr viele Geschwister. Das Mädchen Damaris erzählt mir, sie sei die Jüngste von 9 Kindern, nicht selten seien es wohl gar bis zu 12 Kinder in einer Familie. Da bekommt wohl nicht jedes die gleiche Aufmerksamkeit und Liebe von den Eltern, wenn überhaupt. Jolanda erzählt mir, als ich staunend nachfrage, dass die Kinder die Lehrer als zusätzliche Eltern sehen würden, und diese daher sehr wichtige Bezugspersonen seien.
Als sich die Situation etwas beruhigt und die Lehrerin das Wochenprogramm erklärt hatte, läutete auch schon die Pausenglocke und die Lautstärke nahm sofort wieder zu.
Ich wurde hinausgezogen, und es hiess: Jetzt wird Ball gespielt! Ich wurde einer Mannschaft zugeteilt und dann gings auch schon los. Ich fragte eines der Mädchen, was ich überhaupt tun musste, und sie sagte nur, ich solle mich nicht vom Ball treffen lassen. Gesagt, getan. Irgendwann dämmerte es mir, dass wir gerade Völkerball spielten! Das habe ich das letzte Mal vor gefühlten 100 Jahren gespielt! Wie gingen auch die Regeln nochmal? Irgendwie kam da doch auch ein Himmel vor…Irgendwann wurde ich auch getroffen, und wurde lautstark darauf hingewiesen, dass ich jetzt in den besagten Himmel muss. Es war wirklich sehr lustig, wiedermal Völkerball zu spielen, und die Kinder waren wirklich herzallerliebst, ich habe es sehr genossen (obwohl ich mich erinnern kann, dass ich in der Schule nicht sehr begeistert war davon).
Die Kinder haben morgens eine Stunde Pause zwischen den Unterrichtssequenzen. Die Hälfte der Kinder spielt die erste halbe Stunde, und die andere Hälfte isst den «Znüni». Dann wird gewechselt.
Die Schule legt sehr viel Wert darauf, den Kindern Hygiene beizubringen. So stellten sich alle Kinder vor mir in eine Schlange, und ich verteilte auf allen Händchen einen Klecks Seife, damit sie vor dem Essen die Hände waschen konnten. Nach dem Essen wiederholte sich das ganze Prozedere mit Zahnpasta (natürlich auf die Zahnbürste, nicht auf die Hände).
Nach der Pause war Mathe dran, Multiplikation. Ich war inzwischen fertig mit meiner Aufgabe in Kaligraphie und wurde angewiesen, den Kindern bei Fragen zur Verfügung zu stehen, und ihre Aufgaben zu kontrollieren. Und das war dann auch gleich die nächste Herausforderung: Wie erklärt man einem Kind bloss, wie man 6x3 rechnet? Und dann auch noch auf Spanisch?! Ich gab wirklich mein Bestes, aber meistens endete es damit, dass ich den Kleinen irgendwann das richtige Resultat zuflüsterte. Es ist wohl für alle das Beste, dass ich mich nicht für den Lehrberuf entschieden habe.
Nach Mathe war Englisch dran. Dort gab es eine Prüfung und ich musste helfen, diese zu korrigieren. Und natürlich haben einige der kleinen Biester versucht, mich zu übertölpeln, indem sie bereits korrigierte Resultate ausradierten und darauf bestanden, dass ich das falsch korrigiert hätte.
Irgendwann läutete dann die Schulglocke und die Kinder stürmten mit demselben Karacho hinaus, wie sie hineingestürmt waren. Nicht ohne die Lehrerin noch zum Abschied zu umarmen, versteht sich.
Für uns gab es dann noch ein Mittagessen, welches von einer der Mütter zubereitet worden war und dann wurden wir zurück in die Stadt gebracht.
Mein abschliessender Eindruck von der Schule war ganz gut, wenn auch meiner Meinung nach das Niveau des unterrichteten Stoffes etwas tiefer ist als bei uns und auf Strenge, Disziplin und Ruhe im Unterrichtsraum weniger Wert gelegt wird.
Alles in allem habe ich mein Erlebnis als «Freiwillige für einen Tag» sehr genossen und habe es als sehr bereichernde Erfahrung empfunden, die Kinder kennenlernen zu dürfen.
Jörg’s Tag:
Mir wurde gesagt, dass ich in der ersten Klasse mithelfen kann. Was machte ich eigentlich damals in der ersten Klasse? Die Schulleiterin zeigte mir den Weg zum Klassenraum. Einfacher wäre es gewesen dem Lärm zu folgen. Die Lehrerin kämpfte bereits mit der Fliegenklatsche für Ruhe. Wenn diese hinaufgehalten wird, sollte es ruhig werden. Sollte…nach einigen Minuten wurde es das denn auch. Ich unterhielt mich kurz mit ihr und sie erklärte mir, dass ich in jedes Heft eine Zeile «4» sowie «M» schreiben soll und die Kinder dann die Seiten damit füllen würden. War das bei mir auch so? Ich denke schon. Während ich die ersten Zeilen schrieb, kamen immer wieder Kinder zu mir und fragten nach Namen, Nationalität und Grösse. Erstaunt war ich, dass einige sogar einige Wörter englisch sprachen. Aber, war da nicht noch was mit Schule? Genau! Die Lehrerin wedelte schon wieder eifrig mit der Fliegenklatsche und verdonnerte die Lauten in die «Schäm-Ecke». Dies half auch nur bedingt was, da sowieso die meisten Buben herumrannten. Interessant war vor allem zu sehen, wie die Mädchen die Aufgaben machten und die Seiten nach wenigen Minuten beendet hatten. Die Buben waren in dieser Zeit noch nicht einmal über die dritte Zeile hinausgekommen. Der kleine Armando fiel mir besonders auf, da er nach einem halben «m» bereits wieder ein Nickerchen machen wollte. «no atajar!» sagte ich ihm und probierte ihn für einen neuen Buchstaben zu motivieren. Vergeblich!
Kurz vor der Mittagspause liess die Konzentration noch mehr nach und die Kleinen warteten förmlich auf das Ende. Als ich dann die Infohefte für die Eltern austeilte, wollten alle auf einmal hochgehoben werden. Niemand hörte auf die Lehrerin und alle waren um mich herum. Ich erklärte ihnen, dass ich diejenigen hochhebe, die alle Aufgaben gemacht hätten und sie mir diese zeigen würden. Sofort waren alle Mädchen um mich herum und alle Buben rannten zu ihren Tischen zurück um die Aufgaben zu machen. Sogar Armando schaffte noch ein bisschen mehr…und durfte die Schule mal von knapp 2 Meter weiter oben betrachten.
Am Sonntag fuhren wir noch mit dem Chicken Bus nach Pastores, ein Örtchen etwas ausserhalb von Antigua. Der Ort wird als «Ground zero für Lederwaren» in einer unauffälligen Nebenbemerkung im Reiseführer erwähnt. Entsprechend wenige Touristen waren vor Ort. Sehr gut. Und tatsächlich besteht der ganze Ort aus Schuhläden. Wenn man also auf der Suche ist nach ein paar günstigen Cowboy-Stiefeln: This is the place to be! Jörg und ich haben beide den Nachteil grosser Füsse: hier kein Problem! Man kann sich sämtliche Modelle massschneidern lassen!
Vergeblich und verzweifelt hatten wir für Jörg in der Schweiz (und auch online im nahen Ausland) ein Paar Tanzschuhe mit Ledersohlen fürs Salsa-Tanzen gesucht. Keine Chance.
Natürlich haben wir hier gleich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und ein hübsches Paar Tanzschuhe für ihn bestellt. Kostenpunkt: ca. 90 Fr.! In zwei Wochen können wir sie abholen, jetzt gilt es Daumen drücken, dass sie denn auch wirklich passen!
Als wir nach Pastores aufbrachen, haben wir uns noch gefragt, was denn dieser komische Infostand im Park plötzlich soll. Als wir von Pastores zurückkehrten, gerieten wir zufällig in eine riesige Prozession. Ein Orchester spielte, religiöse Bildnisse wurden in einem Umzug durch die Stadt getragen und die Luft wurde mit solchen Unmengen von Weihrauch verpestet, dass es einem schwindelig wurde. Was geht hier vor? Hmm, war da nicht etwas vor Ostern? Irgendwas mit 40 Tagen? Fastenzeit? Kann es sein, dass es heute 40 Tage vor Ostern ist? Ja, das wird’s wohl sein…..was für ein Glück wir haben, ganz zufällig Zeuge dieses Anlasses zu sein!
Dachten wir….nun…so ein Glück war es auch wieder nicht. Wir wurden noch 3 weitere Male Zeuge dieses Events, es ist in der ganzen Stadt nämlich kaum möglich, der Prozession auszuweichen.
Lustig war jedenfalls, dass die ganze Sache ziemlich ungeordnet zu und her ging. Ausserdem assen die Teilnehmer Hamburger während des Umzugs.
Nach 5 Tagen verliessen wir Antigua, aber nicht für lange. Wir werden nämlich spätestens zur Semana Santa (Osterwoche) hierher zurückkommen, da die Festivitäten in Antigua offenbar als die prachtvollsten in ganz Zentralamerika gelten.