Veröffentlicht: 28.12.2019
28.12.2019
Nachdem wir uns gestern nur in unserem Viertel bewegt hatten, wollten wir heute die Innenstadt von Phnom Penh anschauen. Da es bis dort fast 6 km sind, entschieden wir, den Local Bus zu nehmen (ein Tuk-Tuk wäre auch eine Option gewesen aber wahrscheinlich sehr viel teurer ;-) )
Erst seit 2014 gibt es in der Hauptstadt Kambodschas eine City Bus Line. Mit dieser kann man für 1.500 Riel (ca. 40 Cent) so viele Haltestellen weit fahren, wie man möchte. Wir stellten uns also an die Hauptstraße, die in die Innenstadt führt und warteten auf den nächsten Bus.
Dabei stellten wir schon im Voraus fest, dass die Fahrt wohl ein wenig dauern würde, denn die Straßen sind komplett voll und der Verkehr sehr stockend. Wir haben uns gefragt, ob das vielleicht daran liegt, dass es hier deutlich mehr Autos gibt als in Vietnam gesehen…
Nach ein paar Minuten kam dann schließlich ein Bus, wir stiegen ein und zum ersten Mal in Asien mussten wir das Ticket beim Einsteigen direkt beim Fahrer kaufen :O Keine Busbegleiter und kein Zahlen erst während der Fahrt oder beim Aussteigen.
In dem Bus waren außer uns nur Asiaten, von denen sich ein paar Frauen laut und fröhlich unterhielten. Eine andere Frau starrte mich laut Jonas wohl sehr lange an, vielleicht wegen unserer weißen Haut, die ja hier ein Schönheitsideal ist, keine Ahnung^^
Für die 6 km benötigten wir fast 30 Minuten, aber bei dem langsamen Tempo konnte man immerhin schon einmal ein bisschen aus dem Fenster schauen. Interessant war zum Beispiel, dass an einer Tankstelle Arbeiter die Bordsteinkante in gelb und schwarz per Hand anmalten! :D So etwas hatten wir noch nicht gesehen und ich vermute, in Europa kann man die Steine fertig markiert kaufen. Diese Handarbeit sah etwas ungewohnt aus ;-)
An unserer Wunschstation angekommen machten wir uns auf die Suche nach einem Reisebüro, das uns ein Busticket nach Siem Reap für übermorgen verkaufen würde. Online hatten wir wieder vorab ein paar Anbieter gefunden, die wir nun persönlich aufsuchen wollten, weil es dann meistens den besseren Deal gibt :p
Leider hatten wir hier zum ersten Mal keinen Erfolg :O Erst gingen wir an einem der Büros nur vorbei, da sie online die teuersten gewesen waren. Stattdessen gingen wir zum Postamt, wo laut Internet auch Busse abfahren. In der Filiale konnten wir aber nichts dahingehend erkennen, also gingen wir zurück zu dem ersten Anbieter.
Auf dem Weg von A nach B kamen wir übrigens an Wat Phnom vorbei, einem Tempel, dessen Besuch wir uns aber nach den ganzen anderen Tempeln hier sparten ;-) Faszinierend war allerdings eine auf den Rasen gepflanzte analoge Uhr!
Außerdem passierten wir noch ein Kinderkrankenhaus. Auf beiden Seiten des Eingangs waren lange Schlangen und schließlich sogar in Reihen von bestimmt 50m Bänke, auf denen die Eltern mit ihren Kindern warteten. Man sah viele sehr dünne Kinder, Kinder mit Pflastern auf der Stirn oder mit fiebrigen Augen. Der Anblick war schon ein bisschen bewegend, weil eben so viele Kinder dort warteten! :O
Das Krankenhaus selbst sah übrigens recht modern aus aber ist anscheinend personell oder platzmäßig etwas überlastet…
Draußen auf dem Gehweg witterten natürlich sofort Verkäufer passend zur Zielgruppe ihr Geschäft. Neben Kinderspielzeug gab es auch Windeln oder Babynahrung von einem der Stände zu kaufen.
Na ja. Schließlich waren wir zurück am ersten Reisebüro, wo uns mitgeteilt wurde, dass für übermorgen leider kein Platz mehr frei wäre. Oh nein!!
Etwas enttäuscht gingen wir wieder zurück Richtung Post und sahen auf dem Weg einen weiteren Anbieter. Dieser teilte uns mit, dass er Tickets immer nur einen Tag im Voraus verkaufen könne und war somit ebenfalls raus.
Zurück bei der Post fragten wir an einem Informationsschalter nach Bustickets und wurden an einen Schalter verwiesen. Ja, es werden Tickets dort verkauft. Hey! Nach kurzem Checken stand dann aber fest, dass auch hier für übermorgen alle Sitze vergeben seien :(
Beim ersten Büro hatten wir den Tipp bekommen, an der Riverside ein Büro aufzusuchen, da es dort ganz viele geben solle. Das war nun unsere „letzte Hoffnung“ und tatsächlich landeten wir in einem echten Touristen-/Backpacker-Viertel, wo sich ein Büro an das nächste reihte ;-)
Wir kauften erfolgreich zwei Tickets für übermorgen – Abfahrt 7:10 Uhr morgens. Ei ei ei :D :D Immerhin ist man dann nicht so spät am Zielort :p
Unser eigentliches Ziel für heute war (neben dem Ticketkauf) der Besuch des Tuol Sleng Museum. Logistisch gesehen bot es sich aber an, auf dem Weg vom Busbüro aus dorthin auch noch an ein paar typischen Sehenswürdigkeit der Stadt zu stoppen.
Neben weiteren Tempeln war das vor allem der Königspalast, der aber leider gerade zur Mittagspause geschlossen hatte^^ Darauf wiesen uns natürlich auch diverse Tuk-Tuk Fahrer hin, die darin ihr Geschäft witterten, uns zur Überbrückung zu anderen Sehenswürdigkeiten zu fahren. Dass wir einfach nur laufen wollen, ist ihnen immer sehr unverständlich ;-) :D
Schließlich kamen wir am Museum an und gönnten uns auch den Audio Guide dazu, um ein ganzheitliches Bild zu bekommen.
Das Tuol Sleng Museum ist eine ehemalige High School, die während der Herrschaft der Roten Khmer von 1975-1979 in Phnom Penh als Gefängnis S-21 genutzt wurde und in ihrer Funktion in fast allen Dingen an die Konzentrationslager der Nazi-Zeit erinnert.
Mal ganz ehrlich: wer hat sich zuvor schon einmal mit der Geschichte Kambodschas beschäftigt, vor allem mit den Geschehnissen seit den 70er Jahren? Weder zufällig noch in der Schule im Geschichtsunterricht hat das bei mir jemals Erwähnung gefunden – was sehr sehr schade ist, da es ein super wichtiges Thema ist!!!
Für Details müsste man wohl lieber selber einen offiziellen Artikel dazu lesen aber hier ein kurzer historischer Hintergrund:
Was fast niemand weiß und wir zuvor nicht wusssten – neben dem Vietnamkrieg gab es noch den „Secret War“ der Amerikaner, bei dem sie Kambodscha bombardierten und hunderttausende, vornehmlich Zivilisten, töteten. Wie immer ist die Sache etwas verstrickt. Kambodscha ist eine Monarchie und der König Kambodschas und die USA waren sich gegenseitig friedlich/freundlich gestimmt.
Die USA finanzierte den (Aus-)Bau der Straße von Sihanoukville, Kambodschas einziger Hafenstadt, nach Vietnam. Während des Vietnamkrieges ließ der kambodschanische König allerdings die Vietkong, also die kommunistischen „Gegner“ der USA, diese Straße benutzen, um ihre Truppen nachzurüsten.
Als Gegenmaßnahme bombardierten die USA nun auch Kambodscha und stürzten das Land ins Chaos und in einen Bürgerkrieg. In dieser politisch unruhigen Zeit schafften es die Roten Khmer, eine kommunistische, kambodschanische Gruppe, mit Hilfe der USA den König zu stürzen und die Macht an sich zu reißen.
Kopf der Roten Khmer war Pol Pot, der in Frankreich studiert hatte und als Lehrer zurück nach Kambodscha gekommen war. Er hatte die Idee, Kambodscha zurück in einen Steinzeit-Kommunismus zu führen. Mit der vorhergehenden Destabilisierung des Landes durch die USA gab es viele traumatisierte junge Männer die ihre Existenz verloren hatten. Dies gab den Ideen der roten Khmer den Nährboden, den sie brauchten, um genug Anhänger zu haben um ihre Ideologien durchzusetzen.
Das Geld wurde abgeschafft, Autos, Industrie und andere moderne Einrichtungen wie Telefone und Fernseher wurden vernichtet. Innerhalb von drei Stunden nachdem die Roten Khmer Phnom Penh 1975 „befreit“ hatten, änderte sich aber die Stimmung bei der zuvor jubelnden Bevölkerung.
Auf Befehl mussten alle ihre Sachen packen und die gesamte Stadt wurde leer geräumt. Wer sich weigerte zu gehen, wurde direkt umgebracht. Die restlichen Einwohner wurden in geplante Bereiche verteilt, wo sie auf dem Land als Bauern durch Zwangsarbeit bis in den Tod schuften mussten. Da viele ihr Leben lang in der Stadt gewohnt hatten, hatten sie gar keine Ahnung von Landwirtschaft und machten so einige Fehler beim Anbau, für die sie dann bestraft wurden.
Während also die gesamte Bevölkerung aus den Städten vertrieben und als Arbeiter aufs Land geschickt wurde, begann außerdem die Errichtung von sogenannten Gefängnissen für Verräter und Straftäter. Eines dieser Gefängnisse ist Tuol Sleng, welches heute ein Museum ist.
Die ehemalige High School wurde in ein Gefängnis samt Folterkammern umfunktioniert. Die sogenannten Verräter waren vor allem Intellektuelle, (Ärzte, Lehrer, Mönche etc.) die die Roten Khmer als Bedrohung ansahen, da diese einen Aufstand hervorrufen könnten. Allein ein Brillenträger zu sein, machte einen strafbar. Von diesen Gefängnissen gab es zahlreiche über ganz Kambodscha verstreut.
Wer in Phnom Penh ist, sollte dieses Museum auf jeden Fall besuchen. Es ist schrecklich aber so unglaublich wichtig, dass man sich mit dem Thema beschäftigt. Ab und zu wurde mir ein bisschen übel und ich pausierte den Audio Guide, um mich draußen auf die Bank zu setzen und alles sacken zu lassen denn es war wirklich heftig.
Über 100.000 Menschen wurden allein in diesem Gefängnis gefoltert und zu Geständnissen gezwungen, bevor sie schließlich auf den sogenannten Killing Fields hingerichtet wurden. In dem Gefängnis selbst sollte nämlich niemand zu Tode gefoltert werden. Es gab sogar Krankenschwestern, die die Verletzten notdürftig behandelten, damit ihre Folter fortgeführt werden kann. Diese „Krankenschwestern“ hatten einen 4-monatigen Crash-Kurs erhalten, der mit moderner Medizin nichts zu tun hat und äußerst schmerzhafte Behandlungen hervorbrachte.
Die Gefangenen sollten vor allem ihre Spionagetätigkeiten gestehen oder andere Spione verraten, was aber absurd war, da die meisten von ihnen komplett unschuldig waren. Männer, Frauen und sogar Kinder wurden in dem Gefängnis festgehalten, wobei Kinder in der Regel sofort getötet wurden.
Ein Beispiel für so ein „Geständnis“ ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Der Häftling hatte nach monatelanger Folter schließlich sechs Namen von angeblichen CIA-Agenten genannt, einer Organisation, von der er noch nie zuvor überhaupt gehört hatte. Aber es war das, was die Aufseher hören wollten, also sagte er es schließlich.
Einer der nur 12 Überlebenden ist Maler und seine Bilder sind im Museum ausgestellt. Ich konnte mir diese Details nicht zusammen mit dem Audio Guide anhören, sondern wartete draußen auf Jonas und hörte nur stückweise Informationen an, weil es mir echt zu krass war :O
1979 befreiten übrigens ausgerechnet die Vietnamesen Phnom Penh aber die Roten Khmer tyrannisierten das Land noch bis 1990. Erst 2009 wurde unter anderem nach internationalem Drängen ein Prozess zur Verurteilung der noch lebenden Führungsebene der Roten Khmer veranlasst.
Viele Verurteilungen gab es dabei aber nicht, da die Angeklagten alt sind und teilweise angeblich nicht mehr strafmündig z.B. wegen Demenz. Der Leiter dieses Gefängnisses Tuol Sleng allerdings, „Kamerad Duch“ genannt, wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt.
Neben der krassen Geschichte selbst, ist es vor allem fast unvorstellbar, dass erst so spät überhaupt Anklage erhoben wurde. Der Hauptgrund ist wohl, dass noch heute die Regierung aus (ehemaligen) Mitgliedern der Roten Khmer besteht. Würde man sie alle verurteilen, wäre Kambodscha vielleicht nicht mehr regierungsfähig…
Wie man vermuten kann, waren Jonas und ich nach dem Besuch des Museums sehr nachdenklich und redeten viel über das, was wir gesehen und gehört hatten. Ich könnte noch viel viel mehr über das Thema schreiben, aber es ist alles so grausam und wen es wirklich interessiert, der sollte sich die Zeit nehmen und es selber nachlesen!
Jonas sieht in dem ganzen Parallelen zum Irak-Krieg und der darauf folgenden Terrorherrschaft des IS im Nahen Osten. Die vorhergehende Destabilisierung eines Landes durch die Amerikaner mit über einer Millionen Toten und der kurz darauf aufblühenden Ideologie, die der IS verfolgt und mit Gewalt an der Zivilbevölkerung durchsetzt, ist einfach zu identisch zu dem, was sich hier nach den Bombenangriffen der USA und der anschließenden Machtergreifung der roten Khmer in Kambodscha abgespielt hat. Die Geschichte wiederholt sich also...auch zu unserer Lebenszeit.
Eventuell werden Jonas und ich morgen dann noch die Killing Fields selbst besuchen, dann schreibe ich vielleicht ja doch noch einmal etwas dazu ;-)
Allzu viele Fotos gibt es selbstverständlich vom Museum nicht. Aus Respekt vor den Geschehnissen an diesem Ort legte ich nach ein paar Fotos der Gebäude die Kamera an die Seite.