Salam ya Amman
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Zwischen Tanz & Food Coma

Veröffentlicht: 10.12.2019

Freitag + Samstag, 6. + 7. Dezember

8 am. Heute Morgen gehe ich zum ersten Mal in Amman bei Regenschauer joggen. Natürlich nicht absichtlich, meine Sportkleidung ist nämlich nicht gerade wetterfest. Ich sollte mich beim nächsten Friday Market wirklich mal nach ein paar Kleidungsstücken umschauen, die für den Winter hier in Amman angebracht sind. Heute wird das aber nichts mehr. Das regnerische Wetter lädt dazu ein, in der Wohnung zu verweilen, wo ich den Rest des Tages mit Laptop und Wärmflasche in der Küche verbringe.

Am Abend raffe ich mich dann aber doch nochmal auf, rauszugehen. Zunächst nach Jabal Hussein, wo heute im Jesuit Centre ein Kunst- und Theaterprogramm stattfindet. Das Jesuit Centre hier in Amman setzt sich viel für Geflüchtete ein, vor allem für sudanesische Geflüchtete. Mubarak ist oft dort, den ich jetzt auch da treffe. Wie immer viel zu spät – nach ein paar Schwierigkeiten, das Centre zu finden, ist es schon kurz vor 8, als ich dort ankomme. Um 6 Uhr hat das Programm gestartet. Ich bekomme also noch die letzte Stunde mit, und alleine dafür hat es sich schon gelohnt, herzukommen.

Die Veranstaltung (die in dieser Art drei bis vier Mal pro Jahr dort stattfindet), hat ein wirklich bunt gemischtes Programm: traditionelle sudanesische Gruppentänze, Performances mit Weihnachtsmusik als Untermalung, Kindertanzgruppen, und zwischendurch ein singender Weihnachtsmann, der zuerst auf Englisch, dann auf Italienisch singt (wobei es hier ein Lied sicherlich auch getan hätte). Die letzte Aufführung vor dem Finale, wo alle Akteur*innen gemeinsam auf der Bühne tanzen, eine berührende Sprechchor-Darstellung zum Thema Flucht. Eine Gruppe junger Menschen trägt abwechselnd auf Englisch und Arabisch persönliche Eindrücke zum Thema Flucht vor. Ein Satz, der mir im Gedächtnis bleibt: „No one puts their child on the water, unless the water is safer than the land.” Dazu gibt es nichts hinzuzufügen. “Watan”, ist das Wort, mit dem der Sprechchor endet. „Heimat“.

Danach geht es für Mubarak und mich noch weiter. Freunde von Ibrahim organisieren heute eine Afro-Party in einem Club in der Rainbow Street – „Hakuna Matata“, heißt die. Die Mädels sind auch schon da und der relativ kleine Club füllt sich schnell. Bis zum Schluss um 3 Uhr läuft extrem gute Musik, zwischendurch gibt es ein Buffet im Außenbereich mit verschiedensten leckeren afrikanischen Gerichten. Ein wirklich sehr gelungener Abend.

Als wir die Party gestern Abend verlassen haben, meinten die Jungs, die auch vorher im Jesuit Centre waren, dass ich nach meinem Tanzen bestimmt zwei Tage durchschlafe. Das habe ich nicht ganz geschafft, aber es ist immerhin 11:20 Uhr, als ich zum ersten Mal aus dem Tiefschlaf erwache. Ich gehe noch eine Runde joggen und mache mich dann auf den Weg zu Sophia, die schon einen Blumenstrauß besorgt hat – wir sind heute wieder bei Umm Hayan eingeladen.

Wir haben dieses Mal keine Probleme, mit unserem uber-Fahrer ihr Haus zu finden (auch wenn der uns zunächst einmal davor warnt, nach East Amman zu fahren – der Klassiker). Umm Hayan begrüßt uns dann wieder mit hundertfachem „Ahlan wa sahlan“ und Küssen. Und sie ist heute nicht alleine: ihre beiden Töchter sind zu Besuch. Zum einen die Tochter, die als Witwe hier in Amman in ihrer Nachbarschaft wohnt, zum anderen Rahaf. Rahaf wohnt mit ihrer Familie in Kuwait und ist gerade mit ihren beiden kleinen Kindern für ein paar Wochen bei Umm Hayan in Amman.

Wir bekommen zunächst Datteln und arabischen Kaffee serviert und Umm Hayan schmeißt die kleine Elektro-Heizung für uns an. Ich bin mir sicher, dass das Haus, in dem sich ihre Wohnung befindet, eines der am schlechtesten isolierten Häuser in Amman ist. Dann kommt auf einmal eine schwarze Rauchwolke aus der kleinen Küche: offensichtlich brennt dort gerade etwas an. Umm Hayans Töchter beeilen sich, den Schaden zu begrenzen, öffnen die Haustür und schmeißen die Lüftung an. Lüften mit natürlicher Luft ist hier in der Kellerwohnung so gut wie unmöglich.

Umm Hayan ist zur gleichen Zeit mit ihren beiden Enkelkindern beschäftigt. Ich denke mir wieder, wie schwer es für sie sein muss, normalerweise von ihnen getrennt zu sein. Sie kann gar nicht aufhören, sie zu liebkosen und abzuknutschen. Sie fragt Sophia und mich dann auch wieder, ob es für sie nicht irgendeine Möglichkeit gäbe, per Familiennachzug zumindest zu ihren Söhnen nach Deutschland zu kommen. Aber wir können ihr da leider auch nicht weiterhelfen. Und ich würde wirklich viel dafür geben, dass diese Familie irgendwann wieder vereint ist. „In sha Allah“, sagt Umm Hayan dazu nur.

Dann wird das Essen serviert. Und sie hat sich mal wieder selbst übertroffen: es gibt Köfta auf Kartoffeln und Tomaten, dazu Tabbouleh und „Kusa wa Betinjan Mahshi“ – gefüllte Zucchinis und Auberginen. Das habe ich das letzte Mal bei syrischen Freunden in Deutschland gegessen und weiß, welcher zeitlicher Aufwand dahintersteckt. Es ist von Anfang an klar, dass weder Sophia noch ich die Menge an Essen schaffen können, die Umm Hayan uns auf unsere Teller lädt, aber es ist sehr schwierig, ihr das beizubringen. Sie will einfach kein „Nein“ akzeptieren. Als wir schon fast am Platzen sind, wird das Essen dann abgeräumt, und anschließend überzuckerter Tee mit Obst und Kernen serviert. Wir hätten dann mal unsere benötigte Kalorienzufuhr für die ganze kommende Woche heute schon erreicht.

Zum Abschluss übergibt uns Rahaf dann noch Geschenke, die sie aus Kuwait mitgebracht hat: Polyester-Samt-Leggins. Und wir sollen bald wiederkommen, sagt Umm Hayan. Dann will sie Mansaf für uns kochen. Auf syrische Art, versteht sich. Das jordanische Mansaf sei nämlich gar nicht gut.

Mit überfüllten Mägen machen Sophia und ich uns dann noch auf zu einer Filmvorführung. Gerade findet in Amman die Human Rights Film Festival Week statt, im Royal Cultural Center. Wir treffen dort auf unsere Kommilitoninnen Noémie und Gina mit ihrem Freund Anas, und schauen uns eine animierte Kurzfilmreihe rund um das Thema Menschenrechte an. Es sind etwa 6 oder 7 Kurzfilme, alle extrem gut gemacht, aber es steckt eine solche inhaltliche Schwere in allem, dass ich gar nicht alles gleichzeitig verarbeiten kann. Außerdem liegen mir immer noch die Köfta im Magen. Food Coma, nennt man das. Ich muss heute Nacht viel schlafen. Vielleicht sogar länger, als nach dem Tanzmarathon in der Nacht davor.

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