Salam ya Amman
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Child Chef Day

Veröffentlicht: 06.12.2019

Child Chef Day

Mittwoch + Donnerstag, 4. + 5. Dezember

8 am. Als ich mich heute Morgen auf den Weg zu Tarabot mache, trage ich zum ersten Mal meine einzige Jacke, die ich dabei habe – wenn die Sonne nicht scheint, ist es mittlerweile echt ziemlich frisch. Sophia und ich geben heute unsere vierte Englischklasse – anders als ursprünglich vereinbart, haben wir insgesamt 5 Einheiten, sodass wir doch ein bisschen mehr Zeit haben als gedacht, um den Kindern die Sprache zu vermitteln.

Samer, unsere Übersetzungshilfe, ist heute nicht da, dafür wieder die beiden Unruhestifter von letzter Woche. Wir merken jetzt, dass Samer nicht nur als Übersetzer wichtig ist, sondern auch als Ruhepol. Amer, der uns heute aushilft, macht zwar ebenfalls einen guten Job, aber insgesamt haben wir weniger das Gefühl, die unruhigen Stellen im Klassenraum unter Kontrolle zu haben. Eine Methode, die wir schon mehrmals in verschiedenen Workshops hier bei Tarabot beobachtet haben: ein/e Betreuer*in schreit ganz laut „Eeeeeeehe!“, woraufhin die Kindergruppe wie automatisch „Oooooooho!“ antwortet. Das soll die Aufmerksamkeit der Kinder wieder nach oben treiben. Sophia probiert sich darin, was auch ganz gut funktioniert, jedoch immer nur für einen kurzen Moment. Wir kämpfen uns trotzdem durch und schaffen es am Ende auch, unseren geplanten Stoff durchzunehmen: Zeit, Farben, Tierwelt.

Heute Nachmittag ist es dann ruhig. Morgen findet hier bei Tarabot der „Child Chef Day“ statt, wofür noch einiges dekoriert und vorbereitet werden muss. Es kommt Mohammed Lafi, ein hier in Jordanien bekannter Fernsehkoch (der Cousin von Kemo, wie sich herausstellt, der das Event arrangiert hat), der zusammen mit einer Kindergruppe kochen will. Unsere Kolleg*innen fangen also an, alle Tarabot-Räumlichkeiten mit Plastik-Gemüse- und Früchte-Girlanden zu schmücken. Sophia und ich dachten anfangs schon, es sei Weihnachtsdeko und waren froh, des Besseren belehrt zu werden. Anyway - es scheint ein größeres Event zu werden.

Die Sonne ist zurück, als wir uns auf den Rückweg machen, die unsere Köpfe angenehm wärmt. Heute steht ansonsten nur noch Uni-Stuff und arabisch mit Rose an. Die Klassiker.

9 am. Als ich heute Morgen bei Tarabot ankomme, hat sich der Gemüse- und Früchteschmuck exponentiell vermehrt. Im großen Saal in der Mitte sind schon zwei lange Tischreihen mit Plastikfolie präpariert, auf denen später das Essen zubereitet werden soll. Außerdem ist Amer gerade damit beschäftigt, aus einer Fülle von Kisten Plastik-Weihnachtsbaumzweige auf einen Haufen zu schütten. „Can you help me?“, fragt er. „You know, how to do this, right?”. Ich sage ihm dann, dass wir in Deutschland klar Weihnachtsbäume haben, aber nicht aus Plastik, sondern echte. „But you are in Jordan now!“, seine vorwurfsvolle Antwort.

Also gut. Ich versuche, Ordnung in das Chaos zu bringen, aber das stellt sich als schwieriger heraus, als gedacht. Ich verstehe irgendwann, dass es sich hier um drei verschiedene Plastikbäume handelt, die teilweise unvollständig und auch schon ein wenig kaputt sind. Ibrahim, der als Fahrer bei Tarabot angestellt ist, beteiligt sich am Weihnachtsbaumprojekt und steckt einen mickrigen Zweig an eine Stange, die ganz offensichtlich zu einem anderen Baum gehört. „Happy Christmas!“

„Sophia, hilf mir!“ Ich bin froh, als sie kurz darauf auch zu uns in den Raum tritt. Zu fünft schaffen wir es also irgendwann, einen Baum ausfindig zu machen, der noch relativ vollständig ist, und in Teamarbeit kommt so etwas wie ein Nadelbaum zustande. Inklusive Tannenzapfen und Kunstschnee, der auf die Plastiknadeln gesprüht ist. „Wow. Das ist der hässlichste Weihnachtsbaum, den ich jemals gesehen habe.“, rutscht es Sophia am Ende heraus. Zum Glück auf Deutsch – unsere Tarabot-Kolleg*innen sind ohnehin noch sehr unsicher, was jegliche Weihnachtsdeko angeht, und fragen Sophia und mich immer wieder um Rat. Als wir es schaffen, eine Lichterkette kunstvoll um die Zweige zu schwingen und Mahmoud die Kette in die Steckdose einstöpselt, fahren Sophia und mir reflexartig unsere Hände vor unsere Münder. Es ist eine rote Lichterkette, die blinkt. Damit hätten wir selbst an diesem Plastikbaum nicht gerechnet. „What’s wrong?“, fragt Hana’a verwundert, der unsere Reaktion nicht entgangen ist. „You don’t have that in Germany?“. Wir versuchen ihr zu erklären, dass wir schon Weihnachtsbäume haben, aber eben ein bisschen anders, als dieser hier. „But is it fine like that?“, ihre besorgte Rückfrage. Ya, sure. It’s fine.

Wir versuchen also, mit rotem und goldenem Lametta und Plastikkugeln zu retten, was noch zu retten ist, und schaffen es zumindest, das Blinken der Lichterkette auszuschalten. Am Ende haben wir das beste rausgeholt, was unter gegebenen Umständen eben ging. Unsere Tarabot-Kolleg*innen sind auf jeden Fall begeistert, und es folgt nun eine Foto-Session mit dem ganzen Team vor dem Plastikbaum. Es ist eine wirklich skurrile Situation, wie wir alle mit Weihnachtsmannmützen (die Mädels tragen sie über ihren Hijabs) vor dem rot-goldenen Baum posieren. Aber auch ziemlich witzig. Und das ist ja die Hauptsache.

Gegen 12 Uhr kommt dann das Team von Mohammed Lafi mit Zutaten und Geräten im Schlepptau und fängt an, alles aufzubauen. In einem Nebenraum die Muffin-Station, auf den langen Tischen in der Mitte die Obstsalat-, Sandwich-, Smoothies- und Crêpes-Area. Dann, langes Warten. Sophia und bekommen in der Zwischenzeit schon Hunger und machen still und heimlich einen kleinen Abstecher zu Abu Wahid – wenn das hier jemand mitbekommen würde, könnten wir uns wieder einiges anhören.

Um 2 Uhr sollte das Event eigentlich starten, aber es ist schon halb 3, als ein paar Kids eintreffen, die auch sonst immer zur Nachmittagsbetreuung auftauchen. Sie werden draußen vor dem Eingang in zwei Reihen aufgeteilt (natürlich, Mädels und Jungs getrennt), und deren Anwesenheit gecheckt. 45 Kinder sind es am Ende. Und wir warten immer noch auf den Bus, der nochmal etwa 50 Kinder extra für dieses Event herbringen wird. Wir fragen uns jetzt schon, wie das platzmäßig alles funktionieren soll.

Gegen 3 Uhr ist es dann so weit: insgesamt etwa 100 Kinder laufen in Reih und Glied in den schon vorbereiteten Raum. Und der ist nun wirklich proppevoll. Zwischen der lauten Kindermeute ragen zwischendurch die weißen Kochmützen von Mohammed Lafi’s Team hervor, was ein wirklich lustiges Bild abgibt. Mit einem Mikrofon begrüßte Mohammed die Kinderschar und hat jetzt schon Mühe, deren Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Wir können uns jetzt schon ausmalen, in welchem Chaos das gleich alles enden wird. Es folgt zunächst über einen Beamer und eine Leinwand eine Hygieneschulung, dann geht es los.

Zunächst werden alle Kinder mit blauen Haarnetzen, Einweg-Plastikschürzen und -Handschuhen ausgestattet. Offensichtlich alles Einheitsgröße für Erwachsene, weshalb die kleineren der Kinder wirklich urkomisch aussehen und aufpassen müssen, beim Laufen nicht über ihre Schürze zu stolpern. Eine kleine Maus streckt mir ihre winzige Hand und einen Plastikhandschuh entgegen, aber ihre Miniaturhände in die Finger der großen Handschuhe bekommen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Mohammed Lafi hatte mir vorher erklärt, dass sie 5 Gruppen á 20 Kinder bilden wollen, und jede Gruppe reihum an jeder Station arbeiten und essen soll. Dass das auf dem hier so engen Raum nicht funktionieren würde, war im Prinzip von Anfang an klar.

Erwartungsgemäß bricht nun also für etwa eineinhalb Stunden das absolute Chaos aus. Die Kapazitäten an jeder Koch-Station sind nur begrenzt, auch wenn sich Mohammeds Team wirklich größte Mühe gibt, allen Kindern gerecht zu werden. Ich bin mir sicher, dass auch sie nicht mit einem solchen Ansturm gerechnet hätten. Immer, wenn an einer Station etwas Essbares fertig ist, recken den Köchen von allen Seiten einer Massenpanik ähnlich eine unübersichtliche Anzahl kleiner Arme entgegen, kombiniert mit entsprechendem Geschrei. Der Ansturm am Crêpes-Stand ist dabei am Größten – verständlich, bei der Menge an Schokoladensoße, in der jeder Crêpe ertränkt wird. Wirklich niemand aus dem Tarabot-Team hat die Kindermenge unter Kontrolle: teilweise mit komplett Schoko-verschmiertem Gesicht, teilweise nahezu bewegungsunfähig unter der viel zu großen Plastikmontur, teilweise weinend und frustriert, weil noch kein Essen bei ihnen ankam, während andere es schon zum dritten Mal schaffen, einen Crêpe zu ergattern. Es herrscht wirklich völlige Anarchie, wie ich es noch nie erlebt habe. Ich glaube, alle Beteiligten haben es unterschätzt, was es bedeutet, mit 100 Kindern gleichzeitig Essen zuzubereiten.

Gegen halb 5 ist der Spuk dann vorbei – der Raum lichtet sich langsam wieder, die Kinder machen sich auf den Heimweg. Abdullah, ein anderer Fahrer von Tarabot, der in der Zwischenzeit beim Crêpe-Stand ausgeholfen hat, gibt die restliche Schokoladensoße noch als Weg-Snack in Bechern aus. Ich versuche erst gar nicht, ihm zu erklären, dass ich das für keine gute Idee halte. Es folgt ein großes Aufräumen – zum Glück mit vielen helfenden Händen. Am Ende waren die allermeisten Kinder sehr glücklich und zufrieden mit ihren vollen Mägen und den übrigen Lebensmitteln, die sie mit nach Hause nehmen durften. Ein bisschen mehr Durchsicht beim nächsten Groß-Event würde wahrscheinlich trotzdem nicht schaden.

Heute Abend findet noch ein anderes Event statt, auf das ich mich schon länger freue: Mubarak und unsere Tarabot-Kollegin Batul haben ihren Theater-Auftritt in der MMAG-Stiftung, wofür sie etwa zwei Monate lang regelmäßig geprobt haben. Glücklicherweise bin ich früh genug da und kann für Sophia und mich noch einen Platz ergattern – der Raum, in dem die Aufführung stattfindet, hat keine Bühne und ist sehr klein, der Andrang an Zuschauern dafür umso größer. Die Stuhlreihen sind komplett besetzt, der Rest der Zuschauer*innen steht bis zu allen Eingängen hin.

Mubarak wird uns später erklären, dass es in dem Stück um Identitätsfindung und freie Auslebung der eigenen Persönlichkeit ging, was mit unseren begrenzten Arabisch-Kenntnissen während der Vorführung nicht in allen Details zu verstehen war. Aber auch mit der Sprachbarriere können wir beurteilen, dass es ein schauspielerisch sehr gelungenes Stück ist, und auch die Reaktionen der Zuschauer, die am Ende noch zu jeder Rolle fragen stellen dürfen, sind durchweg positiv. Da hilft für uns wohl nur eins: lernen, lernen, lernen.

Antworten (1)

Hannah
لذيييييييييذ