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Vom Bierdurst

Veröffentlicht: 05.03.2023

05.03.23 Meski – Midelt Kennt ihr Bierdurst? Das ist die mit Abstand schlimmste Form von Durst. Da ist nicht nur dieses staubtrockene Gefühl im Mund, das sich hinunter zieht bis in die Magengegend und das nicht nur das Schlucken schwer macht, sondern auch das Denken. Noch viel schlimmer sind die begleitenden Wahnvorstellungen von frisch eingeschenkten Gläsern mit diesem herrlichen bräunlich perlenden Gerstensaft und einer in einem weichen, zarten weiß schimmernden Schaumkrone obenauf. Diese Phantasien sind fast noch schlimmer als der Durst …

Wenn einen der Bierdurst erwischt hat, gibt es kein Entkommen mehr. Ich weiß das. Als ich noch jung war, bin ich in solchen Fällen kilometerweit gefahren, geradelt oder schlimmstenfalls auch marschiert für eine Flasche oder Dose kühles Bier. Ihr dürft das jetzt nicht falsch verstehen, wir sprechen hier nicht von Süchten, Abhängigkeiten oder ähnlichen schrecklichen Dingen. Hier geht es um Durst. Bierdurst eben. Ich kann davon ganz entspannt erzählen, denn der Bierdurst und ich, unsere gemeinsame Zeit ist längst vorbei. Wenn ich nur an einem Bier rieche, kriege ich furchtbare Kopfschmerzen. Das hat seinen Grund. Den hat mir mein Vater erklärt. Als ich ihn in meiner Verzweiflung damals um Rat gefragt habe, sagte er: „Hör zu, mein Sohn. Jeder Mann kann eine bestimmte Menge Bier trinken in seinem Leben. Du musst Dir das vorstellen wie ein Fass, in das du Bier um Bier hineinschüttest. Irgendwann ist es voll. Es passt nichts mehr hinein. Es läuft über und das kann furchtbar weh tun. Ich fürchte, mein Sohn, dein Fass ist voll.“

Das hat mir eingeleuchtet. Seitdem trinke ich kein Bier mehr. Nun, die Fässer der Männer und auch der Frauen, mit denen ich hier durch Marokko tingele, die sind noch nicht voll. Ich fürchte, die sind noch lange nicht voll. Die haben in ihrem Leben bestimmt auch schon jede Menge Bier verdrückt, aber vielleicht sind ihre Fässer größer. Jedenfalls hat sie alle in diesen Tagen ein gewaltiger Bierdurst erwischt. Das liegt sicher daran, dass sie in den vergangenen 45 Tagen ihren riesigen Vorrat aufgebraucht haben. Es war sicher der größte Vorrat, den die Sahara jemals je gesehen hat, aber auch der geht eben irgendwann zur Neige – gestern war es so weit. Jetzt war guter Rat gefragt ...

Für guten Rat sind unsere Guides zuständig. Hassan kennt in Errachidia eines dieser seltenen Geschäfte, das in Marokko – wo Alkohol strengstens verboten ist – Bier, Wein und sogar Spirituosen aller Art verkaufen darf. Nun lag dieses Errachidia wie vom Schicksal gefügt auf unserem Weg nach Midelt, wo wir heute übernachten wollen. Der gute Hassan hat für Ricci extra einen Plan gezeichnet, damit wir das Geschäft auch sofort finden, aber entweder war die Beschreibung auf Arabisch, oder Ricci und Irmi hielten die Skizze verkehrt rum, wie auch immer, dieses El Dorado, in dem Wein und Bier fließen, war partout nicht zu finden.

Enttäuscht – alle außer mir! – machten wir an einem großen Supermarkt Halt und füllten unsere Essensvorräte auf, denn wir wussten schließlich nicht, wie lange unsere Suche dauern würde, tankten aus einer Mischung von Ärger und Verzweiflung ein paar Liter Diesel, um wenigstens das Gefühl zu haben, dass hier in dieser Gegend für uns etwas brauchbares Flüssiges zu finden wäre.

Wir waren bis dahin schon gut eineinhalb Stunden und 25 Kilometer unterwegs in Errachidia, das immerhin schlappe 100.000 Einwohner groß ist. Und wir hatten Straßen und Viertel erkundet, die ehrenwerte Bürger dieser Stadt nur vom Hörensagen kennen. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt fiel dann in einer sehr spontan einberufenen Notversammlung – ich saß in meinem Wohnmobil und verfolgte diese ganz entspannt bei einer Tasse Tee – eine bemerkenswerte Entscheidung: Volker übernahm die Führung unserer Kolonne. Ich nehme an, das hatte praktische Gründe. Da jeder weiß, dass Volker am schlimmsten von allen unter Bierdurst leidet, gab es die Hoffnung, dass er vielleicht schon instinktiv Witterung aufgenommen hatte vom El Dorado. Und tatsächlich: Es dauerte keine 15 Minuten mehr und wir standen vor dem ominösen Laden. In diesen 900 Sekunden haben unsere zehn Wohnmobile bestimmt zusammen 100 Verkehrsregeln gebrochen. Wir sind in Kreuzungen und Kreiseln gestanden, haben falsch geparkt, Halteverbote missachtet, Ausfahrten zugestellt und Einbahnstraßen kreuz und quer befahren – wir haben Dinge getan, die man eben nur im Bierdurst macht.

Aber das Wichtigste: Am Ende haben wir unser El Dorado gefunden. Viele waren erleichtert, manche glücklich, andere zufrieden. Ich war einfach nur froh, denn ich kann mich gut erinnern, zu was eine Horde Bierdurstiger ohne Bier fähig ist. So lange ist mein Fass auch noch nicht voll …

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