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Tag -1: Die Reise nach Marrakesch

Veröffentlicht: 20.11.2017

Es ist 5:30 Uhr als mich das Klingeln meines Weckers aus dem Tiefschlaf reißt. Kurz etwas desorientiert, bin ich doch innerhalb von Sekunden hellwach, als mir bewusst wird was für ein Tag heute ist: Der Tag der Abreise. Schnell stürme ich ins Bad, mache mich fertig und werfe noch schnell meine Zahnbürste in den Rucksack. Im Eifer des Gefechts hatte ich vergessen eine Neue zu kaufen, aber das sollte in den kommenden Tagen das kleinste Problem sein. Schließlich warteten 12 Tage knallharter Wüstenalltag auf mich ... und das obwohl ich bis dato nie länger als 2 Nächte in Folge in einem Zelt oder gar mitten im Nirgendwo geschlafen habe. 

Wie alles begann

Der Grund für diesen radikalen Lebenswandel lag 2 Monate zurück. Beim allabendlichen Surfen durch Facebook stieß ich in der Gruppe "Neu in München" zufällig auf einen Beitrag von Tom Schinker und Martin Druschel. Die beiden suchten nach Mitstreitern für eine Expedition durch den Süden des marokkanischen Teils der Sahara, um gemeinsam mit dem Archäologen Mark einen Tafelberg im Jebel Bani Gebirge zu erkunden, den seit vermutlich Hunderten von Jahren kein Mensch mehr betreten hatte. Mark konnte auf Satelliten-Bildern erkennen, dass der Berg menschliche Strukturen verbarg und marschierte bereits zweimal alleine durch die Wüste, um diesen zu erkunden, scheiterte jedoch an den letzten Metern der steilen Felswand. Tom und Martin die Gemeinsam das Start-Up Wandermut ins Leben gerufen haben, wollten ihn bei seinem erneuten Anlauf begleiten und hierfür in einer 12 tägigen Tour 200 km durch die Wüste marschieren, lediglich in Begleitung des marokkanischen Guides Mustafa und einigen Kamelen, die Proviant und Zelte tragen sollten. Die beiden hatten bereits mehrere Abenteuerreisen organisiert und dabei immer Wert auf Einzigartigkeit gelegt - und damit bei mir voll ins Schwarze getroffen. Mit noch 2 Wochen Resturlaub, keiner Ahnung wie ich sie verbrauchen sollte und dem Drang danach mal was komplett Neues auszuprobieren, war ich sofort begeistert von der Idee, auch wenn ich mir nicht so richtig vorstellen konnte was mich erwartet. Mit dem Zuspruch einer guten Freundin im Rücken, die bereits mit dem Jeep einen Teil der marokkanischen Wüste durchquert hatte, schrieb ich eine vorsichtige Mail an Tom und Martin, ob den noch ein Platz im Team frei wäre. Keine 5 Minuten später kam der Anruf der Beiden und innerhalb eines 45 minütigen Telefonats sollten alle verbliebenen Zweifel meinerseits beseitigt werden und ich ließ mich direkt auf die Teilnehmerliste setzen. 

Fest entschlossen kein Klotz am Bein der Expeditionstruppe zu sein, erweiterte ich mein Sportprogramm von 3x die Woche Fitnessstudio noch um regelmäßige Langstreckenläufe sowie Wanderungen an den Wochenenden. Auch um mein Outdoor-Equipment stand es schlecht. Neben guten Wanderschuhen und einer Wanderhose besaß ich lediglich eine alte, klobige Isomatte sowie einen 20€ Schlafsack von ALDI. Da mich die Jungs bereits vor nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt, sowie dem möglicherweise dornigen Untergrund des Wüstenbodens gewarnt hatten, war klar: Es wird Zeit einzukaufen. Im Verlauf der kommenden Wochen hatte ich riesen Spaß dabei mein Konto zu plündern, um mich komplett mit allem einzudecken, was das Trekking-Herz begehrt. Immer mit einem Auge auf Qualität sowie Gewicht der Ausrüstung, stiegen die Kosten dabei weit über das was ich erwartet hatte. Insbesondere Klamotten aus Merino-Wolle treiben einem schnell Tränen in die Augen, wenn sie dazu dann noch von Icebreaker sind, kann man getrost damit anfangen für die kommenden Wochen nur noch Nudeln mit Pesto auf den Speiseplan zu setzen. 

Schlussendlich war jedoch alles beisammen, der Rucksack gepackt und das große Abenteuer konnte beginnen. 
Das komplette Equipment
Zum Glück passte alles in den Rucksack

Die Abreise

Um 5:45 Uhr torkelte mein Mitbewohner Denis völlig verschlafen aus seinem Zimmer. Netterweise hatte er mir angeboten mich trotz der frühen Morgenstunde zum Flughafen zu fahren. Überpünktlich kamen wir etwa eine Stunde später am Flughafen an. Mit Ruck- und Packsack beladen machte ich mich auf zum Lufthansa-Schalter und war keine 20 Minuten später auch schon durch die Sicherheitskontrolle. Mit sehr viel Glück konnte ich einen Business-Class Flug ergattern der sogar günstiger war als der Economy-Flug ... keine Ahnung wie sowas sein kann. Als notorischer "Zu-Früh-Kommer" konnte ich dadurch zumindest den Lounge-Bereich in vollen Zügen genießen und kam perfekt gepampert gegen 12 Uhr in Marrakesch an. Am Ausgang des Flughafens wartete auch bereits mein Fahrer auf mich, den mir mein Hotel zu völlig überteuerten Touristenpreisen besorgt hatte. Zumindest sprach er sehr gutes Englisch und brachte mich so nah wie möglich an mein Hotel, das in einer der engen Gassen der Medina von Marrakesch lag, die zu schmal für den Autoverkehr sind. 

Der Verwalter des Hotels holte mich vom Taxi ab, was sich als Segen herausstellte, da das Hotel von außen nicht als solches erkennbar war und ich es niemals gefunden hätte. Kaum eingetreten war ich jedoch sofort gefesselt. Es handelte sich um ein typisch marokkanisches Riad mit Innenhof und wunderschöner Dachterrasse, wie man es sich aus Tausendundeine Nacht Geschichten nicht besser vorstellen kann. 

Kein typischer Hoteleingang
Das Treffen mit der Gruppe war für 19 Uhr im Hostel Kif Kif angesetzt, das nur etwa 20m von meinem Hotel entfernt lag. Ich hatte also noch genügend Zeit die Stadt etwas zu erkunden und ging kreuz und quer durch die Straßen der Medina, mit ihren tausenden von Verkaufsständen und einem Trubel, den man sich in Deutschland gar nicht vorstellen kann. Keine 10 Sekunden vergehen, in denen niemand versucht einem etwas zu verkaufen. Dabei werden alle Stufen der Aufdringlichkeitsskala abgedeckt, bis hin zum dreistesten Berber, der einfach nur Geld dafür will, weil man seine Waren fotografiert hat. 

Der Imam

Schon etwas genervt von all dem Trubel, kam ich am späten Nachmittag an einer kleinen Moschee vorbei. Angrenzend befanden sich einige Ladengeschäfte vor denen sich die üblichen geschäftstüchtigen Händler befanden. Obwohl ich es aufgrund der vergangenen Stunden bereits gewohnt war ihre Lockangebote zu ignorieren, weckte einer davon meine Aufmerksamkeit, indem er mich in perfektem Englisch Ansprach: "Don't worry my friend, I don't want to sell you anything" ... was quasi allem widersprach, was ich in den vergangenen Stunden über die Marokkaner gelernt hatte. Er begann sich sehr nett mit mir zu unterhalten und erzählte, er sei der Imam der angrenzenden Moschee. Der Laden vor dem er stand war kein typisches Geschäft, sondern stellte sich als eine Art Lager für eine Unmenge an Gegenständen heraus. Schalen voller alter Ringe, Halsketten, Kerzenleuchter ... alles kreuz und quer durcheinander. In diesem Raum schien alles zusammengeworfen zu sein was glitzert und glänzt, wie das Nest einer sehr erfolgreichen übergroßen Elster. Anscheinend kamen all die Gegenstände von Gläubigen seiner Gemeinde, die für die Armen spenden wollen. Wir unterhielten uns ein wenig über seine Unterstützung der Armen und Blinden und da er mir sehr sympathisch war, wollte ich ihm etwas für seine Arbeit spenden. Er bedankte sich für die Geste, lehnte jedoch ab und erklärte mir, dass er keine Geldspenden annehmen wolle, mir jedoch gerne einen der gespendeten Gegenstände verkaufen würde. Skeptisch sah ich mich um. Alles war alt und heruntergekommen. Keiner der Gegenstände weckte nachhaltig mein Interesse. Nichtsdestotrotz begann er mir eine Sache nach der anderen in die Hand zu drücken, damit ich sie mir anschauen könne. Schnell erklärte ich ihm, dass mein Plan war in den kommenden zwei Wochen durch die Wüste zu wandern, weshalb der Gegenstand sehr klein und leicht sein müsse. Also einigten wir uns, dass es ein Ring sein sollte. Dummerweise war es bei den Ringen wie bei allen anderen Gegenständen und einer war schmuddeliger als der andere. Aber ich hatte mir nun mal in den Kopf gesetzt ihm etwas Geld für seine Arbeit zu geben, also entschied ich mich für den erstbesten, um die Sache hinter mich zu bringen. 
Anstatt nun jedoch eine Spende anzunehmen, erklärte er mir sein System wie wir uns auf einen Preis für den Ring einigen können: 
Wir nehmen einen Zettel und er schreibt einen Preis darauf, von dem er meint, dass er dem Wert des Ringes entspricht. Anschließend schreibe ich meine Einschätzung des Preises auf den Zettel, so dass beide Preise nebeneinander stehen. Wir wiederholen den Vorgang 3 mal und nähern unsere Preise immer weiter an. Wenn sich am Ende beide Seiten über den Preis einig sind, wird der Preis bezahlt und wir gehen zufrieden auseinander. Können wir uns nicht auf einen Preis einigen, lächeln wir und gehen dennoch in Frieden auseinander. 
Gut, dachte ich mir, wenn er mit mir feilschen will, soll er mit mir feilschen. Im Kopf hatte ich mir bereits den Preis für den Ring bereits zurecht gelegt und war bereit ihm dafür 50 Dirham zu geben. Schnell schreibt der Imam seine erste Zahl auf den Zettel: 500 Dirham ... 500 DIRHAM schrie mich mein Schwabenhirn an. Das sind umgerechnet 50€ ... dafür kann ich mir zu Hause in meiner Lieblings-Kaffeebar 30 Cappuccino bestellen! Und das obwohl ich ihm maximal 50 Dirham spenden wollte, für einen Ring der vielleicht mit etwas Wohlwollen 20 Dirham wert ist. Vielleicht sollte ich nach Hause fahren und allen Bettlern in München einen Kaffee ausgeben ... Ok, ruhig bleiben ... du hast keine finanziellen Nöte, der Mann war nett zu dir, er tut gutes für die Welt ... 100 Dirham. Er verzog etwas die Stirn und meinte ich sei ein sehr harter Feilscher. Kurzes Zögern seinerseits, dann die nächste Zahl: 450 Dirham. Alter Schwede, der Kerl kämpft wirklich mit harten Bandagen. Ich erhöhe mein Angebot auf 150 Dirham. Er reduziert auf 400. Mein letztes Angebot: 200 Dirham, und selbst das ist mir eigentlich 150 Dirham zu hoch. Wieder zögert er, lächelt und stimmt dann zu. Auch ich lächele, nehme meinen neuen schmuddeligen Ring und ziehe von dannen. Irgendwie fühle ich mich gut, auch wenn ich gerade von einem marokkanischen Geistlichen gerade nach Strich und Faden ausgenommen wurde ... 

3 Flaschen Wein

Gegen 18 Uhr hatte ich genug von all dem Trubel, zog mich zurück ins Hotel und traf durch Zufall auf zwei deutsche ältere Herren, die mich promt zu einer Flasche Wein auf die Dachterrasse einluden. Ein Angebot, dass ich nur zu gerne annahm. Schnell stellte sich heraus, dass es nicht bei einer Flasche bleiben sollte, denn die beiden hatten vorgesorgt und zur Sicherheit zwei Reserveflaschen unter einem der bequemen Korbsessel gebunkert. Leider musste ich sie auf halbem Weg durch Flasche Nr. 2 verlassen, hatte aber dank des kleinen Intermezzo bereits die perfekte Stimmung, um endlich auf die Wandermut-Gruppe zu treffen. 
Die Dachterrasse

Das erste Aufeinandertreffen

Gegen 19:15 Uhr klopfte ich in einer dunklen Seitenstraße an die unscheinbare Tür des Kif Kif. Ein junger Marokkaner öffnete die Tür und schien aufgrund meines Outdoor-Outfits sofort zu erkennen, wo ich hingehöre: "Aah, you belong to Martin.". Er führte mich zwei Stockwerke nach oben, vorbei an gemütlichen Sofaecken und winzig kleinen Zimmern, die mit Stockbetten nur so vollgestopft waren. Oben angekommen deutete er auf eine Wendeltreppe und sagte: "Your friends are up there". Ich stieg die letzten Stufen hinauf auf die Dachterrasse des Hostels, wo die gesamte Truppe bereits versammelt war. Viele bekannte Gesichter waren dabei, die ich beim Vortreffen zwei Wochen zuvor bereits kennengelernt hatte, aber auch der ein oder andere neue Mitstreiter war dabei. Unter großen Hallo wurde ich von allen super nett begrüßt- Wir kamen sofort ins Gespräch und tauschten die ersten Erlebnisse der Marrakesch-Ankunft miteinander. Einige waren bereits ein paar Tage zuvor angereist und hatten die Gelegenheit genutzt Land und Leute schon etwas besser kennen zu lernen, andere waren wie ich erst am selben Tag angereist. Einige Ladungen Bier später zogen wir in eine nahe gelegene Shisha-Bar, wo wir zum ersten Mal auf unseren marokkanischen Guide Mustafa trafen. Mustafa ist ein waschechter Nomade. Obwohl er mitten in der Wüste aufgewachsen ist, hat er dennoch studiert und spricht hervorragendes Englisch. Zudem ist er ständig am Lächeln und rundum sympathisch - ein Kerl, den man einfach mögen muss.
Mustafa

Nach einer ausführlichen Vorstellungsrunde, wurde uns die traditionelle Tajine in verschiedenen Variationen aufgetischt. Tajine bezeichnet sowohl ein rundes, aus Lehm gebranntes Schmorgefäß mit gewölbtem oder spitzem Deckel als auch das darin gekochte Gericht. Satt und zufrieden wechselten wir den Raum innerhalb der Bar und teilten uns in der großen Runde noch mehrere Shishas. Die Stimmung war durchgehend gut und ich war mir sicher: Mit diesen Leuten halte ich es locker für zwei Wochen in der Wüste aus! 
Gegen 23 Uhr löste sich die Truppe auf. Zurück im Hotel versuchte ich in meinem eingerosteten Französisch dem Verwalter zu erklären, dass ich gerne gegen 7:15 Uhr frühstücken würde, um rechtzeitig zur Abreise um 7:45 Uhr im Kif Kif zu sein. Mit Händen und Füßen gab er mir zu verstehen, dass die Dame des Hauses erst um 9 Uhr morgens aufsteht und vorher nix zu machen sei ... also nix mit Frühstück, aber gleichzeitig irgendwie sympathisch, dass die Marokkaner auch keine Frühaufsteher sind. 
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