Veröffentlicht: 20.11.2017
Heute grüße ich euch herzlich aus Prescott, einer kleinen, unheimlich süßen Stadt mitten in Arizona. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich hatte vor meiner Reise nie von dieser Stadt gehört. Wie ich hier gelandet bin, erzähle ich euch gleich.
Erstmal zu meinem Geburtstagsabend: Es war viel, viel besser als gedacht und ich muss gestehen, ich habe den ganzen Abend mein Heimweh und meine Sehnsucht nach meine Freunden vergessen. Und das habe ich größtenteils Kevin zu verdanken, der diesen Geburtstag für mich unvergesslich gemacht hat.
Ich habe Kevin in Phoenix kennengelernt, während wir beide dort alleine durch die Gegend gewandert sind. Kevin lebt in Phoenix, hatte aber zufällig die gleichen Reisepläne wie ich (Vegas und LA kommende Woche), war ähnlich verrückt wie ich durch die Hitze zu wandern und wir haben festgestellt, dass wir fast gleichzeitig Geburtstag haben. Bei so viel gemeinsamen Schicksal haben wir dann Kontaktdaten ausgetauscht und tatsächlich ein paar Mal geschrieben (das ist für Amerikaner manchmal untypisch, da sie z.T. etwas unverbindlich sind). Ich weiß nicht, womit ich verdient habe, dass Kevin so unheimlich nett zu mir war, aber da er selbst viel herumreist, wusste er, wie man sich fühlt, wenn man alleine in einem fremden Land Geburtstag feiert. So besuchte er mich an meinem Geburtstag in Flagstaff (knapp 3h Fahrtzeit für ihn und das nach Feierabend!) und überzeugte mich, mir an meinem Geburtstag etwas zu gönnen. So hatte ich an meinem Geburtstagsabend ein tolles Hotel, bequemes Bett und Pool. Sogar Geburtstagskuchen und eine Geburtstagskarte brachte Kevin mir mit und das beste Geschenk überhaupt: Ein Fußbad zur Entspannung meiner Achillessehne.
So fehlte es mir an nichts an meinem Geburtstag: Eine Karte, Kuchen und sogar Geschenke. Dazu natürlich eure super tollen Worte aus Deutschland, Danke nochmal dafür! Außerdem zeigten Kevin und seine Freunde aus der Gegend mir, wie man in Amerika Geburtstag feiert: Ich hatte ein Sushifestmahl und viel zu viel Bier, Wein und Whiskey. Aber vielleicht war gerade deshalb der Abend in Flagstaff so lustig ;). Jedenfalls bin ich unendlich dankbar so tolle, selbstlose, hilfsbereite Feierkompanie an meinem Geburtstag gefunden zu haben.
Nachdem ich am nächsten dann Kaffee ans Bett gebracht bekam, um den Kater schnell zu vergessen, gab es kein Erbarmen mit der gealterten Kathrin: Kevin wollte mir die Schönheit der Gegend zeigen, in der er lebt und so fuhren wir nochmals nach Sedona (ich könnte noch 1000 Mal dorthin fahren).
Sedona verliert auch bei mehrmaligem Ansehen nicht an Schönheit und schließlich hatte ich Hauptattraktion Sedonas noch nicht live gesehen, die ich so oft zuvor bei Youtube bewundert hatte: Die Devils Bridge. So wanderten wir bei bestem Wetter (T-Shirt und kurzer Hose) auf einem Geheimpfad, um all den Touristen auszuweichen zur Devils Bridge. Ich bin ja schon viel mit Menschen gewandert, aber mit niemandem wie Kevin :D. Ich dachte ja schon immer, ich sei sportverrückt, aber der Mann übertrifft alles: Mit einer 25 kg schweren Kettlebell ging er auf Wanderschaft und trotzdem überholten wir alle anderen (nervigen) Touristen. Unfassbar, es gibt also auch sportliche Amerikaner.
Die Devils Bridge selbst war dann ein weiteres Wunderwerk der Natur: Unglaublich schön geformt, in leuchtend roten Farben zwischen tausenden anderen schönen Felsen Sedonas. Und auch Sedona selbst ist unheimlich vielfältig: Es gibt rote und weiße Felsen, Flüsse und sogar viele Bäume, die auf den Felsen wachsen, da es hier einigermaßen oft Regen gibt. So hatte ich nochmals einen völlig anderen Anblick als in Utah, super spannend.
Nach Sedona fuhren wir dann durch eine Geisterstadt, die wir bewunderten (hier war früher mal eine Goldmine, mittlerweile aber größtenteils Ruinen) bis nach Prescott.
Wieso also ausgerechnet Prescott? Kevin hat hier früher einmal studiert und meinte, ich als Outdoorfan müsse diese Stadt unbedingt sehen. Und er hat so Recht behalten: Ein super Ort, in dem ich mich direkt beim ersten Anblick verliebt habe! Und genau solche Erfahrungen machen für mich das Reisen spannend und authentisch: Nicht einfach einem Reiseführer folgen und die Orte abklappern, die wohl jeder Tourist sieht. Insidertipps folgen, spannende Menschen treffen und das wirkliche Amerika entdecken, ist für mich noch viel spannender als von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zu hetzen. Ich bin zutiefst begeistert von jeder Ecke Arizonas und seiner Vielfältigkeit, natürlich auch von den Menschen hier. Kevin musste heute wieder arbeiten, stellte mich aber ein paar seiner Freunde hier vor, die mir natürlich, typisch amerikanisch mit Rat und Tat zur Seite standen, wie ich meine Zeit in Prescott verbringen könne. Wirklich unglaublich, Kevin und seine Freunde übertreffen die bislang erfahrene Gastfreundschaft in den USA nochmal...obwohl wir einfach spontan an einem Sonntagabend zu Kevins Freunden gefahren sind, waren sie unglaublich glücklich, uns zu sehen. Sie erzählten mir so viel über sich und das amerikanische Leben, waren aber gleichzeitig unglaublich interessiert an meiner Person, sodass wir uns um Stunden verquatschten. Wahnsinn, diese Verbindung zu eigentlich völlig fremden Menschen, das tut so unendlich gut! Obwohl ich diese Menschen nur sehr kurz kennengelernt habe, bin ich traurig, sie wieder so schnell zu verlassen.
Was habe ich also heute in Prescott getrieben? Ich bin über einen kleinen Berg gewandert und hatte einen wunderbaren Blick aufs Tal: In Prescott gibt es neben Bergen auch unheimlich viel Wald und damit auch viel Wildleben. Berge zu sehen, die ringsum mit Bäumen umgeben sind, ist nochmal ein völlig anderes Bild als Wüstenberge. Als ich durch den Wald stapfte, wurde mir nochmal klar, wie sehr ich auch diesen schätze und sogar meinen geliebten Wald in Saarbrücken stellenweise vermisse. Dieses saftige Grün, die Ruhe und Kraft, die von den Bäumen ausgeht, einfach magisch. Außerdem ist es in Prescott auch herrlich warm, sodass ich hier das Leben einfach genossen habe.
Während meiner Wanderung habe ich ein Rentnerpaar kennenlernen dürfen, das seine beiden Hunde auf dem Wanderweg ausführte. Nachdem die Hunde mir nachgelaufen sind, kamen wir ins Gespräch über Gott und die Welt, ein wirklich süßes, interessantes Paar. Als wir uns eine Stunde verquatscht hatten, luden die beiden mich einfach mal zum Mittagessen zu sich nach Hause ein. Unendlich gastfreundlich und nett, außerdem fand ich die Hunde so toll, dass ich die Einladung gar nicht ausschlagen konnte. Abermals habe ich mich gefragt, wer in Deutschland eine wildfremde Person einfach zum Mittagessen mit Heim nehmen würde. Ich jedenfalls würde wahrscheinlich nicht auf diese tolle Idee kommen, warum eigentlich nicht? Diese Frage stellte das Rentnerpaar mir auch, nachdem ich fragte, wieso sie so unendlich nett waren, mich einfach mitzunehmen. Für sie schien das Ganze selbstverständlich und sie fragten mich nach Gründen, das nicht zu tun. Nach einiger Zeit Überlegung fielen mir im Wesentlichen zwei Hauptgründe ein, die das Paar entkräften konnte.
Der erste war Gefahr: Ich hätte manchmal gesunden Respekt davor, einfach jede x-beliebige Person in mein Haus zu lassen. Immer den Gedanken im Kopf, die Person will mir ja vielleicht nur Böses und ggf. etwas klauen. Als ich diesen Grund anbrachte, fing der Herr des Hauses an stolz zu grinsen und zeigte mir seine Pistole, die an seinem Gürtel hing. Vorher war sie mir gar nicht aufgefallen, vielleicht habe ich mich hier schon so daran gewöhnt...Außerdem hatte er Zuhause noch eine Waffensammlung, die er mir stolz präsentierte. Für ihn sei der Besitz einer Waffe die größte Form von Freiheit, die es gebe. Jeder solle sich so schützen dürfen, wie er wollte. Damit fühle das Paar sich weniger gefährdet und könne auch so nett zu allen sein. Mich hat das Ganze ziemlich arg schlucken lassen, ich kann mich an den amerikanischen Waffeneuphemismus einfach nicht gewöhnen und ich sehe so viele Nachteile darin. Trotzdem sind Gegenargumente gerade hier in Arizona wohl ziemlich zwecklos. Hier besitzt quasi jeder eine Waffe und ist unendlich stolz auf sein Baby. Für die Amerikaner sind Waffen wirklich das größte Zeichen von Freiheit, das sie sich um keinen Preis in der Welt nehmen lassen wollen. Die Welt sei so gefährlich, dass sie immer geschützt sein wollen. Ich frage mich, ob die Welt hier nicht wesentlich weniger gefährlich wäre, wenn niemand eine Waffe hätte. Aber die Diskussion führte ich mit mir selbst im inneren Monolog aus, da ich merkte, bei dem Paar hatten Gegenargumente keine Chance. Im Gegenteil: Die beiden waren zutiefst um mich besorgt, als sie erfuhren, dass ich keinerlei Waffe bei mir trage, nicht mal ein Messer. Sie wollten mir unbedingt zur Selbstverteidigung ein Messer schenken und konnten nicht begreifen, dass ich ihr Haus lieber ohne Messer verlassen wollte. Wahnsinn, zwei westliche Kulturen, die in diesem Aspekt so unterschiedlich denken.
Nun gut, Gegenargument 1 blieb erstmal im Raum stehen.
Das zweite Gegenargument, das mir in den Sinn kam, war Zeit. Wie relativ Zeit jedoch ist und dass wir alle selbst über diese bestimmen können, erklärte das Paar, und später auch mein Couchsurfinghost mir nochmal eindringlich. Spätestens nach Feierabend haben wir doch alle "Zeit". Tag für Tag sagen wir uns aber immer wieder vor, wir hätten diese nicht. Wir "MÜSSEN" den ganzen Tag so viele "WICHTIGE" Dinge tun, wie unser Haus putzen, den Garten in Ordnung halten, Sport machen, uns stylen, Überstunde um Überstunde schieben, fernsehen, .... Dass wir aber in jeder Minute eigentlich die freie Wahl haben, was wir mit unserer Zeit anstellen, vergessen wir oft. Wir sind so im Modus "funktionieren", dass wir unsere Freiheit dafür aufgeben. Schon krass...so vergessen wir, dass eigentlich jeder einzelne Tag "Zeit" bieten würde, uns mit wildfremden Menschen zu unterhalten und diese zu uns einzuladen. Dass wir uns selbst einfach etwas Gutes tun könnten und frei durchs Leben gehen könnten, statt nur zu funktionieren. In meinem aktuellen Couchsurfinghost habe ich ein tolles weiteres Beispiel dafür gefunden, wie man mit "Zeit" umgehen kann. Er hat sich dafür entschieden "nur" 4 Tage die Woche zu arbeiten und 3 Tage die Woche freizumachen, um zu wandern, zu klettern, Fahrrad zu fahren und einfach die Natur zu genießen. Ihm ist die Zeit in der Natur und mit sich selbst und lieben Menschen so wichtig, dass er dafür auf Geld verzichtet und die Freiheit präferiert. Natürlich, dadurch kann er sich keine teuren Autos leisten, keine Weltreisen unternehmen (außer, indem der selbst auf der Couch anderer Menschen übernachtet) und seiner Freundin nicht den teuersten Schmuck zu Weihnachten kaufen. ABER er kann leben, er ist frei und er genießt jede freie Minute. Einfach in der Natur unterwegs, oder zusammen mit Freunden und Familie, um sich eine tolle Zeit zu machen. All das kostet nicht viel, außer Zeit. Mir wird klar, dass wir uns jeden Tag neu entscheiden können: Wie viel unseres Lebens wollen wir ins Arbeiten investieren, wie viel Geld brauchen wir und auf was sind wir wirklich bereit zu verzichten, um mehr Freiheit zu haben? Natürlich hat jeder andere Prioritäten, jedem sind andere Güter wichtig und nicht jeder möchte, oder kann seine Lebenszeit damit verbringen, sich selbst oder andere Menschen intensiver kennenzulernen. Jedem sei zugestanden so viel zu arbeiten, wie er oder sie möchte...jedoch wäre es doch wirklich schade, wenn nie die Zeit bliebe, mal etwas Verrücktes zu tun und einfach einen Fremden zum Essen bei sich einzuladen.
Ich jedenfalls habe die Zeit beim Paar sehr genossen. Und mir wurde wieder deutlich, auch wenn Menschen zu einigen Themen andere Einstellungen haben als ich, kann man sich trotzdem gut verstehen und eine tolle Zeit miteinander verbringen. Nicht jeder Waffenträger ist so verrückt, wie wir ihn gerne abstempeln...
Nach dem Mittagessen dann war ich mit meinem Couchsurfinghost verabredet. Er war so unendlich nett, mir bouldern (eine Art ungesichertes Klettern an Felsen) beizubringen. Zwar war ich zuvor in Deutschland in einer Art Kletterhallte schonmal bouldern, das war jedoch gar kein Vergleich zu dem, was ich heute erleben durfte: In Prescott gibt es Felsen mitten in der Natur, an denen Kletterer sich einfach ausprobieren können. So schön die Szenerie auch war, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, durch was für Ängste ich gegangen bin. Auch wenn die Felsen, die man hoch klettert, nicht unendlich hoch sind, so ist es doch wahnsinnig Angst einflößend. Wenn man herunterschaut, sieht es ziemlich gruselig aus. Gerade als Anfänger fällt man immer wieder vom Felsen ab und kann sich dabei ganz schön weh tun. Daniel, mein Host, hatte eine Wanhsninns Geduld mir die Ängste zu nehmen und mich Schritt für Schritt bei dieser Klettererfahrung zu begleiten, dafür bin ich unendlich dankbar. Beim Bouldern muss man vor allen Dingen seinem Körper vertrauen. Vertrauen, dass der Fuß einen tragen wird, dass eine Hand den ganzen Körper halten kann. Vertrauen, dass man so stark ist, dass man Felsen bezwingen kann. Und vor allem die Angst loslassen. Der mentale Part war für mich der Schwierigste...das Wissen, sich verdammt weh tun zu können, wenn man fällt, hat mich fast verrückt gemacht. Meinem dicken Zeh zu vertrauen, meinen ganzen Körper auf einem Felsen halten zu können, war eine gänzlich neue Erfahrung für mich. Nicht nach unten zu gucken und den Anweisungen anderer Menschen völlig zu vertrauen, war sehr schwierig. Aber ich habe es gemeistert. Zwar bin ich immer wieder gefallen, habe mir aber selten (vor allem auch Dank Daniel) weh getan. Ich habe es geschafft, nachdem ich immer wieder abgerutscht bin, habe ich zwei Felsen hauptsächlich mittels Willenskraft erklommen. Und dafür habe ich echt viel riskiert und verdammt viele Ängste durchgestanden. Doch es hat sich gelohnt: Auf der Spitze anzukommen und zu wissen, man hat es geschafft, ist ein unbeschreibliches Gefühl!
Und es lehrt einen so viel übers Leben: Ja, Risiko ist oft scheiße und macht verdammt viel Angst. Man kann ordentlich auf die Fresse fliegen, wenn man etwas riskiert. Aber genau das macht das Leben doch auch erst spannend. Etwas Neues riskieren, sich neu erleben und dann vielleicht irgendwann ganz oben ankommen. Vertrauten Komforzonenweg kann schließlich jeder!