Mit Geschichte(n) um die Welt
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Von chinesisch-jüdischer Geschichte. Oder: Das Shanghai Jewish Refugees Museum

Veröffentlicht: 17.05.2024

Mein eigentliches Ziel in Shanghai ist das Jüdische Flüchtlingsmuseum, Shanghai Jewish Refugees Museum. 

Wenn es zuvor noch nicht deutlich geworden ist: ein Ja mit Ausrufezeichen! Mein Thema trägt mich um die Welt und sucht ein Großteil meiner Reiseziele (mit) aus. Und: ich mag das TOTAL. 

Wenn ich von einem Ort gelesen habe, dann möchte ich da auch mal hin. Irgendwie stellt sich das automatisch bei mir ein: Selbst sehen, wie es da aussieht - auch wenn es Jahrzehnte später ist. Ich finde das hochspannend. 

Es interessiert mich einfach. 

Und es gehört für mich dazu. 

Das dort sein macht Geschichte greifbar(er) und wenn ich dann auch noch Menschen treffe, die damit verbunden sind, die allgemeinen wie persönlichen Geschichten höre, das alles macht das Gewesene nahbarer. Oder, und das ist wohl richtiger, gibt zumindest mir das Gefühl dazu, näher dran zu sein - an meinem Thema, an den Geschichten selbst. Ich bilde mir ein, dass mir das Schreiben dadurch auch einfacher fällt.

Nun also Shanghai - Abgefahren!

Von Shanghai habe ich immer mal wieder gehört, Ausstellungen gesehen, Lebensgeschichten kennengelernt. Auf Shanghai stößt man zum Thema Emigration, Zweiter Weltkrieg und DPs, Displaced Persons, immer wieder einmal. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, wird davin früher oder später einmal etwas erfahren. Insiderwissen ist es nicht. Ich weiß also etwas zur Geschichte Shanghais - und eigentlich auch wieder überhaupt nicht.

Von Shanghai weiß ich tatsächlich und ehrlich gesagt nichts weiter, nur eben ein bisschen über die jüdischen Flüchtlinge aus vor allem Deutschland und Europa, die eine Zeit ihres Lebens hier verbrachten und verbringen mussten. Ende der 1930er bis Ende der 1940er Jahre hielten sich etwa 20.000 jüdische Menschen in Shanghai auf. Sie fanden vor allem im Stadtteil Hongkou eine gewisse Zuflucht. Unter japanischer Besatzung (Japan war mit NS-Deutschland verbündet) durften diese staatenlos gemachten jüdischen Flüchtlinge das Gebiet Hongkou ab 1943 nicht mehr einfach verlassen. Es ist auch bekannt als das "Shanghai Ghetto". Die Bedingungen hier waren jedoch gänzlich andere als in den deutschen Nazi-Ghettos im östlichen Europa. 

Irgendwann wollte ich da mal hin, nach Shanghai; zu diesem ehemaligen jüdischen Viertel. Eigentlich war meine Plan mit dem Zug über Moskau und Peking zu fahren. 

Die Vorstellung begeistert mich auch heute noch. Doch durch Putins Russland wäre zwar derzeit immer noch möglich, für mich aber wohl schwer aushaltbar. Ich verstehe zu viel Russisch und schon mein letzter Besuch dort 2016 hatte mich emotional mehr als gefordert. Darauf habe ich derzeit keine Lust. Option Zug nach Shanghai liegt somit auf Eis. 

Es hat mich begeistert, als ich sah, dass ich von Neuseeland nach Europa recht günstig über Shanghai fliegen könnte. Einige chinesische Airlines haben gerade von Down Under neue Routen aufgenommen und sind im Vergleich nahezu unschlagbar günstig. “Cool, dann eben so zum jüdischen Flüchtlingsmuseum”, dachte ich und habe gebucht. Ich bin so ein Freak! :D Aber sowas von und mit großer Begeisterung und Leidenschaft! :D

Ich hatte im Vorfeld ein bisschen rumgefragt, wer wen in Shanghai und nach Möglichkeit am Museum kennt. Im ersten Kontaktkreis meines Netzwerkes war da niemand, auch nur bedingt im weiteren. Mir fiel ein Wissenschaftler ein, den ich zwar noch nie selbst getroffen habe, aber ein Versuch war es wert: 
Dieses Storyboard ist super: https://blog-dgg.univie.ac.at/?p=35


Somit haben Leute, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, mir geholfen und mich mit englischsprachigen Menschen verbunden, die sich mit dem Thema in Shanghai beschäftigen. Es geht doch nichts übers einfach mal fragen! 

Eine mir dadurch angebotene sicher spannende Stadttour zu dem Thema konnte ich mir zwar für einen Tag nicht leisten, doch zumindest konnte ich ein paar Leute auf einen Kaffee treffen. Und nun kenne ich auch Leute in Shanghai - mega!

Im Jewish Refugees Museum selbst sprechen nicht alle, aber einige Englisch. Die Ausstellung ist ohenhin zweisprachig, Chinesisch/Englisch. 

Kira, eine der Kuratorinnen nimmt sich für mich Zeit. Sie hat Englisch studiert und ist über einen Austausch mit Israel als junge Studentin mit dem Thema des jüdischen Shanghais in Kontakt gekommen. Seit über drei Jahren ist sie Teil des Teams und hilft zudem beim Übersetzen. Der Museumsdirektor erzählt, dass die größte Herausforderung sei, Kontakt mit Nachkommen aufzubauen. Das Museum geht auf eine Initiative aus den 1990er Jahren zurück. Immer mehr Ausländer seien in diesen Stadtteil gekommen und die lokalen Ansässigen hatten sich gefragt, warum eigentlich. Irgendwann kamen die westlichen Ausländer mit Übersetzer:innen und 1994 gab es ein großes Treffen von “Shanghailändern” und deren Nachkommen auf dem ehrmaligen Ghettogelände. Ein Gedenkstein wurde in einem Park errichtet, heute unweit des Museums.


“Danach war klar, dass es ein Museum braucht”, übersetzt Kira ins Englische ihren Chef für mich. Er war von Anfang an dabei berichtet er stolz, Kira übersetzt. Wir sitzen in einem großen Raum, weit auseinander, jeder hat einen großen Sessel, in den wir halb versinken. 

“Objekte, Geschichten gab es damals hier in Shanghai nicht. Man sieht das heute nicht, aber das war sehr viel Arbeit die letzten Jahrzehnte, dass wir heute so eine Ausstellung haben.” erzählt er, übersetzt Kira. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Heute sieht das wirklich sehr anders aus. Das Museum ist überraschend groß: zwei Stockwerke voll mit Geschichten (und Text), digitalen Stationen, aber vor allem sehr vielen schönen Objekten. 


Einige sind Leihgaben aus anderen Museen, darunter aus Sydney, das meiste ist jedoch von ehemaligen “Shanghailändern” und deren Nachkommen gespendet worden. Das erste Objekt kam dabei aus Hamburg, erzählt Kira begeistert und wissend, dass ich dort gearbeitet habe.

Ihr Lieblingsobjekt ist dabei Bettys Hochzeitskleid. Auch hier gibt es eine Verbindung nach Australien, wie ich später lese. 

Die meisten derjenigen, die sich als “Shanghailänder” bezeichneten, sind Ende der 1940er nach Nordamerika, Australien oder zurück nach Europa. Viele blieben nicht in China. 

Doch: auch wenn die Ausstellungserzählung ein sehr positives Bild von der jüdisch-chinesischen Freundschaft zu zeigen versucht, bleibt offen, warum dann fast alle gingen, als es endlich möglich war...

Von oben bis unten geht es um die vor allem deutschsprachigen jüdischen Flüchtlinge im “Shanghai Ghetto”. Kritisch wird mir von anderer Seite berichtet, dass die anderen jüdischen Gruppen, die zur gleichen Zeit vor Ort und außerhalb des “Ghettos” lebten, zu wenig, eigentlich kaum vorkommen. Es gab sephardische  Juden und Judinnen, die hier viel länger waren als die Deutschsprachigen ab Mitte/Ende der 1930er Jahre. Und es gab “weiße Russen “, die nach der bolschewistischen Revolution während und nach dem Ersten Weltkrieg nach Shanghai geflüchtet sind. Davon waren schätzungsweise ¼ jüdisch wird mir von einem Nicht-Museumsguide und außerhalb der Museumsmauern berichtet. “Diese jüdischen “weißen Russen”, also Antikommunisten, kommen aber kaum vor, denn deren Leben, deren Einstellungen waren anders. Das Museum ist ein chinesisch staatliches Projekt mit dem Ziel zu zeigen: die Chinesen waren die Guten und Juden fanden (und finden) die kommunistische Partei gut.” So ganz einfach, sei das aber nicht, erinnert mich mein Gegenüber jenseits des Jewish Refugees Museum.  

Die jüdischen Flüchtlinge aus dem deutschsprachigen Raum kamen mit den Vorurteilen gegenüber asiatischen Menschen und somit auch Chinesen hierher, die auch zu der damaligen Zeit in ganz Europa üblich waren: Asien betrachteten die meisten Europäerinnen und Europäer von oben herab. 

“Sicher, es gab auch Freundschaften, Hilfe und einige Ehen, aber das war nicht die Normalität”, erzählt mir der Nichtmuseumsangestelle. Zudem erinnert er: “Nicht China oder die Chinesen hätten die etwa 20.000 Juden gerettet, sondern vor allem die jüdischen Menschen, die zuvor schon in Shanghai waren und diese Netzwerke plus Einreise ohne Visa, machten deren Rettung überhaupt erst möglich." Sicher, daß Museum sei wichtig und macht auch gute Arbeit. Seit Beginn der Arbeit ist die (halbe) jüdische Shanghai-Geschichte viel bekannter geworden und das weltweit. Wesentlich mehr als zuvor. Doch wie immer: es ist eben eine ausgestellte Geschichte mit einem bestimmten Zweck. “Was nicht reinpasst, bleibt weg. Ein/e ‘normale/r’ Besucher/in und vor allem die vielen chinesischen Besuchenden werden dies nicht sehen (können)”, wird mir von meiner Kaffeeverabredung weit weg vom Museum erzählt. 

Ich stimme zu. Ich hatte zu den “anderen” Geschichten und vor allem von den jüdischen Flüchtlingen nach Shanghai vor dem sowjetischen Kommunismus während und im Ersten Weltkrieg noch nichts gewusst oder gehört - oder ich erinnere mich nicht mehr daran. Spannend, das stimmr. Und natürlich findet sich das in einem staatlichen chinesischen Museum nicht. Dafür aber Geschichten von Juden in der chinesischen Armee, die allerdings mit dem jüdischen Shanghai-Viertel, wenn überhaupt, extrem wenig zu tun hatten.

Auffallend fand ich wie stark das Museum Nachkommen der ehemaligen “Shanghailänder” in die Ausstellung einbezieht - und auch ihre Geschichten und ihr (positives) Verhältnis zum Museum beschreibt. 

 

Einige Fotos, ganz am Anfang der Ausstellung bleiben mir besonders in Erinnerung: eine Stettiner Geschichte.

Sicher, ich kenne Stettin, ich komme aus der Region. Doch viel mehr, weil die deutsch-jüdische Geschichte hinter Oder und Neiße erst langsam wieder entdeckt wird. Denn: Wer ist dafür “zuständig”? 

Stettin ist heute Szczecin und über Jahrzehnte war in der Volksrepublik Polen die deutsche Geschichte bis 1945 tabuisiert; die jüdisch-deutsche damit auch. 

Auch viele lokale Geschichtsgruppenin Deutschland  interessieren sich zumeist für den Ort an dem sie leben. Grabe, wo du stehst. Doch was ist mit den Orten, die durch Migration und Grenzverschiebungen kaum noch jemanden haben, der gräbt? Von solchen Geschichten überhaupt weiß? Oft wird Geschichte vor allem von denjenigen geschrieben, die vort Ort bleiben und sind und diejenigen, die gegangen sind oder gegangen worden sind, wird vergessen, bewusst und unbewusst,  gewollt und ungewollt. 

Walter Jacobsbergs war den Fotos im Shanghai Jewish Refugees Museum offensichtlich in Stettin gern schwimmen. Im November 1938 wurde er mit seinem Vater ist KZ verschleppt. Sie sind aus der Haft entlassen worden, nachdem sie vorgaben, eine Schiffspassage für Shanghai zu haben. Sie zogen kurze Zeit später nach Berlin. 

Wenn sie aus Stettin das Auto genommen haben, sind sie an meinem Elternhaus vorbei gefahren. Das stand damals schon. Die Autobahn gab es auch, einer meiner Urgroßväter hat sie mitgebaut. Es war eines der Nazi-Vorreiterprojekte: die Strecke Berlin-Stettin. 

Die Jacobsbergs aus eigentlich Stettin verblieben in Berlin aber nicht lang: Sie zogen weiter nach Triest und im Sommer 1939 ging es von Italien mit dem Schiff tatsächlich nach Shanghai. Sie hatten tatsächlich eine Möglichkeit gefunden dorthin zu reisen. 

Walter wurde ein Übersetzer für Deutsch-Englisch. Sein Vater arbeitete als Schneider in Shanghai. Über deren weiteres Leben konnte ich in der Ausstellung nichts finden. Die meisten “Shanghailänder” nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg die erste Möglichkeit aus China wegzukommen. Wer weiß, wohin es die beiden Stettiner verschlagen hat und ob sie je wieder in Shanghai oder Stettin waren. Mich würde das interessieren!

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