Im Kojteich
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Tokio - Voll fett

Veröffentlicht: 21.05.2023

Eine Stadt wie Apfelkuchen 🥧

Es ist Dienstag, und ich bin im Arsch. Selbst Schuld, kein Mitleid. Ich wusste genau, was ich tat, als ich gestern abends spät und viel gegessen habe. Dazu noch bis Mitternacht vor dem Bildschirm arbeitend. Der Ami, der über Lautsprecher um 06:00 lautstark mit seiner Mutter telefoniert, tut sein übriges.

Nachdem ich mich fertig gemacht habe, gehe ich wieder zur Bahn. Heute geht es zum Sumo-Ringen. Es finden aktuell die Sumo Mai Meisterschaften statt. Ist mir persönlich zu sperrig, für mich sind sie die Sumo Maisterschaften.

Im Zug setze ich mich auf einen der freien Plätze. Ich mag die Sitzanordnung hier. Sitzbänke an den Wänden entlang, Mittelgang ist frei. Perfekt für eine hohe Fluktuation. Aber auch perfekt fürs einfache Geradeausgucken aus dem Fenster, die Landschaft vorbeiziehen lassen. Die Stadt hat etwas von einem Apple Crumble Kuchen.
Warum? Es ist voll nach meinem Geschmack; die Landschaft in Form von Gebäuden hat die verschiedensten Variationen, Farben Formen und Größen und es ist dennoch angenehm anzusehen. Und versüßt wird es durch Natur, nämlich Bäume und Pflanzen entlang der kompletten Strecke. Es wird auf der 25-minütigen Fahrt nur wenige Abschnitte geben, wo es kein grün zu sehen gibt; Bahnhöfe und Baustellen. Für so eine Großstadt sehr angenehm.

Ich komme am Zielbahnhof an. Das erste interessante, was ich sehen werde, habe ich zuvor nur als Bewegtbild gesehen. Eine 1,5 m * 1,5 m große Kabine. Es ist eine Arbeitskabine, die du stundenweise mieten kannst. Manche von denen haben sogar eine Kaffeemaschine drin.

Noch ehe ich das Foto der Sumo-Ringer im Bahnhof sehe, höre ich schon die traditionellen Latschen. Ich drehe mich um, da laufen die massiven Gestalten bereits an mir vorbei. Farbenfroh in ihren Kimonos und mit Handy in der Hand repräsentieren sie genau das, was mich schon immer so an Japan fasziniert hat. Moderner Hightech und traditionelle Kultur in einem.

Aus dem Bahnhof tretend stelle ich fest: Es ist heiß. Sehr heiß. "Nach ein wenig in der Sonne verweigert mein Handy seinen Fotografie-Betrieb"-heiß.

Während einer kleine Pause vor der Arena auf einer Bank kommt ein gut gekleideter japanischer Mann mit Fedora, um die 60, auf mich zu. Ich war vertieft, also hat er mich gut überrascht. Er wirkt aufgeregt und erfreut, ein richtiger Fan-Boy. Er drückt mir seine kleine Kamera in die Hand, er kann kein Englisch. Aber wir verstehen uns auch so; er möchte ein Foto von sich und dem Arena-Turm haben. Ich komme seinen Wünschen nach, er bedankt sich glücklich, macht sich dann auf den Weg in die Arena. Bei diesem Mann hat das Gehirn das Steuerrad an sein inneres Kind abgegeben; love to see it. :)

Es dauert ein wenig, bis ich das System der Plätze durchblickt und mich durch die japanischen Anweisungen gekämpft habe. Dann geht's hoch zu meinem Platz. Von hier oben wirken sie klein, aber da ich kein Fan bin, ist das total okay.

Hier wird wie am Fließband gekämpft - one shot one opportunity. Wenn du einen Fehler machst, musst du nächstes Mal halt besser werden. Und hier gilt die Devise: Was schlägt viel Fett? Noch mehr Fett. Die Kleinen sind nun Mal unterlegen, es ist halt Ringen. Ja, es gibt auch technisch versierte Ausnahmen, und die sind eine wahre Technikfreude. Ganz ohne Technik kommst du halt nicht durch; Größe ist nun Mal nicht alles, die Technik macht's auch ein wenig. Aber es werden ja auch keine 5 cm Dildos verkauft, von daher...
Als Ringrichter am Rand musst du auch lebensmüde sein. Ein paar von den Sumos fallen oder stolpern in die erste Reihe, das ist wahrlich kein Spaß.

Einfach mal... Klappe halten 🤐

Ich sitze neben einem Einheimischen, sonst sitzt nur noch ein Pärchen in der Nähe, vermutlich Amis oder Aussies. Vermutlich, da ich sie nur höre, ich habe sie beim Eintreten nicht betrachtet. Sie flüstert, er redet in normaler Lautstärke; was in der aktuellen Situation schon wenig angebracht ist. Es ist eine andere Atmosphäre als beim Baseball. Die Soundkulisse hier ist eine Mischung aus Ruhe, ein Raunen wenn ein Sumo in einen Ringrichter fällt (yup, passiert öfters), sowie das Applaudieren nach einem Kampf, wenn überhaupt. Und zwischen den Kämpfen gibt der Zeremonienmeister unten im Ring ein Sing-Sang von sich. Absolut keine Ahnung, was es bedeutet, aber es hat seinen ritualisierten Platz hier.

Der soziale Plattfuß hinter mir macht sich drüber lustig, gibt eine "König der Löwen"-Impression von sich. Die bekannte "Naaaaaants ingonyama, bagithi Baba", Circle of life halt. Als wäre er ein leck-geschlagenes Wasserrohr kann er nicht aufhören zu Brabbeln, es nervt. Wie eines dieser schlechten Witzebücher läuft ein schlechter Kommentar nach dem anderen in Richtung seiner Freundin. Ich merke, wie ich ich unruhig werde, meine Gedanken kreisen. Ich koche langsam vor Wut. Dann kommt der berühmte Tropfen. Unten kündiget der Zeremonienmeister den Übergang zum nächsten Kampf an, der Scherzkeks gibt wieder seine König der Löwen Impression zum "Besten". Es war beim ersten Mal schon nicht witzig, jetzt reicht's.

Ich nehme meinen Pacifier in Form eines Zahnstochers aus dem Mund, drehe mich um und mustere ihn. Breitbeinig sitze er hinter mir, Sonnenbrille im Ausschnitt, ein paar Gewichtsklassen über mir, so thront er über mir.
Nun ja Angst ist halt ein Informationsdefizit, ein Defizit an Erfahrungen. Zeit in diesen Erfahrungsschatz einzuzahlen, dafür bin ich schließlich hier.

Ich mache mir gar nicht die Mühe meine Verärgerung zu verbergen, bleibe aber freundlich. Nun ja, freundlich-sachlich. Er solle doch bitte leise sein und den notwendig Respekt zollen.
Ich verkneife mir, das er in diesem Land nur zu Gast sei und so ein Verhalten genau das Bild vermittelt, wie ein typischer, rücksichtsloser Tourist zu sein hat. Auch wenn er es nach außen hin freundlich aufnimmt, nach dem Umdrehen spüre ich seinen durchbohrenden Blick mehr als deutlich. 

Es gibt Menschen, die können einfach nicht dicht halten. Haben ein unstillbares Mitteilungsbedürfnis. Wenn dazu noch das Unvermögen kommt soziale Situationen einzuschätzen...
Ich weißt nicht, was bei ihm zu tragen kommt, aber er kann keine drei Minuten still halten, nach kurzer Zeit redet er schon wieder. Diesmal zumindest leiser, aber dennoch. Ein Douch-Bag Kanditat. Ich merke, wie mein System konfrontiert ist, ein leichtes Zittern im Oberschenke. Fight or flight, that's the name of the game. 10 Minuten später verlassen beide den Saal, zum Glück. 

Ich schaue mir eine Stunde lang Kämpfe an. Es ist eine coole Erfahrung, aber das muss ich mir nicht mehr dass das stundenlang geben. Auch wenn die Champions erst später anfangen, das ist es dann vermutlich auch nicht wert. Verschwende nicht dein Leben mit Warten, mach was draus.

Am Sumo-Ringer Eingang steht nach wie vor ein Fan-Boy, der bereits vor zwei Stunden hier stand. Er beklatscht alle vorbeikommenden Kämpfer. Na wenn das kein Fan ist.


Writings on the wall 🎴

Auf wem Weg nach Hause komme ich an einem Park vorbei. Nett hier. Normalerweise ist der See auch für Bötchen geeignet, aber heute nicht.

Ich werde noch ein paar Minuten in Bahnhöfen verbringen und mir fallen wieder ein paar Dinge auf, die mir gefallen. Ein Spiegel, damit man niemanden überraschend auf der Treppe umläuft; macht sinn,

Ein Ausstiegsplan der anzeigt, wo sich was an welchem Bahnhof befindet - angezeigt durch die Waggonnummer. Nice.

Und zu guter letzt die Plakate. Eines warnt die Grapscher.

Eines warnt vor dem Fallen auf die Gleise auf Grund des Handy's oder Trunkenheit; schön durch Icons angezeigt.

Auch in Japan gibt es den Enkel-Trick.

Und mein Favorit: eKids
Ein Angebot einer der Bahnunternehme für die Eltern von Schulkindern. Wenn dein Kind in einem Ticket-Gate eincheckt, wirst du auf deinem Handy benachrichtigt. Und, wenn ich das richtig verstanden habe, dann gibt's solche automatisierten Checkpoints scheinbar auch an Schulen. Ob es an der Schule durch das Auflegen der Pendlerkarte oder durch das geobasierte Einchecken durchs Handy passiert, keine Ahnung.


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