hin-und-weg
hin-und-weg
vakantio.de/hin-und-weg

Hoch in den Bergen, aber tief in der Erde

Veröffentlicht: 30.12.2018

Eigentlich haben wir ja alle wirklich wilden Destinationen ausgelassen. Schließlich sind wir schon ältere Leute und Neulinge bei Reisen in für uns exotische Länder. Genauer: Wir wollten alle wilden Destinationen auslassen, was uns definitiv nicht gelungen ist. Gerade zu Weihnachten hat es uns nämlich an eines der vielen Weltenden verschlagen, die es in Kolumbien wahrscheinlich gibt.

Schon die Fahrt nach Tierradentro, die den ganzen 24. Dezember in Anspruch genommen hat, war – sagen wir einmal – gewöhnungsbedürftig. Das dritte Verkehrsmittel dieses Tages, ein Kleinbus, brachte uns nach La Plata, über eine (wie wir zu diesem Zeitpunkt dachten) abenteuerliche Gebirgsstraße. In La Plata stiegen wir am Terminalito der Sammeltaxis aus – und ahnten, dass wir uns zu weit in wildes Gebiet gewagt hatten. Alles war sehr basic, zB das Klo, das zwar sauber war, aber nur mit einem Vorhang zu verschließen. Aber jetzt waren wir schon einmal da, also zwängten wir uns auf das Bankerl im Sammeltaxi und machten uns auf einer Schotterstraße sehr zweifelhafter Qualität auf nach Tierradentro, wo wir so rechtzeitig völlig verstaubt und durchgerüttelt ankamen, dass wir noch unser Heilig-Abend-Essen bekamen – kurz vor 19:00 Uhr. Da schließt nämlich die Küche unseres Quartiers.

Und dann gab es am 25. Dezember einen Ruhetag – den ersten richtigen während unserer Reise, an dem wir gar nichts taten, außer lang schlafen, ruhig frühstücken, lesen, ein paar Schritte spazieren gehen … Uns war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr uns dieses Nichtstun schon abgegangen war.

Zum Ausgleich verbrachten wir einen überaus eigenwilligen zweiten Weihnachtstag auf einer mehr als siebenstündigen Wanderung. Der Weg ist bestens geeignet für masochistisch veranlagte Geh-Fetischisten, die Spaß daran haben, auf schlechten Pfaden ständig sehr steil bergauf zu klettern oder ebenso steil bergab zu rutschen (unsere bis dahin perfekten Trekkingschuhe haben völlig versagt). Das Ziel war der Alto de Aguacate, ein schmaler Bergkamm, auf dem sich ein unterirdisches Grab an das andere reiht. Rund 70 derartiger Hypogäen hat man gefunden, vom 5. bis ins 9. Jhdt. in den vulkanischen Felsen mit Steinwerkzeugen geschlagen und mit Pfeilern und Wandmalereien ausgestattet, von einem indigenen Volk, über das man rein gar nichts weiß und das nichts mit den heute hier lebenden Nasa, ebenfalls Indigenas, zu tun hat. Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass man über wirklich extrem hohe Stufen in die Gräber herunterklettert, die rutschig und ausgewerkelt sind. Kurz und gut: Am Abend waren wir völlig fertig und uns hat jeder Knochen im Leib wehgetan. Nur zur Klarstellung: Wir sind keine masochistisch veranlagten Geh-Fetischisten (im Gegensatz zu deutschen und niederländischen Wanderern und -innen, die durchaus fröhlich gewirkt haben).

Alle, die nicht sehr, sehr gerne wandern, können den Alto de Aguacate getrost auslassen und sich auf die anderen drei Nekropolen beschränken. Sie liegen alle auf steilen Bergkuppen, das heißt, man darf und muss ohnehin gehen, um sie zu sehen, der Bewegungsdrang wird also gut gestillt. Vor allem aber ist ihre Ausstattung wesentlich interessanter und auch besser erhalten. Hier sind die Wände und die Decken mancher Grabkammern völlig mit roten, schwarzen und weißen geometrischen Mustern bedeckt. An den Pfeilern und Pilastern sind skulptierte und gemalte Gesichter (mit Schnurrbärten!). Das ist jetzt alles nicht die ganz große Kunst, aber es ist lustig anzuschauen – bzw. es wäre so richtig lustig, wenn man sich nicht abermals in die tiefen Eingangsschächte mit den hohen Stufen stürzen müsste, um zu den Grabkammern zu gelangen. Die Stufen sind hier zwar geglättet, aber es gibt keinerlei Sicherung oder Geländer, und bei rund fünf Metern Tiefe (mit elf Stufen, sprich: jede fast einen halben Meter hoch) habe ich mich gefürchtet.

Wir haben hier sehr nette Tage verbracht: Die Menschen im Indigena-Dorf San Andrés de Pisimbalá sind unglaublich freundlich, auf der Straße wird man (wie eben am Land) gegrüßt, das Essen ist gut und die frischen Fruchtsäfte noch besser. Unser Spanischwortschatz, vor allem jener von Roby, hat sich sprunghaft erweitert, am besten können wir: Un otro jugo de mora, por favor. 

Da wir einen guten halben Tag übrighatten, machten wir uns noch zur Piramide auf, die uns unser Reiseführer verschwiegen hatte: zur Felsenspitze eines Berges, den die Indigenas – wann, weiß man nicht genau, aber lang ist es her – in eine Stufenpyramide verwandelt haben, die jetzt in atemberaubender Höhe schwebt. Später haben die spanischen Kolonialherren wohl versucht, den Ort zu „entzaubern“, indem sie hohe und lange Tunnels in den Felsen schlugen und mit katholischen Kreuzen schmückten. Unser Wirt Leonardo (La Portada, sehr empfehlenswert) hat uns auf dem Ausflug mit seinem Enkel (?) begleitet. Wir haben mit Genugtuung festgestellt, dass auch die Einheimischen beim Bergabgehen auf den steinigen Pfaden wild rutschen. Wir sind dann noch rasch gute zwei Kilometer mit Leonardo bis ins nächste Städtchen mitgegangen (natürlich immer steil bergauf), da er dort seine Mutter im Spital besucht hat. Der köstliche Lulo-Juice und einige gelungene Empanadas mit Erdäpfel-Selchfleischfülle haben uns wieder zu Kräften gebracht, als wir es schon ziemlich dringend gebraucht haben.

Wir wünschen Euch allen ganz herzlich un prospero año nuevo, in dem Ihr mich je nach Lust und Laune noch zwei Monate begleiten könnt. Es geht noch nach Guatemala, ein bisschen nach Honduras, nach Belize und ganz viel nach Mexiko. Ich freue mich immer über Eure Gesellschaft.


Antworten

#kolumbien#tierradentro