Veröffentlicht: 18.04.2022
Tag 6: Wir starten auf den Trail, nachdem uns der Shuttle um 7 zurück nach Scissors Crossing gebracht hat. Das Wetter ist heute deutlich schlechter und es hat stark abgekühlt, was aber sehr angenehm ist. Und nachdem es aufklart, haben wir perfektes Wanderwetter.
Der Trail ist wieder atemberaubend und führt den ganzen Tag über mit leichtem auf und ab als schmaler Pfad den Berg entlang. Ich bin mit Alex aus Australien und Natalie aus der Schweiz unterwegs. Von ihr habe ich meinen Trailname. Wir campen zusammen und werden morgen gemeinsam die 100 Meilen Marke überqueren. Außerdem müssen wir für fünf Tage resupplien, da sich durch das Osterwochenende erstmal keine weitere Gelegenheit ergibt. Das wird sich später als falsch herausstellen, aber sicher ist sicher.
Tag 7: Es ist unglaublich, dass ich schon eine Woche auf dem Trail bin. Auf der einen Seite habe ich bereits viel Routine entwickelt und es fühlt sich an, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Auf der anderen Seite erlebe ich jeden Tag unendlich viel neues und lerne tolle Menschen kennen. So wie Natalie und Alex, mit denen ich kurz nach dem Start heute die 100 Meilen Markierung erreiche.
Danach geht es den Berg hinunter zur Straße zum Montezuma Valley Market, wo wir resupplien werden. Am Fuße des Berges angekommen und auf den Shuttle wartend, gibt es unverhofft ein wenig Trailmagic. Zwei Männer halten an und fragen, wie viele Hiker voraussichtlich in nächster Zeit bzw pro Tag vorbeikommen werden. Sie veranstalten nämlich jedes Jahr ein BBQ für Hiker am Osterwochenende. Und für uns haben sie Donuts dabei und ich muss sagen, er schmeckt um Längen besser als jeder Donut, den ich bisher in Deutschland gegessen habe.
Am Montezuma Valley Market mit seiner berühmten Yetistatue sehen wir viele Hiker wieder und haben eine schöne Zeit. Außerdem hält der Markt alles bereit, was das Hikerherz begehrt. Am frühen Nachmittag machen wir uns wieder auf den Weg.
Die Landschaft ist heute sehr abwechslungsreich. Zunächst über die bekannten schmalen Pfade an Berghängen entlang geht es bald über weite Ebenen und später an einem Bach entlang durch lichte Eichengruppen. Und wir kommen am Eagles Rock vorbei. Auch wenn es ein wenig so aussieht, der Fels bricht nicht auf um einen Riesenadler aus dem Herrn der Ringe in die Freiheit zu entlassen, der uns nach Kanada trägt. Aber so funktioniert das ja auch in den Büchern nicht und im Moment wäre das ein Angebot, welches kein Hiker, den ich bisher kennengelernt habe, annehmen würde.
Am Ende des Tages campen wir mit einigen anderen Hikern unter einer riesigen Eiche. Sie ist so groß, dass zehn Zelte unter ihr Platz finden und der Raum nicht annähernd belegt ist.
Tag 8: Heute Nacht war es ziemlich kalt. Und ich habe zum ersten Mal Kojoten gehört, allerdings in sehr weiter Ferne. Dennoch habe ich sehr gut geschlafen. Tatsächlich schlafe ich auf dem Trail bisher wesentlich besser als die letzten Monate daheim.
Der Tag heute war der bisher anstrengendste. Ein stetes auf und ab, vor allem war der Trail aber sehr eng bewachsen, sodass alle zerkratze Beine haben. Und durch den dichten Bewuchs konnte man den steinigen Trail kaum sehen und musste höllisch aufpassen, nicht zu stolpern oder auszurutschen. Und gegen Mittag kamen wir an die letzte Wasserstelle für die nächsten 15 Meilen. Also "camel up", so viel trinken wie möglich und dann ausreichend mitnehmen, in meinem Fall 4,7l. Trotzdem schafften wir etwas über 20 Meilen. Jetzt campen wir in einem ausgetrockneten Flussbett. Bevor wir ins Bett gehen ist es aber noch interessant zu beobachten, wie viel Spaß wir mit einer Rolle Leukotape haben können, wenn es sonst nichts zu tun gibt.
Tag 9: Heute Nacht war es wieder sehr windig und mein Zelt stand nicht gut zum Wind, daher hat eine Zeltwand ständig geflattert und mich geweckt. Nach einer Stunde Podcast schlafe ich aber wieder ein. Da wir morgen nach Idyllwild hitchen können wir es heute ruhig angehen lassen und wir machen immer wieder kleinere Pausen. Gegen Mittag sind wir an Mary's Watertank. Eine Farmerin namens Mary stellt diesen extra für Hiker zur Verfügung, zusammen mit einem Zelt und einem kleinen Bücherregal. Während wir dort sind kommt Mary selbst vorbei und sie hat zwei kleine Welpen dabei, die gerade 11 Wochen alt sind. Natürlich ziehen die beiden sämtliche Aufmerksamkeit auf sich.
Danach geht es nur noch eine Meile weiter zu unserem heutigen Campplatz. Morgen sind es knapp fünf Meilen zum Paradise Valley Café, von wo aus wir nach Idyllwild kommen und wo es angeblich die besten Burger auf dem ganzen PCT gibt. Ich freue mich sehr darauf, einen zu probieren.
Tag 10 + 11: Wir erreichen Paradies Valley Café gegen 9 Uhr. Leider gibt es bis 11 nur Frühstück, die Burger entgehen uns also. Aber das Frühstück ist phantastisch. Und nachdem ich das "Phoenix Special" auf der Karte entdecke, muss ich mir auch keine Gedanken mehr machen, was ich möchte. Es ist ein Omlett mit Käse, Chilis und Bacon, dazu Hashbrowns und Toast.
Danach fahren wir nach Idyllwild, wo wir zwei Nächte verbringen, also einen Zero-Day, ein Tag, an dem nicht gehiket wird, einlegen. Ich teile mir ein Airbnb mit Natalie, Alex, Beans und Cheese. Am ersten Abend kommen außerdem Barry und Butterfly vorbei und wir bestellen Pizza. Ansonsten verbringen wir die Tage mit essen, resupplien und besuchen den Outdooroutfitter, um Microspikes zu kaufen. Die brauchen wir, um den ersten großen Höhenzug, der vor uns liegt, zu überqueren. Auf diesem kann es einige knifflige Schneefelder zu überqueren geben.
Und natürlich treffen wir "Mayor Max", den Bürgermeister von Idyllwild, einen Golden Retriever. In Amerika gibt es wohl nichts, dass es nicht gibt. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie groß Mayor Max Macht tatsächlich ist.
Insgesamt ist Idyllwild eine schöne und hikerfreundliche, aber auch touristische Kleinstadt. Der freie Tag hat sehr gut getan, aber ich freue mich unheimlich darauf, morgen auf den Trail zurückzukehren. Der vor uns liegende Abschnitt gilt als einer der schönsten in Southern California. Bis dahin.