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Tag 24-33: Ärger in der Tramily

Veröffentlicht: 10.05.2022

Tag 24: Da wir noch ein kleines Frühstück in einem Café haben wollen, bevor es zurück auf den Trail geht, stehen wir früh auf. Auf dem Weg sehen wir einen Kojoten, der durch die Straßen rennt. Im Café gibt es für PCT-Hiker, natürlich, einen Kaffee aufs Haus. Neben dem Kaffee bestelle ich mir ein Grilled Cheese Sandwich, das wirklich gut ist. Danach gehen wir zum Supermarkt, um zu hitchen. Cheese geht zur gegenüberliegenden Tankstelle, spricht zwei Minuten mit ihm und winkt uns dann zu sich. Wir haben unsere Mitfahrgelegenheit. Es ist einfach unglaublich. Wenn jeder eine Superkraft hat, dann hat Cheese definitiv die, dass jeder, der sich mit ihm unterhält, ihn einfach gern haben muss. Der Hitch ist dieses Mal wesentlich sicherer, als die Fahrt in die Stadt und ich bin kurz verwundert, warum sie so lange dauert.
Zurück auf dem Trail geht es zunächst über einen kleinen Höhenzug. Der Trail ist angenehm und wir kommen gut voran. Danach beginnt der Anstieg zum Mount Baden Powell. Er ist zwar steil, zunächst aber gut begehbar. Später allerdings gibt es wieder viele Schneefelder zu überqueren und oft ist es unmöglich, den Trail zu sehen. Und da heute Samstag ist sind sehr viele Dayhiker unterwegs, von denen einige eindeutig überfordert von den Bedingungen sind. Schlussendlich schaffen wir es aber auf den Gipfel.

Die Aussicht ist toll und das Denkmal für Baden Powell gefällt mir sehr gut. Wir rasten ein wenig und ich unterhalte mich auf deutsch mit Ninja, einer Münchnerin, die für zwei Monate auf dem PCT unterwegs ist. Danach machen wir uns an den Abstieg, und dieser ist noch viel schlimmer als der Aufstieg. Inzwischen ist der Schnee weich ("slushy") und wir rutschen ständig aus und ein wenig ab und sind ununterbrochen dabei, den Trail zu suchen. 

Als Cheese einmal an einer wirklich gefährlichen Stelle abrutscht, bricht einer seiner Trekking Poles ab. Zum Glück ist dieser der einzige, der Schaden davon trägt, das hätte schlimmer ausgehen können. Immer wieder kommen uns Gruppen von Boy Scouts entgegen, wie hier am Wochenende wohl nicht anders zu erwarten. Als wir nach gerade einmal 14 Meilen den Little Jimmys Campground erreichen, sind wir so fertig, dass wir beschließen, es für heute gut sein zu lassen. Da der Campplatz aber total überfüllt ist, da man ihn zu allem Überfluss auch noch mit dem Auto erreichen kann, suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen ein wenig den Hang hinunter. Aber auch hier hört man noch den Lärm auf dem Campplatz. Es ist relativ kalt, ich hoffe, dass das die Leute eher früher als später in ihre Zelte treibt.

Tag 25: Wir stehen um 05:30 auf und packen zusammen. Inzwischen sind wir ziemlich gut darin. Vor einigen Tagen campte eine Hikerin namens Big Owl mit uns. Als wir sie später wieder trafen meinte sie, bei uns ginge es ja zu wie beim Militär. Punkt 05:30 fangen alle plötzlich an zu packen, keiner spricht ein Wort und um 06:00 sind alle abmarschbereit. Kurz nach dem Aufbruch treffe ich Yannick wieder, den ich im Hostel in San Diego kennen gelernt habe. Wir unterhalten uns kurz über unseren bisherigen Erfahrungen. Ich bin froh, dass er noch auf dem Trail ist. Wie ich hatte er keinen guten Start und hatte die ersten Tage mit Magen-Darm-Problemen zu tun. Ewas später frühstücken er und ein Hiker namens Fomo mit uns. Vermutlich werden wir uns in den nächsten Tagen noch öfter sehen. Der Trail ist heute recht langweilig, daher höre ich zum wie vielten Male auch immer die Känguru-Bücher von Mark-Uwe Kling. Inzwischen bin ich bei den "Känguru-Apokryphen", die ich zum ersten Mal höre. Zunächst einmal müssen wir etwa drei Meilen Roadwalking hinter uns bringen, da zum Schutz des Yellow Mountain Frog ein Teil des Trails geschlossen ist. Zum Glück ist die Straße wenig befahren und wenn ein Auto kommt, ist es meistens ein Sportwagen, den man schon von weitem hört. Aber Roadwalking geht gehörig auf die Gelenke und macht definitiv keinen Spaß. Was tut man nicht alles für die Frösche. 

Alles für die Yellow Mountain Frogs

Ansonsten geht es meist durch lichte Kiefernwälder, aber auch sehr große Burnt Areas. Dementsprechend muss man sich auch wieder vor Poodle-Dog-Bush in acht nehmen. Es ist interessant zu sehen, dass da Bäume sind, deren Stämme stark verkohlt sind, die aber immer noch leben. Und wie neue Bäume und Pflanzen nachwachsen. Und dennoch ist es traurig zu sehen, wie groß schon hier die niedergebrannten Gebiete sind, denn die richtig großen kommen erst noch. Am Nachmittag überqueren wir die 400 Meilen Marke und erreichen nach weiteren 6,6 Meilen unseren Zeltplatz für heute Nacht. 

Es sind viele andere Hiker da, die wir in den letzten Tagen kennen gelernt haben und da es windstill und recht warm ist, können wir noch eine Weile zusammen sitzen und uns unterhalten und müssen uns nicht, wie in den letzten Tagen, so schnell wie möglich in den Schlafsack verziehen. Cheese fehlt ein wenig. Er war schon eine Stunde vor uns am Zeltplatz und hat beschlossen, noch ein paar Meilen zu machen.
Heute markiert für mich persönlich noch einen kleinen Meilenstein. Nach heute ist diese Tour sowohl von der Länge, als auch der Dauer die längste, die ich bisher unternommen habe. Und trotzdem liegt noch eine nur schwer vorstellbare Zeit und Entfernung auf dem Trail vor mir.

Tag 26: Heute gibt es tatsächlich nicht viel zu erzählen. Wir stehen wieder früh auf und haben um Zehn schon zwölf Meilen geschafft. Wir machen Pause an einer Feuerwache, an der wir auch zum letzten Mal für die nächsten 14 Meilen Wasser auffüllen können. Danach geht der Trail weiter, wie er heute morgen begonnen hat, mal mehr mal weniger steil, aber immer gut zu laufen und auch endlich wieder mit schönen Aussichten. Am Mittag treffe ich ein paar Waldarbeiter, die umgestürzte und beschädigte Bäume beseitigen. Sie fragen mich, wie lange dieser Trail ist. Ich erkläre ihnen, dass es der PCT ist, 2650 Meilen von Mexiko nach Kanada. Sie sind schwer beeindruckt, einige von ihnen kennen den Trail, wussten aber nicht, dass es dieser ist. Ich unterhalte mich noch ein wenig mit ihnen, bevor ich weiter laufe. Beim weitergehen fällt mir auf, dass es sehr schön war, die Begeisterung der Arbeiter zu sehen und auch die Bewunderung für uns Thruhiker. Wenn man erstmal auf dem Trail ist hat man täglich Kontakt mit Thruhikern oder Trailangeln. Aber für alle diese Leute ist ein Thruhike zumindest leicht vorstellbar und jeder Hiker muss sowieso davon ausgehen, es schaffen zu können. Da tut es gut, durch solche Begegnungen daran erinnert zu werden, was für einer Herausforderung wir uns hier stellen und ich laufe motiviert weiter. Insgesamt schaffen wir heute ohne Probleme 25,3 Meilen. Allerdings haben wir einen sehr bescheidenen Schlafplatz: mitten auf einer "Serviceroad", einer kleinen Waldstraße, die in der Regel nur von Rangern und Waldarbeitern genutzt wird. Hoffentlich hat keiner von ihnen heute Nacht zu tun. Von Cheese fehlt leider weiterhin jede Spur. Bevor ich es wieder vergesse, soll ich meinen Lesern etwas von Beans ausrichten. Beans hat mal chinesisch gelernt und hat ein beeindruckendes Talent. Wann immer er etwas Deutsch von Natalie und mir aufschnappt oder nach einem bestimmten Ausdruck fragt, wiederholt er ihn auf Anhieb mit perfekter Aussprache. Ich soll jedenfalls ausrichten: "Guten Tag, jahaa!"

Wortwörtlich auf der Straße schlafen

Tag 27: Heute war einer der, wenn nicht sogar der schönste Tag auf dem Trail bisher. Der Tag fängt gut an, es wurde nämlich keiner von uns überfahren. Tatsächlich kam gar kein Auto vorbei. Wir starten wieder früh. Der Trail führt wieder einmal immer an Berghängen entlang, mal bergauf und mal bergab. Wir kommen schnell voran und nach 4,2 Meilen wendet sich der Trail endlich wieder nach Norden. Naja, zumindest Nordwesten. Unser erstes Ziel des Tages ist der KOA Campground in Acton. Als ich den Hügel hinabkomme, der zum Parkplatz an der Straße führt, sehe ich schon von weitem das Auto von Cheshire Cat. Ich beschleunige meine Schritte ein wenig, denn ich freue mich auf eine Frucht und werde nicht enttäuscht. Wieder bekomme ich einen Apfel. Dieses Mal ist Cheshire Cat etwas ruhiger, vermutlich weil er schon den ganzen Morgen auf dem Parkplatz steht. Trotzdem macht es wieder Spaß, mit ihm zu sprechen und seine Geschichten zu hören. Nach einiger Zeit geht es weiter zum Campground. Hier können wir einkaufen, duschen, Wäsche waschen und ein wenig mit anderen Hikern rumhängen. Am Nachmittag geht es dann weiter zum zweiten Ziel des Tages, Agua Dulce, einer Stadt, durch die der Trail führt. Es ist sehr heiß, daher lassen wir uns Zeit. So sehr nach Wüste wie heute hat sich der Trail bisher noch nicht angefühlt. Ich bin gespannt wie es wird, wenn wir die Ausläufer der Mojave durchqueren. Auf dem Weg begegnen wir einer Klapperschlange. Gumby, der als erster läuft, wird angeklappert. Bis ich sie erreiche, verkriecht sie sich schon in den nächsten Busch, aber ich kann sie gut sehen und sie dreht mir den Kopf zu. Also schnell weiter. Kurz vor der Stadt führt der Trail durch ein Gebiet, in dem schon mehrere Filme und Serien gedreht wurden, zum Beispiel Star Trek, Planet der Affen und Bonanza. Eine unfassbar schöne und spannende Landschaft. 

Kurz vor der Stadt treffen wir Ninja und Taco. Ninja kommt aus München, sie habe ich auf Mount Baden Powell bereits kennen gelernt. Wir gehen alle zusammen zum Mexikaner. Das Essen ist unfassbar gut, genauso wie die Margaritas. Es ist schön, zwei neue Leute beim Essen dabei zu haben. Auch Agua Dulce ist eine dieser unfassbar hikerfreundlichen Städte. Wir dürfen auf einer Art Veranda vor dem Restaurant schlafen. Da ist es zwar ein wenig hell, sollte aber kein Problem sein. Wenn wir unser bisheriges Tempo beibehalten, und wir werden eher noch schneller werden, werden wir am 26. August an der kanadischen Grenze sein. Das ist jetzt schon früher, als ich spätestens da sein will. Ich bin unendlich froh, dass ich vor ein paar Wochen nicht dem Impuls nachgegeben habe, schneller zu werden und stattdessen mit den anderen zusammen geblieben bin. Ich mag jeden einzelnen von ihnen und wir funktionieren sehr gut als Gruppe. Zusammen sollten wir den Trail problemlos bestreiten können.

Tag 28: Heute Nacht bin ich einmal aufgewacht, weil Hunde und Kojoten um die Wette gelärmt haben. Ansonsten habe ich im großen und ganzen gut geschlafen. Da wir in der Stadt frühstücken wollen, schlafen wir aus. Das heißt, wir sind nicht um 05:30 wach, sondern um 06:00. Und das ohne Wecker. Ninja und Taco, die mit uns auf der Veranda geschlafen haben, begleiten uns zum Frühstück und auch für den Rest des Tages. Das Frühstück ist sehr gut und so gestärkt geht es etwas später als gewöhnlich auf den Trail. Ich unterhalte mich mit Ninja und wir lernen uns besser kennen. Wieder einmal ist es schön, eine Unterhaltung auf Deutsch zu führen. Doch schon bald wird der Trail so steil, dass an Unterhaltungen nicht mehr zu denken ist. Vor allem, da alle mindestens vier Lieter Wasser dabei haben, denn die nächste sichere Wasserquelle ist eine Feuerwache in 23,9 Meilen Entfernung, die auch unser Ziel für heute ist. Da es auch heute wieder heiß wird, machen wir eine längere Mittagspause. Die Bedingungen sind fast wie an meinem ersten Tag, windig und heiß, allerdings nicht so heiß wie am ersten Tag. Trotzdem habe ich unterbewusst etwas Furcht, dass ich wieder einen Hitzeschlag bekomme. Ich achte daher besonders darauf, genug zu trinken und Elektrolyte zu nehmen und inzwischen bin ich sicher, die Sache im Griff zu haben. Im Lauf des Tages erzählt uns Ben (ehemals Beans), warum er auf dem PCT ist und warum er so enttäuscht ist, dass Cheese so sang und klanglos verschwunden ist. Der Grund ist sehr persönlich und dass er ihn uns als Gruppe erzählt, spricht einmal mehr dafür, was für eine großartige Gemeinschaft wir sind. Später erzählen uns auch Ninja und Taco, dass sie schon darüber gesprochen haben, was für eine sich gegenseitig unterstützende Gruppe wir sind, und das, nachdem sie nur einen Tag mit uns gewandert sind. Der Nachmittag jedenfalls ist sehr hart. In einem langen Bogen wandern wir um einen See, ohne dass wir diesen passieren. Das nenne ich eine grausame Streckenführung. 

So nah und doch so fern

Aber irgendwann haben wir es geschafft und kommen an der Feuerwache an. Von dort schafft es Ben, einen Hitch zur nächsten Tankstelle zu bekommen. Kurz bevor alle eintrudeln kommt er mit Orangensaft, Cola und Eis für alle zurück. Das hebt nach diesem Tag die Moral enorm und wir verbringen noch einen sehr schönen Abend, bevor es dann morgen früh wie gewohnt wieder um 06:00 auf den Trail geht.

Tag 29: Heute habe ich einen verdammt schlechten Tag. Wir stehen wie gewöhnlich früh auf und laufen los. Nach etwa einer halben Stunde sehe ich plötzlich einen schwarzen flirrenden Fleck vor Augen. Ich weiß, was das bedeutet. Ich bekomme eine Migräneattacke. Ich nehme zwei Ibuprofen. Da Migräne bei mir gerne mit Schwindel und übergeben einhergeht, möchte ich wenigstens bis zur nächsten Wasserquelle kommen. Diese ist aber noch sieben Meilen entfernt. Ich bitte die anderen, mich bis dahin zu bringen, danach komme ich klar und hole sie in den nächsten Tagen wieder ein. Wir laufen weiter und die Schmerzen werden immer schlimmer. Ab einem gewissen Punkt kann ich mich an kaum etwas erinnern. Ich starre einfach auf Natalies Füße und Folge diesen. Die anderen erzählen mir später, dass ich einen sehr zombiehaften Eindruck gemacht habe. Irgendwann sind nur noch Natalie und ich da und auch sie lässt mich wohl irgendwann vor. Als ich eine nasse Stelle auf dem Trail sehe und ein kleines Rinnsal links von mir sehe, lege ich meinen Rucksack ab und mich mit dem Kopf darauf in den Schatten. Es fühlt sich an, als würde mein Kopf jeden Augenblick explodieren. Natalie kann nicht weit hinter mir gewesen sein, als sie ankommt legt sie mir ein kaltes Tuch auf die Stirn, was verdammt gut tut. Irgendwann bekomme ich wie durch einen Schleier mit, dass auch die anderen ankommen. Ben erzählt etwas von "Glowsticks" und "salty Cookies", ich bin mir aber ziemlich sicher, wichtige Teile des Gesprächs verpasst zu haben und dass hier kein direkter Zusammenhang besteht. Dann habe ich Glück und schlafe tatsächlich ein. Als ich eineinhalb Stunden später wieder aufwache, brauche ich eine ganze Weile, um darauf zu kommen, wo ich bin und was ich hier mache. Zumindest geht es mir etwas besser. Als ich mich umsehe, entdecke ich Natalie, die mit mir zurückgeblieben ist. Als ich wieder einigermaßen klar bin, laufen wir weiter, um die anderen auf dem Campground zu treffen, der für heute das Ziel ist. Es sind noch elf Meilen dahin. Wieder folge ich Natalies Füßen vor mir. Die rechte Seite meines Kopfes fühlt sich noch immer an, als ob sie in einem Schraubstock steckt, aber es wird allmählich besser. Wir laufen durch ein Burnt-Area und während ich mir die ganzen toten Baumgerippe anschaue und wie jeder unserer Schritte Asche aufwirbelt, kommt mir der Gedanke, dass so ein Gebiet wohl die Inspiration für viele Autoren war, wann immer in einem Fantasyroman von einem toten oder verdorrten Land oder ähnlichem gesprochen wird. 

Poodle-Dog-Bush

Als wir schließlich den Campground erreichen geht es mir schon wieder einigermaßen gut, auch wenn die Schmerzen noch nicht weg sind. Ich hatte definitiv Glück und habe eine deutlich stärkere Attacke erwartet. Die Freude, dass wir es heute noch geschafft haben, ist groß und wir verbringen noch einen schönen Abend. Ich bin Natalie sehr dankbar, dass sie bei mir geblieben ist. Ohne sie wäre ich heute definitiv nicht mehr so weit gekommen. Zum Dank werde ich ihr morgen in Hikertown ihr Essen ausgeben, das mindeste, was ich tun kann. Es ist schon ironisch, die anderen in der Gruppe meinen immer, ich sei der am besten Vorbereitetste und Fitteste. Dennoch bin ich auch derjenige, der jetzt schon zum zweiten Mal wegen schwereren gesundheitlichen Problemen auf Hilfe angewiesen war. Ich hoffe, dass sich das jetzt erledigt hat.

Tag 30: Kurz nach dem Start überqueren wir den 500 Meilen Marker. Danach geht es in die Ebene. Beim langen und teilweise steilen Abstieg zerre ich mir den rechten Oberschenkel etwas, das sollte aber keine größeren Probleme machen. Nach knapp 20 Meilen erreichen wir Hikertown, eine kleine Ansammlung von Häuschen, die aussehen, wie eine Westernstadt. Ich habe unter anderem gehört, dass dieser Ort tatsächlich als Darstellung eines Filmsets für einen Film entstanden ist. Von dort fährt ein Shuttle zum Neenach Market, wo wir einkaufen können und es gibt Burger und anderes Essen. Die Auswahl an Resupplie ist für Hiker fantastisch, aber sehr teuer. Nach dem Einkauf, dem Essen und einem Eis aufs Haus geht es zurück nach Hikertown. Dort teile ich mir mit meiner Trailfamily, Ninja und Duck ein "Haus". Es ist immer wieder erstaunlich, wie gut man sich nach einer Dusche und mit frisch gewaschenen Klamotten fühlt. Außerdem haben wir in unserem Haus eine überraschend große Auswahl an VHS Kassetten und schauen "Robin Hood - Helden in Strumpfhosen". Danach werden wir früh ins Bett gehen, denn morgen werden wir zwischen 2 und 3 Uhr starten, denn wir folgen dem Los Angeles Aquädukt. Eine meilenlange, schnurgerade und ebene Strecke, auf der es tagsüber sehr heiß und windig wird und auf der es kaum Schatten gibt, ganz zu schweigen von Wasser. Daher ist es üblich, möglichst viel von dieser Strecke nachts zu machen. Ich freue mich auf den Nighthike, das dürfte eine interessante Abwechslung werden und es gibt keine Aussichten, die wir verpassen könnten.

And i would walk 500 Miles...

Tag 31: Was für ein Tag, in vielerlei Hinsicht. Morgen wird es wohl ein klärendes Gespräch geben müssen, aber nicht mehr heute Abend. Ich bin einfach froh, im Schlafsack zu liegen. Aber der Reihe nach. Wir stehen wie geplant um 02:30 auf und laufen um 03:00 los. Mit Knicklichtern behangen machen wir uns auf den Weg. Dieser Abschnitt eignet sich wirklich perfekt für Nighthiking, denn die meiste Zeit geht es gerade aus und es gibt nichts zu sehen. Teilweise laufen wir auf Asphalt, auf Dirtroads und eine Zeit lang auch auf einer Stahlröhre, dem Aquädukt. Es ist unfassbar, wie viele Mäuse hier nachts unterwegs sind. Nach einiger Zeit fällt Ninja ein wenig zurück. Ich überlege, ein Auge auf sie zu haben und mich eventuell zurückfallen zu lassen. Da spricht Ben mich genau darauf an, ob nicht einer von uns mit Ninja hiken sollte und ob ich das machen würde. Also warte ich auf sie und wir hiken zusammen durch die Nacht, in der Ferne vor uns die Lichter der anderen, die irgendwann verschwinden. 

Nighthike

Wir unterhalten uns viel, während langsam der Tag anbricht. Einmal treffen wir die anderen noch wieder. Der Plan ist, zur nächsten Brücke zu laufen, an der es auch Wasser geben soll und dort eine lange Pause zu machen, oder nach 20 Meilen, je nach dem. Als wir die Brücke erreichen, treffen wir Taco. Er sagt uns, die anderen wollten wohl noch 2,2 Meilen weiter zur nächsten Campsite. Laut FarOut kommt diese allerdings erst in etwas über 5 Meilen. Wir laufen also weiter in der Annahme, die anderen schon zu sehen, während sie Pause machen. Um 10 Uhr haben wir bereits 19,4 Meilen geschafft. Da von den anderen jede Spur fehlt, laufen wir weiter in der Annahme, dass sie bei der Campsite sind, die laut Kommentaren groß und windgeschützt ist. Inzwischen laufen wir durch einen Windpark und der Wind ist wieder extrem. Als wir an der Campsite ankommen fehlt von den anderen jede Spur. 1,2 Meilen weiter ist die nächste Wasserquelle, vielleicht sind sie dort. Ich schreibe Ben über meinen InReach und Ninja versucht es über Instagram. Da wir keine Antwort bekommen, entschließen wir uns, zur Wasserquelle zu gehen. Kurz vorher bekommen wir eine Nachricht von Natalie, scheinbar machen die anderen Pause, und zwar hinter uns. Es ist uns schleierhaft, wie wir sie überholen konnten. Um 12:15 haben wir also 23 Meilen geschafft. Ich bin etwas angepisst, dass die anderen uns haben an sich vorbeilaufen lassen, da wir normalerweise auf die letzten in der Gruppe achten. Während wir an der Quelle warten stößt Taco zu uns und wir haben einen ganz guten Mittag. Als die anderen um 15 Uhr auftauchen, erzählen sie uns, dass sie in einem Unterstand bei einem Wohnwagen und Container Pause gemacht und geschlafen haben, ziemlich direkt nach 20 Meilen. Diese Stelle haben wir zwar gesehen, allerdings war sie 100-200 Meter ab vom Trail und wir konnten niemanden sehen.
Es ärgert mich, dass es von vier Leuten keiner geschafft hat, den Trail im Auge zu behalten und uns zu rufen, vor allem, da wir zu diesem Zeitpunkt maximal 15 Minuten hinter ihnen waren. Natürlich einfach unglücklich gelaufen, trotzdem ärgerlich, da Ninja und ich die ganze Zeit dachten, die anderen würden einfach weiter laufen. Während Ninja Wasser holen ist erzählt Ben mir, dass die anderen noch 7,5 Meilen machen wollen zu einer Campsite mit Wasser und einer Art kleinem Lager, das von Trailangeln angelegt und gepflegt wird. Ich sage ihm, dass ich das schaffen würde, ich aber nicht weiß, ob Ninja, die inzwischen wirklich Probleme mit ihrem Schienbein hat, heute noch so weit laufen kann. Später kommt Ben zu mir als ich Wasser holen bin und entschuldigt sich für die Situation heute morgen. Ich versichere ihm, dass es okay ist und ich morgen drüber lachen kann. Ich frage, ob er mit Ninja über die nächsten 7,5 Meilen gesprochen hat. Noch nicht, will er aber. Als er kurz darauf zurückkommt meint er, sie sagte, sie müsse sehen. Als ich zurück zum Lagerplatz komme sehe ich nur noch, dass alle bereits gegangen sind und wie Ben gerade auf dem Trail verschwindet. Wir wurden also praktisch wieder zurückgelassen, ohne, dass einer der Ninja gefragt hätte, wie es ihr geht. Und ohne, dass wir wirklich besprochen hätten, wie der restliche Plan für heute aussieht. Und das macht mich wirklich wütend, denn das ist nicht die Art, wie wir miteinander umgehen. Nicht einmal vor einer Woche noch hat Natalie auf mich mit meiner Migräne gewartet und heute das. Im Grunde weiß ich, dass es nicht der Fall ist, aber es wirkt tatsächlich, als ob die anderen uns zurücklassen wollten oder es ihnen zumindest egal ist, was wir machen. Und besonders über Ben ärgere ich mich, da er definitiv wusste, wie es Ninja geht, da ich es ihm gerade erst gesagt hatte. Und seine Entscheidung kann er sich sonst wo hinschieben, wenn er sich danach umdreht und genau die selbe Nummer nochmal abzieht. Wir entscheiden uns, weiter zu laufen und zu sehen, wie es mit Ninjas Bein weiter geht. Die nächsten 7,5 Meilen sind brutal, vor allem nach dem ohnehin schon langen Tag. Der Wind ist heftig, man muss wirklich acht geben, nicht vom Trail geweht zu werden und wir kommen nur schwer voran. Außerdem wird es immer kälter. Als wir endlich die Campsite erreichen, sind wir vollkommen fertig. Ninja fängt vor Erschöpfung an zu weinen. Als Ben auf mich zukommt, um zu fragen, was los ist, sage ich ihm etwas uncharmant, dass er mir gestohlen bleiben kann. Natalie tröstet in der Zeit Ninja. Ich halte mich von den anderen fern, im Moment würde ich jedem nur unfaire Sachen an den Kopf werfen, die mir im Nachhinein Leid tun würden. Ninja und ich finden einen windgeschützten Platz, an dem wir schlafen werden. Später kommt Taco dazu. Er hat sich mit den anderen unterhalten und sagt, dass es ihnen Leid tut und sie nicht mitbekommen haben, wie schlecht es Ninja geht. Ich weiß, dass es von keinem böse Absicht war, aber jetzt gerade ist mir das egal, denn es hat auch keiner gefragt oder auf uns gewartet. Beziehungsweise Ben, der zwar gefragt hat, hat keinerlei Konsequenz daraus gezogen. Und gerade die Entscheidung, wie viel weiter es an einem Tag geht, haben wir in letzter Zeit immer gemeinsam und mit Rücksichtnahme auf den Tagesschwächsten entschieden, oder zumindest ist das die Art und Weise, wie wir es meiner Meinung nach machen sollten. Natalie kommt kurz vorbei, um sich bei Ninja zu entschuldigen. Ich ignoriere sie. Wir werden das morgen schon alles klären können, aber heute habe ich zumindest dafür definitiv keinen Nerv mehr. Nach den 18,5 Stunden wach und 50,5 zurückgelegten Kilometern bei diesen Bedingungen will ich nur noch schlafen.

Windpark

Tag 32: Die Nacht war wie zu erwarten windig, aber nicht zu kalt. Und auch der Platz, den Ninja, Taco und ich zum Schlafen gewählt haben, ist größtenteils vom Wind geschützt. Trotzdem kann ich aufgrund der heutigen Ereignisse nicht gut schlafen. Während den letzten 9,5 Meilen zur Straße von der aus wir nach Tehachipi hitchen können, komme ich schließlich darauf, worüber ich wirklich so enttäuscht bin und worüber ich mich ärgere. Ich habe das Gefühl, dass Ninja und ich gestern nicht Teil der Gruppe waren und es die anderen nicht gekümmert hätte. Was, wie mir durchaus bewusst ist, nicht der Fall war und unfair ihnen gegenüber ist, aber in dem Moment fühlte es sich so an. Wir stehen mit insgesamt 10 Hikern an der Straße. Der Hitch gestaltet sich doch als schwierig, am Ende halten aber genug Autos, damit zusammen mit einem Taxi alle in die Stadt kommen. Die Stimmung ist ziemlich angespannt, was wohl vor allem an mir liegt. Der Taxifahrer empfiehlt uns ein Café fürs Frühstück und da wir warten müssen, lassen wir uns auf die Warteliste setzen und gehen zum McDonald's, um uns einen Kaffee zu holen. Auf dem Weg fragt mich Natalie, ob alles okay wäre oder ob ich sauer bin und ich fahre sie ziemlich passiv-aggresiv an, was mir im Nachhinein sehr leid tut. Vielleicht war es auch nicht ganz so passiv. Auf jeden Fall keiner meiner stärkeren Momente. Als wir zurück zum Café kommen und noch ein wenig auf den Tisch warten müssen, beginnen wir unsere Aussprache. Ich lasse ein wenig Dampf ab und spreche aus, was mich so gestört hat. Danach bin ich zumindest so ruhig, dass wir ein nettes Frühstück zusammen haben. Während wir warten tauchen wieder einmal unverhofft Sorry und Butterfly auf und wir Essen zusammen. Danach geht es ins Hotel. Nachdem alle geduscht haben und unsere Wäsche in der Waschmaschine ist, beenden wir unsere Aussprache. Am Ende war vor allem unsere Kommunikation nicht gut genug und wir hatten ein Stück weit Pech, dass wir zwei solche Situationen an einem Tag hatten. Bisher war das alles schließlich überhaupt kein Problem, gerade wenn ich daran denke, dass Natalie mit meiner Migräne bei mir geblieben ist. Ich bin mir zwar sehr sicher, dass ich in der Situation am Morgen auf dem Trail geblieben und auf den letzten gewartet hätte, aber das ist auch eine falsche Erwartungshaltung von mir, wenn ich das von anderen erwarte. Wir haben uns jedenfalls gegenseitig versichert, dass wir zusammen weiterwandern und bestenfalls gemeinsam Kanada erreichen wollen und haben uns alle wieder lieb. Und ich muss lernen, besser zu kommunizieren, wenn ich ein Problem mit jemandem habe und es nicht zu unterdrücken, um dann zu explodieren. Das ist definitiv eine meiner Charaktereigenschaften, die ich überhaupt nicht leiden kann. Den Rest des Tages verbringen wir damit, Marvel-Filme zu schauen, Pizza zu essen und Bier zu trinken. Amerikanische Werbung ist interessant, denn die Art der Werbung für Medikamente und Anwälte haben wir definitiv nicht. Und über den ganzen Ärger habe ich etwas vergessen. Inzwischen sind wir schon einen Monat auf dem Trail und es war vermutlich der kürzeste Monat meines bisherigen Lebens.

Tag 33: Heute ist ein trauriger Tag. Ich muss mich von zwei guten Freunden verabschieden, die ich noch in Deutschland kennengelernt habe. Nach einer kurzen Kennenlernphase haben wir uns lieben gelernt und schnell stand fest, dass sie mich auf den PCT begleiten werden. Seit ich am 01. April das Haus Richtung Frankfurt verließ, begleiteten sie mich auf Schritt und Tritt. Sie unternahmen mit mir meinen ersten Langstreckenflug und zusammen erkundeten wir San Diego. Mit ihnen startete ich von Campo und sie waren bei mir, als ich meinen Hitzeschlag hatte. Gemeinsam überquerten wir Berge, durchwanderten Wälder, Felder und die Wüste und durchquerten Flüsse. Doch inzwischen stoßen sie an ihre Grenze. Sie versuchen, es sich nicht anmerken zu lassen, doch ich kann es spüren. Sie haben Verletzungen davongetragen, von denen sie sich nicht mehr erholen. Sie sind zu alt, zu müde und zu schwach, um die kommenden Herausforderungen zu bestehen. Daher muss ich sie leider zurücklassen. Ich danke euch vielmals für eure treuen Dienste meine Freunde, Sayonara!

Sayonara

Wir haben heute ausgeschlafen (07:00) und sind zum Frühstück im Hotel. Nach den üblichen Zeroaktivitäten (Mobility, Sachen packen, Blog schreiben...) bin ich mit Ben, Taco und seiner Frau, die ihn besuchen gekommen ist, nach Bakersfield gefahren, um nicht den ganzen Tag im Hotel zu verbringen. Hier habe ich zwei neue Freunde abgeholt. Ich bin mir sicher, ich werde mich genau so gut mit ihnen verstehen, wie mit den alten.

Hallo neue Freunde.

Ansonsten steht für heute nicht mehr viel an. Später treffen wir uns alle in unserem Zimmer um eine Bar-Exchange-Party zu schmeißen, da die meisten Riegel und ähnliches nur in größeren Packungen verkauft werden oder so zumindest günstiger sind. Und heute Abend geht es zu einem Chinesen mit All you can eat Buffet, genau das richtige für eine Gruppe inzwischen immer hungriger Hiker. 


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