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GO WEST

Veröffentlicht: 22.10.2024

Ein letzter Morgengruß aus der Türkei!

Die Wecker klingelten, wie verabredet, um 7 Uhr in allen Zimmern. Der Kapitän hatte darum gebeten, pünktlich um 9 Uhr zum Havalimani zu starten. Da sich niemand den Zorn des Herrn mit dem meisten Lametta auf den Schultern zuziehen wollte, liefen die unteren Mannschaftsdienstgrade zur Topform auf. Wir packten alles zusammen und stellten dem Tetris-Gott alles rechtzeitig an den Militaria-Benz. Ich betrachtete in unserem Schlafzimmer noch einmal das Ausmaß des Splattermovies in drei Teilen. Es ist ganz gewiss nicht meine Art, Einrichtungsgegenstände, noch dazu fremde, mit Blut und leblosen Überresten von Flugtieren zu übersähen. Aber hier musste ich eine Ausnahme machen. Eventuell wären Fliegengitter o.ä. eine lohnenswerte Investition (gewesen). Zumal meine Kampfspuren definitiv nicht die ersten waren.

Kadir setzte den grünen Brocken in Bewegung. Noch einmal ging es durch den lautstarken Straßenverkehr Istanbuls. Da heute Sonntag war, wirkte dieser auf uns beinahe normal. Da wir jedoch nicht vorhersehen konnten, wie es sich darstellt, war es uns lieber etwas zeitiger loszufahren. Ok, die Fahrt dauert eine Stunde und der Flieger der Frauen sollte um 15:50 Uhr abheben. Zeit sollte also selbst bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h auf der Strecke von 60km ausreichend zur Verfügung stehen.

Unser erstes Ziel war eine Tankstelle und da Kadir bei Shell in Trabzon diese wunderbare Erfahrung mit der besagten Schokolade gemacht hatte, sollte es erneut der Kraftstoff dieses Konzerns werden. Zufällig könnte es ja sein, dass… Schon als Kadir aus dem Shell-Store zurückkam, erahnte die Besatzung das Dilemma. Dubai-Schokolade ausverkauft. Die Enttäuschung hielt glücklicherweise nicht sehr lange an und so ging es hoch konzentriert weiter. Vor dem Terminal angekommen, gab es aufgrund der Gesamtsituation, die wohl alle auf Drop-off-Plätzen an Flughäfen kennen, nur eine sehr kurze Verabschiedung von Rudy und Julia. Wir bahnten uns mit dem aufgelasteten Koloss den Weg durch hunderte Maybach-Vans und Millionen von Taxen, so dass wir schnurstracks auf der Schnellstraße in Richtung Westen waren.

Ohne, dass wir es so wirklich miteinander besprochen hatten, dachten wir sicher das gleiche: GO WEST! Kurz vor der uns nur zu gut bekannten Grenzanlage tauchte am Horizont tatsächlich noch einmal diese gelb-orange-farbene Muschel auf. Ob diese Shell-Tanke eventuell… und wenige Minuten später bestieg ein über das gesamte Gesicht strahlender Ex-Türke die Fahrzeugkanzel. Restbestände dieses ominösen Leckerbissen waren aufgekauft worden und wurden umgehend probiert. Und tatsächlich schmeckte das Zeug. (Anm. d. Red.: Kadir kaufte in den vergangenen Tagen nicht immer dasselbe Produkt desselben Herstellers).

Nun also Grenze retour: Beinahe wehmütig schauten wir in Richtung Halle D3. Ist das wirklich alles schon zwei Wochen her? Diese Frage sollten wir uns noch einige Male in den kommenden Stunden stellen. Nun ging es also an den ersten Schalter. Dann der Schock: es waren laut Aussage der Spezialistin am Counter 271,- Lira Mautgebühren fällig. Hä??? Kadir: „Da müssten noch 2000,- Lira auf einem Guthabenkonto…“. Ja, das könne sie auch sehen, aber das System sagt, dass wir nachzahlen müssen. Kadir: „Wofür? Und wie kommen die 271,- Lira zustande?“. Das könne sie nicht sagen. Kadir: „Das ist doch Humbug, wenn ich 2000,- eingezahlt habe“. Sie: „Ja, das stimmt. Aber das ist das System“.
Als wir mit unserem letzten Bargeld unsere angeblichen Maut-Schulden begleichen wollten, erfuhren wir, dass wir dazu einen Counter zurück müssten. Alter Verwalter. Also die Karte gezückt und fertig. Nun haben wir in der Türkei also eine Summe für Mautgebühren bezahlt, die nur der türkische Staat, dessen Mautminister oder die Mautbeauftragte der türkischen Regierung kennt. Erklären konnte uns das System keine einzige Person an keiner Stelle in diesem Land. Nicht auf türkisch und nicht auf englisch. Transparenz sieht anders aus. Die weitere Kontrolle bei der Ausreise war tiefenentspannt und so ging es auf bulgarischen Straßen weiter.

Wir erfreuten uns an dem wunderbaren Wetter und der untergehenden Sonne, denn die Landschaft neben der Autobahn hatte sich in den vergangenen neun Tagen nicht sonderlich verändert. Glücklicherweise hatte ich letzte Woche bei unserer Einreise nach Bulgarien aus Versehen eine 2-Wochen-Vignette gekauft. So war dieser Teil schon mal erledigt. Da wir mit Grenzübertritt in die schönste Ländergruppe überhaupt kamen, wäre ein Vignetten-Kauf allerdings auch ein Kinderspiel gewesen. Wir winkten unserem ehemaligen Campingplatz „Sunset Garden“ zu und zack, waren wir auch schon an der Grenze zu Serbien.
Nun konnte uns nur noch der grobschlächtige Ex-Kirmesboxer an der Ausreise hindern, den wir eine ganze Weile am Grenzposten vor uns beobachteten. Der Sportkamerad nahm seine Aufgabe ernst. Sehr ernst. Wir beobachteten, wie er eigenmächtig - während am Fenster der Fahrerseite die Pässe kontrolliert wurden - die Türen auf der Beifahrerseite und den Kofferraum öffnete. Uns war klar, dass er so auch bei unserem Gefährt vorgehen würde. Der vorhersehbare Kontrollverlust ließ unser beider Phantasie die wildesten Szenarien entwerfen. Am besten gefiel uns diese: „Igor reißt die Schiebetür auf und erhält per Bratpfanne die Quittung dafür von einem von uns, der direkt hinter der Tür auf ihn wartet. Umgehend drückt der andere auf’s Gaspedal. Wir durchbrechen den nächsten Posten und fahren gleichzeitig die Jalousie mit dem großen mittleren Finger darauf im Heckfenster des Benz nach oben.“ Um es vorwegzunehmen: Wir haben artig „Guten Tag“ gesagt und Igor durfte sich genüsslich in unserem Heim umschauen. Auch sein Ein-Wort-Satz „OPEN“, mit dem er uns mitteilte, dass er einfach gerne mal in unser Badezimmer gucken möchte, wurde ihm selbstverständlich erfüllt. Egal. Das Lächeln der äußerst attraktiven Serbin wenige Meter weiter besänftigte uns wieder und es ging weiter. 

Nach den ersten Stunden in Serbien wechselte ich auf den Beifahrersitz, drehte dessen Lehne etwas nach unten und organisierte mir mein Kissen. Kadir sprach hier das erste Mal davon, dass er sich jetzt schon auf die Fahrt durch die Nacht freuen würde. Ich schlummerte immer mal wieder, organisierte aber noch vor der Grenze zu Ungarn die Maut für Orbans Verkehrsministerium. Glücklicherweise hatte ich noch alle Angaben von der Hinfahrt, so dass ich den Fahrzeugschein gar nicht benötigte. Interessant: obwohl wir wirklich exakt dieselbe Strecke fuhren, war der Rückweg € 0,67 günstiger. Ändert aber auch nichts an der Tatsache, dass wir insgesamt schlappe € 147,- für knapp 700km ungarische Autobahn bezahlten.
Nun machte ich so richtig ernsthaft die Augen zu und entließ Kadir in seine Nacht. Der Bursche meinte das wirklich ernst. Als er sich hinter dem Lenkrad häuslich einrichtete, freute er sich wie ein kleines Kind. Na dann.

Als ich wieder wach wurde, taumelte ich bei lauter Musik schlaftrunken durch den Wagen zu einem vollkommen wie auf Droge grinsenden Fahrer. „Ich habe dich durch mehrere Länder gebracht. Ich bin ein einsamer Steppenwolf und ziehe meine Bahnen.“ Alter! Was hatte der in der Zwischenzeit genommen? Ist die Dubai-Schokolade tatsächlich so harmlos, wie wir alle annahmen? Ich erfuhr, dass wir kurz vor Brno waren. Der Teufelskerl hatte während ich schlummerte mal eben Ungarn und den Zipfel der Slowakei durchquert sowie knapp hundert Kilometer in Tschechien zurückgelegt. Und war noch dazu wach wie nach einer ganzen Hand voll Acid-Pillen. Ich konnte ihn dann aber doch irgendwann davon überzeugen, dass er mal ein Auge zumachen sollte. Uns beiden war spätestens jetzt klar, dass wir das hier bis nach Hause durchziehen.

Kurz vor der Grenze zu Deutschland wollte ich dann gewissenhaft die On-Board-Unit des tschechischen Mautbetreibers zurückgeben. Ich hatte ja vor zwei Wochen € 137,- dafür bezahlt und angeblich erhält man diese Kaution bei Rückgabe zurück. Dann folgte kurz vor dem Ende unserer Tour die Ernüchterung. Obwohl ich mir die Vertriebsstellen herausgesucht hatte, erfuhr ich vom Personal der OMV-Tanke, dass ich die OBU hier nicht zurückgeben kann. Es solle aber wenige Kilometer weiter die richtige Adresse zur Rückgabe geben. Na gut. Dort angekommen, erfuhr ich von der bereits am frühen Morgen genervten Mitarbeiterin, dass sie das Gerät hier nicht annehmen wird. Leicht gereizt machte ich ihr klar, dass ich es hier aber abgeben werde. Website und Merkblatt des Mautbetreibers informierten mich ja über diese Option. Aber weit gefehlt. Die Dame hielt mir ein Papier unter die Nase, auf dem in mindestens vier Sprachen die Möglichkeiten aufgelistet waren: a) Rückgabe hier, dann aber die letzten acht Kilometer nach Deutschland nicht mehr auf Mautstraßen; b) Gerät per Post zurücksenden; c) Gerät behalten und beim nächsten Mal in Tschechien erneut nutzen. Ich wählte begeistert Option A und erhielt schulterzuckend die radebrechende Antwort „Nix Abgabe“. Ich war kurz vor der Explosion. Ich spürte aber, dass eine solche Entgleisung wohl keine deeskalierende Wirkung haben würde. Ich werde das Teil wahrscheinlich zurücksenden. Aber auch nur, um zu schauen, was passiert. Vielleicht behalte ich es auch als Andenken. Mit dem Benz einfach drüber zu fahren haben wir dann doch nicht über’s Herz gebracht.

Nach 2215km in einer Zeit von 25:30 Stunden erreichten wir um 11:30 Uhr MESZ den Ausgangspunkt der gemeinsamen Reise in Schöneiche.

Irgendwie surreal und wie in Trance räumten wir gemeinsam meine Habseligkeiten aus dem mobilen Heim. Kadir wollte und musste natürlich noch weiter und so nahmen wir uns noch einmal kurz in den Arm und dann verließ das grüne Ungeheuer unseren Hof in Richtung Nordseeküste.

Wir hatten die vergangenen zwei Wochen in den letzten Stunden ausführlich miteinander Revue passieren lassen und dabei alle Tops und Flops beleuchtet. Daher konnte das nun alles sehr schnell abgehandelt werden. 

Das Wichtigste (fast) zum Schluss: auch zwei Wochen auf 6qm haben nicht den leisesten Zweifel an unserer phantastischen Freundschaft aufkommen lassen. Auf die nächsten 42 Jahre!

PS: Das allerbeste kommt wirklich zum Schluss. Daher wird es noch einen Blog-Eintrag geben: From the one and only Kapitän himself… 

Antworten (2)

S.
Ein toller Reisebericht und auch, wenn ich nur eine Hälfte von euch kenne, eine wunderbare Freundschaft. Danke für die grandiosen Berichte und alles Gute.

Danke für die schönen Einträge. Es hat Spaß gemacht, mit euch mitzufahren.... und was für eine tolle Freundschaft!

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