Go East - Mit dem Fahrrad zu Ev. Gemeinden in Osteuropa
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72. Tag - 18. Sept: Ramnicu Valcea - Aufbruch in die Walachei

Veröffentlicht: 20.09.2022

Nun bin ich schon zwei Wochen in Rumänien unterwegs. Heute hieß es Abschied nehmen von Hermannstadt im Allgemeinen und von Siebenbürgen im Besonderen. Am Morgen besuchte ich noch den Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche von Hermannstadt und durfte ein Grußwort sagen und meine Besuchsreise durch Osteuropa vorstellen.  Ich ahnte nicht, was ich damit bei einem Menschen auslösen würde. Gleich nach dem Orgelnachspiel kam Herr Philippi, ein Geographie Professor im Ruhestand, Lekor der Gemeinde und zugleich Mitglied im Landeskirchenrat der Ev. Kirche in Rumänien, zu mir und wünschte "Gute Weiterreise" und lud mich zu einem Gespräch in einem Cafe ein. Schnell kamen wir ins Gespräch über meine Reise. Er erwähnte, dass es südlich von Hermannstadt noch zwei kleine lutherische Diasporagemeinden gibt  und vermittelte sogleich einen Kontakt und Schlafmöglichkeiten nach Ramnicu Valcea und nach Craiova in der Walachei. Das war ein Segen für meine letzten Tage in Rumänien.

Die Walachei ist allerdings keine ausgedachte oder imaginäre Beschreibung einer rückständigen und landländlichen Region, sondern eine dörflich geprägte Region südlich des Fagarasgebirges.  Tagesziel war die Kreisstadt Ramnicu Valcea. Allerdings nicht radelnd auf dem  Fahrrad, sondern mit dem Zug. Die einzigste Straße dorthin führte über weite Strecken durch das schmale Olttal, welche zugleich die Haupttransitstrecke für alle LKWs ist, die - wie ich - nach Instanbul wollen. Entsprechend sehr dicht ist der Verkehr. Mehrere Menschen rieten mir vor einer Befahrung dieser Europatrasse ab, weil sie einfach für Radfahrer zu gefährlich ist.

Ich folgte diesen Rat und wurde bestätigt, was ich vom Zug aus sehen konnte. Gab es auf der Europastraße zwischen Fagaras und Hermannstadt zu 75% der Strecke noch einen meist fahrbaren Seitenstreifen, fehlte dieser auf der Route durch das Olttal fast durchgängig. Die LKWs donnerten nur so durch das Tal. Beschaulich dagegen war die Fahrt mit dem Zug bis nach Ramnicu Valcea. Für die 99 km brauchte der Zug fast 3 Stunden und führte oft direkt an der Europastraße entlang.

In Ramnicu Valcea angekommen holte mich die Kuratorin Erika der Diasporagemeinde sogar vom Bahnhof ab und gemeinsam gingen wir zur Ev. Kirche und zum Pfarrhaus, wo ich schlafen konnte und kamen gleich in ein längeres Gespräch. Ich erfuhr, dass zwischen 1880 und 1900 immer mehr Siebenbürger Sachsen von Hermannstadt sich in der aufstrebenden Stadt niederließen. Die Anzahl der Evangelischen in der Stadt wurde so groß, dass sie beschlossen eine Ev. Kirche zu bauen und eine eigene Gemeinde zu gründen.   1910 war die feierliche Einweihung der Kirche der rund 200 starken Ev. Gemeinde, wovon einige Fotos an der Wand Zeugnis geben. Leider schrumpfte aber schon nach dem 2. Weltkrieg die Gemeinde. Bis in die 1980er Jahre hatte die Gemeinde einen eigenen evangelischen Pfarrer mit einem schönen Pfarrhaus. Nach der Revolution 1989/1990 zogen leider die meisten Deutschen weg.

Heute hat die Gemeinde noch ca. 20 Mitglieder, welche zumeist älter sind und nicht alle in der Stadt selbst wohnen. Bei rund 120.000 Einwohnern der Stadt zeigt sich die besonere Diasporasituation. Zuständig für die Gemeinde ist der zweite Pfarrer aus Hermannstadt. Einmal im Monat ist Gottesdienst, zu dem rund 10-12 Besucher kommen. Leider sieht es für die Zukunft der Gemeinde nicht so rosig aus, weil einfach der Nachwuchs fehlt. Taufen gab es lange keine mehr. Viel Wehmut lag in den Worten der Kuratorin, welch sich entschied nicht nach Deutschland zu gehen.

Ich war sehr dankbar für das Gespräch, die Geschichten und Eindrücke der kleinen Gemeinde. Nach dem Austausch begleitete ich die Kuratorin noch zu ihrer Wohnung, aß danach einen Imbiss und ging zurück zum Pfarrhaus. Spät abend im Bett dachte ich noch lange über das Erzählte nach.


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