Go East - Mit dem Fahrrad zu Ev. Gemeinden in Osteuropa
Go East - Mit dem Fahrrad zu Ev. Gemeinden in Osteuropa
vakantio.de/go-east-mit-dem-rad-zu-gemeinden-in-osteuropa

70. Tag - 16. Sept: Hermannstadt / Sibiu: Vielfältiges Gemeindeleben

Veröffentlicht: 18.09.2022

Heute stand ich früh auf und musste zeitig losradeln, denn ich hatte eine längere und nicht gerade einfache Wegstrecke vor mir. Tagesziel war Hermannstadt (deutsch), Sibiu (rumänisch).  Hermannstadt war früher das Zentrum der Siebenbürger Sachsen und ist somit auch ein "Muss" bei meiner Reise zu Ev. Gemeinden in Rumänien. Noch 1920 waren ca. 70 % aller Stadtbewohner Deutsche.

Auf dem Weg nach Hermannstadt hatte ich rund 75km auf der sehr dicht befahrenen E68 Europastraße vor mir. Die LKW Dichte war sehr hoch. Manchmal fuhren einige LKWs "auf Tuchfühlung" an mir vorbei und erzeugten kritische Luftverwirbelungen. Dafür führte die Strecke an der landschaftlich schönen Nordseite des Fagaras Hochgebirges entlang. Problematisch waren teilweise die Ortdurchfahrten, weil da der Seitenstreifen fehlt, auf dem ich meisten fuhr. Ebenso bei Brücken, wo ich manchmal eine Weile warten musste, um die Brücke am äußersten rechten Rand überhaupt passieren zu können. Über den Landweg wäre die Strecke rund 35km länger und ich hätte einige Berge passieren müssen. Alle 1,5 Stunden machte ich eine Pause um mich zu entspannen, denn ich musste mich die ganze Zeit bei dem dichten Verkehr voll konzentrieren. Ab und zu - wenn mal für einige Sekunden keine Autos vorbeifuhren - warf ich einen Blick auf die Gipfel des Fagaras, die aber vom Morgennebel noch umschlossen waren. 

Vor Hermannstadt war noch ein Berg mit rund 100 Höhenmetern zu überwinden und ein Stehenbleiben konnte ich mir bei dem dichten Verkehr nicht erlauben. Nach ca. fünfeinhalbstunden Stunden kam ich am frühen Nachmittag in Hermannstadt an und war froh, diese bisher schwierigste Strecke bewältigt zu haben und freute mich auf die Stadt, die 2007 europäische Kulturhauptstadt war.

Mitten im touristischen Zentrum fand ich recht schnell die große und aufwendig sanierte Ev. Stadtpfarrkirche. Vom Pfarrbüro nebenan erhielt ich ein Gästezimmer für zwei Tage. Ich ruhte mich etwas aus und kaufte dann in einem Fahrradladen einen neuen Ersatzschlauch, um bei einer erneuten Panne Ersatz zu haben. Ich schaute mir anschließend die Kirche und die touristisch geprägte Innenstadt an, denn das geplante Gespräch mit Pfarrer Dörr über das Gemeindeleben war erst vor der Abendandacht, die jeden Freitag stattfindet.

Nach der großen Abwanderungswelle in den frühen 1990 Jahren blieb die Hermannstädter Ev. Gemeinde über viele Jahre, die Mitgliederstärkste.  Nach einer Revision der Mitgliederkartei ist Hermannstadt aktuell mit etwas über 800 Mitglieder "nur noch" die zweitstärkste Gemeinde in Siebenbürgen - Brasov hat etwas mehr - für die jedoch zwei Pfarrer zuständig sind. Desweiteren gibt es noch einen hauptamtlichen Kantor.  In der Gemeinde gibt es zahlreiche aktive Gemeindegruppen.

Für die Kinder gibt es neben den Kindergottesdienst zusätzlich Kinderbibeltage und Freizeitangebote. Die Jugendlichen treffen sich regelmäßig in einem extra Haus, organisieren Sommercamps und es gibt sogar einen Jugendchor. Desweiteren gibt es verschiedene Frauen-, Helfer,- und Seniorengruppen.

Jeden Sonntag ist selbstverständlich Gottesdienst. Drei Mal wöchentlich gibt es ein Mittagsgebet in der Stadtkirche und jeden Freitag die Komplet, das Abendgebet, an dem ich teilnehmen konnte. Dazu kommen regelmäßig zwischen 5-10 Besucher.

Vor dem Abendgebet traf ich mich mit dem Pfarrer und wir unterhielten uns über die Gemeindeaktivitäten.  Er hob besonders das Straßenkinderhaus für sozial schwache Familien und die einmalige Gesellenherberge für reisende Handwerker hervor, welche die Kirchengemeinde seit über 25 Jahren führt.  Im Diakonischen Bereich gibt es auch eine "Armen-Apotheke", welche von Deutschland aus unterstützt wird.  Für Senioren gibt es "Essen auf Rädern", einen Blindenkreis und einen Diakoniehof.

Im musikalischen Bereich gibt es den Bachgemeindechor, musikalische Früherziehung und im Sommer finden regelmäßig Orgelkonzerte statt. Bei meinen Besuch konnte ich ein Orgelkonzert miterleben, zu dem rund 50 Hörer gekommen sind. Eng damit verbunden ist die Kultur- und Tourismusarbeit der Kirchengemeinde. So hat die Gemeinde das bekannte und in kommunistischer Herrschaft zwangsverstaatlichte Brukenthalmuseum zurückerhalten. Desweiteren ist die Gemeinde in der kommunalen Umweltarbeit mit verschiedenen Projekten aktiv.

Insgesamt war ich beeindruckt von der großen Fülle des attraktiven Gemeindelebens in Hermannstadt und das in einer starken Diasporasituation. Eine gut gemachte deutsprachrige Homepage rundet das positive Bild ab.

Nach dem Abendgebet schrieb ich noch etwas an meinen Bloq und plante die Weiterreise in die Walachei, nach Südrumänien. Im Bett war ich dankbar für den Schutz Gottes und Bewahrung auf meiner bisher gefährlichsten Tagesetappe.


Antworten