Veröffentlicht: 14.02.2017
Daddy, ich weiß nicht was ich tun soll. Ich kann mich noch genau an den Moment am Strand von St. Kilda erinnern, als ich meinem Daddy eine Sprachnachricht gesendet habe und ihm mein Herz ausgeschüttet habe. Vor einem halben Jahr hätte ich nie daran gedacht, meine Reise zu verlängern und mein Studium zu riskieren. Meine Pläne schienen so perfekt. Ein halbes Jahr die Welt ansehen und dann in die Karriere stürzen. Doch dann stieg ich in dieses Flugzeug und habe Menschen kennen gelernt, die mich faszinieren, Orte gesehen, die mir den Atem raubten und mich selbst kennen gelernt, wie nie zuvor. Und plötzlich fing dieser schöne Plan an zu bröckeln. Es gibt noch so viel zu sehen, so viel zu erleben, so viele Wege zu gehen. We got nothing to lose and a world to see. Und es ist wahr.
Ich habe am Lagerfeuer einen jungen Mann kennen gelernt, der in London das perfekte Leben führte: ein Haufen Kohle, eine Wohnung in der Innenstadt, eine schöne Freundin an seiner Seite. Das alles hat er aufgegeben und saß stattdessen lieber mit uns und seiner Gitarre auf dem Campingplatz. Seit einem Jahr ist er unterwegs und wenn es ihm gelingt, will er erst nach 5 Jahren Weltreise zurückkehren.
Ich bin mit einem Freund gereist, der Jahre auf seine Weltreise mit seinem Bike hingearbeitet hat und schließlich seinen Job geschmissen und sich auf sein Motorrad gesetzt hat.
Last but not least erzählte mir ein Kollege von Philipp Island letztens, dass er mit 27 Jahren an eine Ausbildung als Bäcker denkt, nachdem ihm das Backen im Restaurant hier in Australien so viel Spaß gemacht hat und er nicht zurück in die Metallindustrie will.
Boom, DAFÜR machen wir Work & Travel. Dafür reisen wir ans Ende der Welt, leben on low budget, quatschen mit fremden Menschen. Um uns selbst kennen zu lernen, um an Persönlichkeit zu wachsen. Wenn ich an all die Selbstfindungs-Seminare in der Schule denke, bei denen wir anhand von Kreuzchen setzen unsere Berufung herausfinden sollten, kann ich nur noch den Kopf schütteln. Du hast keine Ahnung wo deine Grenzen sind, wenn du nicht irgendwann einmal am Ende warst. Du kannst nicht wissen, was deine Stärken sind, wenn du nie gezwungen warst, stark zu sein. Du wirst nie wissen, zu was du in der Lage bist, wenn du Dinge nie versuchst, weil dir zuvor eingetrichtert wurde, wie es zu sein hat.
So viele Menschen haben mich nie verstanden, wie ich so ein Vorhaben wirklich wollen kann und nein, es ist oft nicht leicht. Eigentlich schaffe ich mir Probleme, die ich nicht haben müsste. Geldsorgen, die man zuvor im Hotel Mama nie hatte. Mich um jede Kleinigkeit selbst kümmern. Aber genau dabei geht es doch im Leben. Aus dieser scheiß Komfortzone herauszukommen. Eine andere Perspektive einnehmen. Seinen Horizont zu erweitern.
Seine Comfortzone zu verlassen ist mehr als nur von der Couch aufzustehen und joggen zu gehen. Es heißt sich selbst Situationen auszusetzten, wofür man sich selbst hasst. Es heißt zu struggeln, zu kämpfen und am Ende stärker daraus hervorzugehen.
Dieses Gefühl muss man einmal gehabt haben, um diesen Spruch zu verstehen, der mich so lange verfolgt hat. Life begins outside of your comfortzone.
Und dann stand ich vor der Entscheidung: Im April zurückkehren, bewerben und ab an die Uni oder meine Reise verlängern und ein weiteres Jahr dem Reisen widmen. Ich schickte also diese Nachricht ab mit der Erwartung, eine Antwort nach dem Motto “Komm heim, lern etwas gescheites, verdien' deine Kohle und zieh endlich aus“ zu erhalten.
Aber Nein. Die Antwort, die ich erhielt, trieb mir die Tränen in die Augen. Mein Daddy schickte mir eine Nachricht, in der er mich darin bestärkte, meine Träume zu verwirklichen, zu leben, an mich selbst zu glauben. Ich kann mich an den Moment erinnern, als ob es gestern gewesen wäre. Ich stand weinend und gleichzeitig mit dem breitesten Lachen im Gesicht an der Promenade und in dem Moment war meine Entscheidung tief drinnen längst gefallen.
Das alles schien so unreal in diesem Moment, einfach zu geil um wahr zu sein, und ehrlich gesagt tut es das immer noch.
Wieder verschiebe ich mein Studium um ein Jahr. Ein Jahr mehr, in dem mir viele meiner Schulkollegen 2 Semester voraus sind. Ein Jahr länger kein richtiges Geld verdienen, keinen ordentlichen Job in der Tasche. Das eigene Auto, die eigene Wohnung müssen wohl weiterhin warten.
Wenn mich jemand fragen würde - Nein, ich weiss nicht was ich da tue. Aber muss ich das denn mit 19 Jahren? Ich denke nicht. Zu viele Menschen, die nie gereist sind, bereuen ihren Weg mittlerweile. So viele junge Leute reißen sich nach ihrer Ausbildung noch einmal los um Freiheitsluft zu schnuppern.
Jetzt sind wir jung, jetzt sind wir noch frei. Viele Bekannte und Freunde meinten vor Abreise zu mir, ich sollte meine Freiheit genießen und erst jetzt erkenn' ich, wie wertvoll dieser Rat doch ist.
Ich bin frei. Ich bin unabhängig. Ich habe nichts zu verlieren. Alle Türen stehen mir offen und das wichtigste von allem: Ich habe Zeit. Zeit, mir meine Träume zu verwirklichen. Zeit, zu lachen, zu lieben, zu erleben. Irgendwann werde ich diese Zeit nicht mehr haben. Irgendwann werden mich meine Beine nicht mehr tragen wohin ich will. Irgendwann kann ich nicht einfach gehen und meine Kids im Kindergarten übernachten lassen.
Jetzt ist diese Zeit. Dieser Moment ist das Leben und das Leben sollte man nicht auf später verschieben.
Tut mir einen Gefallen und macht aus einem Irgendwann ein Jetzt, bevor daraus ein Nie wird. Wenn euch etwas fasziniert, macht es. Drauf geschissen, wie es ausgeht. Am Ende wirds ein Erfolg oder eine Lehre. Aus beidem geht ihr größer hervor. Lasst euch nicht sagen was geht oder nicht. Das sind die Grenzen derer, die euch das versuchen einzureden, nicht eure. Nutzt jede Chance, nehmt die Herausforderung an. Wagt das Abenteuer und seid mutig.
Glaubt an euch, ihr könnt alles schaffen.
See you later alligator,
eure Abenteuerin
Die Fotos entstanden übrigens an meinem freien Tag bei den "Nobbies". Die eineinhalb Stunden hin und zurück auf meinem Bike waren dieses Naturspektakel auf jeden Fall wert. Trotz dem unfassbaren Wind verbrachte ich dort eine Stunde und sah den Wellen dabei zu, wie sie im Meer gegeneinander kämpften um schließlich gegen einen der Felsen zu klatschen. Der Wahnsinn!
Philipp Island ist im Großen und Ganzen nur für seine Pinguin Parade bekannt und ansonsten als wenig sehenswert verhöhnt, was ich in keinster Weise verstehen kann. Leute, macht die Augen auf und Willkommen im Paradies!