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Open minded hin oder her

Veröffentlicht: 19.04.2018

Mit Vietnam begann für mich eines der spannendsten Kapitel meiner Reise und Hanoi war der perfekte schockierende und verwirrende Einstieg, der einen dazu bringt, das Buch doch nicht wegzulegen.

Der Norden Vietnams begrüßte mich mit Temperaturen, für die der deutsche 0815 - Backpacker nicht ausgerüstet ist: Nachts fielen die Temperaturen unter 10 Grad und erst nach drei Wochen gab ich nach und investierte zehn Euro in eine erste Klasse Adidas Jacke, die übrigens noch heute mein täglicher Begleiter ist. 

Nachdem mir der Herr von der Passkontrolle nach ein paar endlosen Minuten den Stempel in den Reisepass geknallt hatte und mich mürrisch durchgewunken hatte, fiel mir die erste Last vom Herzen. Die Internetseite der vietnamesischen Regierung hatte mich eher an die Seite eines Billigdiscounter erinnert und ich konnte es erst glauben als ich den Flughafen verließ. Das war tatsächlich ein Visum.

Ich stapfte aus dem Flughafen und lief sofort einem Taxifahrer in die Arme. Was soll ich sagen, hundemüde stieg ich in das wenig offiziell wirkende Taxi und lotste meinen Fahrer zu der neuen Unterkunft. Nach einer Stunde erreichten wir das Gebäude, ein riesiges, heruntergekommenes Hochhaus. Geil. Kurz bevor ich ausstieg verwandelte sich mein freundlicher Taxifahrer von zuvor in ein dermaßen aggressives Arschloch, dass ich am Ende doppelt so viel für die Fahrt zahlte als üblich. Fix und fertig machte ich mich auf die Suche nach dem Eingang, vorbei an zwei Ratten und fuhr nach oben in den 26. Stock. Durch den dunklen Flur fand ich endlich die Wohnung Nummer 1. Völlig durcheinander klopfte ich. Eine Gruppe von vietnamesischen Gesichtern fing an zu strahlen und zog mich in ihre Arme. Sie boten mir Essen an und ließen mich in ihrem Bett schlafen. All der Ballast und die Aufregung der letzten Stunden fiel mit einem mal von mir ab. Egal wie ekelhaft dieser Ort auch war, hier war ich herzlich willkommen. 

In den nächsten Tagen lernte ich vietnamesische Organisation von seiner besten Seite kennen. Mein Ankunftstermin bei 'Mercury', der Sprachschule für die ich während der nächsten zwei Wochen Unterricht gegen Unterkunft und Verpflegung geben werde stand seit Monaten fest. Trotzdem hatte niemand einen Schimmer dass ich an diesem Abend ankam. Ich hatte kein Bett, war nicht im Stundenplan. Für den Rest der Woche war ich blinder Passagier. 

Zwei Wohnungen gehörten zu der Organisation. Zwei Wohnungen für rund 5 Vietnamesen und 12 Freiwilligenhelfer. Wir schliefen zusammen in steinharten Betten, umgeben vom unaufhörlichen Lärm der 8 spurigen Straße nebenan. Warmes Wasser war einem nicht oft vergönnt, morgens saßen Schaben im Waschbecken und das Bad roch unübertrieben wie eine öffentliche Toilette. Einzig und allein der Balkon war mein Plätzchen in diesem Heckmeck.


Meine ersten Tage in Hanoi wollte ich nutzen um mir die Stadt anzusehen, doch bereits den ersten Tag verbrachte ich auf unserem Balkon. Diese Stadt war so grau, laut, undurchschaubar. Hanoi war die erste Stadt die mir nicht geheuer war. 

An meinem zweiten Tag erkundete ich unsere Umgebung, etwa 12 km vom Stadtzentrum entfernt. Die erste Herausforderung bestand darin, die Straße zu überqueren. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich würde zuhause niemals über eine Autobahn spazieren und genau das wurde mir ab nun jeden Tag abverlangt. Die ersten Tage hatte ich schweißnasse Hände, irgendwann ging ich nur noch drauf los. Leben am Limit.

Die zweite Challenge an diesem Tag waren die Blicke. Blicke die dich durchbohren, Finger die auf dich zeigen, Gruppen von Männern die sich gegenseitig anrempeln und auf dich deuten. 


Ich behaupte ich bin ein sehr offener Mensch. Wohin ich gehe versuche ich durch die Augen der Menschen zu sehen, die dort leben. Mich zu informieren und neue Perspektiven einzunehmen, bevor ich urteile. Und auch Hanoi konnte mich nicht davon abhalten durch jede Gasse zu streifen und die hintersten Winkel dieser Stadt zu entdecken. 

Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass mich dieser Ort nicht hier haben wollte. Selbst nach zwei Wochen, als ich die Blicke ignorieren, die vietnamesischen Speisekarten etwas entziffern und Orientierungspunkte gefunden hatte, fühlte ich mich nicht wohl. Und jeden Abend ging es zurück in diese trostlose Wohnung.  Jeden Tag aßen wir Reis mit gekochtem Fleisch und Wasserspinat. Ich zählte die Tage bis ich hier wegkam. Open minded hin oder her, manche Fleckchen Erde meinen es gut mit dir, andere wollen dich los werden. So sehr ich mich bemühte, irgendwann musste ich einsehen, dass ich gewisse Menschen allein mit einer offenen Art nie erreichen würde. Dass kulturelle, sprachliche und Wohlstandsunterschiede sich manchmal nicht so einfach überbrücken lassen. Das war der erste Moment auf meiner Reise, in dem mir bewusst wurde, dass Veränderungen Zeit brauchen und man selbst als dahergelaufener Backpacker an einem gewissen Punkt akzeptieren muss, dass bestimmte Brücken bisher noch nicht geschlagen wurden. Und das ist okay. Für mich war das okay.


Ich wollte Hanoi trotzdem kennen lernen und Mercury gab mir die Chance dazu. Zwei Wochen lang gab ich Vietnamesen jeden Alters Englisch Unterricht und bekam so die Möglichkeiten, in deren Leben einzutauchen und siehe da, es sind Menschen wie du und ich. Junge Menschen die sich um ihre Zukunft sorgen, Mütter die sich um ihre Kinder kümmern , Männer die von ihrer Arbeit erzählen. Uns unterschieden so viele Dinge, und doch hatten wir alle die gleichen Probleme. Mit den Menschen offen zu reden, Fragen zu stellen, zusammen zu lachen und zu diskutieren öffnete uns allen die Augen und ließ uns alle zusammenzurücken.


Und plötzlich ging ich durch diese Straßen und konnte die verstohlenen Blicke verstehen. Kaum einer dieser Menschen war jemals im Ausland gewesen. Kaum ein Tourist verirrte sich in dieses Stadtviertel. Ich konnte unsere Mahlzeiten schätzen. Den Reis, der satt macht und das Fleisch, von dem wirklich jedes essbare Teil verwertet wird. Langsam konnte ich auch Hanoi mit anderen Augen sehen.

Ich ging mit einer meiner 'Schülerinnen' essen, machte Ausflüge mit meinen Kollegen, wir betranken uns mit fremden Vietnamesen zum Fußballspiel und aßen abends zusammen wie eine Familie. 

Hanoi war bestimmt kein schöner Ort doch was haben wir hier wieder Grenzen überschritten, gefeiert, sind neue Wege gegangen, haben gelebt, jeden Tag.


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