Veröffentlicht: 16.09.2024
Persönlicher Logbucheintrag vom Wohnschiff Betty HH-VX 717: Wir schreiben das Jahr 2024, 23. August, 11.40 Uhr.
Es ist wieder an der Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Östlich der eher unbekannten Regionen Asturien und Kantabrien beginnt das (spanische) Baskenland, dass zusammen mit Galicien allgemein als "Nordspanien" wahrgenommen wird. Das Baskenland (baskisch "Euskadi") hat immerhin 2,2 Mio. Einwohner und ist ca. halb so groß wie unser Vergleichsmaßstab Schleswig-Holstein. Das Baskenland hat eine bewegte Geschichte hinter sich, Stichworte Unabhängigkeit und ETA. Uns fallen unterwegs die vielen (baskischen) Flaggen, politischen Graffitis und Parolen an Häusern und Mauern auf. Das Baskenland hat auch eine eigene Sprache, die einzigartig auf der Welt und für Dritte völlig unverständlich ist. Auch Ortsnamen wie Otxarkoaga machen die Navigation nicht einfacher. Die Hauptstadt des Baskenlandes ist Bilbao. Bilbao liegt gleich hinter der Grenze zu Kantabrien und ist auch unser erstes Ziel.
Morgens versuchen wir nach dem Aufbruch aus Santona (siehe Blog Kantabrien) einen Parkplatz an einem der vielen baskischen Strände vor Bilbao zu finden, aber es ist alles sooooo eng und zugeparkt, dass wir schon fast verzweifeln. Wir verbringen die Mittagszeit dann auf einem einsamen Wanderparkplatz mit fantastischem Blick über den Atlantik, aber ohne Möglichkeit ans Wasser zu kommen (ausser im freien Fall). Auf der Küstenautobahn geht es dann weiter nach Bilbao. Bilbao gilt laut Internet als schwieriges Pflaster für Wohnmobile. Etwas vereinfacht: Entweder ist das Parken und Übernachten verboten oder es wird einem das Auto ausgeräumt... Wir haben aber auf unserer Reise schon öfters die Erfahrung gemacht, dass Internet und Realität vor Ort durchaus unterschiedlich sein können. Da wir nicht direkt in der Stadt unser Glück versuchen wollen, überqueren wir den Rio de Nervion, lassen Bilbao rechts liegen und tasten uns über die Vororte in Richtung Küste, die ca. 15 km vom Stadtzentrum entfernt liegt. Relativ zufällig stoßen wir in Areeta, einem mondänen Strandbad vor den Toren Bilbaos auf eine der Top-Sehenswürdigkeiten, die Puente de Viscaya. Die Biskaya-Brücke ist eine Schwebefähre über den Rio de Nervion für Fußgänger und Fahrzeuge, die 1893 in Betrieb genommen wurde und damit die älteste Schwebefähre der Welt (und UNESCO-Weltkulturerbe) ist. Wir parken ganz entspannt in der Nähe, nachdem Polizisten uns bei einer Verkehrskontrolle (wir waren unschuldig) ganz freundlich darauf hingewiesen haben, dass Parken um diese Uhrzeit bei einem blau markierten Parkplatz nichts kostet. In der Abendsonne sieht die rot-braune Brücke im "Eiffelturm"-Stil besonders malerisch aus. Nach etwas Suche finden wir dann hinter dem Küstenort Getxo einen Parkplatz hoch auf den Klippen an der Mündung des Rio de Bilbao (immer der gleiche Fluss, nur andere Bezeichnungen). Hier stehen auch einige andere (einheimische) Camper, die Atmosphäre ist locker und entspannt und alle genießen zusammen den traumhaften Sonnenuntergang über dem Atlantik.
Am nächsten Morgen fahren wir mit Betty ein paar Kilometer dichter an das Stadtzentrum heran, parken kostenlos an der Kaimauer von Getxo und fahren mit den Rädern nach Bilbao rein. Über 10 km geht es weitgehend auf einem Radweg immer am Fluss entlang. Tolle Altstadt- und Neubauviertel a la Hafencity wechseln sich mit mit desolaten Industriebrachen ab. In Bilbao angekommen begrüßt einen DAS Wahrzeichen von Bilbao, das Guggenheim-Museum am Fluss! Das von Frank O. Gehry im sogenanten dekonstruktivistischem Stil gezeichnete Gebäude von 1997 ist mit 42.000 Titanplatten verkleidet und von außen (und innen) ein absoluter Hingucker! Im Museum gefällt uns besonders die Pop-Art Ausstellung mit Werken von z.B. Andy Warhol, Jeff Koons und Roy Lichtenstein. Unglaublich beeindruckend auch die begehbare Installation aus 7 monumentalen Stahlskulpturen von Serra, das zu diesem Zeitpunkt mit 20 Mio. € das teuerste und mit gut 1.000 t Gewicht wohl auch schwerste Auftragswerk, das je für ein Museum entwickelt wurde. Insgesamt ein absolutes Highlight auf unserer Reise und ein must-see für jeden, der Nordspanien besucht! Bemerkenswert ist auch, dass das 1997 eingeweihte Museum mit jährlich rund 1. Mio. Besuchern eine ganze Stadt nach dem Niedergang der Schwer- und Werftindustrie in den 70er und 80er Jahren wiederbelebt hat. Mittlerweile spricht man übrigens vom "Bilbao-Effekt", den solche Projekte auf Städte und Regionen haben können.
Am nächsten Tag ist klassisches Sightseeing in Bilbao angesagt. Wir fahren mit der Vorortbahn in das Stadtzentrum und lassen uns treiben. Zufällig ist gerade die große Fiesta-Woche, die Aste Nagusia, und in den Straßen tobt das Leben. Fast alle Besucher (außer uns) tragen ein blau-weißes Halstuch. In den engen Gassen wird musiziert, gesungen und auch viel getrunken. Leider ist das Wetter atlantisch wechselhaft und langsam ziehen Wolken mit Wind und Nieselregen vom Meer in die Stadt. Wir ziehen uns in die historische Markthalle (Erriberako Merkatua) zurück, wo man für relativ wenig Geld die Tapas des Baskenlands zu sich nehmen kann, die hier Pintxos heißen. Sehr lecker, insbesondere zusammen mit einer kleinen Cerveza. Die Cerveza möchte natürlich irgendwann weggebracht werden und wir beide besuchen noch das WC der Markthalle. Als ich das WC betrete bin ich alleine, außer einem Mann am Waschbecken. Dieser dreht sich um, zieht energisch die Schiebetür zum Außenbereich zu, wendet sich mir zu und greift mich massiv an. Ein Blick reicht, um zu erkennen, dass es sich um einen aggressiven Junkie handelt, der offenbar Geld oder Wertsachen von mir möchte. Instinktiv handele ich offenbar richtig (wie ich später im Internet nachlese). Ich hebe die Hände, Handflächen nach außen, nehme eine stabile Position ein und wehre ihn ab, während ich gleichzeitig laut "Policia, Policia" rufe. Nach einigen Augenblicken lässt er von mir ab und ich kann schnell aus dem WC entwischen. Was für ein (unverhoffter) Schreck und das bisher mit Abstand negativste Ereignis auf unserer Reise in Bezug auf Sicherheit. Wir wandern weiter durch die Altstadt Bilbaos, aber im Nieselregen und nach diesem Ereignis mag sich kein Sightseeing Feeling mehr einstellen. Wir freuen uns, am frühen Abend wieder zurück auf unserem Stelllplatz an der Küste in Gemeinschaft anderer freundlicher Camper zu sein. Trotzdem muss betont werden, dass Bilbao absolut eine Reise wert ist und dieses blöde Ereignis auch in jeder anderen Großstadt hätte passieren können!
OK, raus aus der "Großstadt" und rein in die Natur. Zumindest an der Küste des Baskenlandes nicht so einfach. Wir versuchen in Bakio östlich von Bilbao einen Park- oder Stellplatz am Wasser zu finden, but no chance (es ist natürlich auch Hochsaison), auch in der Umgebung nicht! Schade, denn am Strand von Bakio läuft eine schöne Welle. Die Park-4-Night App weist uns auf einen "Notplatz" hin, dies ist ein Parkplatz an der Landstraße an einem Mirador mit Blick auf den Atlantik. Dort angekommen, bekommen wir so ziemlich den letzten Platz, während wenige Meter entfernt, Autos, Busse und vor allem Motorräder vorbei donnern. Aber der Blick vom Mirador ist der Hammer und nachts gibt es so gut wie keinen Fahrzeugverkehr, wie wir morgens nach einer ruhigen Nacht feststellen. Unweit des Miradors befindet sich, auf einer Halbinsel gelegen, die Kapelle San Juan de Gaztelugatxe. Eine verschlungene Treppe führt vom Festland auf einem schmalen Weg auf die Halbinsel mit der Kapelle. Das ganze ist so malerisch, mystisch und fotogen, dass die Halbinsel Drehort für den Serienhit "Game of Thrones" war! Aufgrund des enormen touristischen Andrangs ist der Zutritt allerdings begrenzt und mit viel Glück hatten wir am Vorabend die letzten beiden (kostenlosen) Zugangstickets für den heute ergattert. Normalerweise sind die Tickets in der Hochsaison über Wochen ausgebucht. Auch hier nehmen die Spanier kein Geld, wie netterweise für ganz viele Attraktionen des Landes auch. In den USA hätte der Eintritt bestimmt 50 US $ Minimum gekostet...
Nach der Besichtigung von San Juan de Gaztelugatxe steuern wir Mundaka an. Mundaka ist unter Wellenreitern weltweit für seine hohl brechenden Wellen ("Barrels") bekannt, die an der Mündung des Flusses Mundakako brechen (natürlich im Winterhalbjahr). Der Ort ist sooo eng, dass wir mit unserer 7,20m Betty nullkommanull Chancen auf einen Parkplatz haben. Kurzerhand steuern wir das nahe gelegene Bermeo an, satteln unsere Bikes und erkunden Mundaka. Obwohl es sich um einen Weltklassesurfspot handelt, gibt es im Ort erstaunlich wenig Surfervibes (nur ein einsames Surfgeschäft) und wie gesagt faktisch keine Parkplätze. Draußen läuft auch nur eine Mikrowelle, von einigen wenigen Surfern besetzt, aber das Potential des Spots ist erkennbar. Zurück in Bermeo holen wir uns im Take-away eine Riesenpizza und verspeisen diese im Van, den wir wir für die Nacht unauffällig in einem Wohngebiet geparkt haben.
Im Inland, nur wenige Kilometer von Bermeo und Mundaka entfernt, liegt Gernika, in Deutschland mehr unter der kastillischen Schreibweise als Guernica bekannt. Ganz früh am Morgen steuern wir die noch verschlafene Stadt an. Gernika ist ein Ort, der seit Jahrhunderten als heilige Stadt der Basken gilt. Genau aus diesem Grund flogen am 26. April 1937 während des spanischen Bürgerkriegs inoffizielle italienische und deutsche Luftwaffeeinheiten ("Legion Condor") zur Unterstützung von General Franco einen verheerenden Bombenangriff auf Gernika. Bei den stundenlangen Angriffen auf die wehrlose Stadt kamen mehrere hundert Menschen ums Leben und die Stadt wurde fast vollständig zerstört. Pablo Picasso hat das Grauen dieses Angriffes 1938 in seinem weltberühmten Gemälde "Guernica" festgehalten. Wir besichtigen die Stadt, sehen die verschiedenen Denkmäler und besuchen das unglaublich intensiv gestaltete Friedensmuseum, dass neben der Aufarbeitung des Angriffes auch Wege zum Frieden aufzeigen soll. Leider werden solche Museen nicht von den Menschen besucht, die es eigentlich nötig haben... Übrigens hat sich erst 1997 der Bundespräsident Roman Herzog im Namen Deutschlands für die Beteiligung beim Angriff entschuldigt. Tief beindruckt verlassen wir Gernika.
Wir verbringen die nächste Nacht auf einem Holzlagerplatz - den wir ganz zufällig beim Vorbeifahren entdecken - einer kleinen Landstraße mit perfektem Blick auf den Atlantik. Sogar Baden ist möglich, wenn man einen rudimentären Forstweg zum Wasser runter geht. Den nächsten Tag verbringen wir in der Küstenstadt Ondarroa, wo wir mit Mühe und Not einen semioffiziellen, schattigen und feuchten Parkplatz unter Bäumen neben dem Campingplatz finden. Übernachten wollen wir hier nicht, aber die Stadt ist sehenswert und hat einen tollen Strand. Am Binnenhafen ragt ein ca. 10 m langer blau-rot angestrichener Holzpfahl schräg übers Wasser. Gewinner ist, wer am längsten auf dem Holzpfahl übers Wasser laufen kann, bis er reinfällt. Ob das hier Volkssport ist und der Stamm auch noch mit Fett eingeschmiert wird, haben wir nicht rausbekommen. Hier am Hafen sehen auch das erste Mal die baskische Fahne flattern, die bis auf die Farben große Ähnlichkeit mit der Flagge des United Kingdom hat. Frühabends fahren wir weiter nach Getaria. Dort bekommen wir auf dem offiziellen Wohnmobilstellplatz der Stadt noch einen Platz. Der ist zwar laut gelegen, aber in allerbester Strandlage. In der Bucht läuft noch eine nette Welle, die ich für eine kleine Surfsession ausnutze. Der Fischerort Getaria, zwischen zwei Stränden gelegen, gilt als einer der hübschesten Dörfer des Baskenlands, was wir nach einem Abendspaziergang durch die Altstadt nur bestätigen können. Der Morgenspaziergang zum Leuchtturm fällt dem aufkommenden Nieselregen zum Opfer, das Atlantikwetter ist halt unberechenbar. Im Regen fahren wir durch den Badeort Zarautz, unter Surfern auch sehr bekannt. Auch hier ist Parken mal wieder eine Katastrophe und der Wohnmobilstellplatz an der Küstenautobahn im Gewerbegebiet eine Zumutung. Wir fahren weiter in Richtung San Sebastian.
San Sebastian ist die letzte größere Stadt vor der französischen Grenze und entspricht vom Ambiente Städten wie Biarritz oder Nizza. Taktisch klug steuern wir den offiziellen Wohnmobilstellplatz am Vormittag und bei leichten Regen an. Beide Faktoren sorgen dafür, dass wir ganz easy einen Stellplatz bekommen, der auch noch günstiger als ein kostenpflichtiger Parkplatz im Stadtgebiet ist. Mit dem Bus fahren wir die kurze Strecke in die Stadt herein. Während der Fahrt "kümmert" sich eine ältere, adrett gekleidete Dame rührend um uns und bedeutet uns mit Nachdruck, wo wir denn auszusteigen hätten. Wir wollten eigentlich etwas weiter fahren, werden aber "gezwungen" an der Luxus-Shoppingmeile auszusteigen. Na ja, einmal kurz geguckt und dann ab an die Surferbucht Zurriolako Hondartza (ja, so heißt sie wirklich auf baskisch). San Sebastian gefällt uns sehr gut. Die Stadt hat wunderschöne Häuser im Jugendstil, eine kilometerlange Strandpromenade und zwei riesige Badebuchten, die von einer hügeligen, grünen Halbinsel getrennt werden auf der das Castilio De La Mota thront. Am linken Ende der Bucht stehen die drei Stahlskulpturen "Kamm des Windes" des Künstlers Eduardo Chillida. Wir wollen Selfies machen, aber ein netter, älterer Herr - offensichtlich Stammgast hier - übernimmt das Fotografieren und sagt uns ganz genau, wo wir uns optimal hinstellen müssen. Bei einer weiteren Installation wird bei Wellengang Luft durch unterirdische Gänge gedrückt, die aus Löchern in der Promenade pfeifend und mit viel Druck geschossen kommt. Ein riesiger Spaß, vor allem für die vielen Kinder.
Am nächsten Tag satteln wir die Bikes und wollen San Sebastian und Umgebung erkunden. Die Stadt ist sehr fahrradfreundlich, wie sehr oft in Spanien gibt es separate Fahrspuren für Fahrräder. Im Surfercafe "The Simpson´s" tanken wir Energie, bevor wir in die umliegenden Hügel aufbrechen wollen. Das wird jedoch schwierig. Auf den westlichen Hügel Monte Ulia finden wir partout keinen Weg, der aus der Stadt mit dem Bike befahrbar ist. Nachdem wir uns dann einige Höhenmeter auf den östlichen Hügel Monte Igueldo hochgearbeitet haben, stehen wir vor einer Schranke mit Kasse. Der Hügel ist Privatbesitz und das Betreten kostet Geld, egal ob mit Auto oder Rad angereist. Wir verzichten dankend! Trotzdem eine tolle Tour bei der wir einen schönen Überblick über diese sehr lebenswerte Stadt gewonnen haben. Abends gönnen wir uns noch eine heiße Dusche. Unterhalb der Strandpromenade gibt es gepflegte Sanitäranlagen mit üppig besetzter Aufsicht (alles kostenlos, wenn man Trinkgeld hinlegt wird das Personal ganz verlegen) und heiße Duschen, für die man € 1,60 bezahlt. Ein toller Service!
Nach 6 Wochen am 31. August geht unsere Reise entlang der nordspanischen Küste zu Ende. Wir brechen aus San Sebastian auf und wollen unbedingt noch die letzten Kilometer spanische Küste bis zur französischen Grenze "abhaken". Bei Irun überqueren wir die Grenze. Hier in Irun waren wir schon einmal, 1984 als Zwischenstopp aus unserer Interrail Tour nach Marokko. Die nächste Stadt in Frankreich ist Hendaye. Für eine Grenzstadt macht sie einen sehenswerten Eindruck. Mit etwas Glück finden wir einen Top Parkplatz direkt an der Strandpromenade, nur wenige Meter vom Wasser entfernt. Die Sonne scheint, das Wasser ist warm und Wellen zum Wellenreiten gibt es auch. Ein schöner Abschluss! Nachdem wir viele, viele Monate fast nur am Atlantik verbracht haben, biegen wir jetzt in Richtung Pyrenäen und Mittelmeer und final Marokko ab. Ein neuer Abschnitt unserer Reise beginnt!
Fazit Baskenland: Ein eindrucksvoller Mix aus beeindruckenden Landschaften, stolzen Einwohnern, spannender Geschichte, tollen Städten und Sehnsuchtsziel für Surfer. Im Hochsommer allerdings sehr überfüllt und schwieriger Zugang zu den Stränden.
On the road: 222 Tage
Insgesamt zurückgelegte Strecke: 12.070 km
FORTSETZUNG FOLGT