Veröffentlicht: 16.07.2020
So traumhaft unser Zeltplatz auch lag, war es doch bitterkalt da oben. Und so mümmelte ich mich frühmorgens leicht fröstelnd aus dem Schlafsack in froher Erwartung der ersten Sonnenstrahlen, die uns bald erreichen sollten. Etwas mulmig drehten sich meine Gedanken schon um die Herausforderungen, die uns dieser Tag zu bieten haben würde. Zu dem Pass, den wir erreichen wollten, hatte ich kaum Informationen. Weder wie man da hoch kommt, noch ob der Trail mit unserem Gepäck danach fahrbar sein würde. Plan B wäre es, das Radel wieder komplett runter zum Albulapass zu schieben.
Da Plan B aber keine wirkliche Alternative werden sollte, stopften wir uns erstmal mit einer ordentlichen Portion Porridge voll, verabschiedeten uns von dem Trio Infernale, das uns aus sicherer Entfernung schon wieder lüstern beobachtete und schulterten unsere Bikes. Vor uns lag eine steile Rampe, die sich wie eine Wand vor uns erhob und dann auch noch irgendwie unspezifisch in steilen Felswänden endete. Da hochzuschieben war schweißtreibend und in dem lockeren Geröll etwas wackelig, aber noch ganz gut machbar. Doch dann kam die erste Felswand, und der Weg steilte sich nochmals auf und führte über mehrere Felsstufe weiter nach oben. Es half alles nichts, wir mussten absatteln, und die verbliebenen 200 Höhenmeter zweimal hoch - erst mit dem Gepäck, und dann nochmal mit dem Radel. Über Felsen, durch wegloses Gelände und über Schneefelder. Bis wir endlich bei 2900 Meter oben auf dem Pass standen. Ziemlich erschöpft, aber belohnt mit einem fantastischen Blick über den gesamten Parc Ela, dem größten Naturpark der Schweiz.
Der Trail, der uns nach Preda führen sollte, war dann glücklicherweise tatsächlich fahrbar und übertraf unsere Erwartungen sogar bei Weitem. Erst zog sich eine Linie durch einen riesigen Hang mit lockerem Schiefergestein. Nicht einfach zu fahren, balancierten wir uns irgendwie durch eine karge Landschaft wie von einem anderen Stern. Auch das Material wurde dabei hart auf die Probe gestellt, mit Speichenbruch durch Steinschlag und plattem Reifen. Danach mündeten wir in einen wunderbar angelegten Pfad, der uns in sanften Kurven inmitten mächtiger Felswände durch eine menschenleere Wildnis bis zu einer kleinen Alm führte. Den krönenden Abschluss bildete ein flowig leichter Wiesentrail der sich in engen Spitzkehren schier endlos bis nach Preda schlängelte. Dann hatte uns die Zivilisation leider wieder.
Nach einer kurzen Abfahrt auf Teer kamen wir am späten Mittag ins urige Bergün, wesentlich später als erwartet und auch schon etwas angeschlagen. Unangenehmerweise stand uns der Hauptanstieg des Tages erst noch bevor. Über 1200 Höhenmeter ging es wieder bergauf bis zum Fuße des Piz Kesch, dem Höchsten in den Albula-Alpen. Da der Weg als Bike-Route ausgeschrieben war, blieben uns aber die schon befürchteten, weiteren Tragepassagen erspart, und mit etwas fröhlichem Schieben erreichten wir mit der Keschhütte den Scheitelpunkt zu einem abgelegenen Hochtal, in dem wir unser Lager inmitten einer baumlosen Tundra-Landschaft, die an Norwegen erinnerte, aufbauten.
Erfreulicherweise war somit nach diesen zwei Tagen klar, dass der Hans seine Feuertaufe beim Bikepacking mit Bravour bestanden hat. Jetzt konnte da eigentlich nicht mehr viel schiefgehen, die nächsten Tage sollten eher wieder etwas entspannter werden.