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Etappe 7 - In den Bergen

Veröffentlicht: 19.09.2021

Erst ein Telefonat mit den Vorbesitzern der Zimtschnecke erklärt das Problem und löst unsere Sorge - das Piepen kommt von einem überempfindlichen Sensor, neben der Batterie, der es nicht mag, wenn Nudeln gekocht werden. Chris liebt Nudeln, aber wir werden in Zukunft alle Fenster aufreißen, wenn Spaghetti (oder Reis mit Mais) auf dem Speiseplan stehen. Das Piepen wird dann zum Glück für den Rest der Reise auch nicht mehr wiederkommen.

Wir fahren eine wunderschöne Bergstraße entlang, leider ein paar unbeliebte Tunnel, dafür aber auch süße kleine Örtchen, die wir passieren. Schließlich halten wir in einem davon - der tägliche Appetit auf Kaffee und Zimtschnecken (also die zum Essen) ruft. Wir kehren in eine schöne kleine Bäckerei ein, in der eine Mutter mit ihren beiden Töchtern frisches Brot, großartigen Kuchen und Kaffee anbietet. Im Sonnenschein sitzen wir auf der Terrasse und schauen auf den Fjord.

Das Schönste an diesem zauberhaften Ort, Aurland, ist jedoch ein kleiner Kunstladen, der sich direkt unter dem Café befindet und uns mit hübschem Schmuck im Schaufenster lockt. Zauberhaft gefertigter Schmuck, bestehend aus kleinen Blüten und Gräsern die hier wachsen, eingeschlossenen in Glas. Diese kleinen Kunstwerke werden hier von einer jungen, sehr sympathischen Frau gefertigt. Wir kommen mit ihr ins Gespräch und abgesehen von der hübschen Kette, die mir Chris aussucht und schenkt, finden wir noch ein paar andere Kleinigkeiten. Denisa, so heißt die Künstlerin, erzählt dass sie erst Dank Corona und einer Kündigung den Impuls hatte, sich einfach mit ihrem Hobby selbständig zu machen. Sie kommt ursprünglich aus der Slowakei und lebt hier nun mit ihrem Freund, der ihr, so wie alle anderen auch, die Idee mit der Selbständigkeit und dem Laden ausreden wollte. Einzig ihre Mama hätte an sie geglaubt und ihr Mut gemacht. Sie schickt ihr dann auch die hübschen selbst genähten Taschen, die Denisa im Laden verkauft. Auch an mich eine. Denisa sagt, man müsse seiner Intuition folgen und einfach machen, was sich richtig anfühlt. Das könnten andere Außenstehende manchmal gar nicht beurteilen und natürlich wolle sie das auch nicht den Rest ihres Lebens tun. Aber es passe eben jetzt für sie und wird ein Baustein auf ihrem Weg. Darauf vertraue sie und sei sehr glücklich und im Reinen mit sich. Ich freue mich über unsere Verbindung im Geiste und schließlich laufe ich nach dem Abschied doch noch einmal zurück, kaufe noch etwas und mache ein Foto von ihr. Sie pflanzt viel Freude und Bewunderung in mir und die Kette, die mir Chris schenkt, wird mich auch daran erinnern.

Wir fahren weiter, immerzu eine wunderschöne Landschaft zu unserer Linken. Türkis leuchtet das Wasser des Fjords und der Himmel ist stahlblau. Dazwischen die hohen grauen Felsen. Wir können uns nicht sattsehen. An einem speziellen Aussichtspunkt halten wir fürs hundertste Foto - und sehen Stefan, den Belgier, und seine Begleitung. Er sieht uns auch und winkt fröhlich. Die beiden machen sich offenkundig gerade auf den Weg für eine Wanderung. Wandern… stimmt, das wollten wir auch machen. Wirklich bewegt haben wir uns (abgesehen natürlich von Chris´ stahlhartem Schwimmtraining im Fjord) bisher noch nicht viel.

Umso mehr bewegen sich unsere Reifen. Und dies nicht ohne Folgen. Nachdem wir uns Kilometer für Kilometer die teilweise sehr engen Bergstraßen hochgearbeitet haben (teilweise ist die Straße so eng, dass wir langsam wieder zurückrollen müssen, wenn uns Autos entgegenkommen), müssen wir auf der anderen Seite der beeindruckenden Hochebene ja auch wieder runter. Unsere Zimtschnecke ist nicht so langsam als vielmehr schwer. Und so beginnen unsere Bremsen trotz Motorbremse, also Fahren im 2. Gang, zu qualmen und zu riechen. Chris hält immer mal wieder an, nicht nur wegen der Schafe, die genüsslich und ohne Eile im Weg liegen und nur ungern Platz machen. Das wäre schön blöd, wenn uns hier die Bremsen kaputt gehen.

Ein größerer, rauschender Wasserlauf im Dickicht, den der Reiseführer lobend als Wasserfall erwähnt, kommt uns da gerade recht. Wir parken und wandern dort hin. Nicht ohne von den zwei verschiedenen anderen Reisegruppen, die wohl den gleichen Reiseführer haben, genervt zu sein. Naja, immerhin erhalten unsere Bremsen so eine halbe Stunde Verschnaufpause.

Bei der Weiterfahrt begeht die Beifahrerin einen großen Fehler und wir landen auf der „falschen“ Route. Diese ist zwar kürzer, führt jedoch durch sehr unwegsames, eher privat anmutendes Gelände. Für mich führen halt alle Wege nach Rom. Da dieser Weg jedoch noch steiler als die normale Straße ist, ist dies nicht unbedingt im Sinne von Fahrer und Wagen. Aber unser Gaul, äh unsere Schnecke, lässt uns nicht im Stich und besticht durch Zuverlässigkeit. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir dann endlich auch mal die Stabkirche von Borgund. Nochmal - sie ist das älteste Holzgebäude Europas!


 Und sieht supergruselig aus. Zum Glück sind wir zu spät und sie hat nicht mehr offen, ebenso wenig wie der angeschlossene Friedhof. Natürlich sind wir beeindruckt von der offensichtlichen Beständigkeit der Bauweise und der verwandten Materialien - Holz..

Als wir endlich auf dem Campingplatz Bøflaten in Vang ankommen, sind wir müde und hungrig. Der Chef des Geländes ist ein echter norwegischer Wikinger. Nachdem ich ihn schon von unterwegs aus dreimal angerufen und um die Reservierung des schönsten Stellplatzes gebeten habe (beim ersten Anruf. Beim zweiten und dritten, habe ich unsere Verspätung angekündigt), empfängt er uns entsprechend schmunzelnd. Der ganze Campingplatz ist nämlich frei und wir können uns die schönste Stelle aussuchen. Natürlich am See, natürlich neben einem Baum mit zwei ineinander verschlungenen Stämmen und natürlich so weit wie möglich weg von Menschen.

Wir sind happy und beschließen, dass wir mal einen Tag Ruhe brauchen. „Mal nicht fahren und weitermüssen, mal einfach da sein.“ Mit diesem Wissen kocht es sich gleich viel entspannter Abendessen in der platzeigenen geräumigen und gut ausgestatteten Küche. Dass ich mich nicht um ein Gespräch mit dem sympathischen Pärchen, das hier auch kocht, bemühe, bereue ich, als ich sehe, dass sie Rotwein trinken. Ich habe auch solchen Appetit auf Rotwein, aber außer Bier gibt es ja nichts im Supermarkt zu kaufen. Die Mühe, extra in eines der staatlichen Alkoholgeschäfte zu fahren, haben wir uns bisher nicht gemacht. Chris geht dann sogar nochmal zu unserem Wikingerchef und fragt, ob er sowas verkauft. Aber auch hier wieder die Info - sowas darf er gar nicht, nur der Staat könne Alkohol verkaufen. Da fällt einem erst auf, wie freizügig und unbedarft wir mit der Droge Alkohol umgehen in Deutschland.

Am nächsten Tag, nachdem mir Chris Kaffee und Brötchen ans Bett bringt und wir mit Blick auf den See ausgiebig frühstücken, wird Wäsche gewaschen, Tischtennis gespielt (2:1 für Steffi, dann 2:1 für Chris und dann nochmal von vorn), geradelt, eingekauft, geradelt (und dabei heimlich schon die gekaufte Chipstüte gegessen), geschwommen, fotografiert und viel Zeitung gelesen. Wochenlang habe ich alle Artikel unserer Wochenzeitung gesammelt, die ich gern lesen würde. Was ein schönes Gefühl, sie nun endlich einmal aufnehmen und darüber reflektieren zu können. Chris und ich sprechen viel über Politik und Gesellschaft. Wir haben sehr ähnliche Werte, können aber durchaus über einige Ansichten und Varianzen innerhalb dessen diskutieren. Das ist sehr bereichernd und zugleich beruhigend und zufriedenstellend. Das eigene Weltbild zu teilen, zu erweitern und zu festigen ist eins der schönsten Erlebnisse in unserer Beziehung. Dies nicht nur durch Erlebnisse und Begegnungen, sondern auch im Gespräch zu tun, bringt uns einander auf verschiedenen Ebenen sehr nahe.

Nach einem weiteren selbstgekochten gemütlichen Abendessen in der Gemeinschaftsküche, wiederum ohne Wein, entdecken wir auf dem Rückweg zum Camper ein schwach grünes Licht am Sternenhimmel. Sollten es die Nordlichter sein? Auch wenn es nicht flackert und auch nur mit ganz viel Hinsehen erkennbar ist, wir möchten es glauben. Aber wir stehen ja auch erst am Anfang und haben noch viele Gelegenheiten, nordische Sternenhimmel zu erkunden.

Als wir Bøflaten am nächsten Morgen verlassen, um in die Berge zu fahren, fühlen wir uns um einiges erholter, sind brauner geworden (2 Stunden Tischtennis in der Mittagssonne kann auch in Norwegen für roten Nacken sorgen) und freuen uns auf neue Abenteuer.

Es ist wohl das erste Mal im Urlaub, dass unser Wecker klingelt. Schon ganz vergessen, wie sich das anhört… Nur noch 5 Minuten… nochmal 5 Minuten… Ok los! Der Berg ruft!

Es ist doch etwa 14 Uhr, als wir uns auf den Weg Richtung Bessegen machen. Ja, so ist das im Urlaub. Und wir haben schließlich so richtig viel Zeit, die will auch mal verschwendet werden!

Kilometer um Kilometer schlängeln wir uns die Straße entlang, immer das Ziel Besseggen vor Augen. Der Grat ist für die beeindruckende Aussicht bekannt, die sich durch seine links und rechts von ihm liegenden Gletscherseen ergibt. Überhaupt scheinen wir nun im Land der Gletscher angekommen zu sein. Links, rechts, vor uns und bald auch viel hinter uns tun sich zahllose Gletscher auf. Sofort schlägt mein Wanderinnenherz höher und.. ach.. da war ja noch was! Ich habe keinen Wanderrucksack dabei. Und dass Chris all die Pullover, Hosen, Mützen, Handschuhe, Wasser, Fernglas, Äpfel und Regenjacken für uns beide zusammen trägt, ist auch für seinen breiten Rücken nicht machbar. Also, mal sehen wie wir dieses Problem lösen. Eigentlich bin ich bei sowas meist vertrauensvoll - das Schicksal wird’s schon fügen. Und ja - schon kommen wir an einem Sportgeschäft vorbeigefahren. Juhuu! Ach nee, doch nicht. Leider gerade geschlossen. Wie so oft in Norwegen (hier schließen die Geschäfte zuverlässig um 16-)17 Uhr), sind wir zu spät dran. Späte Vögel, keine Würmer.

Wir fahren weiter und vergessen alle Rucksäcke dieser Welt bei dem atemberaubenden Anblick, der sich uns bietet. Berge, Gletscher, Steppe, Weite. Die Wolken treiben darüber und keine Fotoaufnahme der Welt könnte das wiedergeben, was wir sehen. Es ist zu weit, zu großflächig und berührt einen tief im Inneren. Immer wieder halten wir, machen Fotos und überlegen gleichzeitig, wo wir wohl am besten halten können. Der ursprünglich anvisierte Campingplatz erscheint uns nicht mehr erstrebenswert. Warum nicht gleich hier, auf den Höhen zu Füßen der norwegischen Gebirgskette Jotunheimen übernachten?

So menschenleer wie das Land scheint und so wenig Touristen wir auch unterwegs treffen - hierher scheint es doch so einige Zugvögel hinzuziehen. Einige der schönen Stellplätze am Rand, leicht abseits der Straße, sind schon belegt. Aber es gibt dennoch so viel Platz. Während wir immer wieder anhalten, um Fotos zu machen, werfen wir auch immer wieder ein Auge auf die Lage des Platzes. Ist er eben? Ist er ruhig? Ist genug Platz? Wie fühlen wir uns?

Was wir vor allem zunehmend fühlen ist Wind. Wobei Wind nicht mehr das richtige Wort zu sein scheint. In der letzten Stunde, in der wir hier oben durch die Bergwelt fahren, ist ein richtiger Sturm aufgekommen. Beim Öffnen der Tür fegt es jedes Mal alle Sachen durcheinander und sobald wir uns nach draußen bewegen für eine gelungene Aufnahme, zerzaust er uns beiden unsere langen Haare. Der Wind rüttelt an den Kleidern und treibt uns jedes Mal schnell wieder ins Innere der sicheren Zimtschnecke. Immer weiter fahren wir. An einem Platz beginnen wir schon einzuparken, nur um nach kurzer Zeit wieder festzustellen, dass der Platz doch nicht optimal ist. Irgendwie fühlen wir uns unwohl. Auch schreitet die Zeit voran, es wird immer später.

Dann, rechts vor uns am Straßenrand tut sich nochmal ein größerer Platz auf. Tatsächlich steht da auch schon ein echt bewundernswerter Truck. Gelb und mit großen Reifen. Ein bisschen wie ein Panzer. Expeditionsfahrzeug und Kultmobil in einem. Nicht nur die Sicht auf die Berge, auch die Nähe zu diesem interessanten Gefährt reizt uns und wir halten. Hier könnten wir bleiben zur Nacht, oder? Wilde Outdoorromantik mit traumhaftem Blick. Eine Tür wird geöffnet. Es knackt und kracht. Die Tür ist aufgeflogen. Geht nicht mehr zu. Scheiße! Der Wind ist so unfassbar stark, dass er die Tür aufgerissen hat und Chris sie kaum wieder geschlossen bekommt. Zwar halten die Scharniere noch, aber in der Mitte ist der Türfänger weggebrochen. Scheiße! Der Schreck sitzt tief und wir sind beide still. So ein Mist!

Ok, Hauptsache die Tür ist noch dran. Keiner von uns beiden hätte damit gerechnet, dass so etwas passieren kann. Was gibt es denn noch alles, an das wir denken, auf das wir achtgeben müssen? Und dann als nächstes: Weg hier! Wir können hier nicht bleiben. Wenn der Wind schon die Tür halb zerreißt, dann stellen wir uns sicher nicht für die ganze Nacht auf diesen Platz. Zwei Meter weiter geht die Böschung hinunter in das weite Tal. Schöne Sicht hin oder her. Aber das hier ist wohl doch eine Nummer zu groß und eine Zimtschnecke ist kein Expeditionsfahrzeug.

Geknickt und bedrückt fahren wir erneut los. Inzwischen wird es dunkel und es stürmt noch immer wild, als wir an einem etwas niedriger gelegenen Platz ohne Abhang, direkt am Besseggen, den Motor ausstellen. Dann bleiben wir eben hier. Das Abendessen fällt aus, wir sind müde und haben doch so viel vor morgen früh. Es soll hinauf gehen, auf den Besseggen, morgens um 8 Uhr die erste Fähre nehmend und dann etwa 8 Stunden an den Gletscherseen vorbei. Wir brauchen Schlaf dafür.

Die Nacht wird sehr unruhig, wir schlafen nicht viel. Der Mond scheint groß und weiß durch das Fenster auf den See neben uns und der Wind rüttelt und rüttelt am Auto. Immer wieder die Vorstellung, es könnte umkippen. Wie es sich wohl anfühlt, wenn man plötzlich umfällt? Laut zerrt der Sturm an uns und wir fühlen uns klein und hilflos und sind froh, dass wir nicht dort oben stehen. Vielleicht war es ja auch Glück, dass die Tür aufgerissen wurde. Eine Warnung!? Es kommt eben immer auf die Perspektive und eigene Bewertung an.

Schließlich klingelt der Wecker und wir reiben uns die Augen und daran merken wir, dass wir wohl doch etwas geschlafen haben. Es ist viel zu früh für Urlaub. Wenig später, um kurz nach 7 Uhr rollen wir auf den Parkplatz neben der Fähre zum Besseggen. Von hier soll es also rüber gehen zur anderen Seite des Berges, um diesen dann innerhalb von etwa 8 Stunden zu erklimmen und zurück zum Parkplatz zu gelangen. Wie das gehen soll, ist mir allerdings schleierhaft. Es stürmt nämlich kein bisschen weniger als am Abend oder in der Nacht. Kein normaler Mensch geht doch bei so einem Wetter in die Berge. Noch dazu auf eine Wanderung, die ausdrücklich mit einem längeren Grat und verschiedenen Klettereien und ausschließlich für erfahrene Bergsteiger ausgeschrieben ist. Der nette Kerl, der mir im Bootshaus einen Kaffee verkauft, stimmt mir unumwunden zu und erklärt, dass die Fähre sicher nicht übersetzen wird bei diesem Wetter. Letztlich entscheide darüber aber der Kapitän und der wird erst kurz vor der angegebenen Abfahrt eintreffen. Also warten wir im gemütlichen Kiosk mit toller Aussicht auf den stürmischen See Gjende. Es finden sich noch einige weitere Touristen ein. Überwiegend Deutsche (man erkennt seinesgleichen - meistens leider - einfach immer, überall auf der Welt!). Schließlich stellt sich heraus: die Fähre legt tatsächlich doch ab und fährt die Leute hinüber. Empfohlen wird die Tour aber ausdrücklich heute nicht. Und wir? Wir überlegen ein wenig, aber im Gegensatz zu den meisten haben wir viel Zeit und auch keine Lust auf gequälte, ängstliche Stunden im Angesicht des Orkans. Wir machen da nicht mit und der nette Kerl aus dem Kiosk stimmt uns zu. Eine halbe Stunde später serviert er uns einen herrlich lecker aussehenden Wrap und frischen Salat und schenkt mir noch mal Kaffee nach. Ist doch eh viel schöner, hier in so einem gemütlichen warmen Verschlag zu sitzen und auf den See zu gucken. Wir sind uns sicher, dass die Entscheidung richtig ist und beschließen, den Tag für Besorgungen zu nutzen und Kraft zu tanken, sodass wir morgen - weniger Wind und mehr Sonne sind vorausgesagt - die Tour machen können.

Und so kommt es, dass wir von einem Sportladen zum nächsten fahren - wieder an den tollen Stellplätzen und Aussichten vom Vortag vorbei. Der Oldtimer-Truck steht immer noch da, den hats anscheinend nicht weggefegt. Schließlich landen wir im schönen Örtchen Fagerness. Hier finden wir einen gemütlichen Bioladen für gesunde Einkäufe (frischer Salat, frisches Fleisch aus der Region, großartiges Eis), eine sehr nette Boutique mit großartigen Wintermänteln und… einen Rucksack! Mein Rucksack! Endlich. Ich bin keine Freundin von langen Shoppingtouren und dafür haben wir das ganz schön viel gemacht in diesem Urlaub. Nun aber auch endlich mit echtem Erfolg. Gute Ware für gutes Geld - ein Rucksack, viel zu groß für eine Tagestour aber dafür bestens geeignet für längere Touren, die wir ja sonst auch gerne machen. Ich bin froh!

Und dann ist Chris auch froh! Wir landen nämlich in einer Werkstatt bzw. einem Campingladen und der sehr nette und hilfsbereite Chef sagt, wir können das Ersatzteil für unsere Tür in 2 Tagen erhalten, wenn er es jetzt bestellt. Für den Einbau würde er uns auch seine Werkstatt zur Verfügung stellen, sodass wir das Teil selbstständig anbringen können. Was ein Glück! Da passt es doch herrlich, dass wir erst morgen zum Besseggen gehen und vielleicht noch den Tag darauf zum Gletscher auf den Galdhøppigen, den höchsten Berg Norwegens und Nordeuropas. Das war nämlich auch noch angedacht. Hach - alles scheint wieder Sinn zu machen.

Zufrieden mit unseren Errungenschaften und Aussichten fahren wir erneut hinauf in die Berge. Inzwischen kennen wir die Strecke schon gut und können den Anblick nochmal ganz entspannt auf uns wirken lassen. Ohne ständiges Fotografieren. Immer wieder fahren wir auch an Langläufern vorbei, die hier auf Sommerskates unerbittlich trainieren. Unfassbar, wie sie sich mit Ihren Armen und den Stöckern in ihren Händen vorwärts die Berge hinauf kämpfen. Unermüdlich und scheinbar leichtfüßig.


Diesmal steuern wir direkt den nahe am Besseggen gelegenen Campingplatz an und schlagen froh, weil etwas mehr geborgen durch den Schatten der Bäume und auch nicht mehr ganz so einsam, unser Lager auf. Der Betreiber ist ein Deutscher, der an der Rezeption laut Ludovici Einaudi hört, worüber wir direkt mit ihm ins Gespräch und Schwärmen kommen. Und so nimmt er tatsächlich auch noch kurz vor Küchenschluss unsere Bestellung von zwei Pizzen und einem Glas Wein für jeden in seiner urigen Stube an. Es ist hier fast wie in einer Alpenhütte. So kanns uns gefallen.

Die Pizza ist so groß wie ein Zimtschneckenrad und da wir zwei davon bekommen, bleibt ein Rad übrig. Auch gut. Wir schlagen uns also die Bäuche voll, trinken ein Schlückchen und fallen dann müde und erwartungsvoll ins Camperbett. Hoffentlich lässt der Wind nach und die Sonne zeigt uns morgen den schönen Besseggen und seine ihn umarmenden Seen.

Und wieder früher morgen, wieder klingelt der Wecker, wieder wehrt sich der Körper aber der Wille gewinnt und wieder treffen wir kurz nach 7 auf dem Parkplatz an der Fähre ein. Es geht nun wesentlich weniger Wind und der Himmel ist blau. Beste Vorzeichen. Mein neuer Riesenrucksack ist gepackt und sitzt perfekt. Als die Fähre ablegt, ist es 8 Uhr und an Board befinden sich kaum Touristen. Dafür aber eine ungefähr 50-köpfige Schulklasse. Wir bleiben draußen und genießen die Sicht und den Fahrtwind. Als wir anlegen, beeilen wir uns - bloß schnell weg vor der lärmenden jungen Meute. Den gleichen Gedanken hat das ältere Ehepaar, das mit uns draußen auf der Fähre stand, wohl auch. Und tatsächlich hängen die beiden uns schnellen Schrittes sogleich ab. Na klar, der Anstieg beginnt alsbald, davon haben wir in der Routenbeschreibung gelesen. Aber wir fühlen uns fit und sind einfach froh, endlich loszuziehen. Es riecht nach Abenteuer und Natur und die Bewegung, das Atmen tut gut. Es wird warm und wir ziehen unsere Windjacken aus.

Schon bald treffen wir auf einen ersten einsamen Wanderer. Und wo kommt der jetzt bitte schön her? Er erzählt, dass er hier oben übernachtet hat. Mir ist nicht ganz klar, wie er es bei dem Wind ausgehalten hat, aber er sagt, dass sein Platz ganz gut windgeschützt war. Ein anderes Pärchen, das uns inzwischen ebenfalls entgegenkommt, hatte da wohl weniger Glück und sei wirklich fast weggeflogen. Wir gehen ein Stückchen mit dem Fremden, der aus den Niederlanden kommt und hier schon seit einer Woche allein unterwegs ist. Plötzlich bleibt Chris stehen. Er fuchtelt wild und nach einigem Stirnrunzeln sehe ich sie auch: Rentiere! Etwa 20-30 Meter oberhalb stehen sie und weiden, gleichzeitig aber im Begriff weiterzuziehen. Sie wirken ruhig und gelassen.

Dann sind sie weg.

Wir freuen uns und irgendwie stört der dritte im Bunde bei diesem für uns beide besonderen, verbindenden Ereignis.

Er ist sehr nett und wir wechseln noch ein paar Worte. Bevor sich unsere Wege trennen, frage ich ihn nach seinem Namen. Das halte ich für eine schöne Angewohnheit, schließlich teilt man in so einem wenn auch nur kurzen Gespräch persönliche Momente und Gedanken miteinander. Ich frage „What´s your name?“ Er sagt: „Like the boat with which you came here.“ Chris, der alles gut beobachtet und sich merkt weiß sofort Bescheid: „Ah! Your name is Johann!“ Aber er sagt: „No, its Ferry.“

Dann zieht Ferry weiter und unsere Wege trennen sich, er muss in eine andere Richtung.

Chris und ich schauen uns um: die Schulklasse hat aufgeholt. Oder vielmehr, ein besonders sportlicher Kreis von etwa 5 Jungen hat aufgeholt. Sie sind schnell und mir wird klar, dass ich nicht mehr jung bin. Einst war ich die Schnelle in den Bergen, die im Sauseschritt ganz locker mal am Tag 1000 Meter rauf und wieder hinuntereilt. Mit schwerem Tourenrucksack. Nun spüre ich mein Knie und nach einigen weiteren hundert Höhenmetern und atemberaubenden Ausblicken spazieren die Jungs im Sauseschritt und ausgestattet mit Turnschuhen (Chris und ich tragen natürlich und zum Glück unsere Himalaya-erprobten Hochalpinschuhe) an uns vorbei. Wir lassen sie ziehen, was Chris nicht ganz leichtfällt. Der männliche Ehrgeiz bleibt sicher ein Leben lang. Aber so können wir die Gratwanderung zwischen den beiden tiefblauen Bergseen viel besser genießen. Stille. Luft, Wind und Sonnenstrahlen im Gesicht. Herrlich! So anspruchsvoll, wie beschrieben, ist der Weg doch gar nicht. Oder doch? Kurz nachdem wir direkt einen Gletschersee passiert haben beginnt der Grat nämlich anzusteigen. Und zwar sehr steil. So steil, dass wir anfangen zu klettern. Hallelujah! Ich rufe: „Das ist es, wofür ich geboren wurde!“ Felsen, Klettern… das ist es was ich liebe. Leider brauchen wir zu lange. Schon kommen uns die ersten Touristen entgegen, die den Weg in umgekehrter Richtung wandern und vorsichtig bergab klettern. Viel schwerer und nicht so lustig. Und dann kommt auch noch der zweite, langsamere Teil der riesigen Schulklasse von hinten. Mit einem Mal scheinen wir in einem Getümmel von vielen halbprofessionellen, aber ambitionierten und tratschenden Kletterern zu stecken. Mittendrin im Menschengetümmel. Das ist so gar nicht unsers. Und dann noch klettern. Ich schaue nach Chris, er schaut nach mir. Es sind diese Stressmomente, die uns dann immer ganz überraschend und in aller Wucht treffen. Jeder von uns beiden hat mit sich und gleichzeitig mit der anderen geliebten Hälfte zu tun. Jetzt bloß nicht falsch treten, dann kann es weh tun. Der Weg geht sehr steil nach oben. Wie gesagt, wir klettern. Er ist zwar ein breiter Grat, aber eben anspruchsvoll. Ohne Sicherung natürlich (Das wundert uns inzwischen nicht mehr. Außer in den Alpen scheint es nicht so in Mode zu sein, ausgesetzte Kletterpfade für Touristen zu sichern.) Naja, also jedenfalls fange ich irgendwann an zu zittern und fühle mich schwach. Als wir oben angekommen sind, muss ich erstmal essen und trinken und merke, wie untrainiert ich bin. Der Frust darüber tut sein Übriges.

Etwa zwei Stunden später stoppt Chris seine Uhr. 6:37 Stunden haben wir gebraucht für den mit 6-8 Stunden angegebenen Weg. Ok, vor dem Hintergrund, dass wir uns auch echt Zeit gelassen und viele schöne Fotopausen gemacht haben, waren wir nicht sooo schlecht. Zur Belohnung gibt es für Chris einen Burger und für mich eine Waffel mit Sahne.

Schließlich fahren wir weiter, wir haben noch was vor. Nach einigem Überlegen entscheiden wir uns, tatsächlich auch dazu, die für den nächsten Tag geplante Gletschertour auf den Galdhøppigen zu machen. Wir sind K.O. - ja. Aber wir sind auch in Norwegen und manche Gelegenheiten muss man eben beim Schopfe packen. Blasen an den Füßen hin oder her. Außerdem ist er mit 2469 m über dem Meeresspiegel der höchste Berg Norwegens sowie Nordeuropas und das passt gut in die kleine von mir begonnene Liste mit diesem Betreff. Passenderweise liegt auf dem Weg zum Gletscher das kleine hübsche Örtchen Lom. Das hat uns Ricardo (Freund und Kollege von Chris) empfohlen. Also nicht das Städtchen, sondern vielmehr die besondere Bäckerei dort, in der es wohl die besten Kanelbolle (Zimtschnecken!) Norwegens und Schwedens gibt. Ricardo und seine Frau Micha haben nämlich bis vor einer Woche eine ähnliche Strecke wie wir abgerissen. Mit dem Fahrrad……

Das Gebäck aus Lom ist wirklich sehr lecker und dient teilweise noch als Proviant für unsere Gletschertour. Aber erstmal müssen wir übernachten. Irgendwo. Mit so einem Camper ist man recht flexibel. Doch irgendwie will sich nicht so wirklich ein schönes Plätzchen finden. Und zur Abwechslung wird es mal wieder dunkel. Und dann sehen wir sie. Einfach so, ganz unspektakulär grasen sie auf einer Wiese, nahe Loms. Eine Elchkuh und zwei Ihrer kleinen Jungen. Wir halten in einer praktischerweise direkt danebenliegenden Parkbucht und holen unser original Steiner Fernglas raus - Wie gut wir doch ausgerüstet sind. Aber bei aller Ausrüstung braucht man auch etwas Glück. Und das haben wir jetzt. Bestimmt 20 Minuten lang beobachten und fotografieren wir die Tiere in ihrem Lebensraum, der offensichtlich ganz nah an den der Menschen hier anschließt. Elche! Wir haben Elche gesehen! Der Wahnsinn!

Schließlich finden wir einen Platz, zu buchen via Campingplatzrezeptionsroboter und parken die Zimtschnecke nahe am Fluß. Wir schlafen tief und fest und träumen von Elchen. Und Gletscherseen.


Gletscher? Unverhofft schrecken wir hoch. Es ist sehr früh und wieder einmal machen wir uns auf den Weg zum nächsten Abenteuer. Diesmal geführt und ganz gezielt zusammen mit einigen anderen Menschen. Anders kommen wir da nicht rauf. Ich bin glücklich, mir wieder Wandersachen anziehen zu können und mein neuer Rucksack hat sich gestern ja schon als hervorragender Begleiter erwiesen. Die Füße tun auch nicht mehr so weh. Müde und erwartungsvoll fahren wir die kurvige Straße entlang. In einer kleinen Stube am Straßenrand mit selbstgeschmierten Stullen und Filterkaffee rüste ich mich noch aus und dann stehen wir schon am Fuße des Bergs. Die Aussicht hier ist schon wahnsinnig, die Reifen sind schon heiß gelaufen. Und hier sollen wir noch viel weiter hoch, um genau zu sein: auf über 1700 m müssen wir hoch mit unserer Zimtschnecke. Bei der Juvashyttan geht die Wanderung dann los, inklusive Steigeisen. Ob wir das schaffen? Chris zögert. Ich verweise auf das Riesenreisemobil das wir gerade noch weit oben um die Ecke biegen sehen. Wenn die das können..!?!!!

Also los, die Zeit drängt. Wie immer. Naja, generell sind wir nie zu spät, wir haben nur eine etwas eigenwillige Zeitrechnung, in die immer etwas mehr reinpassen soll, als bei anderen Menschen.

Oben angekommen, bezahle ich und in Windeseile erledigen wir die letzten Vorbereitungen: Rucksack packen, aufs Klo gehen, Schuhe schnüren. Briefing für alle Wanderer ist um Punkt 10 Uhr. Tatsächlich finden sich etwa 30 Menschen allen Alters, aber gut ausgerüstet, pünktlich ein. Hier trägt keiner Turnschuhe. Wir werden von den zwei jungen norwegischen Tourguides in englische und norwegische Sprachgruppen eingeteilt. Dann gibt es deutliche Instruktionen und die verschiedenen Etappen der Tour werden erklärt. Moderat über Steine, etwa 3,5 Kilometer weit. Wer bis um Punkt 11.30 Uhr dann nicht am Gletscherfuß angekommen ist, kann wieder umkehren. Man wäre dann zu langsam und nicht fit genug für den zweiten Teil der Etappe - die Gletscherbegehung mit Steigeisen und Seilschaft. Alle blicken sich verstohlen um - mit solchen Ansagen kann man jedenfalls gut die Spannung erhöhen. Der dritte Teil ist dann der steile und teils klettrige Anstieg bis zum Gipfel. Auch dieser wird zeitlich eingegrenzt. Und dann wieder zurück. Alles in allem maximal 6 Stunden. Nun sollen wir uns die Ausrüstung raussuchen, deren Anwendung kurz und knapp erklärt wird. Am richtigen Gebrauch hängt unser Leben. Zumindest hört es sich etwas so an.

Ich bin motiviert und Chris sagt liebevoll: „Diese Tour machen wir für Dich. Weil Du es Dir wünschst und dies soll vor allem Dir gefallen!“ Ich freue mich sehr und fühle mich mal wieder ganz in meinem Element. In der Ferne leuchtet das Weiß der Gletscher und Gipfel. Da geht’s nun hinauf. Aber zuerst kümmere ich mich um unsere Ausrüstung. Rot für kleine Füße und Blau für die Großen. Und Gurte dazu, durch die das Seil gezogen wird. „Hier Chris, Deine Steigeisen!“ Meine eigene Ausrüstung lege ich ebenfalls an bzw. befestige sie am Rucksack. Los geht’s.

Der Weg ist gemütlich, aber doch nicht anspruchslos, da die Steine grob sind und man sehr aufpassen muss, wo man hintritt. Gleich zu Anfang, ich kaue unprofessionellerweise noch an meinem Gebäck aus Lohm, stolpere ich und fliege der Länge nach hin. Peinlich. Nichts getan. Ein Glück. Also Augen auf! Mensch ey…

45 Minuten vor Ablauf der Zeitfrist erreichen wir das Ziel der ersten Etappe. Sehr gut, erstmal trinken, essen und den schnee- und eis-reichen Ausblick auf den Gletscher zu unseren Füßen genießen. Da geht’s nun steil hinauf. Ich fühle mich fit und freue mich. Hoch hinaus, geliebte Berge.

Dann heißt es, Steigeisen anlegen.

Es dauert nur wenige Sekunden bis ich realisiere: Mal wieder war ich wohl mit den Gedanken nicht da, wo sie zu entscheidendem Zeitpunkt sein sollten. Was ist denn los mit mir? Statt zwei habe ich nämlich nur ein Steigeisen dabei. Das gibt’s doch nicht. Aber klar, nun erinnere ich mich auch. Ich hatte für Chris zwei und für mich nur eins gegriffen. Warum denn nur? Daran erinnere ich mich wiederum nicht.

Chris schaut mich fassungslos an. „Are you f%$#&*! kidding me?“ Wie immer in diesen Momenten kann ich nur entschuldigend verlegen lachen und mit den Schultern zucken. „Ach Chris! Ich kümmere mich!“ Der arme Chris, ein guter Planer und Durchdenker aller kleineren und größeren Ereignisse in absolut jeder Lebenslage, hat das Glück mit dem absoluten Gegenteil, einer besonderen Ausgabe von Unbedarftheit und Sorglosigkeit verheiratet zu sein. Ich nehme das Leben wie es kommt und träume dabei viel. Manchmal so viel, dass es anders kommt, als geträumt und dann muss ich es nehmen, wie es eben kommt. Für mich ist das normal und macht meine Leichtigkeit aus. Was anderes, als in Schicksal, Fügung und auch ein bisschen Hilfe von anderen Menschen zu vertrauen, bleibt mir bei meinem abenteuerlichen Lebensstil gar nicht übrig. Klappt auch meistens gut. So auch diesmal.

Der junge Bergführer, dem ich sehr, sehr beschämt meine Dummheit erkläre zuckt nur völlig unbeeindruckt mit den Schultern und sagt „I guess you don´t even need any spikes. The snow is too warm and the ice is melting anyway.“ Ok, puh. Ich muss nicht alleine hier zurückbleiben. (Danke Klimawandel!)

Als ich auf dem Weg an einer Frau vorbeistapfe, die ebenfalls nur an einem Fuß ein Steigeisen angelegt hat, fühle ich mich schon wieder ganz frisch. Ha! Es gibt eben Abenteurer und es gibt AbenteuerLUSTIGE Menschen!

Wir bilden eine Seilschaft und Chris denkt sicher - "wem alles lege ich hier wohl mein Leben in die Hand?". Ob es ihn beruhigt, dass ich vor ihm gehe?

Es funktioniert super mit dem einen Steigeisen und die atemberaubende Landschaft nimmt uns ganz gefangen. Wir sind hier in einer ganz anderen Welt und auch wenn wir wieder einmal nicht allein, sondern von Menschen umgeben sind, bleibt die Wirkung des Zaubers der Natur auf uns nicht aus. Die Sonne glitzert im Schnee und der stahlblaue Himmel bereitet einfach nur gute Laune. Links und rechts und nun auch unter uns: Gletscher. Wie lange es die wohl noch gibt. Bescheuerterweise wird mir erst jetzt bewusst, dass wir dem Gletscher hier total schaden. Und dass wir hier etwas erleben, das sicher einmalig ist, aber irgendwie auch nicht so ganz zu unserem Wunsch, mit mehr Rücksicht auf die Natur und unsere Erde zu leben, im Einklang steht. Schlimm genug, dass wir mit einem Diesel durch die Welt brausen. Nun latschen wir auch noch im großen Stil auf der ohnehin schon gebeutelten Natur herum...

Die dritte Etappe besteht aus ähnlichem Klettern wie am Besseggen vom Vortag. Felsen über Felsen, eine Art breiten Grat hinauf bis zum Gipfel. Wir lassen uns Zeit und verweilen dafür nicht zu lange oben. Die Aussicht ist jedoch wirklich spektakulär. Verschneite Gipfel und Gletscher so weit das Auge reicht. Alle sitzen im T-Shirt (manchem reicht auch das leider noch nicht) und plaudern lautstark miteinander. Genau das Richtige für uns. Nicht. Wir essen jeder einen Apfel und stärkendes typisch norwegisches Lembas-Brot und steigen dann frühzeitig wieder ab. Wir genießen den Vorsprung und auf jeden Fall war es der Tauschhandel "Einsamkeit" gegen "Mal was Neues erleben" wert.

Wie so oft ist der Rückweg nicht mehr so spannend. Dafür freuen wir uns an den zwei hübschen agilen Hunden, die zwei der Mitwandernden tatsächlich dabei haben und denen weder die Kletterei, noch die vielen Menschen etwas auszumachen scheinen.

Was uns allerdings etwas ausmacht ist die Tatsache, dass auf dem Abstieg über den Gletscher mit nur einem Steigeisen an den Füßen das bei der schönen Sonne bereits schmelzende Eis auffällt. Immer häufiger zeigen sich unter dem schmelzenden See kleine Risse oder Furchen im Boden. Und die erschreckend lauten Bewegungsgeräusche des Gletschereises in nicht allzu weiter Ferne machen es auch nicht besser. Oh man, geheuer ist selbst mir das nun nicht mehr. Dass ich diesmal hinter Chris laufe, macht mich auch nicht sicherer.

Zwei Stunden später sitzen wir wieder in der Sonne - diesmal ehrlich müde und geschafft von zwei Tagen Bergabenteuer. Wir trinken ein schönes Bierchen, während die Schafe - die haben hier übrigens noch richtige Schwänze und keine kleinen Stummel - neben uns grasen.

Ich bin Chris sehr dankbar, dass er diese Tour mir zuliebe noch mitgemacht hat. Wieder ein Check auf meiner Liste und wieder ein paar Glücksanker in der Landkarte meines Herzens gesetzt.

Auf dem Rückweg werden wir ein weiteres Mal beinahe um den Verstand gebracht. Die unfassbar schöne Landschaft, durch die wir fahren ist erneut ganz anders als alles, was wir bisher gesehen haben und Chris springt ständig froh aus dem Auto, um Fotos zu machen. Sein Herz schlägt hierbei höher und ich freue mich ehrlich sehr für ihn und würde ihm so gerne diese Momente festhalten. Es zeigt sich eine Landschaft vieler aneinander aufgereihter Seen, in deren Oberfläche sich die gewaltigen Bergketten mit ihren schneebedeckten Gipfeln spiegeln. Gekrönt wird die Stimmung von einem warmen, samtig goldenen Abendlicht und einer klaren, nicht zu kalten Luft.

Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns schließlich, nicht wie ursprünglich geplant, noch zu „unserem“ schönen Campingplatz Bøflaten zurückzufahren, sondern hier einfach stehen zu bleiben. Im Sonnenuntergang richten wir unser Bett auf der norwegischen Hochebene, bewundern den klaren, leuchtenden Sternenhimmel und fallen dann schnell in einen tiefen traumlosen Schlaf.

Antworten (2)

Julia
Die Bilder sind unglaublich. Ich bin üblicherweise nicht fernwehgefährdet. Das ändert sich mit euren Schilderungen und Eindrücken gerade. So eine tolle Reise...

S.
Ja liebe Julia,es lohnt sich auf jeden Fall,los zu ziehen! Und die eigene Wirklichkeit kann dann noch schöner sein, als die Bilder. Meistens jedenfalls😉

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