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Uruguay: Fray Bentos

Veröffentlicht: 11.03.2019

Wir wollten unbedingt nach Fray Bentos in Uruguay. Da wir leider zwischen Weihnachten und Neujahr nicht genügend Zeit hatten, um direkt von Colonia oder Montevideo aus zu gehen, nahmen wir die etwas mühsamere Reise von Buenos Aires aus in Kauf. Zumindest gab es direkte Busse, was die ganze Sache etwas vereinfachte. Aber es bedeutete auch einen weiteren Grenzübergang und weitere Stempel in unsere ohnehin schon volle Pässe. Nun denn.....geneigte Leser werden sich nun fragen, was zum Teufel wir denn überhaupt da wollten, immerhin handelt es sich nicht gerade um eine Metropole. Tatsächlich sind es vor allem die etwas älteren Semester, die unter Umständen etwas mit dem Namen anfangen können, nämlich die, die schonmal Produkte der Marke Fray Bentos gegessen oder zumindest im Supermarkt gesehen haben. In Fray Bentos befindet sich nämlich die historische Fleischverarbeitungsfabrik El Anglo.


Angefangen hatte alles 1865 als ein deutscher namens Justus Liebig die Liebig Extract of Meat Company in Fray Bentos gründete. Liebig hatte sich bereits zuvor der Lösung sozialer Probleme der Ernährung gewidmet und hatte die Idee, konzentriertes Fleisch herzustellen, er erfand also die Bouillon-Würfel. Die Fabrik sollte rasch zum bedeutendsten Industriekomplex Uruguays aufsteigen. Warum Uruguay? Hier war viel günstiges Fleisch verfügbar. Die ersten Produkte waren Bouillon Würfel und Corned beef in Büchsen.

Im Zuge des ersten Weltkrieges zogen sich die Deutschen zurück und ab 1924 ging die Firma vollständig in englischen Besitz über und wurde in Anglo del Uruguay umbenannt. Die Engländer bauten ein riesiges Kühlhaus, so dass neu auch gekühlte Produkte ins Sortiment dazukamen. Die Firma wuchs bis in die 50er-Jahre, galt während des zweiten Weltkrieges als „Cocina del Mundo“ (Küche der Welt). Die Soldaten an den Fronten wurden mit Produkten aus Fray Bentos versorgt. Soldaten sollen in Briefen an die Familie darum gebeten haben, dass sie Fresspakete mit OXO-Bouillon-Würfeln senden sollen. Komplette Boxen bestehend aus OXO-Würfeln, Kochvorrichtung und Streichhölzern gab es zu kaufen, um im Feld eine heisse Suppe kochen zu können. Aber auch in Privathaushalten und in den Lunchpaketen von Arbeitern waren die Produkte zu finden. Im Jahr 1943 wurden 16 Mio. Büchsen Corned Beef exportiert. Inzwischen umfasste die Produktpalette mehr als 200 weitere Produkte, unter anderem Früchte und Gemüse in Dosen, Marmeladen, Schinken, Ravioli und verschiedenste Fleischprodukte. Neben Kühe wurden auch Schafe und Hühner verarbeitet und von den geschlachteten Tieren wurde alles verwertet, Wolle, Leder und Federn wurden weiterverkauft, Fett wurde für die Produktion von Seifen und Schmiermittel verwendet, aus Knochenmehl und übrigen Resten wurde Dünger hergestellt. Es wurde gesagt, dass das einzige der Kuh, das nicht verwertet wurde, das „Muh“ war.

1971 verkauften die Engländer die Ländereien, Infrastruktur und Gebäude an den Staat Uruguay, nicht aber die Marke. Produkte unter diesem Brand wurden anschliessend weiter in England produziert, während die Fabrik in Uruguay vom Staat unter dem Namen Frigorifico Fray Bentos weitergeführt wurde. 1979 wurde das Unternehmen allerdings komplett geschlossen, da es nicht mehr rentabel war. Ausserdem waren die Anlagen veraltet, und genügten auch nicht mehr modernen Anforderungen an die Hygiene.

Die Arbeit in der Fabrik war hart, aber die Arbeitsbedingungen waren in Ordnung. Jungen konnten mit 14 Jahren anfangen, in der Fabrik zu arbeiten, nachdem sie die Primarschule abgeschlossen hatten. Für die Arbeiter wurden Häuser und Quartiere rund um die Fabrik bereitgestellt. Es gab eine Schule und ein Krankenhaus, eine Musikband entstand und ein Fussballverein. Auch Volksfeste wurden zur Unterhaltung der Arbeiter abgehalten. Es wird geschätzt dass in der Zeit seit der Eröffnung der Fabrik bis zu ihrer endgültigen Schliessung mehr als 25'000 Personen dort beschäftigt waren. Einwanderer aus mehr als 60 Ländern kamen nach Fray Bentos auf der Suche nach Arbeit.


Anschliessend zum Besuch des Museums, machten wir uns auf den Weg durch das komplexe Labyrinth aus Durchgängen, Koppeln, und aufgelassenen Schlachthäusern. Die Wege durch das Gelände sind mit Metallplatten ausgelegt, die als Ausgleichsgewichte in den Schiffen verwendet worden waren. Aus diesem Grund kann die Führung bei Gewitter nicht durchgeführt werden, die Gefahr eines Blitzeinschlags ist zu hoch.

Während der geführten Tour durch die Anlage besichtigten wir zunächst verschiedene Steuer- und Maschinenräume. Die Räume mit den alten Maschinen seien äusserst beliebt als Fotokulisse zu 15-años-Feiern von jungen Mädchen in ihren schönen Kleidern, wurde uns erzählt.

Anschliessend besuchten wir den Bereich, wo das Fleisch zum Konzentrat ausgekocht wurde. Die Vorstellung, dass die Kochbecken damals noch nicht aus rostfreiem Stahl hergestellt waren, und diese Becken bis zur Schliessung 1979 in Betrieb waren, war nicht besonders appetitlich.

Im Aussenbereich waren verschiedene Fotografien ausgestellt, wo das tägliche Leben und die Arbeit in der Fabrik dargestellt war.

Der Besuch des leeren Schlachthauses war ein wenig unheimlich, um nicht zu sagen gruselig.

Die Tiere wurden damals zu Fuss von den oftmals weit entfernten Farmen zum Schlachthaus geführt und verloren auf dem Weg wieder ihr Mastgewicht. Also wurden sie vor der Schlachtung nochmals einige Zeit in speziell hergerichteten Gattern gehalten und nach gefüttert. Von diesen Gattern wurden sie anschliessend durch spezielle Gänge zum Schlachthaus geführt. Die Gänge wurden immer weiter verengt, so dass am Schluss nur 3 Tiere nebeneinander gingen. Mit einem Hammer wurden die Tiere getötet und anschliessend durch eine Klappe ins Schlachthaus hinabgelassen. Dort wurden sie aufgehängt, so dass sie effizient durch die verschiedenen Prozesse des Ausblutens, Entfernen des Kopfes und Häutens transportiert werden konnten.

Auch der Besuch des Kühlhauses war sehr eindrücklich, allerdings hauptsächlich aufgrund seiner Dimensionen, im Innern gab es nämlich nicht viel zu sehen und viel ist auch gar nicht mehr intakt. Das Kühlhaus ist riesig, es misst 100x40 m und ist 5 Stockwerke hoch. Um das für die Kühlung notwendige Ammoniak zu verteilen wurden 70km Rohrleitungen verlegt. Im Museum wurde ein kurzer Film gezeigt, wo ehemalige Arbeiter über ihre Zeit in der Fabrik besichtigten. Ein alter Mann erzählte, dass seine erste Arbeit als Junge darin bestand, die wuchtigen und schweren Türen der Kühlräume zu öffnen und zu schliessen, wenn etwas raus- oder reintransportiert wurde. Etwa 800 Mal am Tag habe er sie geöffnet und geschlossen.

Zum Schluss besichtigten wir den Bürobereich, wo die administrativen Belange des Unternehmens abgewickelt wurden. Ein Buchhalter neigte dazu, während der Arbeit auf dem Bürostuhl sitzend mit den Beinen zu scharen. Noch immer sind im Holzboden die Rillen dieser kontinuierlichen Schar-Bewegung zu sehen. Auch das Büro des Direktors sahen wir uns an, welcher durch sein Fenster direkte Sicht auf das Haupttor hatte, und direkt sehen konnte, wer oder was das Gelände betrat und verliess. Die Anwesenheit der Mitarbeiter und ihr Aufenthalt in verschiedenen Bereichen auf dem Gelände wurde mittels Metallplaketten genauestens überwacht. Wenn sie zwischen verschiedenen Bereichen wechselten, mussten sie ihre Plaketten herzeigen und ihre persönliche Kennnummer, die darauf eingraviert war, wurde in Bücher ein- und ausgetragen.


Der Besuch der Anglo-Fabrik und des zugehörigen Museo de la Revolucion Industrial war wirklich sehr interessant und sicher ein sehr sehenswerter Ort in Uruguay. Trotzdem verirren sich aber nur wenige (ausländische) Touristen hierher. Tatsächlich sah uns jeder Uruguay mit grossen, erstaunten Augen an, wenn wir erzählten, wir seien in Fray Bentos gewesen. Es lohnt sich durchaus, hierher zukommen, um die UNESCO-Weltkulturerbe-Stätte zu besichtigen.


Im Städtchen Fray Bentos gibt es ansonsten nicht viel zu sehen, allenfalls bietet sich bei gutem Wetter ein Spaziergang entlang der Uferpromenade an. Ansonsten hat man es hier schnell gesehen, weshalb wir nach dem Besuch von El Anglo auch schnell wieder weiterdüsten.

Antworten (1)

Manuela
Vielen Dank für die neuen Beiträge, die schönen Fotos und interessanten Einblicke in fremde Kulturen. Übrigens habe ich mich „gefreut“ das gestreifte T-Shirt mal wieder zu sehen 🤣🤣🤣🤣🤣lieber Gruss an den Träger

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