Veröffentlicht: 06.05.2022
Auf die heutige Etappe habe ich mich daheim schon gefreut, bin die Straßenversion am 1. Januar 2020 mit P im Auto gefahren und hatte sie noch als wunderschön in Erinnerung. Hatte mir das schon ganz romantisch ausgemalt mit wild zelteln ein paar Höhenmeter Richtung Piz Lunghin rauf uns so. Sehr schnell begreife ich aber, dass wir hier nicht im Heidiland sind, sondern in der richtigen Schweiz:
Mein Schlafsack ist warm, es gab keinen Nachtforst, alles gut. In der Früh +2° und leichter Schneeregen. Keine böse Überraschung, war angekündigt. Nach dem Frühstück - Müsli und Chai mit Knoblauchöl-Geschmack, weil selbiges in meiner Freßbox ausgelaufen ist - beginnt die Routine des „Pferd Sattelns“, wie ich es für mich nenne. Inzwischen sitzt jeder Handgriff, jeder Gegenstand hat seinen festen Platz und ich werde nie wieder über Ordnungsfanatiker lästern, zumindest nicht beim Campen.
Ich starte im Nieselregen und stelle sehr schnell fest, dass die Schweizer eine andere Definition von Radlweg haben als wir Weichei-Deutschen. Ein paar Zusatzschlenker auf „Flurwegen“, wie es hier heißt, nehme ich mit, dann spare ich mir die Extra-Höhenmeter auf Wanderwegen und weiche auf die Straße aus. Ist eh nicht viel los, Touristen sind noch keine da, nur die üblichen Baufahrzeuge. Nicht nur Österreich, auch Graubünden scheint im Mai komplett um- aus- und zurückgebaut (ja, gibt‘s auch, Strommasten werden abgesägt und stattdessen Erdkabel verlegt) zu werden.
Kurz vor Celerina beschließe ich, dass es Zeit für eine Pause ist, ein Kaffee wäre nicht schlecht. Im Coop gibt es aber nicht diese Backwaren-Theke mit Kaffee-Automat wie bei uns oder im M-Preis und die Restaurants haben Betriebsferien oder nur abends auf. Immerhin hat ein Stück abgepackte Bündner Nußtorte, das ich mitnehme, über 500 kcal, das sollte für ein paar Kilometer reichen.
Nach Celerina sehe ich schon wieder Höhenmeter auf mich zukommen. Der Zucker der Nußtorte ist noch nicht im Blut, meine Motivation so mittel. Es hat Kühlschrank-Temperatur, ist also für ein Picknick zu kalt. Plötzlich werde ich stutzig, was sehe ich denn da: einige Gartenbau-Fahrzeuge parken vor einer Kneipe, 15 CHF Mittagsteller steht auf einer Tafel davor. Glücklich, dass überhaupt was offen hat, frage ich, was der Mittagsteller ist: Kabeljau mit Reis und Zucchini. Fein, nehme ich, und einen großen Kaffee bitte. Die gut gebauten Männer von der Gartenbaufirma sind alles Italiener, ebenso der Restaurantbesitzer, nur der Kellner ist Schwabe.
St Moritz empfängt mich mit Schneeregen und geschlossenen Läden bzw. Restaurants. Kein Grund also, hier unnötig Zeit zu verbringen. Einzig als wahrscheinlich höchster Punkt meiner Tour - 1822m - wird es dieser Ort es bei mir zu was bringen.
Die Seen vor und nach Sils Maria lassen Norwegen-Feeling aufkommen, das Chillen am See fällt leider aus.
Ganz unspektakulär steht ein kleines Schild mitten im Ort Maloja, ich kann es irgendwie noch nicht fassen, ich habe mein zweites Zwischenziel erreicht. Ab jetzt geht es erstmal bergab und wird hoffentlich wärmer: Bella Italia, sonniger Süden, ich komme! Und ich weiß genau, dass ich mich in ein paar Tagen hierher zurück sehnen werde, bin ja eher ein Schneehuhn und nicht wirklich hitzebeständig.
Der sehr schön gelegene, einfache Campingplatz in Vicosoprano liegt kurz vor der Grenze noch auf Schweizer Seite. Zahlen kann man nur bar, aber ich hab eh noch viel zu viele Fränkli.
https://www.komoot.de/tour/760296633?ref=itd
Camping Vicosoprano, 13,20 CHF, WLAN an der Rezeption, moderne Santiäranlagen, phantastische Lage