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Sucre, Boliviens Hauptstadt

Veröffentlicht: 05.04.2022

Viele Menschen setzen Schnelligkeit mit Effektivität gleich. So gesehen war ich in Bolivien äußerst effektiv. Denn an meinem dritten Tag erreichte ich am Samstag noch vor Morgengrauen Sucre, die Landeshauptstadt. Drei Tage, drei besonders sehenswerte Ausflugsziele, zwei Nachtbusfahrten und ich sparte mir zeitraubende Alltäglichkeiten wie Schlafen in einem Bett oder Duschen. Das sollte sich in Sucre ändern.

Sucre war die eigentliche Hauptstadt Bolivien, allerdings spielte sich die große Politik im Regierungssitz La Paz ab. Während La Paz und die Nachbarstadt El Alto mit Großstadtqualitäten, positiven wie auch negativen, auftrumpften, überzeugte Sucre durch vornehme, kolonialistisch geprägte Schönheit. Weiße Barockpracht, bürgerliche Beschaulichkeit und eine Preisgestaltung weit über dem landestypischen Niveau kennzeichneten Bolivien repräsentative Vorzeigestadt.

Der Name der Stadt geht auf den Unabhängigkeitshelden Antonio José de Sucre zurück (ähnlich wie der Name der US-Haupstadt Washington, oder St. Petersburg bzw. Leningrad). Der Silberrausch im 18. Jahrhundert bescherte der Stadt und der Region einen enormen Aufschwung, der noch heute im Stadtbild erkennbar war.

Für mich bot Sucre außerdem Gelegenheit, praktische Angelegenheiten zu regeln, wie Schlafen und Duschen. Außerdem löste sich meine kurze (löchrige) Hose zusehends auf, Ersatz war also gefordert, und für den nächsten Grenzübertritt benötigte ich erneut eine Covid-Unbedenklichkeitsbescheinigung. Was für ein herrliches Wort?!

Das Hostel, für das ich mich auch mangels Alternative entschied, trug den befremdlichen Namen "Kultur Berlin". Einrichtung und Aufstellung der Herberge waren mehr als beeindruckend, zum einen hinsichtlich der Professionalität und zum anderen mit Blick auf die Größe, es gab drei Innenhöfe, Bühne, Biergarten, Restaurant und Tanzsaal, dazu eine Küche und reichlich Personal. Der Besitzer der Herberge war ein findiger Unternehmer aus Karlsruhe, mit dem typischen badischen Charme, Liebe zu Detail und Perfektion und etwas provinziellem Auftreten.

Im Gespräch erläuterte er, wie fast alle touristischen Angebote während der langen Zeit des Shutdowns zugrunde gegangen waren. So gab es in Sucre auch keine Stadtführungen mehr. Neugierig lauschte er den Reiseerfahrungen der sehnsuchtsvoll erwarteten Touristen. Zur Überbrückung der dürren Monate entwickelte er das Hostel zu einem Nachtklub weiter, auch durch informelle Kontakte zu den örtlichen Behörden, wie er unumwunden zugab. Die abendliche musikalische Beschallung war sicherlich nicht jedermans Sache, mir hingegen fiel es nicht schwer, dabei in den Schlaf zu finden.

Mit meinem Covid-Test in der Tasche ("negativo") nutzte ich den Sonntag zu einem ausgedehnten Stadtspaziergang. Am Nachmittag besuchte ich außerdem den städtischen Friedhof, der mich nachdrücklich beeindruckte. In Sucre gewann ich ganz besondere Einblicke in die lateinamerikanische Begräbniskultur. Neben prachtvollen Mausoleen wurde die Mehrheit der Verstorbenen in überirdisch betonierten mehrstöckigen Grabkammern beigesetzt (ähnlich einem Kolumbarium). Die Front diente als eine Art Schrein, wo die Hinterbliebenen mit Blumen, Bildern, Kitsch und nicht selten Miniaturgetränkeflaschen (Cola, Bier und auch Rum) ihren Verstorbenen gedachten. Anschließend zog es mich weiter in den Simon Bolivar-Stadtpark.

Friedhof wie auch Park wurden von den Einheimischen am Sonntag rege genutzt. Kinder tollten herum und Menschen grüßten freundlich.

Am späten Nachmittag kehrte ich in mein Hostel zurück, schnappte mir meine Siebensachen und machte mich auf den Weg zum Busbahnhof. Es war wieder Zeit für eine Nachtbusfahrt.

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