Veröffentlicht: 13.03.2022
Oft ergeben sich die besten Dinge im Leben durch Zufälle. Am Rückweg von Colca Canyon entstand im lockeren Gespräch die Idee zur Chachani Tour, nicht einmal 12 Stunden später saß ich nun in der Rezeption unseres Hotels um 06:30 bereit zur Abholung. Kathi sollte sich Sonntag/Montag erholen und damit stand ich vor einem der größten Abenteuer auf unserem Trip.
Gemeinsam mit Mike, einem Iren und zwei deutschen Jungs (Max&Bene) tuckern wir in einem vollgepackten Jeep los Richtung Chachani bzw. den darum liegenden Nationalpark. Unser Guide Ivan, Eigentümer des Expedition Unternehmens Quechua Explorer (https://quechua-explorer.com/en/), ist mit einer anderen Gruppe gerade am Rückweg vom Chachani und erwartet uns beim Pickup Point auf 5050m Seehöhe. Der Weg zu diesem Punkt ist abenteuerlich. Zuerst noch easy rund 1,5 Stunden Bergstraßen raus aus Arequipa (2400 Höhenmeter) Richtung Norden, danach gehts jedoch nochmals für rund 1,5 Stunden auf einem Schotter-/Steinweg immer mehr Höhenmeter rauf zum Treffpunkt. Langsam wird die Luft dünner, die Steine größer und 4x4 Antrieb ist sehr gefragt. Die Mühseligkeiten der Anfahrt werden jedoch durch das atemberaubende Panorama kompensiert, uns bietet sich ein Naturparadies.
Am Treffpunkt angelangt gibts eine Mittagspause und wir warten gemeinsam auf Ivan und die andere Gruppe. Nach rund einer Stunde trifft eine bunte Runde aus Holländern, Franzosen und Deutschen beim Auto ein und Ivan übernimmt uns nach einem kurzen Snack quasi direkt. Für den heutigen Tag steht noch eine Wanderung von rund 2 Stunden zum Basecamp auf 5.200 Meter an. Wir gehen es sehr locker an, der Fokus liegt ganz klar darauf, sich an die Höhe zu gewöhnen und das Naturparadies hier im Nationalpark zu genießen.
Im Basislager angekommen beziehen wir die Zelte, die schon von der Vorgruppe aufgebaut waren. Ein größeres Zelt dient uns als gemeinsamer Besprechungs- und Essensraum, der auch mit Gaskocher und Tisch mit Sessel ausgestattet ist. Wir besprechen den weiteren Zeitplan: Ruhen, Abendessen, 19:00 in Schlafsack werfen, Aufstehen um 01:00 in der Früh (also Montag 14.03.) und Abmarsch 02:00. Alles klar getaktet und sehr präzise angeleitet von Ivan. Ivan selbst ist Peruaner und eigentlich studierter Betriebswirt. Bald jedoch machte er seine Leidenschaft für den Bergsport zum Beruf und hat seitdem unzählige Touren geleitet, unter anderem war er über 100x (!) am Chachani und über 25x am Aconcagua (höchster Berg Südamerikas). Wir fühlen uns gut aufgehoben und nach einer Portion Nudeln und Tee versuchen wir gegen 19:00 Schlaf zu bekommen.
5200 Meter Seehöhe und ich werden keine Freunde, eingewickelt in einem Seiden- und einem Expeditionsschlafsack versuche ich zu Klängen von Coldplay und Sam Smith in den Schlaf zu tauchen, es bleibt diese Nacht beim Versuch. Zwar döse ich immer wieder leicht ein, jedoch schaffen weder ich noch Mike, mein Zeltbuddy, wirklich tiefer einzuschlafen. Immer wieder Blicke ich auf meine Pulsuhr, der Puls ist hoch, der Magen leicht flau aber wenigstens ist mir nicht schlecht. Im Nachbarzelt hören wir nur einen unseren Mitstreiter erbrechen, mehrfach an diesem Abend. Die Höhe ist nicht dein Freund, Kopfschmerzen und Übelkeit sind da noch die milderen Umstände.
Der Wecker klingelt um 01:00, eigentlich unnötig da ohnehin wach schleppe ich mich angezogen und gepackt ins Hauptzelt. Ivan kommt bestens gelaunt mit 6 Stunden Schlaf dazu und kocht für uns Tee. Frühstück geht zumindest bei mir gar nicht, die anderen Jungs versuchen sich ein paar Bananen und etwas Käse und Brot zuzuführen, so richtig zum Essen ist jedoch keinem zu Mute. “Drink, Drink” - Ivan pusht uns zur zweiten Tasse Tee, wir sollen gut gewärmt losstarten während es draußen deutlich unter 0 Grad hat und stockfinster ist. Wir sind vielschichtig angezogen, bei mir sind es zum Start sogar 3 Schichten unten und 5 Schichten oben - ausziehen geht immer noch lautet die Devise. Stirnlampen aktivieren und raus ins Abenteuer, das wird ein langer Tag…
Schritt für Schritt stapfen wir durch die Finsternis. Mit zunehmender Höhe steigt auch die Anstrengung. 5.600 Meter, also gerade einmal 400 Höhenmeter sind geschafft und ich blicke etwas verzagt auf die Pulsuhr. Der Puls ist viel zu hoch, meine Beine sind schon schwer, irgendwie sind wir schon ewig unterwegs und gefühlt zu wenig Fortschritt. Ich habe einen Durchhänger und frage Ivan ob ich da bleiben kann, einfach umdrehen. Es macht gar keinen Spaß und ich habe einen Punkt im Kopf wo ich anstehe. Ivan pusht mich, fordert mich auf zu fokussieren - entweder gehen wir alle weiter oder drehen wir alle um… Ich beiße zusammen, versuche nur an den nächsten Schritt zu denken und etwas später nach einiger Pause für die Anlage von Steigeisen wird es langsam besser. Wir haben das Tempo reduziert und stapfen bedächtig Meter für Meter. Es wird windiger, wir schreiten über Eis und Schnee mit gutem Grip und kommen auf rund 5.800 Meter. Langsam wird es hell nach knapp 4 Stunden Gehzeit, jedoch liegen noch immer rund 2 Stunden vor uns. Die Pausen werden mehr, nochmals Steigeisen angelegt geht es über sehr steile Schneefelder weiter.
6000 Meter sind geschafft, runter mit den Rucksäcken, nochmals trinken und die letzte Kraft zusammen nehmen für die letzten 60 Höhenmeter. Mittlerweile bläst ein eisiger Wind und leider ist es nebelig und stark bedeckt. Um 08:00 erreichen wir schließlich nach etwas mehr als 6 Stunden, über 5 km Wegstreck und knapp 1000 Höhenmeter den Gipfel des Chachani. Leider keine Fernsicht, viel mehr eisiger Wind. Wir schießen ein paar Fotos, Ivan ermahnt uns, nicht mehr als 15 Minuten oben zu bleiben. Nicht zu lange auf der Höhe bleiben bei diesen miesen Bedingungen. Kurz reist ein Wolkenband auf und der Nachbarberg, Vulkan Misti taucht vor uns auf, was für ein Bild! Wir sind KO aber beseelt vom Moment, wir haben durchgehalten.
Los gehts mit dem Abstieg! Mike, mein Zeltbuddy ist mittlerweile leider komplett KO und kämpft bei jedem Schritt. Ich selbst habe durch den Gipfelsieg neue Energie getankt, fasst leichtfüßig stapfe ich hinter Ivan her am Weg zurück zum Basecamp. Wir gehen eine sehr direkte Route abwärts und haben ein gutes Tempo. Ivan lässt uns voraus und bleibt bei Mike, die beiden deutschen Jungs fliegen förmlich hinunter zum Basecamp und nach knapp 3 Stunden erreiche auch ich das Lager. Wir haben nicht viel Zeit, sind schon spät dran. Wir beginnen Schlafsäcke und Matten einzurollen, Zelte abzubauen und alles zusammen zu packen. Mike kommt mit deutlicher Verspätung an, ist kaum mehr fähig zu gehen und spricht kein Wort. Auch ich bin mittlerweile KO, der Gedanke jetzt nochmals 1,5 Stunden mit vollem Gepäck bis zum Auto zu gehen motiviert kaum.
Nochmals Zähne zusammen beißen, Rucksäcke schultern für die knapp 3 km zum Auto meistern. Bene und Max zischen voraus, ich trabe mit Mike gemeinsam gemächlicher zum Startpunkt von gestern, wo alles losging. Die Bilder der letzten Stunden laufen durch den Kopf, es ist eine Mischung aus Müdigkeit, Stolz sich überwunden zu haben und Schmerzen, die sich aus unterschiedlichen Körperpartien melden. Die Sonne glüht mittlerweile runter und schließlich erreichen wir gegen 13:45 das Auto. Alles einladen, rein ins Auto und retour nach Arequipa auf derselben Strecke wie gestern. Ich sinke rasch in den ersten Schlaf seit über 30 Stunden. Dankbarkeit und Demut überkommen mich, es war ein persönlicher Kampf und eine außerordentliche Erfahrung.
Würde ich so ein Abenteuer wieder machen? Ja sofort, auch wenn ich merklich nicht in Topform und es ein langer Kampf hinauf war. Es zeigt was der menschliche Körper leisten kann und wie wichtig für solche Unternehmungen die Mentalität bzw. der Wille ist. Mehr Schlaf und Training im Vorfeld schaden aber sicher nicht für ein nächstes Mal. In dem Sinne, Adios Chachani, es war mir eine Freude!
Die (zwei)täglichen Zwei:
Erkenntnis: Der oft erwähnte Einfluss der Höhe auf den Körper ist, wenn man es am eigenen Leib erlebt, wirklich außergewöhnlich. Ab 5.000 Meter schrumpft der Sauerstoffgehalt in der Luft um die Hälfte, grund dafür ist der sinkende Luftdruck. Ab 6000 Meter spricht man von extremer Höhe, wo es zu rapiden Leistungsabfall kommen kann. Mehr dazu: Höhenbergsteigen: Wie der Körper auf die dünne Luft reagiert
Glücksmoment:
Natürlich der Gipfelsieg am Montag um 08:10 gemeinsam mit den Kameraden den ersten 6000er geschafft zu haben.