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So weit das Auge reicht

Veröffentlicht: 04.01.2019

Sinjas Erzählungen von der Salz- und Atacamawüste in Bolivien haben mich schon von Beginn an fasziniert. Ursprünglich haben Bernd aka Bernardo, Barbara und wir geplant uns einen Geländewagen zu mieten und damit auf eigene Faust ins Abenteuer zu fahren. In der Regenzeit anscheinend etwas zu abenteuerlich für die wenigen Autoverleiher der Umgebung, denn sie verleihen in diesem Zeitraum nix. Also suchten wir uns einen Wagen inkl. Fahrer und starteten schließlich am 22. Dezember.

Unsere Gruppe, das sind Bernardo (Sinjas Vater), Barbara (Bernds Freundin), Ludi (studiert in Berlin künstliche Intelligenz und zugleich treuester Fotograf unseres Trips), Yosi (unser sympathischer Fahrer, dessen Fahr-Skills denen der Dakar-Rallye-Fahrern wohl kaum nachstand) sowie Sinja (meine Murmel) und ich.

Mein Blick versucht die Entfernung zu den Vulkanen mit ihren buntgefärbten Gipfeln am Horizont abzuschätzen. Vergeblich, denn Relationen gibt es hier keine einzige. Salz, so weit das Auge reicht. Unglaublich, dass wir hier auf über 60 Meter dickem Salzboden stehen. Diese harte, kristallene Kruste ist ein beeindruckendes Relikt aus der Zeit, als sich die massive Gebirgskette der Anden gebildet und dabei einfach einen riesigen Teil des Pazifischen Ozeans abtrennte. Die unerbittliche Gewalt der Sonne ließ diesen einsamen, mutterlosen Teil des Meeres über tausende von Jahren schließlich gänzlich austrocknen - übrig bleibt die unendliche Weite dieser weißen Wüste. Vier ganze Tage werden die Salzwüste und die angrenzende Atacama-Wüste uns in ihren Bann nehmen, sie werden uns durch Landschaften führen, die man wohl eher dem Mars als der Erde zuschreiben würde. Sie ist eine der trockensten Regionen der Erde, denn kaum eine triefende Wolke bezwingt die monumentale Höhe der Anden und regnet sich über diesem hier so durstigen Boden ab. Trotz all dieser widrigen Umstände haben sich genau hier einige Lebenskünstler angesiedelt, die sich anscheinend von heißer Luft und Liebe ernähren. Auf unserer Reise werden uns zum Beispiel Vicunyas begegnen, die wilden Vorfahren domestizierter Llamas. Und große pinke und kleine schwarze Flamingos, die sich an den Algen riesiger Salzwasser-Lagunen satt schöpfen - ein schimmerndes Farbspaktakel. Baumhohe Kakteen rücken dicht aneinander und bevölkern zu Hunderten steinerne Inseln inmitten der Salzwüste.

Doch der Reihe nach:

Nach dem ersten heißen Tag in der Wüste, dem Besuch einer Salzabbaustätte, mit Bergen feinsten Salzpulvers, die selbst Pablo Escobars Nase (escobar heißt hier übersetzt übrigens Besen) kurz zum Zucken gebracht hätten, obligatorischen Fotoshoootings in dem u.a. Sinja uns aufgrund fehlender perspektivischer Relationen wie Karnickel aus ihrem Hut zauberte und uns ein Dino verspeiste. Als wir abends in unserer Unterkunft ankamen, spürten wir unsere Lippen, die durch die intensive Sonneneinstrahlung immer mehr der Wüsten-Salzkruste ähnelten. Als wir dann jedoch bei einem späten Spaziergang den Vollmond aufgehen sahen - in seiner monumentalen Größe, die er so nur nah am Horizont zeigt - vergaß ich alle Fitzel meiner Lippen.

Ganz in der Nähe erleben wir an unserem zweiten Tag einen beeindruckenden Sonnenaufgang. Wir starten um 4.30. Wahrscheinlich vor Aufregung liege ich seit bereits 2.50 Uhr wach im Bett und mache mich schließlich auf Ludi beim Sternefotografieren zu besuchen. Doch ich finde ihn nicht. Ich setze mich neben einen Felsvorsprung, um zu meditieren. Nach einer halben Stunde sehe ich Ludi in der Ferne. Ich halte mich zurück und mime nicht den Bergpuma, um ihn zu erschrecken. Der Schock, den ich gestern in einer antiken, von Mumien belebten Höhle verteilte, als wir alle in ein Loch bzw. Grab spähten und ich durch einen markerschütternden Schrei so manchen eiskalt erwischte, könnte noch zu tief sitzen. In völliger Dunkelheit kommen wir zurück in unsere Unterkunft, ein Hotel, gebaut aus Salzblöcken. Wir packen flott unsere Sachen und fahren in absehbarer Morgendämmerung zurück in die endlose Salzwüste. Es wird nicht viel geredet, Pink Floyd gibt den Ton an. 

Wir drehen voll auf. Berührt durch Musik und Eindrücke schauen wir aus den Fenstern. Es ist Vollmond und alles in sein silbernes Licht getaucht. In der Ferne rollen weitere Wagen, ihre Scheinwerfer leuchten vor dem schwarz-blauen Himmel, an dem noch die Sterne zu sehen sind. Die Kristallstruktur des Salzbodens, zeichnet sich in diesen Stunden besonders gut ab, da seine Konturen tagsüber von dem grellen Licht der alles durchdringenden Sonne fast ausgebrannt werden. Wir parken mitten in der weißen Weite, dick eingepackt, denn ohne Sonne ist es hier arschkalt. Wir stehen nicht weit vom Wagen, die Türen sind weit aufgerissen, die Musik bespielt weiter diese nicht greifbare Szene. Die Atmosphäre lässt mich schweben.

Ich schaue immer wieder zur Spitze des bunten Vulkans zu meiner linken, um die ersten Sonnenstrahlen absehen zu können. Die Blautöne des Himmels, der gewaltige Vollmond noch immer rückseits, der helle Morgenstern oben auf der durch die Sonne ausgeleuchteten Seite scheint - überwältigend. Als der Horizont beginnt zu brennen stehen Sinja und ich dicht an dicht in unseren Schlafsack gerollt und spüren die Strahlen, die sofort unser Gesicht wärmen. Es ist etwas sehr Besonderes für mich, wenn durch die Welt wieder das Licht des Tages strömt, dieses Ausströmen auf diese Weise mitzubekommen, macht mich ein Stück ehrfürchtiger. Es haucht mir ein Gefühl ein, dass mich so manches vergessen lässt, was ich über die Welt, ihre Erklärungen, ihre Wahrheiten gelernt habe. Vielleicht ist es ein ähnliches Gefühl, das mich auch überkommt, wenn ich ohne Laternen in der Nähe unter einem Sternenhimmel liege und mir die Unendlichkeit vorstelle.

Die weiten Strecken in der Salzebene schienen unseren Fahrer einzuladen, auch mal die Augen zu schließen und zu entspannen. So entdeckte Sinja im Rückspiegel, dass Yosi gut und gerne immer mal wieder eine halbe Minute bei 80 Sachen wegpennte. Entonces, wer in einem 120km x 130km großen Nichts tatsächlich einen Unfall bauen sollte kriegt wahrscheinlich einen Orden aus Flensburg. Uns hat es köstlich amüsiert, vor allem weil er nix von unserer Aufmerksamkeit mitbekam. Der Yosi ist jedenfalls einer der wenigen, die ich kenne, die ihr Geld im Schlaf verdienen.

An diesem Tag besuchten wir noch weitere Mumien, die uns fast unversehrt in ihren Höhlen empfingen und bestiegen anschließend in atemraubenden Tempo, den bunten Vulkan, der mich schon beim Sonnenaufgang aus der Ferne so verzauberte. Während Barbara und Bernd schon nach 20 Metern Aufstieg den Rückzug antraten, schafften es Sinja, Ludi und ich uns mehr durch tiefes Schnaufen und Stöhnen als durch lange Worte uns bis zum Rande des eingestürzten Kraters zu motivieren. Belohnt wurden wir bei all unseren Ausflügen mit einem fantastischen, vegetarischen Mittagsessen, zwar nicht gekocht, aber genüsslich angerichtet von Yosi, unserem Fahrer. Noch am Abend konnten Sinja und ich durch einen von Yosi bereitgestellten Handy-HotSpot eine neue Kamera über EbayKleinanzeigen ersteigern, die bereits von Biggi (Sinjas Cousine) abgeholt (Treffpunkt Swingerclub) und nun bereits mit David (einem Freund aus Marburg) auf dem Weg nach Kolumbien ist, da er dort beginnen wird zu arbeiten. Da Sinja und mein Plan ja auch besagt, Anfang Februar nach Bogota zu reisen, passt das doch optimal! Und auch für euch, liebe Freunde, Freundinnen und Groupies dieses Blogs heißt das es gibt in absehbarer Zeit wieder selbstgeschossene Leckerbissen für eure Auge in Hülle und Fülle!

Am folgenden und somit dritten Tag haben wir ganze drei Lagunen besucht. Neben ihren Farbspektren, den Flamingos und den sich im Wasser spiegelnden Vulkanen waren wir begeistert von höchstprofessionell ausgerüsteten, in kleinen Schwärmen anrückenden Touris, die natürich alle ihr eigenes Teleobjektiv am Start hatten. Wenn ein Flamingo es wagte abzuheben, um ans andere Ende der Lagune zu fliegen, erklang ein Kameragewitter, das mich als Flamingopiloten wohl dazu veranlasst hätte, umgehend eine Notlandung einzuleiten.

Tatsächlich waren Sinja und ich kurz mal froh keine Kamera zu besitzen, da wir so garnicht erst in Versuchung gerieten, sondern wir einen ganz natürlichen und sinnlichen Eindruck dieser wunderschönen Landschaften in uns aufnahmen, wenn wir uns einfach auf einen hohen Fels oder ans nahe Ufer setzten, meditierten oder in Windhosen rannten, um zu sehen, ob man vielleicht kurz abhebt (leider nein, nur massig Sand in den Augen).

Am Ende dieses Tages hieß es dann plötzlich: Heiligabend.

Es war das erste Weihnachten, das ich außerhalb Deutschlands verbrachte und zugegebenermaßen ist es doch etwas befremdlich, dieses Fest inmitten einer Wüste bei Sonne, langen Tagen, ohne Baum und ohne Glockenläuten zu feiern. Unser Guide hatte zum Glück einen brillianten Vorschlag und organisierte uns kurzerhand einen Schlafplatz in einer gemütlichen Unterkunft direkt an einer Lagune. Das große Highlight: heiße Quellen. So sprangen wir alle direkt nach unserer dortigen Ankunft und noch vor dem Abendessen erstmal in den heißen, natrürlichen Pool. Dieser war zu diesem Zeitpunkt schon gut besucht, es scheint als sei es eine örtliche Tradition an Weihnachten mit einem anregenden Getränk die heiße Quelle aufzusuchen und sich festlichen Hunger anzutrinken. Nach dieser heißen Badewanne kam zumindest bei mir schonmal mehr mollig-gemütliche Stimmung auf und ich freute mich auf den gemeinsamen Abend mit unserer Gruppe - und auf ein mal ganz anderes Weihnachten.

Zum Abendessen gab es Spaghetti-Bolognese, unser Guide überhäufte uns mit flüssigen Geschenken, die wir gleich zum Anstoßen hernahmen. Sinja und ich packten Kerzen aus, die wir auf einem Stein festwachsten. An unserem Nachbartisch saßen zwei mit Weihnachtsmütze (vermutlich zwei Wüsten-Wichtel). Draußen war es dunkel. Und plötzlich war es weihnachtlich! Ludi lieh sich eine Mütze von nebenan und mimte spontan den Weihnachtsmann und führte mit liebevoll-strenger Hand die Bescherung durch. Wir lachten viel. Es war friedlich. Und wir freuten uns über unsere so harmonische Gruppe. Und ein bisschen Heimweh war auch mit dabei...

Uns schwant sehr bald, dass Yosis brillianter Vorschlag von der eigentlichen Route abzuweichen nicht ganz uneigennützig war, denn in jener eben dieser Unterkunft wartete seine Lagunenperle, die ihn mit großer Freude empfing. Auch am folgenden Morgen schien Yosi deutlich unausgeschlafen, hatte wahrscheinlich viele Geschenke auszupacken.

Nach unserem improvisierten, gelungenen Fest liefen Sinja und ich ein weiteres Mal mit Handtuch unterm Arm den Weg hinunter zur heißen Quelle. Der Mond war noch nicht aufgegangen, Ludi war wieder irgendwo Sterne fotografieren. Die Stimmung am Pool war jetzt wesentlich entspannter, im Hintergrund lief Lounge-Musik. Wir beide tauchten in das Wasser mit perfekter Badewannentemperatur ein, spürten an unseren Füßen den Kies, durch den warmes Wasser nach oben strömte. Die Wolken über den Bergen erhellten sich und dann ging er abermals mit all seiner Pracht auf - der Mond. Immer mal wieder erfüllte ein Raunen der Badenixen die Klangatmosphäre. Es war so schön, wir wollten die Quelle garnicht mehr verlassen. Als wir es dann doch irgendwann taten, weil Sinjas Kreislauf sich bemerkbar machte passierte es - Sinja kippte fast um und konnte sich noch gerade so auf einen Stuhl in der Frauenumkleide retten. Ich zog ihr die Hose an, während ich die anderen Frauen begrüßte. Da sich die Kreislauf-Situation auch nachdem Sinja vollends eingepackt war noch nicht wesentlich gebessert hatte, legte ich sie draußen auf den Boden und erinnerte mich meines Erste-Hilfe-Kurses: Beine hoch, Kopf in meinen Schoß, gut zu reden. Und so wurde es dann auch schnell besser. Frohe Weihnachten!

Der letzte Tag bestand vor allem aus Rückfahrt, bei der wir regelmäßig über Sandrampen abhoben und Yosi voll auf seine Rallye-Kosten kam. Einen längeren Stopp konnten wir jedoch an der schwarzen Lagune einlegen. Die schwarze Lagune ist so schwarz wie der Name es bedeutet garnicht, jedoch ist sie wunderschön in einem riesigen, versteinerten Lavafeld gelegen. Das schroffe, durch Wasser durchspülte Gestein versteckte bis auf die letzten Laufmeter diese kleine Oase, an dessen grünen Wiesen Llamas und Maultiere grasten und sich im Dickicht des Schilfs Enten tummelten, die Töne von sich gaben, als lachte Rainer Calmund aus vollem Halse. Ein paradiesischer Abschluss einer eindrucksvollen Reise.

Wieder in Uyuni angekommen hatten wir kaum Zeit uns von Ludi und Bernd & Barbara zu verabschieden, noch bei einem Kaffe über alles zu reden, da Sinja und ich schnell in einen Bus hopsen mussten, der uns mit kurzem Zwischenstopp in Oruro nach Cochabamba bringen sollte. Und da sind wir nun auch, in Cochabamba in einem SOS-Kinderdorf, wo Sinja bereits vor 5 Jahren einen 6-monatigen Freiwilligendienst machte. Hier werden wir jeden Mittag in die verschiedenen Familien eingeladen und bekocht. Mit dieser großen gastfreundschaftlichen Geste haben wir eine tolle Möglichkeit, die Niñas, Niños und ihre Mamas näher kennenzulernen. Auch Silvester verbrachten wir kulinarisch und in sehr gemütlicher Runde auf Einladung in einem der Häuser. Seit Mittwoch dieser Woche ist nun auch unser Tanzworkshop angelaufen, den wir mit 11 Kindern hier durchführen, da in Bolivien gerade Sommerferien sind und ein pädagogisch wertvolles Beschäftigungsprogramm natürlich sehr willkommen geheißen wird.

Der erste Tag war spannend und herausfordernd zugleich, so ist die Altersspanne (12-16 Jahre) recht groß und die Kids triefen nur so vor Pubertäts-Hormonen. Sie kriegen sich schon nicht mehr ein, wenn Sinja und ich uns einen intensiven Blick zu werfen und fangen im Chor an zu singen "tienes novia" was übersetzt "Du hast ne Freundin" heißt. Sie spüren wohl einfach, dass da einiges an Liebe ist, was sie wiederum völlig aus der Bahn wirft!

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