Veröffentlicht: 22.02.2019
Das Flugzeug rauschte nur noch wenige Meter über dem Meeresboden durch die Luft, jeden Moment mussten die bereits ausgefahrenen Räder ins Wasser eintauchen, da erschien plötzlich doch eine Landebahn mitten im Meer, die uns die Wasserlandung ersparte. Das Wasser ist türkisblau, die Temperaturen unbeschreiblich heiß, doch die Meeresbriese erfrischend. Willkommen in der Karibik!
Den Ort unserer Bleibe für die nächsten Tage erreichten wir nach ein paar weiteren Stunden Busfahrt in der Dunkelheit. Wir waren kurz verunsichert, ob wir die letzte Strecke wirklich mit Motorradtaxen zurücklegen sollten, wobei wir uns aufgrund unseres Gepäcks hätten aufteilen müssen. Ich war dann doch sehr froh, als wir ein Taxi fanden. In unserem Hostel wurden wir von einem kleinen Jungen begrüßt, der uns hilfsbereit beim Tragen half. Und dann stand die Besitzerin Giada dort, ein Mensch vom Leben gezeichnet, pinke Haar, türkise Fußnägel, rauchige Stimme. Auf den ersten Blick hätte sie auch gut in die Clubs der Warschauer Straße in Berlin gepasst, doch dauerte es nicht lange und sie eroberte mit ihrer umwerfenden sizilianischen Leidenschaft unsere Herzen. Das Hostel eröffnete sie vor gut einem Jahr und so mancher Gast vermutete sie tat dies nicht zuletzt aufgrund ihrer Passion des Kochens. Jeden Abend gab es neue kulinarische Experimente und Höhenflüge zu erleben. Giada war es dabei sehr wichtig gemeinsam zu essen, so kochte sie, um sich anschließend mit uns Gästen an den gedeckten Tisch zu setzen und gemeinsam zu Abend zu essen. Das vegetarische Essen schmeckte fantastisch, aber mich faszinierten darüber hinaus ihre Erfahrungen beim Aufbau des Hostels und ihre Ideen, was ihr Hostel überhaupt sein soll. Giada lebte vor gefühlter Ewigkeit ein ganz anderes Leben: Ursprünglich ausgebildete Psychologin erarbeitete sie sich einen guten Ruf als Managerin im Bereich der gehobenen Gastronomie in London, indem sie nicht-profitable Geschäfte zu Goldeseln machte. Dabei deckte sie auf abenteuerliche Weise Koks-Eskapaden des Bedienungspersonals auf und bändigte gewalttätige Sterneköche mit ihren 1,55 Metern purer Energie. Im Anschluss baute sie für eine internationale Hostel-Kette ein Party-Hostel in Panama auf, das von dem Zeitpunkt an die nächsten Monate von kanadischen und US-amerikanischen „Backpackern“ komplett ausgebucht sein sollte. Eine Nacht kostete zwischen 150-200$, es gab jeden Tag Party, Spiele, Drogen, Quizabende für freie Shots, halt das volle Programm. Touren zu Ausflugszielen waren alle vorprogrammiert und immer mit einem erfrischenden Spritzer Alkohol versehen. Trotz des berauschenden Erfolgs wollte Giada da nicht mehr mitspielen und reiste für über 5 Jahre durch Südamerika und möchte nun mit ihrem Hostel „mangal“ einen Gegenentwurf zum unpersönlichen und unfreien Massentourismus umsetzen. Hierzu will sie ihre Herberge überschaubar halten und hat zudem solch gemeinschaftliche Abendessen etabliert, bei dem stets mit Liebe Selbstgekochtes gegessen wird. Zudem sollen die knappen Ressourcen Wasser und Strom so gut es geht durch Recycling und bewussten Gebrauch eingespart werden. Neu für mich war die Idee die Türen des Hostels für das gesamte Dorf zu öffnen, es soll ein Treffpunkt für alle sein, so kamen wir immer wieder mit Einheimischen in Kontakt. So gingen wir abends gemeinsam Pizzaessen, fuhren mit dem Motorrad durch den nächtlichen Ort, machten Flusswanderungen und einen Ausflug auf einen nahegelegenen Bauernhof. Giada löst mit beeindruckender Leichtigkeit (und einer guten Portion schweißtreibender und kopfzerbrechender Arbeit) eines der größten Probleme des Reisenden: Die Suche nach Möglichkeit für authentischen Austausch. Das mangal-Hostal bietet genau hierfür Raum, ist offen, überschaubar und von Grund auf herzlich und zugewandt. Uns beiden gefielen die Tage hier so gut, dass wir verlängerten und sogar 2 Tage die einzigen Gäste waren, es verbreitete sich Vertrautheit und fast eine familiäre Stimmung als wir nur noch zu dritt gemeinsam beim Abendessen saßen.
Schweren Herzens trennten wir uns schließlich von Giada und brachen auf nach Santa Marta, um Alex & Amelie wie verabredet zu treffen. Die zwei lernten wir im mangal kennen und hatten die gleiche Idee nach Minca zu reisen. Der Ort wird von Aussteigern und Backpackern wie magisch angezogen, obwohl es dort in den Bergen nur so von diesen klitzekleinen Moskitos wimmelt, die dich auffressen, wenn du einmal vergessen hast, einen Teil deines Knöchels einzusprühen. In den Tagen freundeten wir vier uns richtig an, wir besuchten eine Kaffee- und Kakaofarm, flogen voller Staunen mit einer Drohne durch Häfen, zu einer entfernten Insel und über Baumwipfel, sprachen viel über Persönlichkeitsentwicklung und Familie, tauschten Bücher, machten gemeinsam morgens Yoga und besuchten einen Atem-Kurs („Breath-Works“), der uns intensivste Erfahrungen schenkte. Wir genossen die Zeit sehr und auch dieser Abschied fiel uns nicht leicht.
Unser nächster Besuch sollte die Millionenstadt Cartagena sein. Auch David hat uns diese Stadt und vor allem ihr Nachtleben wärmstens ans Herz gelegt und jetzt können wir ihn absolut verstehen. Die Stadt sprüht vor Lebendigkeit, das ehemalige Arbeiter- und Handwerkerviertel Getsemani ist heute das karibische Kreuzberg, überall leckeres Essen, aufgestylte Menschen, buntangestrichene Häuser, Streetart & Graffiti, Straßenmusiker, Streetfood und Bars. Abends fanden sich (wie bisher überall in kolumbianischen Küste) die Menschen auf der Straße, auf den Treppen zu ihren Häusern, auf Plastikstühlen auf den Wegen wieder. Es entstehen hier und da spontane Gruppierungen, die zusammen Tanzen oder Musik machen. Das Alter spielt dabei überhaupt keine Rolle, von der alten Dame bis hin zu Kindern alles dabei. Keine Frage, die Stadt ist auch touristisch, jedoch vermischen sich die Touris hier in diesem Viertel auf angenehme Weise mit den Einheimischen. Sinja und ich laufen beflügelt von diesem Lifestyle bis spät abends durch die Gassen, suchen die besten Eisläden der Stadt und setzen uns genüsslich auf Stufen und beobachten die Menschen und das Treiben der Backpacker, bonzigen Touristen und Prostituierten.
Nun sind wir wieder am Meer, in der Nähe von San Bernardo del Viento. Sinja liegt direkt vor mir in der leuchtend gelben Hängematte und ist versunken in ihr Buch. Meine Zehen schmiegen sich in den Sand zu meinen Füßen. Ich bin jedes Mal überrascht wie fein und samtig dieser ist. Über uns wiegen sich die großen Palmwedel im Wind, ich schaue aufs Meer, lausche der Brandung. Nach einem langen Strandspaziergang am Vormittag werden wir die Nähe zum Wasser in vollen Zügen beim Mittagessen auskosten dürfen, hier gibt es ein fantastisches Angebot an frischem Fisch und Meeresfrüchten aus denen zum Beispiel verschiedenste Formen des berühmtes Ceviches angerichtet werden. Die Zeit flüstert einem wohlwollend ins Ohr: „Heute werdet ihr nichts verpassen…“. Sinja und ich können uns nicht wehren und wir adaptieren die Gelassenheit die uns vorgelebt wird. Dabei hätte so manch einer hier allen Grund zur Beunruhigung. Das Meer ist die letzten Jahrzehnte immer näher an die erste Reihe von Strandhäusern gerückt und frisst sich ebenso unaufhaltsam weiter voran. Uns wird gesagt, dass es unsere Unterkunft, in der wir momentan übernachten, in wenigen Jahrzehnten nicht mehr geben wird. Doch den Kopf in den Sand steckt hier keiner, stattdessen schallt eine lautstarke Schallwelle aus vielen weit geöffneten Wohnungstüren in die Vorgärten, auf die Straßen, den Strand und meist auch darüber hinaus: Lebe jetzt!
Und so werde ich es jetzt auch machen und mich in die Wellen stürzen und mir eine kleine Abkühlung holen…!!