Salam ya Amman
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Zweitwohnsitz Manara

Veröffentlicht: 26.01.2020

3. – 17. Januar

Der simple Grund dafür, dass ich jetzt einfach mal so zwei Wochen zusammenfasse: Uni. Das Arbeitspensum, dass wir in dieser Zeit hatten, um alle assignments und Präsentationen rechtzeitig fertigzustellen, ist wirklich schwer in Worte zu fassen. Bei mir zugegebenermaßen nicht ganz unverschuldet – ich habe in den drei Wochen davor, in denen wir auf Reisen waren, wirklich keinen einzigen Gedanken an Uni verschwendet. Was ich auf keinen Fall bereue. Dennoch waren die letzten zwei Wochen wirklich hart. Emotional, psychisch und körperlich (Sport war nämlich zeitmäßig auch absolut nicht drin). Zwischen unseren letzten Vorlesungen, ersten Präsentationen, Tarabot und Arabischunterricht hat sich mein Leben bis zu unseren finalen Präsentationen hauptsächlich im Manara abgespielt, und an deren Ruhetag im Jungle Fever.

Das Arbeiten im Manara ist jedoch trotz allem Stress mit positiven Erinnerungen verbunden. Als beliebter Lernort für Studierende in Amman sind wir uns aus unserem Social Work Programm dort nämlich täglich über den Weg gelaufen. Mein Stammplatz war das gemütliche Sofa im ersten Stock mit Blick auf Amman durch die große Fensterfront. Dort in der Nähe haben sich üblicherweise auch alle anderen uns bekannten Gesichter versammelt und das gleiche Leid geteilt. Und geteiltes Leid ist bekanntermaßen ja nur halbes Leid. Zusätzlich haben die freundlichen Kellner, die mich schon seit längerem auch begrüßen, wenn sie mir außerhalb vom Manara begegnen, und Anas, der auch regelmäßig dort war, immer für einen wohltuenden Pausenplausch gesorgt. Hier außerdem noch ein paar Lichtblicke, die es zwischendurch gab:

8. Januar. In der letzten regulären Vorlesung unseres Fachs „Social work with minors and women“ kommt Obada als Gastredner zu Besuch. Er kommt aus Syrien, ist Mitte 20 und sitzt schon im Rollstuhl. Während des Kriegs in Syrien wurden seine Beine von einem Sniper zerschossen. Bis zu dem Tag an dem das geschah, führte er ein schönes, erfülltes Leben und liebte es, Fußball zu spielen. Tag X hat sein Leben verändert. Er sitzt aber keineswegs als Häufchen Elend vor uns. Obada ist ein fröhlicher und selbstbewusster junger Mann. Nachdem er zunächst alles unternommen hat, um den Rollstuhl wieder loszuwerden und ihm alle Ärzte nach und nach bestätigt haben, dass er nie wieder in der Lage sein wird, zu laufen, hat er sein Schicksal akzeptiert. Er hat viel mit einem Motivationstrainer gearbeitet und sitzt heute als selbiger vor uns. Man muss immer abwägen wo man war, wo man jetzt ist, und wo man in seiner Zukunft sein will, sagt er uns. „Nothing changes until the motivation comes from within“, gibt er uns am Schluss noch mit auf den Weg. Die zwei Stunden mit ihm waren eine wirklich inspirierende Begegnung.

11. Januar. Bushra lädt Sophia, Rebecca und mich zu sich nach Hause ein. Sie hat schon länger angekündigt, dass sie für uns kochen will, und heute haben wir endlich alle einmal Zeit. Es gibt einen Kürbiseintopf, Reis, Salat und Manaesh und alles schmeckt wirklich hervorragend. In all dem Stress, den wir in den letzten Wochen und Monaten hatten, habe ich schon fast vergessen, was wir für eine besondere Zeit während der Summer School hatten, und welche schöne Erinnerungen ich mit allen Leuten verbinde, die wir in dieser Zeit kennengelernt haben. Bushra hat eine wirklich beruhigende und erdende Ausstrahlung, was wir jetzt gerade gut gebrauchen können. Man darf nie vergessen, sich mit Leuten zu umgeben, die einem gut tun.

12. Januar. Es ist die letzte reguläre „Mental Health“ Vorlesung mit Raghda, meiner Lieblings-Dozentin. Sie hat uns heute darum gebeten, in kleinen Präsentationen oder Darstellungen persönliche Erfahrungen und Eindrücke mit unserem Kurs zu teilen, die wir während des Semesters in Amman gesammelt haben. Ich habe mich mit Lea, Rebecca, Sophia, Clara und Els zusammengetan, die sich kleine Sketche überlegt haben von Situationen, die wir alle in Amman öfters erlebt haben.

Situation 1: eine Europäerin trifft auf eine Jordanierin und ist verwirrt darüber, wie oft man sich auf welche Wange küsst. Was das angeht haben wir von Jordanierinnen wirklich keine einstimmige Meinung bekommen. Unser Fazit: je mehr man jemanden mag, desto mehr küsst man. Selbstverständlich immer nur gleiche Geschlechter unter sich.

Situation 2: eine Fahrt in einem Taxi mit 5 Fahrgästen, während der Taxifahrer telefoniert, raucht, wie irre durch Ammans volle Straßen pest und Komplimente für unser arabisch macht, sobald man nur ein arabisches Wort sagt. Beim Aussteigen aus dem Taxi und Überqueren der Straße werden wir alle fast überfahren, weil niemand anhält (ob ein Zebrastreifen existiert oder nicht spielt dabei wirklich absolut keine Rolle).

Situation 3: der Markt. Meine Lieblingssituation. Von allen Seiten hört man das Rufen der Standbesitzer, das sich zusammenmischt und wie ein lauter Chorgesang klingt. Beim Gemüsekauf wird jedes Stück einzeln in eine Plastiktüte gepackt und am Ende alle Plastiktüten zusammen in eine Extra-Plastiktüte. Geld vergessen? Kein Problem! Zahl einfach beim nächsten Mal.

Situation 4: am Abend sitzen alle versammelt um ein kleines Gasöfchen und halten wärmend die Hände darüber. Während eine von uns noch schnell duschen will, und ihr während der Dusche das Wasser ausgeht, machen sich die anderen bettfertig: mit Jacke, Schal und Handschuhen.

Alle anderen aus unserer Gruppe, inklusive Raghda, die aus Amman kommt, können sich in jeder unserer Situationen wiederfinden. Aber auch die anderen in unserem Kurs bringen wieder vertraute Bilder vor unsere Augen. Eine Gruppe hat ein Lied gedichtet, über phänomenale Falafel und Hummus, Entspannungsmomente auf der Zitadelle, die Klänge der täglichen Gebetsrufe, und die Melodie der Gasautos. Rhya und Lola haben jeweils ein Bild gemalt, auf dem sie ihre Gefühlslage über die Zeit in Amman dargestellt haben. In beiden Bildern geht es um Identität und Selbstfindung, und wie Amman dazu beigetragen hat, sich selbst im Wechsel zu verlieren und wieder selbst zu finden. 

Schließlich präsentieren Gina und Amanda jeweils noch eine Bildershow mit Bildern von Jordaniens bezaubernden Attraktionen (Petra, Wadi Rum, Dead Sea & Co.), einzigartigen Sonnenuntergängen, gastfreundlichen Menschen, Straßenkatzen in Amman (die in der Regel wirklich wunderschön und zuckersüß sind), Taubenschwärmen, die über Amman ihre Kreise drehen, leckerem Essen, Ammans wundervoller Künstlerszene und einzigartigen Märkten. Es sind tausende Erinnerungen, die alle Präsentationen wieder in mir wecken, und die ich immer in meinem Herzen tragen werde. Ich bin Raghda wirklich dankbar, dass sie uns diesen Austausch hier zum Abschluss unserer Vorlesungen noch einmal ermöglicht hat.

Da ich den Bericht hier im Nachtrag verfasse, kann ich schon einmal vorwegnehmen, dass wir alle irgendwie (im Nachhinein weiß man meist nicht mehr, wie genau eigentlich) mit dem Stress fertiggeworden sind und mehr oder weniger knapp an allen Deadlines abgeliefert haben. Ein besonderer Dank nochmal an Opa, der es mir ermöglicht hat, meine Hausarbeit zum Thema "Life Course Theory" zu schreiben!

Wir haben das Semester geschafft 😊

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