Salam ya Amman
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Zurück in die Westbank

Veröffentlicht: 11.02.2020

Sonntag, 9. Februar

8 am. Wir stehen heute mal etwas früher auf. Wir wollen die Vormittags-Besucherzeit für das Geländer der Al-Aqsa Moschee abpassen, das in der Frühe für Nicht-Muslim*innen nur bis um 10:30 Uhr geöffnet hat. Als wir dann doch erst um kurz vor 10 aufbrechen, ahnen wir schon, dass das ein eher optimistisches Vorhaben ist. Es ist 20 nach 10, als wir von den israelischen Soldat*innen noch auf das Gelände gelassen werden, nur um dort dann von palästinensischem Sicherheitspersonal direkt wieder zum Ausgang geschickt zu werden. Wir beschließen also, später noch einmal wiederzukommen, und in der Zwischenzeit noch ein wenig durch die Altstadt zu schlendern.

Vom arabischen Viertel übertreten wir unbewusst die unsichtbare Grenze ins jüdische Viertel und finden uns dann in einer Straße, durch die wir bisher noch nicht gelaufen sind. Israelische Fahnen wehen uns von beiden Seiten entgegen. Wir bleiben bei Bildern hängen, die auf den ersten Blick Banksy vermuten lassen, aber sich beim Nähertreten als das Gegenteil herausstellen. Ein israelischer Künstler will den israel-kritischen Banksy-Bildern auf der Mauer bei Bethlehem etwas entgegensetzen und ändert seine Motive in anti-palästinensische Motive ab. Daneben steht eine lange Erklärung, dass Banksy Terroristen unterstütze und Israelis sich das nicht gefallen lassen dürfen. Wir sind hier mal wieder unfreiwillig in einer ganz anderen Welt gelandet.

Das Wetter ist immer noch bescheiden, weshalb wir auf der Suche nach einem Innen-Programm sind und uns für die Hurva-Synagoge entscheiden, in der ich auch damals mit Hanni und Sophia war. Wir schauen uns zunächst den kurzen Film im unteren Teil der Synagoge an und werden nun von einer 15-minütigen Propaganda bestrahlt. Der Film erzählt von dem Konflikt in Jerusalem 1948. Wenn wir das Jahr 1948 hören, müssen wir mittlerweile automatisch schon an „Nakba“ denken, die „Katastrophe“ auf Arabisch. Das Jahr, in dem 700.000 Palästinenser*innen aus ihrer Heimat vertrieben wurden und Israel seine Unabhängigkeit erlangte. 

In diesem Film hier wird nun eine ganz andere Seite der Geschichte erzählt. Er zeigt Jüd*innen, die im gleichen Jahr aus ihren Häusern im jüdischen Viertel in Jerusalem vertrieben wurden, weil Jordanien im Krieg mit Israel einen Teil Jerusalems eingenommen hatte. Dass es sich bei den Kampfkräften um Jordanier handelte, wird hier jedoch gar nicht wirklich klar. Es ist immer nur vom „arabischen Feind“ die Rede – wenn man es nicht besser wüsste, würde man damit direkt Palästinenser in Verbindung bringen. Natürlich will ich die Gräueltaten, die von jordanischer Seite begangen wurden, nicht kleinreden. Und es ist Fakt, dass es während des ganzen Nahost-Konflikts immer Opfer auf allen Seiten gab und gibt. Kein Wort wird hier jedoch darüber verloren, dass 1948 größtenteils Palästinenser*innen die Leidtragenden waren. Und nicht nur in Jerusalem aus ihren Häusern vertrieben wurden. Der Film endet mit pathetischer Musik und mit den Worten „Jerusalem will always be ours“. Lea und ich schütteln uns. Und es kostet uns tatsächlich etwas Überwindung, jetzt Eintritt für die Synagoge zu zahlen, die so ein Filmmaterial verbreitet. Das Anschauen des Films ist übrigens kostenlos, während man für das restliche Gebäude bezahlen muss.

Wir entscheiden uns doch dafür und gehen wie letztes Mal wieder die Wendeltreppe nach oben zur Terrasse. Es erwartet uns die gleiche schöne Aussicht wie letztes Mal, bei heute leider nicht so schönem Wetter. Mit Blick auf dem Felsendom kann man sich per Knopfdruck noch ein paar Infos über die Gebäude sagen lassen, die man von hier aus sieht. Die heiligen christlichen und jüdischen Gebäude werden kurz erklärt, die „schöne Kuppel des Felsendoms“ wiederum nur in einem Halbsatz erwähnt. Niemand würde in diesem Kontext damit rechnen, dass es sich hierbei um eine Moschee handelt. Der Audio Guide schließt mit der freundlichen Aufforderung, sich im Anschluss das jüdische Viertel noch etwas genauer anzusehen. Lea und ich haben genug. Natürlich wird man hier in Jerusalem und generell in Israel oder Palästina von keiner Seite einen neutralen Bericht hören. Aber so viel Scheinheiligkeit von einem „frommen“ Ort aus können wir gerade nicht ertragen.

Wir müssen uns jetzt ohnehin beeilen – noch einmal wollen wir die Besucherzeit für den Platz der Al-Aqsa Moschee und dem Felsendom nicht verpassen. Diesmal kommen wir pünktlich an und können den Felsendom noch einmal von Nahem bestaunen, der bei grauem Wetter immer noch wunderschön aussieht. Wir schlendern ein wenig über den großen Platz, bis wir bei eisigem Wind halb durchgefroren sind und uns dann in der Altstadt in einem libanesischen Restaurant niederlassen.

Wir machen noch einen letzten Abstecher zum Markt und gehen dann zurück ins Hostel, um unser Gepäck abzuholen. Heute geht es wieder zurück in die Westbank, nach Ramallah. Wir genehmigen uns noch eine Tasse Kaffee und lassen uns in die Sitzsäcke im Gemeinschaftsraum fallen, als auf einmal wieder unser besonderer Freund auftaucht, mit dem wir vor zwei Tagen über Hebron & Co. diskutiert haben. Heute trägt er seine Soldatenuniform, was ihn uns nicht gerade sympathischer macht. Er kann unserem knappen und gezwungenen „Hello“ wohl entnehmen, dass wir keine Lust mehr auf Konversation mit ihm haben, woraufhin er sich in einer anderen Ecke des Raums niederlässt. Aber wir fühlen uns hier definitiv nicht mehr wohl. Auch wenn wir etwas träge sind, raffen wir uns gegen 8 Uhr auf und verlassen das Hostel Richtung Bushaltestelle. Am mir schon bekannten Ort steigen wir kurz darauf in den local bus nach Ramallah und atmen beide auf. Es fühlt sich gut an, jetzt dorthin zu fahren.

In Ramallah angekommen erwartet uns eisige Kälte und wir machen uns schnurstracks auf den Weg ins gleiche Hostel wie letztes Mal. Dort ist noch alles beim Alten: die gleichen Bilder und Poster an den Wänden, Diesel ist noch da, und der Code für die Haustür unten immer noch „The wall must fall“. Außerdem hören wir auf einmal eine bekannte Stimme hinter uns: es ist Noemié, die in Amman mit uns zusammen studiert hat. Sie ist gerade mit ihrer Mutter und ihrem Bruder auf Reisen und heute auch aus Jerusalem hier im Hostel in Ramallah angekommen. So klein ist die Welt mal wieder.

Wir gehen später also noch einmal mit Noemié aus und treffen uns mit Saif, einem Freund von uns, der aus Ramallah kommt und den wir aus Amman kennen. Wir erzählen uns gegenseitig von unseren Erlebnissen und stellen fest, dass Noemié mit ihrer Familie bei ähnlicher Reiseroute auch ähnliche Erfahrungen gemacht hat – in Hebron haben sie z.B. den gleichen radikalen Siedler getroffen wie wir (wohlgemerkt allerdings außerhalb der Siedlung), der auch sie mit seiner Handykamera festgehalten hat. Auch wenn das alles wirklich frustrierend ist, tut es auf eine seltsame Art und Weise gut zu hören, dass wir mit unseren Erlebnissen nicht alleine sind.

Wir kommen später in das kalte Hostel zurück, aber kein Problem. Zum einen haben wir unsere Wärmflaschen. Zum anderen haben wir als wir ankamen nach Extra-Decken gefragt, woraufhin wir eine Wolldecke und einen Dinosaurier-Einteiler bekommen haben. Ich schlüpfe also in das grüne Kostüm und schlummere dann friedlich ein.

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