Salam ya Amman
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Writing/Walking Palestine

Veröffentlicht: 11.10.2019

Mittwoch, 09. Oktober

8:30 am. Der Tag heute beginnt wie gewohnt: joggen, kurzer Lebensmitteleinkauf, langes Frühstück. Heute ist außerdem Waschtag: Wasser in Jordanien ist knapp, und aus irgendeinem Grund, den ich noch nicht ganz verstanden habe, sollte man immer mittwochs seine Wäsche waschen.

Unsere Vorlesung beginnt heute eine Stunde früher als sonst: Wir haben eine Einladung zu einem Event bekommen, das am Columbia Global Centers stattfindet, unter dem Namen „Writing/Walking Palestine“. Thema ist Palästeina und die palästinensische Stadt Ramallah, die das Zentrum der beiden Bücher ist, die dort heute vorgestellt werden. Die Teilnahme ist freiwillig, und wir sind zu 8., sodass wir genau mit zwei uber-Taxis dorthin fahren können. Wir haben schon auf der Karte gesehen, dass das Columbia Center etwas weiter weg von der GJU ist und fahren jetzt gefühlt eine Ewigkeit. Die Häuser am Straßenrand werden immer größer und moderner, je mehr wir uns dem Columbia Center nähern: wir befinden uns in West Amman. „This is, where the money is“, hat uns Dr. Rawan gestern erst gesagt, und wir sehen jetzt, was sie damit gemeint hat. Die Hotels und Firmen überbieten sich buchstäblich mit ihren monströsen und prunkvollen Gebäuden, die Straßen werden breiter und sauberer, wir sehen für Amman ungewohnt viele akkurat angelegte Bäume, Alleen und Parks. Wenn ich an die Wohngegend in Ammans Downtown denke, ist das hier wie eine andere Welt. Auch die Luft hier ist ganz anders, wie wir merken, als wir am Columbia Center angekommen aus unserem uber aussteigen. Der Gestank von Abgasen, Rauch und Müll, der im Zentrum Ammans überwiegt, hat sich in Duft von Pinienbäumen gewandelt, die hier in Reih und Glied am Straßenrand angepflanzt sind.

Das Columbia Global Center gehört zur Columbia University und steht den Gebäuden hier in der Umgebung in nichts nach. Wir fragen uns eher beim Eintreten in die edle Aula, ob wir nicht doch ein wenig under-dressed sind. Wir werden von den Frauen bei der Anmeldung in die Räumlichkeiten verteilt. Es gibt zwei Räume, die main hall und einen Raum, in dem ein live-stream der Veranstaltung gesendet wird. Ich habe das Glück, zur main hall zu kommen. Bald ist jeder Stuhl im Raum besetzt, es geht los.

Zunächst stellt Penny Johnson ihr Buch vor, eine Amerikanerin, die schon seit langer Zeit in Ramallah in Palästina lebt. In ihrem Buch mit dem Titel „Companions in Conflict: Animals in Occupied Palestine“ beschreibt sie, wie auch Tiere Opfer der israelischen Besetzung in Palästina sind. Sie beginnt mit dem Eingeständnis, dass Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten womöglich größere Sorgen haben, als das Wohl der Tiere um sie herum, schafft dann aber mit einer Gegenüberstellung den Übergang: „Animal: the most common insult. Human: the most common claim for justice.“ Es wird klar, dass es in ihrem Buch nicht nur um Tiere geht, und wie sich Tierwelt und Vegetation durch die Besetzung und den Konflikt verändert haben. All das, was sie beschreibt, steht auch metaphorisch für die Menschen, die dort leben. Den Auszügen nach, die sie vorliest, ein wirklich lesenswertes Buch.

Es folgt nun die Vorstellung von Raja Shehadeh. Er ist in Ramallah geboren und aufgewachsen und Pennys Ehemann. Raja hat in London Jura studiert, lebt mittlerweile wieder in Ramallah und hat schon unzählige Bücher über den israelisch-palästinensischen Konflikt und dessen Folgen für die Menschen vor Ort geschrieben. Als er jetzt aus seinem neusten Buch „Going Home. A Walk Through Fifty Years of Occupation“ vorliest, herrscht absolute Ruhe im Raum. Wir alle hängen an seinen Lippen, als er anschaulich, detailliert, und unheimlich emotional von seinen Gefühlen und Eindrücken erzählt, wenn er durch Ramallahs Straßen läuft. Die Besetzung, so beschreibt er es, folgt ihm dabei auf Schritt und Tritt, wie ein Schatten. Mit jedem Wort, das er vorliest, kann man spüren, wie sehr ihn der Konflikt geprägt und sein Leben beeinflusst hat. Und wie aussichtslos die Situation für die Menschen in den besetzten Gebieten sein muss. „Since the Oslo Agreement I gave up hope and accepted that occupation will go from bad to worst.“ Ich weiß immer noch viel zu wenig über diesen Konflikt, aber spüre immer stärker das Bedürfnis, mehr darüber erfahren zu wollen. Auch wenn ich jetzt schon weiß, dass mehr Wissen einhergehen wird mit Schmerz und Unverständnis. Rajas Worte sind auf jeden Fall sehr berührend. Und ein Satz von Penny am Ende der anschließenden Fragerunde bleibt mir dann noch im Gedächtnis: „Hope is what you have, when you know that things will be great, in the middle of a catastrophe.“

Nach Lesung und Fragerunde wird Rajas Buch in der Aula verkauft, unter einem derartigen Andrang, dass nach kürzester Zeit alle Exemplare vergriffen sind. Clara, die Spanierin aus unserem Kurs, hat Glück, und kann noch das letzte ergattern und sich signieren lassen. Ich werde mir das Buch definitiv in einem bookshop kaufen und lesen, bevor ich es hoffentlich innerhalb der nächsten Monaten einmal schaffe, nach Palästina zu reisen.

Ein Teil unserer Gruppe ist schon zurückgefahren, wir sind jetzt noch zu fünft, und passen demnach locker in ein Taxi zurück ins Stadtzentrum Ammans. Mir ist schon einmal aufgefallen, dass in den Autos hier selten nur fünf Personen sitzen, und auch die Taxifahrer haben kein Problem mit ein wenig Übergewicht in ihrem Fahrzeug. 

Zurück in Jabal Amman haben sich Rebecca und Lea schon fertig gemacht für eine kleine rooftop-Party bei uns in der Nähe. Ich stoße ein wenig später zu ihnen, auf eine sehr gemütliche kleine Dachterrasse, auf der man auf Sofas bei Kerzenlicht einen schönen Blick auf die Zitadelle hat. Ein Besuch dort im Open Air Museum steht definitiv noch aus.


Die Vokabeln:

Katastrophe- نكبة

weit weg- بعيد

nachdem- بعد

bei- عند

bevor- قبل  


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