Salam ya Amman
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Underground Amman

Veröffentlicht: 16.11.2019

Freitag, 15. November

7:30 am. Es fühlt sich gut an, das Joggen wieder in meiner Morgen-Routine zu haben. Ich frühstücke danach seit langem mal wieder zusammen mit Lea und Rebecca. Das ist in den letzten stressigen Wochen wirklich viel zu kurz gekommen. Um 10 Uhr machen wir uns dann auf den Weg zur Rainbow Street. Lea hat bei Facebook ausfindig gemacht, dass jeden Sonntag und Freitag geführte Touren durch Amman stattfinden, bei denen man mehr zur Graffiti-Kunst und -Szene Ammans erfährt, „Underground Amman“. Und heute an unserem sonnigen freien Tag ist der perfekte Zeitpunkt dafür. Wir sammeln unterwegs noch Ibrahim auf und stoßen dann bei Al-Quds, Ammans bekanntester Falafel-Bude in der Rainbow Street, zu dem Rest der Gruppe. Wir sind etwa 20 Leute, die größte Gruppe, die Ala‘din, unser Guide, bisher hatte. 

Los geht es durch Straßen, die uns durch unsere täglichen Wege zur Uni größtenteils schon bekannt sind. Keiner von uns hat bisher jedoch so genau auf die zahlreichen Graffitis geachtet, die hier teilweise sehr offensichtlich, teilweise etwas versteckt, überall zu sehen sind. Ala‘din erklärt uns, dass alle Graffiti-Künstler*innen hier in Amman einen eigenen Stil und eigene Handschrift haben. Das Markenzeichen des Künstlers Saradin zum Beispiel sind kleine Origami-Boote, und seine Graffitis behandeln oft das Wasserproblem Ammans. Yaratun, eine andere Künstlerin, sprüht oft kindliche Motive. Generell vermitteln die Graffitis hier in Amman verschiedenste Botschaften: teilweise gesellschaftskritisch, teilweise drücken sie die ganz persönlichen Gefühle der Künstler*innen aus, im positiven und im negativen, teilweise zelebrieren sie die hiesige Kultur auf traditionelle und auch moderne Art und Weise. 

Ein Motiv ist uns schon öfters aufgefallen, wenn wir in der Nähe unserer Uni die Pausen zwischen den Vorlesungen verbracht haben. Es sind die Köpfe zweier Frauen, eine davon trägt einen Hijab, die sich sehr nahe kommen. Ala‘din sagt uns, dass das Gesicht der einen Frau mit Absicht etwas jünger wirkt, um der Interpretation freien Spielraum zu lassen: es könnte eine Mutter mit ihrer Tochter sein, gleichermaßen jedoch auch ein homosexuelles Paar. Es ist kein Zufall, dass dieses Bild an einer hohen Hauswand so angebracht ist, dass es nicht einfach zu zerstören ist. Künstler*in ist außerdem unbekannt – bei einem derart sensiblen Thema wäre es zu gefährlich, die Identität preiszugeben.

Als wir zum Parkplatz unserer Uni kommen, der von wunderschönen, bunten Graffitis eingeschlossen ist, sehen wir, dass am Ende des Parkplatzes gerade zwei Personen eine Wand bearbeiten. „Guys, you are so lucky!“, sagt Ala‘din. Es ist Souhaib, der bekannteste Streetart-Künstler Ammans, zusammen mit Randa, einer weiteren bekannten Graffiti-Künstlerin, die hier gerade ein Mauerstück des Parkplatzes erneuern. Zu lautem Hip-Hop, der aus einer großen Box schallt, und mit guter Laune sprühen die beiden gerade schwungvolle Linien auf die Mauer. Ich hätte nichts dagegen, den beiden den Rest des Tages zuzuschauen, aber unsere Tour führt uns nun zunächst noch nach Weibdeh.

… über bekannte Straßen: die Treppen hoch, vorbei an Jadal (dem Cultural Café), den süßen Cafés und Läden oberhalb Jadals, entlang der Straße, die ich immer entlanggehe, wenn ich Sophia besuche. Von der anderen Seite der Stadt können wir nun auf den Parkplatz sehen, auf dem wir eben noch waren, wo Souhaibs und Randas Bild immer mehr Gestalt annimmt. Ala‘din gibt uns auf dem Weg noch ein paar persönliche Informationen zu sich selbst. Er ist seit ein paar Jahren in der Hip-Hop-Szene Ammans als Tänzer aktiv. Er erzählt, wie er seine konservative Familie erst einmal davon überzeugen musste, die Karriere als Maschinenbauer für seine Hip-Hop-Leidenschaft hinter sich zu lassen. Jetzt unterstützen ihn seine Eltern aber, sagt er mit einem Lächeln, und hoffen, dass er irgendwann einmal im Ministerium für Kunst seinen Einfluss ausüben kann.

Wir enden unsere Tour im House of Dreaming, ein open space für Künstler*innen, Musiker*innen und alle Leute, die in irgendeiner Art ihre Kreativität oder Leidenschaft ausleben wollen. Die Wände von außen und innen sind sehr bunt und künstlerisch gestaltet, in den offenen Räumen findet man verschiedenste Kunstinstallationen. Es finden hier kostenlos verschiedenste Workshops und Veranstaltungen statt. Wir kommen oben auf der Dachterrasse in einer gemütlichen Paletten-Sitzecke bei Kaffee und Tee zusammen und Ala’din sagt uns nochmal, dass die Hip-Hop-Szene hier in Amman hauptsächlich die positiven Seiten des Lebens zelebrieren, und allen Schmerz und Frust der schwierigen politischen Situationen in den arabischen Ländern hinter sich lassen will. Ein befreundeter Tänzer von ihm, der sich zu uns gesellt hat, stimmt ihm zu. „We’ve been bleeding enough. Let’s fight them with love.“

Nach der wirklich schönen und interessanten Tour gehe ich mit Lea und Ibrahim zum Lunch in ein traditionelles jordanisches Restaurant in Jabal Amman und mache mich dann noch auf den Weg zu Jadal, wo ich den Nachmittag zum Lernen verbringe. Ich unterhalte mich dort ein wenig mit Adam, der aus dem Irak kommt und gerade bei Jadal als Volunteer arbeitet. Er ist auch als Musikproduzent und Künstler aktiv und zeigt mir gerade ein paar seiner Kunstwerke, die in den Innenräumen Jadals aushängen, als mir eine andere Mitarbeiterin Jadals meinen Laptop und Rucksack von draußen hereinbringt: es hat aus dem Nichts angefangen zu schütten. Richtig zu schütten.

Ich verbringe also den Rest des Nachmittags unter Regenprasseln im regengeschützten Innenbereich und mache mich am Abend auf den Weg nach Hause. Es regnet zwar nicht mehr, aber die Temperaturen haben sich deutlich abgekühlt. Der Winter in Amman ist vor allem sehr nass, wie wir uns haben sagen lassen. Wenn es jetzt also mit der Regenzeit losgeht, sollte ich mir vielleicht doch noch eine Regenjacke auf dem Friday Market besorgen.


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