Salam ya Amman
Salam ya Amman
vakantio.de/salam-ya-amman

Museumstag no. 2

Veröffentlicht: 15.02.2020

Dienstag, 11. Februar

11 am. Wir sind mal wieder etwa später an und brechen nach dem Frühstück auf, Richtung Arafat Museum. Als wir das Hostel verlassen, kommt uns ein junger Mann entgegen und warnt uns, in die Richtung zu gehen, aus der er gerade herkommt. Es gebe dort „political activities“, sagt er, und er habe eine halbe Stunde gebraucht, um durch die Menschenmassen zu kommen. Wir beschließen also, so lange weiterzulaufen, bis es nicht mehr geht, und dann eine Seitenstraße zu nehmen.

Je näher wir Richtung Stadtzentrum kommen, desto mehr Menschen begegnen uns mit Palästina-Flaggen in der Hand. Am Al-Manara Square dann, dem bekanntesten Kreisel in Ramallah, finden wir den Hauptteil der Demonstration vor. Wir werden später erfahren, dass es 10.000 Menschen waren, die heute in Ramallah demonstriert haben. Friedlich. Als Unterstützung für das offizielle Statement des Palästinenserführers Mahmud Abbas zu Trumps „Deal of the Century“, der nun von israelischer Seite schon geplant wird, umzusetzen. Der Plan sei „Schweizer Käse“, so Abbas‘ Aussage. Eigentlich ein ganz nettes Wortspiel.

Wir nehmen nun ein paar Seitenstraßen auf dem Weg zum Museum, um nicht mittenrein zu geraten und laufen zwischendurch immer wieder durch Demo-Gruppen. Es fällt auf, dass viele der Demonstranten extrem jung sind. Politikverdrossenheit, wie sie bei uns zu Hause oft zu sehen ist, muss man sich auch erst mal leisten können.

Wir betreten nun das Museum, bekommen Audio Guides und starten unsere Info-Tour am Anfang eines langen Korridors. Auch hier wird die Geschichte Palästinas seit Ende des 19. Jahrhunderts erzählt, und auch hier bekommen wir (wie praktisch von allen Quellen, die in irgendeiner Weise über den Israel-Palästina-Konflikt berichten) eine weitgehend einseitige Sichtweise präsentiert. Wir sind uns darüber im Klaren, dass Jassir Arafat weder ein Engel war, noch ein Befürworter gewaltfreien Widerstands, auch wenn er 1994 den Friedensnobelpreis erhielt. Dennoch ist hier die Geschichte des Konflikts chronologisch und anschaulich aufbereitet und bringt wieder ein bisschen mehr Licht in die riesige schwarze Box namens Nahostkonflikt.

Uns wird noch einmal ein wenig klarer, dass Palästinenser*innen von Anfang an gegen die Teilung des Gebiets Palästinas war – das kann recht einfach in Vergessenheit geraten, wo mittlerweile die Zweistaatenlösung als einzige realistische Alternative gesehen wird. Außerdem werden uns jetzt erst die Dimensionen des Teilungsplans bewusst. Bis zu diesem Zeitpunkt war etwa die Hälfte des Landes besitzlos, 47% waren in arabischem Besitz, 6% des Landes hatten Jüd*innen bis dahin besessen oder erworben. Auch wenn bis 1947 die Anzahl jüdischer Einwohner*innen im palästinensischen Gebiet durch Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs gestiegen war, machten sie trotzdem erst ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus. Der Teilungsplan der UN sah jedoch 56% des Landes für das jüdische Israel vor, 43% für das arabische Palästina. Durch den daraus folgenden arabisch-israelischen Krieg, in dem Israel gewann, umfasste der Staat Israel bei Staatsgründung dann 77% des Territoriums. Es ist schon ziemlich naiv zu glauben, dass unter solchen anfänglichen Voraussetzungen in diesem Gebiet irgendwie Frieden herrschen könnte.

Etwas ironisch ist es außerdem, dass die UN als Reaktion auf die vertriebenen Palästinenser*innen die UNRWA als „temporäres Hilfsprogramm“ zur Betreuung palästinensischer Flüchtlinge ins Leben rief – war es doch der Teilungsplan der UN selbst, der Auslöser für den arabisch-israelischen Krieg war, der bekannte Konsequenzen hatte. Seit der Gründung 1949 wurde das Hilfsprogramm regelmäßig um drei Jahre verlängert. Laut UNRWAs Definition gelten solche Personen als Palästina-Flüchtlinge, „deren ständiger Wohnsitz zwischen 1. Juni 1946 und 15. Mai 1948 in Palästina lag und die ihren Wohnsitz und ihre Lebensgrundlage durch den Arabisch-Israelischen Krieg von 1948 verloren haben“. Das alles ist wirklich so absurd, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll.

Was im Museum untergeht, ist die hohe Anzahl jüdischer Flüchtlinge, die es aufgrund des Zweiten Weltkriegs in Europa gab. Aber nicht nur das: der arabisch-israelische Krieg hatte auch zur Folge, dass es in der islamischen Welt eine Reihe von Progromen gegenüber den jüdischen Minderheiten dort gab, weshalb während und nach des Kriegs mehr als eine halbe Million Jüd*innen aus muslimischen Ländern nach Israel flohen. Während Israel jedoch versuchte, die jüdischen Migrant*innen als Bürger im neuen Staat zu integrieren, verweigerten viele arabische Staaten die Integration der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Gesellschaften (Israel lehnte eine Rückkehr derer nach Ende des Kriegs kategorisch ab). Dies hatte zur Folge, dass palästinensische Flüchtlinge jahrzehntelang (teilweise bis heute) in Flüchtlingslagern als Staatenlose gefangen blieben.

1964 wurde die PLO ins Leben gerufen, die Palästinensische Befreiungsorganisation. Es handelt sich um eine Dachorganisation, die die Vertretung der Palästinenser*innen anstrebt. Dass die PLO sich unter Arafat radikalisierte und terroristische Anschläge verübte, wird im Museum nicht erwähnt. Dennoch erhielt Arafat 1994 zusammen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Jizhak Rabin den Friedensnobelpreis, für deren Bemühen um eine friedliche Lösung im Nahostkonflikt. Die Hoffnung aller auf dauerhaften Frieden, und der Palästinenser*innen im Speziellen auf einen eigenen Staat sollten sich nicht erfüllen. Verhandlungen zwischen Israel, den USA und der PLO über die Schaffung eines palästinensischen Staates gingen nie erfolgreich aus. Natürlich schieben sich die verschiedenen Fraktionen gegenseitig die Schuld für gescheiterte Verhandlungen zu.

Es kam 2000 zur Zweiten Intifada, einem weiteren gewaltsamen Konflikt zwischen Palästinenser*innen und Israelis, der sich von Jerusalem auf den Gazastreifen und die Westbank ausbreitete. Das Ende dieser Intifada im Jahr 2005 kam einher mit dem Ausbau der israelischen Sperranlage, der bekannten Mauer, die die Westbank von Israel abriegelt. Auch wenn die UN-Vollversammlung 2004 entschied, dass diese Mauer gegen Völkerrecht verstößt, ging der Bau der Sperranlage immer weiter. Und da sind wir nun heute. In Ramallah, der charaktervollen Stadt mitten in der Westbank, abgeschirmt vom westlichen Teil des Landes mit einer riesigen Mauer. Auch wenn ich erst nach dem deutschen Mauerfall geboren bin, fühlt es sich ein bisschen so an, als würde sich ein Teil der deutschen Geschichte hier wiederholen. Mit dem Unterschied, dass die Menschen hier immer noch in dem Albtraum gefangen sind.

Die Besucherzeit des Museums ist fast vorbei und die Mitarbeiterinnen werden schon ungeduldig. Wir schauen uns also noch schnell die Räumlichkeiten im Keller an, wo Arafat ab 2001 für etwa 3 Jahre bis zu seinem Tod von Israel unter Hausarrest gestellt wurde. Möbel und Gegenstände befinden sich noch an Ort und Stelle, sodass es wirkt, als hätte Arafat gestern hier noch gewohnt.

Unsere Köpfe sind mal wieder voll. Wir finden ein Lokal, in dem wir günstige und sehr leckere Falafel bekommen, wo Clara dann wieder zu uns stößt. Aisha hat sich in der Zwischenzeit wieder auf den Rückweg nach Amman gemacht. Wir gehen noch einen Tee trinken und versammeln uns dann später im Hostel mal wieder um das Gasöfchen. Es ist gerade wirklich eisig kalt, hier in Ramallah.

Antworten