Veröffentlicht: 07.09.2022
Gar nicht so lange her, als unsere deutschen Vorfahren dachten, sie müssten die Welt überfallen.
Ein mir bisher nicht so geläufiges Kapitel war die Besetzung der Kanalinseln durch die Deutsche Wehrmacht zwischen 1940 und 1945. Dabei spielt die Appeasement-Politik, also das Nachgeben gegenüber totalitären Staaten, von Großbritannien unter Arthur Neville Chamberlain zumindest eine gewisse Rolle.
So war es seine Annahme, dass er Großbritannien durch eine zurückhaltende Politik aus einem Krieg heraushalten könnte. Letztendlich war das aber fruchtlos und (wir wissen es alle) Großbritannien trat am 03.09.1939 in den Krieg gegen Deutschland ein, nachdem diese Polen überfallen hatten.
Die Kanalinseln wurden allerdings militärisch von der britischen Führung nicht mit einbezogen. Das wurde zwar geheim gehalten, aber machte es den Deutschen umso einfacher. Im Juni 1940 besetzten sie die Inseln und nach und nach wurden hier 15.000 Soldaten stationiert.
Zwar konnten einige wenige Insulaner noch vor der Besetzung nach Großbritannien gebracht werden, aber die meisten blieben auf den Inseln.
Das Museum "Jersey War Tunnels" beschreibt die Zeit der deutschen Besetzung bis zum Ende am 09.05.1945. Sehr anschaulich, mit Bild- und Tonaufnahmen, bewegen wir uns in einem Objekt, das die Deutschen als unterirdischen Hospital gebaut hatten. Die damals als "Hohlgangsanlage 8" bezeichnete Anlage war sehr massiv und wurde vor allem auch durch gefangene ausländische Zwangsarbeiter gebaut. In kräftezährenden 12-Stunden-Schichten arbeiteten sie unter schlechten Bedingungen und mangelhafter Ernährung. Oft waren dies russische Soldaten.
Trotzdem ja die Kanalinseln überfallen wurden, ist die Ausstellung nie einseitig und beleuchtet alle Seiten der Geschichte. So wird der Betrachter von einem netten jungen deutschen Mann nach Hilfe bei der Wäsche oder einer Kugel Eis gegen Bezahlung gefragt. Der Besucher wird mit der Frage "Would you..." konfrontiert, ob er helfen würde. Immerhin ist das deutsche Gegenüber auch ein Mensch, könnte der eigene Sohn sein, steht nur auf der anderen Seite.
Auch wird erklärt, dass es am Anfang der Besetzung durchaus ein einigermaßen ordentliches Nebeneinander gab. Es herrschte kein Mangel, die Geschäfte waren voll. Die blonden (!) Deutschen, so wurde es wirklich in der Ausstellung formuliert, sahen gut aus und begeisterten sich für sportliche Wettkämpfe.
Erst als es zu Lebensmittelknappheit, schließlich Hunger und Rationierung kam, wurde die Lage schwieriger. Zudem gab es Ausgangssperren und auch Exekutionen.
Dass es unter der Bevölkerung aber nicht nur Widerstandskämpfer gab, sondern auch gegenseitige Bespitzelung bis hin zu Anzeigen gegen Nachbarn, um persönliche Vorteile zu erlangen, zeigt die Ausstellung auch.
Mit der Eintrittskarte am Eingang erhält jeder Besucher auch eine Identitätskarte einer wirklichen Person. Jeder dieser Menschen hatte eine besondere Geschichte bei der Besetzung Jerseys und man kann diese dann nachlesen. Manche waren Verräter, andere flüchteten auf abenteuerliche Weise über das Meer und wieder andere waren Helden, weil sie unter größtem Risiko geflohene Zwangsarbeiter versteckten. Für einige ging das gut aus, andere starben im Konzentrationslager.
Dass es auch Kollaborateure gab, die nach Kriegsende vor den eigenen Landsleuten geschützt werden mussten, ist auch Teil der Geschichte.
Aber natürlich endet die Ausstellung mit der Befreiung. Diese war aber nicht, wie von vielen Insulanern erhofft, kurz nach dem D-Day am 06. Juni 1944. Durch heimliches Radiohören hatte die Bevölkerung diesen durchaus mitbekommen. Aber die Kanalinseln waren den Alliierten nicht wichtig genug.
Erst am 09. Mai 1945, also einen Tag nach der Kapitulation Deutschlands, war auch die Besetzung der Kanalinseln beendet. Der Tag heißt seitdem Liberation Day.