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Puerto Pobre - Felix Rico

Veröffentlicht: 22.11.2021

Ich stelle mir für den nächsten morgen den Wecker, um dieses Mal nicht um 12.00 Uhr die Fähre, sondern 10.25 Uhr den Zug zu nehmen. Ich packe alles zusammen, weil ich ja entweder direkt weiter nach Gibraltar fahre oder vielleicht ja auf dem Boot bleiben kann bis wir lossegeln. Oben in der Küche erzählt mir die französische Amondine jubelnd noch von einer Freundin, die nur einen Tag in Cádiz auf ein Boot wartete. Ich meine, sie hatte sicherlich viel Glück und als Frau hat man sowieso bessere Chancen. Besonders wenn man sonst keine großen Segelerfahrungen vorweisen kann. Amondine kritisiert meine negative Erwartugshaltung, aber ich denke, sie versteht mich falsch und dass ich sehr wohl daran glaube, dass es auch für mich möglich ist. Sie erzählt mir noch von einer Frau mit einer Casa, die jemanden zur Unterstützung sucht. Vielleicht kommt das ja für die zwei Wochen warten in Frage.

Ich spurte zum Bahnhof, bekomme den Zug noch entspannt. Vom Bahnhof von Puerto de Santa Maria laufe ich zügig etwas mehr als eine Stunde erst durch die Stadt und dann die Strecke am Strand wie am Tag zuvor. Nur nicht so leicht rollend. Dieses Mal muss ich den Weg nicht mehr nachschauen. Die Sonne scheint, der Himmel lässt nur noch ein paar kleine Wolken übrig. Ich laufe, dieses Mal mit Sack und Pack, in kurzer Sporthose und T-Shirt und überhole alle Spaziergänger*inmen. An der Klimmzugstange am Wegesrand sind zwischendrin sind aber trotzdem noch ein paar Züge drin. 

Der Weg entlang des Strandes zum Puerto Sherry

Im Kopf spiele ich die verschiedenen Szenarien durch. Die Vorstellung, dass es nicht klappt und auch in Gibraltar nicht besser wird und ich am Ende fliege, setzt mich unter Druck. Ich will nicht Scheitern. Amondine fällt mir ein und ich versuche mich mit dem was kommt einzustimmen und nicht zu sehr zu verkrampfen. Es hilft. Ich laufe leichter und freue mich über das, was jetzt da ist. Die Sonne, der Ozean, zwei Beine am Körper und ein Rücken der meinem Rucksack hält. Das ist doch schonmal super! 

Am Puerto Sherry gehe ich wie  abgemacht zu Pier F und will an der Tür die Señora aus dem Leuchtturm anrufen, als mir ein älterer Spanier die Tür von Innen öffnet. Wie zuvorkommend!

Jetzt bin ich auf diesen Landungsbrücken und den ganzen Segelbooten zum Greifen nah. Ich halte Ausschau nach einer Schweizer Flagge. Fast am Ende des Steges hantiert ein Mann mittleren Alters mit einem jüngeren mit langen, lockigen Haare auf einem modernen Katamaran herum. Es ist bestimmt 8 Meter breit und über 20 Meter lang.  Der Ältere putzt mit einem Hightech-Luftdruck-Ding die glänzende Oberfläche des Segelbootes, während der jüngere mit einem Schwamm herumfuhrwerkt. Sie sprechen mit Schweizerischen Dialekt über ihre Tätigkeit. Ich pirsche mich etwas näher heran und schaue Ihnen zu, bis einer der beiden mich bemerkt. Ich begrüße beide auf deutsch und frage den Älteren, ob er Egon sei und dass ich gestern bei der Señora am Leuchtturm gewesen sei. Er weiß sofort, worum es geht und erwidert im nächsten Satz, dass das nichts werde. Sein Segelboot hat ein Leck und seit mehreren Wochen bekommen sie es nicht repariert. Weil sein Katamaran noch relativ neu ist, will er ihn in seine Werft in Frankreich bringen. Im allerbesten Fall ist alles in vier Wochen wieder Aufbruch breit. Doch bis dahin möchte er niemanden etwas versprechen, wie Nanu mir später erzählt. 

Ich bin verdutzt. Gleichzeitig nicke ich und stimme verständnisvoll zu. Nanu, der Jüngling in meinem Alter wird sich auch auf den Weg mit der Fähre zu den Kanaren aufmachen. Ein Schiff mit seiner Crew, die in die Karibik fährt, erwarte ihn dort in einer Woche. 

Dann ist ja alles klar. Ich bleibe vorerst an Ort und Stelle und verarbeite die Neuigkeiten. Die anderen beiden machen sich weiter ans Werk. Ich lege meine Sachen ab und melde mich nochmal bei ihnen, weil ich noch Fragen habe. Das muss jedoch erstmal warten, weil die fein lackierte Oberfläche des Bootes sich gerade erstmal dringend wünscht auf Hochglanz gebracht zu werden. Das könne erstmal dauern, so Egon.

Also setze ich mich wie ein festgesetzter Matrose auf den hölzernen Steg und lehne mich an einen metallischen Kasten, der vielleicht zur Aufbewahrung irgendwelche Dinge dient. Ich esse Käse und Möhren. Die Sonne knallt ganz schön, sodass ich mich im Schatten eines dicken, verrosteten Pfeiler verstecke, der aus dem Hafenbecken ragt.  

Irgendwann kommt Nanu mit einer Zigarette in der Hand zu mir an den Steg. Er nimmt sich Zeit und er berichtet mir alles, was über das Sailhiking weiß. Er selbst war schon vor zwei Jahren auf dem Weg und ist zu Beginn der Pandemie in der Karibik stecken geblieben und probiert jetzt einen zweiten Versuch. 

Damals hatte er der Küste Spaniens entlang Richtung Süden gefolgt und jeden Hafen abgeklappert bis er nach anderthalb Monaten über eine Internet-Plattform Erfolg hatte und mitgenommen wurde. Wegen nicht so netter Menschen erstmal nur ein kleines Stück, aber das reichte wohl um danach schneller weiter bis hin auf die Kanaren und von dort weiter zu kommen. Anderthalb Monate! Ich hörte aufmerksam zu. Nanu hat täglich drei Stunden auf Facebook, crewbay, findacrew und sonstigen Seiten Menschen angeschrieben, Posts gemacht, alle paar Tage alles aktualisiert und viel Zeit damit zugebracht im Web präsent zu sein. Cádiz sei ganz schlecht für Sailhiking, weil die Menschen aus dem Norden Europas, Britannien, Deutschland usw. an der portugiesischen Küste entlang, wenn dann, nochmal in Faro oder Lagos halten, bevor sie sich auf die Kanaren machen. Alles, was aus dem Mittelmeer kommt, hält wohl in Gibraltar/La Línea. Cádiz, genau in der Mitte gelegen, sieht in der Hinsicht doch eher ärmlich aus. In Gibraltar hat Nanu jedoch auch keine guten Erfahrungen gemacht und an der portugiesischen Küste haben sie wohl momentan mit Segelschiffe angreifenden Orcas zu tun, sodass dort auch viele nicht pausieren. Nanu ist freundlich und wir verabschieden uns mit einem vagen Vielleicht bis nach Kolumbien. Er macht sich wieder aufs Boot und ich sinke wieder auf den Boden der vermeintlichen Tatsachen.

Tschüss, Segelboot!
Ich bin etwas desillusioniert. Mehrere Monate möchte ich wirklich nicht warten. Und ständig am Handy hängen und um sich werben ist nun auch nicht mein Traum vom wilden und abenteuerlichen Segeln. Ich will etwas machen, was ich in der Hand hab. Oder in den Füßen. Ich frage mich kurz, ob man irgendwie nach Kolumbien laufen kann. Dann esse ich weiter. Ich sitze bestimmt zwei Stunden an der selben Stelle am Steg im Hafen von Puerto Sherry, umgeben von Booten, die mich alle nicht weiterbringen. Ich recherchiere nach Crewbay, erstelle mir auch dort ein Konto und schreibe wenige in Frage Kommende an. Ich suche eine Mitfahrgelegenheit nach Gibraltar, finde aber nur eine nach Algeciras. Dort frage ich noch für ein Zimmer bei Airbnb an, während alle Anfragen bei Couchsurfing bisher sowieso ergebnislos waren.

Ich mache mich wieder zurück auf den Weg nach Puerto de Santa Maria. Ich fühle mich träge und habe eine glühende Birne. Mein Kopf ist heiß gelaufen. Von der Sonne, vom Handyglotzen, vom Nachdenken und konfrontiert sein mit dem Scheitern. Ich will nicht scheitern. Ich will aber auch nicht ewig rumhängen und das Gefühl haben, dass mir  die Zeit davon rennt. Dann lieber Fähre und auf den Kanaren nochmal schauen, ob ich Erfahrungen bei Turns zwischen den Inseln sammeln kann und dann rüber. Oder fliegen. Ich fühle den inneren Zwang, mein Ego, das sich aufgebaut hat, herum um die Vorstellungen diese Reise Abenteuerlich zu segeln. All die Erwartungen, die nicht enttäuscht werden wollen, auch von dir, wert*e Leser*in. Verhaftet in der Idee, mache ich am Strand eine Pause und springe ins Wasser um mich abzukühlen und wegzuwaschen, was ich da nicht haben will. Etwas frustriert setze ich mich weiter Richtung Einlaufbecken von Puerto de Santa Maria in eine Hafenbar-Restaurant. Reggaeton schallt aus den Lautsprechern, Familien, Freunde, einige Gruppen sitzen an Stehtischen am Hafenbecken unter freiem Himmel. Ich bestelle einen doppelten Espresso und will mir eine Anzünden. Gleichzeitig tippe ich getrieben am Handy um weiter zu organisieren. Dann ist plötzlich mein Datenvolumen alle und die App um es wieder aufzuladen nicht heruntergeladen. Alles braucht ewig und genieße nichts.  Den Kaffee vielleicht schon etwas. Er ist schön schwarz und gibt meinem Körper irgendwas, das mich etwas unsensibler gegenüber dem Frust und der Anstrengung daraus werden lässt. Irgendwann klappt das Ding wieder und ich gehe weiter. An einer Stelle, die mir schon die Tage zuvor aufgefallen war, lasse ich den Rucksack nochmal von mir und hänge die Ringe auf. Ich turne herum und springe über gefällte Palmstämme. Nebenbei klärt sich meine Fahrt nach Algeciras, wie auch meine Übernachtung in einem billigen Airbnb. 

Ort der Besinnung auf das, was ist. 

Ich komme wieder zu mir. Sitze auf dem Boden und kann langsam auch wieder tiefer atmen. Es wird wohl schon irgendwie was werden und wenn das hier nicht klappt, dann war das für mich ein Versuch und ich finde einen anderen Weg. Dann ist das eben so. Wie unterschiedlich die eigene Haltung zu einer Sache sein kann - und wie stark sie sich heute bei mir geändert hat! 

Ich bin also weiter am Start. Nur fühle ich mich nicht mehr so verbissen. Ich bekomme eine Antwort von einer italienischen Seglerin, die bereits einen anderen, 28 yo,  mitnimmt, aber Offenheit zeigt mich am Ende der Woche in La Línea zu treffen. Zumindest sofern dies das Wetter in Aguadulce, wo die Beiden sind, zulässt. Ich laufe zum Bahnhof, wo der Treffpunkt fürs BlaBlaCar ist. Am Kiosko de la estación frage ich an der verrauchten Bar neben angetrunkenen Spielern nach ein paar Oliven. Der Wirt freut sich über meine Frage und will kein Geld für das Schälchen der Oliven, die er mir aus einer Lake abschöpft. Ein Geschenk.

Ja! Dorthin will ich! 

Es dämmert schon seit einiger Zeit, als der rote Fiat am Bahnhof ankommt. Auf der Fahrt wird viel gequatscht - über die Fähre nach Tangers, die in Algeciras abfährt. Ich bin Beifahrer und verabschiede mich schon zu Beginn der einstündigen Reise hinter meine geschlossenen Augen.

Es ist hell in Algeciras. Der Hafen ist viel größer als in Cádiz und die Stadt besteht zur Hälfte aus dieser leuchtenden Kranlandschaft auf Beton. Auf dem Weg durchs blendende Dunkel gönne ich mir noch ein paar gebrannte Maronen an der Kreuzung. Bei Michael im Wohnhaus habe ich ein eigenes Zimmer, das Bad teile ich mir mit Menschen aus drei anderen Zimmern. Ich fühle mich upgegraded durch die neue Privatsphäre meines eigenen Zimmers. Ich esse und telefoniere auf meinem Bett. Das tut gut. Um mich ist es ruhig und nur eine kleine Nachttischlampe hält mich noch wach. Der Tag war auch innerlich eine ganz schöne Reise. Ich bin dankbar wieder etwas mehr Klarheit und Ruhe zu spüren. Die Zukunft hat erstmal abgelassen mich so zu bedrängen und ich darf gefüllt ins Land der Träume sinken.

https://youtu.be/B7PnQBn5k_E



Antworten (2)

Merlin
Wie ärgerlich nach der langen Anfahrt und den vielen Erwartungen am Morgen! Aber nicht den Kopf hängen lassen, der Weg ist das Ziel und wie schön sind die Bilder dieses Beitrags!? Wenn es nicht klappt ist es doch auch toll die Möglichkeit und das Privileg zu haben rüberzufliegen. Vielleicht kann mensch dann immernoch zurückzusegeln. Ich drücke weiter die Daumen und freue mich jedes mal wenn es einen neuen Beitrag gibt :) Fair wind and a following sea to Algeciras! -M

Felix
♥️🙏🏽

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