Veröffentlicht: 20.11.2024
USA Update:
Was ich am langsamen Reisen mag, ist nicht nur das Wissen, dass ich dadurch – (zumindest etwas) umweltfreundlicher unterwegs bin – sondern auch und v.a., da es das Gefühl vermittelt, näher dran zu sein. Näher dran am Boden, an den Menschen hier, an dem, was um mich herum stattfindet. Seit gestern Nacht bin ich mit dem Zug nach #WashingtonDC unterwegs und weiter nach #Baltimore, wo ich mit einer Tochter einer "meiner" DPs verabredet bin. Einmal durch #Ohio, #Pennsylvania und was auch immer noch für Bundesstaaten dazwischen sind. Viele (Überland-)Busse fahren derzeit in den USA nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt – Covid hat vieles lahmgelegt, wenn auch immer nur an bestimmten Stellen. Die doch sehr unterschiedliche Covid-Politik der einzelnen Bundesstaaten erinnert ein wenig an die sehr vielfältigen Großstädte – ein Straßenzug so, der nächste sehr und radikal anders. In Bezug auf Multikulturalität ist dies auch extrem spannend, belebend.Die Vielfalt und das von Viertel zu Viertel Hüpfen ist – wie auch bereits in #NYC – beeindruckend. Faszinierend: Sprachen, Religionen, mindsets, Einstellungen, Aussehen, Hautfarbe, Herkunft, Identität(en). Das Verbindende ist das Verschiedene. Ich hätte von mir gesagt, dass ich schon viel Vielfalt erlebt habe und (mit-)erleben konnte, doch das hier ist an manchen Stellen, noch einmal etwas mehr davon, mehr von allem.Durch #NYC musste ich keine zwei Stunden durch die Stadt laufen um das Gefühl zu haben, einmal um die Welt gereist zu sein. Auch in #Chicago ist es nicht anders; auch wenn es dort mit dem „Stadterwandern“ schon schwieriger war: zwar gibt es auch dort Gehwege, doch dies sind/waren kaum geräumt und dazu kam, dass von etwa fünf Tagen, vier Tage die gesamte Stadt eine durchgehende Eisfläche war – zumindest auf den Gehwegen, von den Vororten (oft auch ohne Gehwege) kaum zu sprechen. In #Detroit – Motown – ist die Autoleidenschaft so ausgeprägt, dass ich es nur als fußgängerfeindliches Terrain im größten Ausmaß beschreiben kann. Die Liebe zu Autos konnte ich noch nie wirklich nachvollziehen und sie ist in #Detroit wohl mit am extremsten ausgeprägt, aber auch sonst: ohne Auto unterwegs zu sein sorgt doch immer wieder für Erstaunen bei Menschen von hier; wie auch, dass ich einmal im Land – egal wie groß – das Flugzeug aus Prinzip nicht nehme, es zumindest versuche.Da diese Nachrichten oft zu lang werden, eine kleine Auflistung von sagen wir, Auffälligkeiten und Anekdoten:Detroit – Covid scheint es hier nicht wirklich zu gebenAuf dem Weg durch Pennsylvania: Plakate, Schriftzüge Pro-Trump, Make America great again, Fuck Joe Biden,…Cleveland, auf dem Weg zum Bahnhof: der uber-Fahrer, der mich für verrückt erklärt, dass ich nach Chicago fahre: Mord und Totschlag, Raub, "eine der gefährlichsten Städte der USA", ihn würde da nichts hinziehen v.a. auch aufgrund des Bürgermeisters, der alles nur noch schlimmer mache – im Laufe des Gespräches kommt heraus, dass es (nicht nur) eine Bürgermeisterin ist, die seiner Meinung unfähig sei, sondern sie auch schwarz und offen lesbisch ist… Puh, ich war froh am Bahnhof anzukommen, da er gerade noch dabei war mir zu erklären, dass wir in Deutschland den Glauben an Gott verloren hätten und somit das Land kurz vorm Abgrund stehe… Trotzdem: die Gespräche mit Uber/Lyft-Fahrer:innen sind hochspannend. Das wäre einmal eine wirkliche Untersuchung wert: Worüber kommen gänzlich Unbekannte auf kurzen Wegen von x nach y mit Hilfe von uber/lyft ins Gespräch? Worüber auch nicht? Welche Musik wird gehört? Wie sind die Fahrzeuge im Inneren „geschmückt“,…Und das führt mich zum nächsten: in Chicago bin – oder musste – ich zur Nutzerin, vielleicht mittlerweile sogar Liebhaberin, von uber und Lyft werden; Fortbewegung ansonsten war kaum möglich – und ja, ich gebe zu, es gab Momente in Chicago in denen ich mich nicht besonders wohl gefühlt habe. Dabei fiel mir auf, dass ich dieses Unbehagen in LA und auch San Francisco 2009 schon einmal hatte und eigentlich kaum woanders – auf all meinen Reisen, die ich bisher auch und gerade allein unternommen habe und auch wenn es mir kaum jemand glauben wird: in Detroit hatte ich dieses Gefühl eigentlich nicht.Zurück zur Vielfalt: auch wenn ich v.a. auf den Spuren der ostmitteleuropäischen Diasporagruppen bin und somit ohnehin nur einen eingeschränkteren Blick auf die USA bekomme: faszinierend diese Menschen zu treffen, zu sprechen, mit deren Archivalien zu arbeiten, zu suchen, zu finden, ein richtiges Entdecken. Und zudem auch die Geschichte (Ostmittel-)Europas aus einer anderen und v.a. erweiterten Perspektive zu sehen und eben zu erfahren - im sehr wörtlichen Sinne – da sein ist eben etwas anderes als nur Lesen. Mit am spannendsten war zuletzt #Hamtranck – eine eigenständige Kleinstadt inmitten von Detroit – Anfang des 20. Jahrhunderts zum überwiegend großen Teil von Polinnen und Polen bevölkert, dann von vielen, vielen weiteren. Irgendwann zogen viele dieser Menschen in andere Vororte oder Bundesstaaten und in den letzten circa 20 Jahren gab es einen größeren Zuzug von muslimischen Gruppen – von Albanien, Bosnien bis nach Bangladesch. Das Historical Museum Hamtranck ist eine Art Nachbarschaftsinitiative und hat mich – wie auch die sehr freundliche Hilfe durch das Ukrainian Museum dort – begeistert. Ohnehin habe ich das Gefühl, je näher dran an kleineren Initiativen und Museen, an bisher sehr (!!) unberührten Archiven – die teilweise eher eine Ablage von allem möglichen sind -, desto spannender und auch hilfreicher sind die Leute. Es geht viel mehr um ein Hin- und Herreichen meinerseits, ein einfaches Auftauchen und Quatschen und schwupps, schon bin ich bei xy und z, die mir aus ihren Leben und das ihrer Familien erzählen - auch wenn ich immer wieder für Irritationen sorge: jemand aus (Ost-)Deutschland, keine familiäre Verbindung nach Polen, in die Ukraine oder oder und nun in deren Räumlichkeiten in den USA. Die Tage in Detroit waren zwar nicht unbedingt so zielgerichtet und so würde meine Doktorarbeit vermutlich erst in Jahrzehnten fertig werden, aber für ein paar Tage, macht eben genau das auch sehr viel Spaß und ohnehin: in Washington DC geht es zurück in den bereits (vor-)organisierten Arbeitsplan.