Reisefischer Kanada
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#29 Halbzeit

Veröffentlicht: 25.02.2023

Hey hey hey,

am Freitag hat es während der Reinigung der Kabinen angefangen zu schneien, das erste Mal seit vielen vielen Wochen. Da ich mit der Reinigung der Kabinen zuständig war und Jenny die Innenräume etwas gereinigt hat, konnte keiner von uns Schneeschippen, was jedoch auch in unseren Augen nicht nötig war. Dann sind unsere neuen Kunden*innen angekommen und es dauert nur wenige zehntel Sekunden, um sich einen ersten Eindruck von Menschen zu machen. Mein erster Eindruck war: Ach du scheiße! Brenda und Don sahen für mich wie verbitterte Amerikaner aus und dann stiegen Bob und Lori aus dem Auto und oh man, Lori ist gefühlt dem Tod näher als dem Leben. Sie ist so alt und gebrechlich, dass ich sie von ihrer Kabine zum Haupthaus mit dem Auto fahren musste. Ich habe mich da schon gefragt, wie man sich in diesem hohen Alter für solch einen Workshop entscheiden kann. Sie hat sich dann auch direkt aufgeregt, weshalb denn der Weg nicht vom Schnee befreit ist und das macht noch mal einen zusätzlichen guten Eindruck. Jenny und ich haben dann darüber gesprochen, wo wir wen in welches Zelt setzen wollen und ich habe ihr gefühlt zehnmal gesagt, dass Bob und Lori nicht zu dem von ihr gewünschten Spot können, da er zu weit ist. Jenny hat jedoch wieder das gemacht, was sie am besten kann....mir nicht zuhören und so brachte ich Bob und Lori zu dem Spot. Ich brauche zum Zelt zehn Minuten, an diesem Tag haben wir über 30 Minuten gebraucht und Lori war gefühlt tot und hat sich natürlich noch die ganze Zeit aufgeregt. Wir haben an diesem Tag, wie Brenda und Don ebenfalls den Fischermarder gesehen. Irgendwie wollen alle dieses Tier fotografieren und so war dies ein sehr guter Start in den Workshop. Am dritten Tag hat Jenny einen neuen Spot errichtet, bei dem Bob und Lori nicht so weit laufen müssen (Lori hat sich natürlich trotzdem darüber aufgeregt) und anschließend hat sie Brenda und Don abgeholt. Als sie gerade auf dem Weg zum Zelt war, hat Jenny einen Wolverine (Vielfraß) aufgeschreckt und Don hatte genau sechs Sekunden Zeit, diesen zu fotografieren. Brenda und Don waren so glücklich darüber, da Brenda seit über fünf Jahren versucht, einen Wolverine zu fotografieren. Ich habe noch nie einen gesehen und nachdem ich gehört habe, wie aggressiv diese Tiere sind, möchte ich auch keinen sehen. Das Problem ist, dass Wolverines auch Luchse (und sogar junge Elche) töten können und daher höchstwahrscheinlich leider unsere Luchse an diesem Spot vertrieben haben (für einige Tage, wie du später sehen wirst), aber Brenda und Don waren natürlich megahappy, denn ein Wolverine vor die Linse zu bekommen ist extrem selten. An diesem Tag saß ich selbst in einem Zelt und als ich kurz davor war loszugehen, wollte ich noch mal kurz raus und einen Baum für mich aufsuchen. Als ich dann zurückgekommen bin, bin ich fast gestorben. Wie auch immer das passiert ist, aber meine nicht ganz geschlossene Teeflasche ist umgekippt und was lag auf dem Stuhl? Richtig, die Kamera. Ich habe das Abends Jenny gebeichtet und das war ein sehr sehr schwerer Gang für mich, du kannst dir nicht vorstellen, wie schlecht es mir ging! Das Wichtigste zu erst: Ich bin nicht gefeuert 😅 Das war meine größte Angst. Das Objektiv trocknet gerade seit mehreren Tagen aus und wenn das nicht reicht, schicken wir es in die Reparatur und wenn das nicht reicht, dann regelt das Jenny schon. So wie es aussieht, muss ich es (GLÜCKLICHERWEISE!) nicht bezahlen, denn ganz ehrlich, dann wäre mein Trip hier in Kanada zu Ende. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass solche professionellen Fotografen keine 0815 Objektive nutzen, sondern schon „etwas“ teurere. Es war auf jedenfalls ein sehr teurer kurzer Toilettengang für mich und verständlicherweise habe ich daher aktuell auch keine Kamera mehr. Deswegen gibt es auch kaum Fotos diese Woche, da erstens nichts Spektakuläres zu sehen war, außer die Vögel und zweitens ich auch nicht viel mehr erlebe.

Wir hatten jetzt nur mal wieder einen Wetterumschwung und haben auch wieder die -30 °C geknackt. An solchen Tagen starten wir später in den Tag und sitzen dann auch nur 3-4 Stunden draußen, was jedoch trotzdem superkalt ist, vor allem wenn man einfach nichts sieht. Mir tut diese Gruppe so leid, seit sieben Tagen warten sie auf irgendwas und nur am ersten Tag hatten sie den Fischermarder (+ Wolverine für Brenda und Don) und sonst nichts. Ich verstehe den Frust vollkommen. Sonst verlangt mir die Arbeit weiterhin viel ab und wenn ich dann nach Hause komme und mal wieder Jenny zuhören muss, wie sie sich in ihrem Massagesessel über ihr „hartes“ Leben aufregt und sagt, dass sie einfach nicht mehr kann und erschöpft ist von ihrer ach so vielen harten Arbeit (Kochen), trägt das nicht gerade zur Aufmunterung bei.

Einschub zur Luchssituation: Ich sollte den Beitrag nicht schon am Donnerstag anfangen zu schreiben 😅

Ich saß heute mit Bob in dem Zelt, an dem wir die einzigen Luchse bisher gesehen habe und na ja, da wir heute wieder nur drei Stunden (reichen bei -25 °C auch definitiv aus) dort saßen, hatte ich keine große Hoffnung. Zehn Minuten, nachdem ich mich in meinen Schlafsack gekämpft habe, hörte ich von links Geräusche und dann kam doch tatsächlich ein Luchs raus. Das Weibchen aß dann fast eine ganze Stunde dort und ich konnte sie dabei beobachten. Ich habe mich natürlich grün und blau geärgert, dass ich keine vernünftigen Fotos machen konnte, da ich ja keine Kamera mehr habe, aber nachdem der Luchs dann gegangen ist, dachte ich mir auch: Samuel, sei doch einfach mal dankbar dafür, dass du solche Tiere in der freien Natur beobachten kannst, nicht viele Menschen haben diese Möglichkeit. Noch dazu sind dann auch noch drei Kojoten vorbeigekommen. Das musste ich mir dann wirklich bewusst denken, da ich sehr verärgert über mich selber war, dass ich keine Kamera mehr habe, aber ja, das ist wirklich ein Geschenk, diese Tiere in der unberührten Natur beobachten zu dürfen.

Morgen ist der letzte Tag der Gruppe und dann haben wir zwei von vier Gruppen geschafft und somit (leider erst 😁) die Halbzeit erreicht. Ach und bevor ich es vergesse: Der Eindruck von Brenda und Don hat sich deutlich geändert. Die beiden sind echt durchgehend hoffnungsvoll und falls sie schlecht gelaunt sind, zeigen sie es uns nicht. Bob tut mir einfach nur leid. Ich glaube, er hat mit Lori kein einfach Leben. Wenn er alleine ist, ist er ein ganz anderer Mensch und total witzig. Lori ist weiterhin die verbitterte Frau, die sich über alles aufregt und immer ein böses Kommentar auf der Zunge hat und einmal sogar so böse, dass Jenny sie am zweiten Tag beinahe rausgeschmissen und nach Hause geschickt hätte. Sie ist wirklich keine einfache Kundin. Ich hoffe natürlich für die nächsten zwei Gruppen weiterhin, dass ich die Wildtiere sehen werde und evtl. auch die Kamera wieder nutzen darf, was aber wohl sehr unwahrscheinlich ist 😁

Allerdings habe ich witzigerweise genau heute, am Freitag, dem 24.02.2023, auch noch eine andere Halbzeit erreicht. Heute vor exakt sechs Monaten habe ich mein Abenteuer begonnen. Ich habe so unglaublich viele verschiedene Menschen kennengelernt und nicht nur kennengelernt, sondern ich durfte von ihnen auch ganz viel lernen. Ich sah und sehe jeden Tag eine unfassbare schöne Natur, die mich immer wieder daran erinnert, wie wichtig es ist, sein eigenes Verhalten bzgl. der Umwelt kritisch zu hinterfragen und sich daran zu erinnern, dass diese Welt viel zu schön ist, um sie durch den Menschen und deren Verhalten zu zerstören. Ich bin wirklich dankbar für jede einzelne Farm, die ich besuchen durfte und ich bin auch dankbar, hier arbeiten zu dürfen, auch wenn ich aktuell manchmal mehr schlecht als gut gelaunt bin, aber auch diese Phase wird vorübergehen. Ich habe hier so viele Eindrücke aufgenommen, dass ich mich wundere, dass ich nicht wie Jimmy Neutron aussehe, so viele Sachen wie auf mein Gehirn einprasseln.

Wie läuft es eigentlich mit dem Englisch?

Ich bin ehrlich, ich habe tatsächlich mehr von mir erwartet. Ich dachte zu Beginn, dass ich nach sechs Monaten deutlich besser englisch sprechen kann, als ich es aktuell tue. Wiederum habe ich mir aber auch schon vor paar Monaten gesagt, dass es hier so viel zu erleben und erlernen gibt, dass das Englisch lernen gar nicht mehr meine Priorität Nummer eins ist. Ich möchte einfach mein Abenteuer hier auf meine Art und Weise erleben und das Englisch lernen ist dabei ein netter Nebeneffekt. Ich habe immer noch häufig Probleme, mich auszudrücken, gerade auch was die Grammatik angeht. Aber ey, man versteht mich und dafür, dass ich damals beinahe durchs Abitur gefallen bin, da ich beinahe das Englisch Abi verkackt hätte (upsi 😁) habe ich schon eine deutliche Steigerung hingelegt und das sollte ich wirklich nicht vergessen.

Und somit endet nun dieser Beitrag, auf dass ich beim nächsten Mal bessere Nachrichten habe :D

Bis dahin

Samuel

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