Reisefischer Kanada
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#27 "Dann beginnt es also."

Veröffentlicht: 11.02.2023

Sprach Théoden, bevor die Schlacht um Helms Klamm losging. Ich befinde mich zwar in keiner Schlacht, doch dennoch dachte ich an diesen Satz, als am Mittwoch der erste Workshop losging. Aber erst einmal zu den Tag davor.

Am Samstag bin ich aus meiner Kabine aus- und in die „Elch“-Kabine eingezogen. Der Grund ist, dass Fatihs und meine Kabine die einzigen winterfesten Kabinen sind, sodass diese natürlich den Fotografen*innen zustehen. Da meine Kabine dementsprechend nicht winterfest ist, besitze ich somit leider kein funktionierendes Badezimmer mehr 😩 und muss mir jetzt ein Bad mit einem Fotografen teilen, der ebenfalls keine winterfeste Kabine hat. Durch den Umzug und der dadurch verbundenen Reinigung meiner Kabine habe ich mich schon auf Sonntag, meinen wohl vorletzten freien Tag in den nächsten fünf Wochen gefreut.....daraus wurde leider nichts, denn am Sonntag musste ich dann meine Zeit in einem Zelt verbringen. Das Spannendste an dieser Zeit waren die ersten zwanzig Minuten. Ich sah den Weißkopfseeadler wieder, der jedoch zeitnah weggeflogen ist. Der Seeotter war wieder da, ist jedoch ebenfalls schnell verschwunden und auch der Fischermarder kam ganz kurz vorbei, wobei er diesmal nur rechts in den Bäumen an mir vorbeigelaufen ist und joar, das war es dann auch gewesen. Der Rest war dann wieder Nussknacker, Gray Jacks und Raben. Was macht man dann eigentlich die ganze Zeit? Sehr viel denken, Sudokus lösen und sich die Bilder angucken und Dialoge dazu ausdenken. Dennoch ist das ständige Beobachten von Vögeln ziemlich ernüchtern, wenn man immer noch nicht so richtig die Wildtiere gesehen hat. Vielleicht liegt das an der (in meinen Augen) mangelnden Vorbereitung. Ein Punkt, der mich wirklich fast wahnsinnig macht, ist die gefühlte Besessenheit von Jenny und ihrer Baustelle. Jede Sekunde widmet sie ihr und am Sonntag sollte sie eigentlich zum Ende des Sees fahren, um den Spot tagsüber zu überprüfen. Anstatt dessen hat sie dann jedoch am Haus weiter gebaut, da konnte ich Davids Frust auch verstehen. Die Tage vor den Workshops waren dahingehend bei mir mit sehr viel Kopfschütteln verbunden, da ich ihr Handeln einfach nicht richtig verstehen konnte. Am Dienstag haben David und ich noch den „Premiumköder“ ausgelegt. Ein durch ein Wildunfall verendetes Reh. Das Problem war hierbei, dass David vor einiger Zeit ausversehen gleich zweimal die Gefriertruhe abgeschaltet hat..... ich muss glaube nicht weiter erklären, wie das Reh dann gerochen hat. Wir überlegen immer noch, wie wir den Geruch aus der Jacke und den Handschuhen bekommen :D

„So beginnt es also“, dachte ich mir dann am Mittwoch, denn dort sollte der erste Workshop beginnen und ich dachte mir ganze Zeit: Was ist eigentlich meine Aufgabe?

Jenny und David haben immer so viele Sachen gesagt, die sie noch machen wollen, aber gefühlt dann einfach gekonnt vergessen haben. Hier ein paar Auszüge:

  • mit mir zusammen Quad fahren, damit ich ein Gefühl habe, wie es mit einer Person hinten drauf ist
  • mit mir eine Art „Rollenspiel“ spielen, indem Jenny eine (nervige) Kundin spielt, damit ich deren Umgang „erlerne“
  • - mit mir üben, wie ich am besten den Truck befreien kann, wenn ich im Schnee stecken bleibe
  • - ....

Und das hat mich alles sehr genervt und auch eine schlechte Laune in mir hervorgerufen, da ich irgendwie so ahnungslos vor diesen Workshops stand. Allerdings hatten wir am Dienstag auch eine wolkenfreie Nacht und ich konnte die Sterne betrachten, zur Ruhe kommen und in diesem Moment fällt einen auch wieder auf, wie klein die eigenen Probleme sind. Denn ganz ehrlich, die Workshops funktionieren seit fünf Jahren, weshalb sollten sie diesmal nicht funktionieren? Ich muss ja auch sagen, dass ich hier unglaublich reich beschenkt bin. Ich habe einen warmen Schlafplatz, ich werde hier bezahlt und bekomme kostenfreies Essen. Sachen, die für so viele Menschen unvorstellbar sind. Gerade durch das katastrophale Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion wird einem wieder bewusst, wie reich man eigentlich ist und das Reichtum keine reine Frage des Geldes ist. Und wenn man dann noch realisiert, das es noch sooooo viel anderes Leid und so viel Ungerechtigkeit auf dieser Welt gibt, dann realisiere ich zumindest, dass ich diese schlechte Laune ohne Probleme wegschlafen und wieder gut gelaunt in den neuen Tag starten kann, denn ich bin unglaublich reich beschenkt und habe glücklicherweise das, wovon viele Menschen traurigerweise nur träumen können.

Am Mittwoch hat Jenny dann Simone und Sabrina abgeholt, während David und ich noch einmal Köder ausgelegt haben. Dabei mussten wir auch gleich noch unsere Zelte einsammeln, die durch einen extremen Windsturm am Montag gute 30 Meter (zum Glück haben sie sich direkt im Gebüsch verhangen und sind nicht über den ganzen See geflogen) weggeflogen sind. Dieser Wind ist echt ein Problem, denn die Tiere kommen dadurch weniger raus und der Wind ist hier extrem. Wind ist was lieber ehemaliger Technikkurs 9? Richtig, Luft die zwischen einem Hoch- und Tiefdruck bewegt wird, um ein Druckausgleich zu erzeugen. Durch die hier sehr hohen Temperaturschwankungen und den dadurch einhergehenden Tief- und Hochdruckgebieten, haben wir hier aktuell extrem starke Windstürme, die sowohl für die Workshops als auch für die Baustelle nicht ideal sind. Aber ja anderes Thema: Sabrina kommt ursprünglich aus China und wohnt jetzt in der USA. Simone kommt aus Italien und meine Güte hat der einen Akzent, das ist echt superwitzig. Rhett kam am Donnerstag an und kommt ebenfalls wie Sabrina aus den Staaten. Diese drei Personen bilden unsere erste Gruppe und sind bisher tatsächlich sehr angenehm zu bedienen. Das einzige, was ich mitbekomme ist, dass ich selbst irgendwann einfach keine Lust mehr auf diese Leute habe und dann den Raum verlasse, um meinem Gehirn eine kurze Englisch-Pause zu gönnen. Noch dazu ist das Hauptthema natürlich die Fotografie und ich kann fragen, was sie denn schon so für Workshops besucht haben, allerdings fragt man so was auch nur einmal 😁 Der Rest behandelt dann halt die Fotografie an sich, wo ich absolut nicht mitreden kann und irgendwann auf Durchzug schalte, allerdings macht das (denke ich) keinen guten Eindruck, wenn ich da mit starren Blick irgendwo in der Weltgeschichte herumgucke und absolut nicht an dem Gespräch interessiert bin, daher verlasse ich dann lieber den Raum. Das Problem ist nur, dass David nächste Woche zu seinem Eisbären Workshop fliegt und somit nur noch Jenny und ich da sind. Da Jenny abends immer sehr groß kocht, bin ich ab nächster Woche für die gefühlte komplette Unterhaltung zuständig – erst frühs und nachmittags während der Fahrten und dann noch abends vor dem Abendbrot – Yeah! 😩

Am Donnerstag ist nicht viel passiert, außer das Rhett ankam und wir weiter an der Baustelle gearbeitet haben. Sabrina und Simone hatten an diesem Tag beide kein Glück und haben ebenfalls wie ich nur Raben, Nussknacker, Gray Jacks und den Fischermarder gesehen. Es ist jedoch interessant, wie schnell sich die Stimmung wandeln kann. Am Mittwoch sagten beide noch, dass sie es überhaupt nicht schlimm finden, wenn sie in den ersten Tagen keine Luchse sehen, da es eben die Natur ist und niemand die Tiere dressieren kann. Am Donnerstag waren beide dann nicht so gut gelaunt, da sie keine Luchse gesehen haben und ich dachte mir nur so: HÄ?!

Am Freitag habe ich dann das erste Mal Sabrina und Simon zu ihren Spots gefahren/gebracht und meine Güte, ich dachte gefühlt, dass ist ihr erster Workshop. Die beiden waren so laut. Simone hatte seine GoPro, die die ganze Zeit Piep Geräusche gemacht hat, Sabrina hat die ganze Zeit erzählt und dann noch den Hauptpreis gewonnen....sie hatte ihren Wecker an, der dann geklingelt hat und ich dachte mir nur so: Glückwunsch, du wirst heute wahrscheinlich gar nichts sehen. Als wir dann an ihrem Spot waren, wo beide eigentlich heute sitzen wollten, sagte Simone plötzlich, dass er doch gerne zu einem anderen Spot möchte und Sabrina wollte, dass ich das Fleisch näher zu ihrem Zelt trage. Habe ich natürlich nicht gemacht, also das war echt wirklich so eine dumme Aufforderung 😁 Als ich dann Simone zu seinem Zelt bringen wollten, sind wir noch kurz im Schnee stecken geblieben und ich dachte mir nur so: Scheiße. Simone war mir aber eine große Hilfe und so waren wir schnell wieder draußen. Nachdem ich ihn dann abgesetzt hatte, ist mir doch noch tatsächlich eine Kojote über den Weg gelaufen. Etwas zu spät, dachte ich mir. 😁

Ich selbst war heute an einem anderen Spot, wo ich erst mal die vom Wind weggewehten Zelte einsammeln musste und mir klar war, dass ich definitiv nichts sehen werde (war zu kurz da und durch das Zelte einsammeln war ich auch definitiv zu laut), sodass ich einfach meine Zeit absaß.

Gerade komme ich von der Abholung zurück und Sabrina hat heute den Fischermarder gesehen, sonst nichts...welch ein Wunder aber auch. Simone hat heute aber wirklich glücklicherweise einen Luchs gesehen! Boah, du kannst dir nicht vorstellen, welch ein Druck von unseren Schultern gefallen ist, das hat man so richtig gemerkt. Denn wenn die Kunden*innen innerhalb der ersten zwei Tage keine Luchse sehen, dann werden sie sehr sehr unzufrieden und zeigen dies auch. Daher war ich so happy über die Luchssichtung und danach war ich wiederum „niedergeschlagen“, denn der Luchs war bereits da, als ich Simone ausgesetzt habe und als ich mich umdrehte, um zurück zum Auto zu laufen, kam der Luchs raus und beobachtete mich und da ich mich nicht noch einmal umgedreht habe, habe ich ihn leider nicht gesehen. Simone hatte dafür jedoch heute seine Luchssichtung und auf dem Rückweg habe ich glücklicherweise noch einen Bartkauz gesehen, woraufhin ich angehalten habe und dann ratterte Sabrinas Kamera nur so. Keine Ahnung, was sie für eine Kamera hat, aber gefühlt haut die 30 Bilder pro Sekunde raus 😅

Somit war es für beide heute ein sehr gelungener Tag.

Jetzt heißt es duschen, frisch machen und dann wieder vom „Guide“ Modus in den „Kellner“ Modus zu wechseln.

Bis dahin.

Samuel

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