Veröffentlicht: 10.06.2016
Tag 5 (9.6.16): Lulea – Narvik
Am nächsten Tag regnet es nach wie vor und es stürmt wieder genau gleich. Wir sind trotzdem überzeugt: es kann nur besser werden. Hätten wir gewusst was uns erwartet, wir wären im Bett geblieben.
Kapitel 1: Die EINE Schraube
Ich prüfe die Schraube. Sie hält nicht, offenbar gebrochen von den Kräften der zahlreichen Böhen. Zusätzlich hat sich nun in der Aluminium-Querstrebe der A-Säule ein Ermüdungsbruch gebildet. Es ist klar, so erreichen wir Narvik nicht. Stimmung: gedämpft. Wir machen uns in Lulea auf die Suche nach einer Werkstatt. Auch das Internet wird zu Rate gezogen, keine Chance. Ikea, Mediamarkt, aber keine Werkstatt. Weder Lastwagen, noch Autos oder Traktoren scheinen hier kaputt zu gehen. Nur Land Rover.
Wir fahren auf die Autobahn, in der Hoffnung, unterwegs eine Werkstatt zu finden. Die Böen reissen wieder erbarmungslos am Dach, der Wind heult. Ich leide jedes Mal mit dem Defi mit. Er hat daran keine Freude, das merkt man. Inzwischen fahre ich nur noch 70 km/h, wir sind völlig Verkrampft.
So allmählich schlägt es auf die Stimmung. Da kommt Andreas Intuition zu Hilfe. Hier raus, sagt sie. Ich widerspreche nicht. Über die Brücke zu einer Tankstelle und siehe da: Verkstad steht in verwitterten Buchstaben an einem alten Gebäude. Es wäre als Kulisse in einem Zombiestreifen geeignet und sieht geschlossen aus. Unter normalen Umständen wohl nicht die erste Wahl um Hilfe zu suchen. Der Besitzer ist freundlich, aber signalisiert wenig technisches Verständnis für unser Problem. Schweden ist eben doch die Schweiz, es wird ausgewechselt, nicht repariert. Improvisieren kann man nur in Russland und Afrika.
Englisch ist auch nicht seine Stärke. Ich darf aber sein Werkzeug benutzen. Die abgebrochene Schraube ist schnell entfernt, aber Ersatz findet sich in der ganzen Werkstatt nicht. In der Tankstelle gibt es nur M-Schrauben mit Muttern, das hilft nicht. Ich frage den Besitzer ob es in der Nähe Schrauben zu kaufen gibt. Er sieht sich die kümmerliche gebrochene Schraube in meiner Hand an, murrt „how mutch“ und nach meiner Antwort „one“ verschwindet er wortlos für Minuten im Lager. Er kommt mit einer in Durchmesser und Form passenden Schraube zurück, ich könnte den mürrischen Kerl umarmen, lasse es aber bleiben. Die Überlänge der Schraube kompensieren wir mit einer guten Anzahl Unterlagscheiben aus seinem Sortiment. Es hält. Der Defi ist gerettet. Aus Dank für sein Werkzeug drücke ich dem Werkstattbesitzer eine Flasche piemonteser Wein in die schwarzen öligen Finger. Er freut sich dermassen über unsere Freundlichkeit (oder den Alkohol?), dass er uns zusichert, wir seien jederzeit wieder willkommen. So geht das.
Kapitel 2: die Tankstellen-Misere
Die gute Laune ist zurück, aber der Sturm nervt inzwischen gewaltig. Es ist ein Horror, mit dem Defi durch diese Böen zu schaukeln. Ein älterer Einheimischer an der Tankstelle hat Andrea versichert, er habe so etwas noch nicht erlebt zu dieser Jahreszeit. Überall an der Strecke liegen hunderte geknickte und entwurzelte Bäume. Freiwillig geht jetzt keiner mehr raus. Der Defi, trotz seiner 3 Tonnen, wird hin und her gerissen. Dazu kommen die Spurrillen, die mit unserem Profil schon bei guten Bedingungen herausfordernd sind. Der Wind drückt uns immer wieder von Rille zu Rille, gefolgt von heftigem Schaukeln der Carosserie.
Auch hier wieder, überholen lassen, überholen, überholen lassen, überholen. Immer und immer wieder. Unglaublich, es gibt Fahrer die noch langsamer unterwegs sind als wir.
Endlich kommt eine Tankstelle, denn in Lappland wird die Kadenz an Zapfsäulen immer spärlicher. Ich beschliesse 2 Dinge, erstens möglichst häufiges Tanken, zweitens, die Kanister auf dem Dach bleiben leer. Ich will das Dach nicht weiter belasten und halte es für übertrieben, im Sahara-Modus zu fahren. Ein Fehler, wie sich zeigen wird.
Die Tankstelle akzeptiert keine unserer Karten. Offenbar hat der Sturm der Verbindung zum Server geschadet. Wir machen uns dank üppiger Reserve und Zusatztank keine Sorgen.
Die nächste Tankstelle, eine einsame Zapfsäule im Nirgendwo, folgt nach 45 Km. Tanken auch hier nicht möglich. Schweisstropfen.
Nächste Tankstelle nach 55 Km. Tanken nicht möglich.. Angst.
Nächste Tankstelle gemäss Navi: 78 Km. Danach, 70 km bis zur nächsten Option. Leichte Panik. Nun gehen wir im Kopf Szenarien durch. Mit jedem Kilometer geht die Nadel näher an den roten Bereich. Das umpumpen des letzten Viertels aus dem Zusatztank hat nur wenig Erleichterung gebracht.
Wir haben kaum Gegenverkehr, keine Ortschaften, keine Baustellen und: kein Netz. Der Offizier in mir übernimmt. Kein gutes Zeichen. Vorbehaltene Entschlüsse werden gefasst. Was, wenn die nächste Tankstelle auch nicht funktioniert? Vorher einen Einheimischen abdrängen und anbetteln? Einen abgestellten Bagger aussaugen? Bei der Tankstelle warten und auf Einheimische oder andere in Benzinnotlage warten? Campieren, das Unwetter aussitzen? Was, wenn das Essen ausgeht? Andrea anknabbern? Wird sie sich wehren? Noch 30 Km. Ich verfluche die leeren Kanister auf dem Dach. Sahara-Modus. Es wäre so einfach gewesen. Wir haben noch 500 Km durch das Niemandsland. Nur Wälder. Endlos. Noch 20 Km. Inzwischen fixiere ich mehr die Tanknadel als die Strasse. Andrea beugt sich immer häufiger besorgt zur Tankanzeige. Die Böen sind mir inzwischen egal. 10 Km. Hoffnung, die Tankstelle erreichen wir bestimmt. Als das kleine Dörfchen näher kommt, keimt Freude auf, der Verkehr wird dichter, es scheint wirklich bewohnt zu sein, keine verlassene einsame Parkplatztankstelle auf einem improvisierten Kiesplatz.
Die Karte in den Schlitz, erstes Stossgebet, Code eingeben, zweites Stossgebet, Schwedisches Gebrabbel auf der Anzeige, „ladda dem till kolumn 2“, der Diesel fliesst, ich könnte ihn trinken vor Freude.
Im angrenzenden Shop wird Gute-Laune-Proviant eingekauft. Wir sind wieder bestens gelaunt.
Die restlichen Kilometer nach Narvik werden stressfrei. Der Wind legt sich mit jedem Kilometer, dafür setzt Eisregen ein. Uns egal. Wir sind inzwischen Schlimmeres gewohnt. Andrea schaut sich wieder entspannt die Gegend an, plant den Aufenthalt in Narvik, versorgt mich mit Wasser und Zucker. Kurz vor der Grenze zu Norwegen wird die Landschaft immer spannender, die Wälder sind zu Ende, die Landschaft erinnert eher an den Gotthardpass. Als das Fähnchen von Narvik im Navi erscheint werden wir euphorisch. Ein kurzes aber lautes Rumpeln, wieder einmal Stopp.
Analyse. Die Front des Defi hat sich einen Eispanzer zugelegt. Eine Eisplatte hat sich vom Dach gelöst, lächerlich, wenn es sonst nichts ist. Aufgesessen, ab nach Narvik.
Das Hotel ist schnell gefunden. Ein gutes Restaurant auch (Bella Italia, sehr zu empfehlen). Wir checken die lokalen Spezialitäten, Pizza, Bier, Vanilleeis und Whiskey. Lecker, Norwegen ist toll. Zurück im Hotel, Vorhänge ziehen, einschlafen, gute Nacht.