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Seattle

Veröffentlicht: 30.07.2023

Unser ursprünglicher Plan für die USA war es, nach Los Angeles zu fliegen, dann erst ein bisschen an der Westküste entlang und schließlich quer bis zur Ostküste zu fahren, aber weil wir jetzt noch drei statt zwei Monate übrig hatten, flogen wir nach Seattle im Bundesstaat Washington, um von dort aus zunächst fast die gesamte Westküste nach Süden abzufahren. Im Gegensatz zum Flug nach Buenos Aires ging es diesmal nicht abends nach deutscher Zeit los, sondern mitten am Tag. In diesem Fall gewöhnt man sich eigentlich dann am besten an die Zeitverschiebung, wenn man versucht im Flugzeug möglichst wenig zu schlafen. Zu einer vernünftigen deutschen Schlafenszeit wurden trotzdem die Lichter gedimmt und viele Leute wollten wohl auch schlafen. Jedenfalls hat man sich um kurz vor 22 Uhr nach der alten Zeit beschwert, als wir die Verdunklung vor unserem Fenster wieder etwas hochgeschoben hatten, um den spektakulären Ausblick über Kanada genießen zu können. Also schoben wir sie wieder herunter und dieser Ausblick musste leider unbeachtet bleiben. Die Einreise in die USA lief erstaunlich unkompliziert. Wir hatten schon mit ähnlichen Szenen gerechnet wie damals in Miami auf der Durchreise (!) nach Mexiko, als wir noch nicht verheiratet waren und Sebastian als bärtiger lediger Mann so ausführlich gefilzt wurde, dass wir den Anschlussflug verpasst hätten, wenn er pünktlich gewesen wäre. Vielleicht ist man hier im Norden da entspannter. Wir fuhren mit einem Shuttle vom Flughafen zur Mietwagenstation, gingen zum passenden Schalter und suchten uns dann im Parkhaus von vier Autos das schönste aus, das uns jetzt drei Monate begleiten sollte.

Von dort aus hatten wir es nicht weit bis zu unserer ersten Unterkunft, einem Motel, von dem aus wir an den nächsten beiden Tagen mit der Bahn in die Stadt fahren konnten. Das alles war praktisch, aber besonders komfortabel war die Unterkunft nicht. Zum Glück haben wir direkt ein kostenloses Upgrade zu einem Zimmer mit zwei Queen-Size-Betten, Mikrowelle und Kühlschrank bekommen, als Sebastian fragte, wo er seine Medikamente kühlen könnte. Trotzdem ungewöhnlich, dass es in diesem Motel überhaupt Zimmer ohne Mikrowelle und Kühlschrank gab. Die verkehrstechnisch gut angebundene Umgebung, in der es auch einige fußläufig erreichbare Restaurants gab, war ansonsten nicht besonders vertrauenerweckend.

Dieser Vorort von Seattle nennt sich "SeaTac", gebildet aus den Wörtern Seattle und Tacoma, was damit zusammenhängt, dass Seattle sich den Flughafen mit der nächstgelegenen Großstadt Tacoma teilt. Das ist also genauso wie beim Flughafen Münster-Osnabrück, wie Judith Sebastian erklärte. Eine vielleicht treffendere Gemeinsamkeit mit unserer Heimatstadt ist der Ruf als regnerische Stadt. In Seattle regnet es angeblich viel, wobei aber die Anzahl der Regentage im Jahr gemeint ist - die Gesamtregenmenge ist nicht so hoch. Wir Münsteraner:innen verstehen diesen Unterschied gut, denn bei uns wird das auch immer allen Unkundigen über unsere Stadt erzählt. Tatsächlich hat es während unseres Aufenthalts in Seattle aber gar nicht geregnet, wir hatten blauen Himmel und eine laut einer Tourleiterin ungewöhnlich klare Sicht. Von einem weiteren Aspekt im Vergleich zu Münster wollte Sebastian sich dann aber auch noch persönlich überzeugen: Er kann sich noch gut daran erinnern, wie damals, als er nach Münster zog, noch in aller Munde war, dass sein neuer Wohnort sich unter anderem gegen Seattle gerade als "Lebenswerteste Stadt der Welt" durchgesetzt hatte. Dabei waren diese beiden doch eher unterschiedlich großen Städte beim "LivCom Award", auf den dieser Titel zurückging, wohl zufällig noch in derselben Größenkategorie gewesen. Aber auch davon abgesehen finden wir, dass sich amerikanische und europäische Großstädte in Bezug auf ihre Atmosphäre kaum vergleichen lassen. Wir waren also gespannt darauf, welchen Eindruck Seattle in puncto Lebensqualität auf uns machen würde.

Für den ersten der beiden Besichtigungstage hatten wir uns mal wieder eine Free Walking Tour vorgenommen, die wir aber verpassten, weil wir zu lange auf unsere Pancakes warten mussten. Wir hatten nämlich spontan für unser erstes Frühstück ein sehr amerikanisches Pancake-Restaurant gefunden, das noch halbwegs in der Nähe der Unterkunft und der Bahnstation Richtung Stadt war. (Dabei ist ein amerikanisches "In der Nähe" gemeint, denn hier ist halt immer alles weiter auseinander, und von dem öden Weg zwischen Unterkunft und Bahnstation hatten wir schon am Ende der beiden Tage genug.) Wir sind nun also nach dem Frühstück mit der Bahn in die Stadt gefahren, erst nach Beginn der Tour dort angekommen und haben dann einfach unsere eigene Tour gemacht. Dazu nahm sich Judith einen ausliegenden Flyer eines Hop-On-Hop-Off-Stadtführungsbusses und identifizierte dort alle wichtigen Stationen. Sobald wir irgendwo WLAN gefunden hatten, recherchierten wir noch Details dazu. Unsere erste Station war der Pike Market, eine Markthalle, in der reger Betrieb herrscht und dessen Wahrzeichen eine kleine goldene Schweinstatue ist. Daneben befindet sich die Gum Wall, das zweitunhygienischste Denkmal der Welt. Dort haben schon viele Menschen ihre durchgekauten Kaugummis aufgeklebt, was zumindest beeindruckend aussieht und auch riecht. Als Nächstes gingen wir zum Pioneers Square und anderen Plätzen und Parks mit aufgestellten Totempfählen und Masken, die an die indigene Bevölkerung dieser Region erinnern sollen - oder auch von den Pionieren von ihr geklaut worden waren. Es gab einige solcher Parks, aber sie waren meistens überschaubar und für Leute aus Europa ist es vielleicht etwas ungewohnt, dass sie sich immer in die rasterförmige Straßenstruktur einfügen und dann nur 1x1 oder 2x2 Blöcke groß sind. Außerdem fiel uns auf, dass dort oft viele mobile Tische und Stühle aufgestellt sind, was man bei uns nur vor Restaurants und Cafés finden würde (bei denen man sich ja nicht einfach so hinsetzen könnte, ohne etwas zu bestellen). Nachdem wir noch durch Chinatown geschlendert waren, gingen wir zur Waterfront, wo wir eine Hafenrundfahrt machten. Das hatten wir schon vorher geplant, denn wir hatten schon gelesen, dass so eine Rundfahrt empfohlen wurde, und wir hatten im Vorfeld einen Seattle City Pass gekauft, in dem dies als eine von drei Aktivitäten enthalten war. Die Rundfahrt war auch sehr gut, wir hatten einen schönen Blick auf die Skyline (und es war ja erstaunlich gutes Wetter), es wurden uns noch Dinge zur Stadt erklärt und außerdem tranken wir zwei IPAs, denn an Bord war gerade Happy Hour. Nach der Rundfahrt ließen wir uns noch zu einem Besuch beim benachbarten "Wings Over Washington" hinreißen, einem dieser mindestens-4D-Flugsimulations-Kinos, die inzwischen weltweit modern geworden zu sein scheinen. Dort wird einem der Boden unter den Füßen weggezogen, damit man den Eindruck hat zu fliegen, die Kurzfilme sind dreidimensional wegen einer gebogenen Leinwand, und weitere Dimensionen sind dann noch Windstöße und Wasserspritzer. So etwas hatte uns in Amsterdam ziemlich gut gefallen. Hier war es aber enttäuschend, weil der Film über verschiedene Landschaften Washingtons doch sehr kurz war, nichts wurde dazu erklärt und dafür war es sehr teuer. Bevor wir mit der Bahn zurückfuhren, kauften wir im Supermarkt noch Joghurt und Miniomeletts für die Mikrowelle, um am morgigen Tag in der Unterkunft frühstücken zu können, denn wenigstens hatten wir ja jetzt eine Mikrowelle im Zimmer.

Am nächsten Tag holten wir uns zum Frühstück noch Kaffee von einem Strand direkt vor dem Motel. Die Flugreise saß uns noch etwas in den Knochen. Wir hatten es zwar geschafft, im Flugzeug wenig bis gar nicht zu schlafen, aber man hat doch gemerkt, dass der Zeitunterschied von Deutschland zur US-Westküste noch um einige Stunden größer ist als nach Buenos Aires. Trotzdem rafften wir uns auf und fuhren wieder mit der Bahn in die Stadt, denn wir hatten schon Termine für die anderen zwei Sehenswürdigkeiten gebucht, die in unserem City Pass enthalten waren. Die erste war die Space Needle, das bekannte Wahrzeichen von Seattle, von dem aus wir einen beeindruckenden Blick über die gesamte Stadt hatten. Ein Stockwerk unter der Aussichtsplattform haben wir uns noch auf den drehenden Glasboden gewagt. Anschließend hatten wir noch ein bisschen Zeit für den Olympic Sculpture Park, in dem es ein paar Skulpturen gab, die wie bei Moderner Kunst üblich mal mehr, mal weniger nachvollziehbar erklärt wurden, bevor unser gebuchter Zeitslot im benachbarten Museum Chihuly Garden and Glass erreicht war. In diesem Museum werden viele sehr schön anzusehende bunte Kunstwerke aus Glas ausgestellt, die allesamt vom Glaskünstler Dale Chihuly angefertigt wurden. An diesem Tag sind wir auch an den Amazon Headquarters vorbeigegangen. Das Auffälligste hier waren die daneben befindlichen Amazon Spheres - Glaskuppeln, die wohl vor allem den Mitarbeitenden als Erholungsräume dienen. An diesem Tag waren sie nicht für das Publikum geöffnet, also sind wir nur einmal drumrum gegangen, haben im Inneren vor allem viele Pflanzen gesehen und uns nicht weiter drum gekümmert. Seattle ist übrigens noch Heimat weiterer Unternehmen, die vereinzelten Personen eventuell ein Begriff sind, zum Beispiel Boeing. In dem 30 Meilen entfernten Boeing-Werk wird normalerweise eine empfehlenswerte Tour angeboten. Da die aber seit der Pandemie nicht mehr geöffnet hat und sich der Besuch bei Boeing ansonsten nicht lohnt, sind wir nicht hingefahren. Egal, Sebastian mag Airbus sowieso lieber. Am Abend gingen wir in der Nähe des Motels peruanisch essen. Da die Kellnerin nicht so gut Englisch konnte, bestellten wir auf Spanisch. Da war also auf einmal wieder "Sí" statt "Oui" angesagt... Wir waren generell überrascht, dass hier so weit im Norden der USA auch so viel Spanisch gesprochen wird und dass es in diesem Fall für die anderen auch normal schien, dass wir uns auch auf Spanisch verständigen konnten.

Wie wir nach diesen beiden Tagen sagen können, ist Münster für uns natürlich nach wie vor die lebenswertere Stadt, aber für eine amerikanische Großstadt hat Seattle mit seiner bunt gemischten Bevölkerung, seinen vielen Parks und seiner Küste durchaus seinen Reiz. Nun jedoch begannen wir unseren Roadtrip. 

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