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Prêt-a-Porter. Stilkritik Berliner Wahlen

Veröffentlicht: 21.08.2021

Die Fashion Week „Wahlen 2021“ liegt zur Hälfte hinter uns. Zeit für eine erste Bewertung darüber, was die Couturiers auf die Catwalks, bzw. an die Laternenpfähle der Stadt geschickt haben.

Formal geschlossen wirkt der Auftritt des Labels „Bündnis 90. Die Grünen“. Geschlossenheit war das Buzz-Word im Frühjahr und hat dem Haus in ersten Umfragen der Fachpresse hohe Zustimmungswerte gebracht. Handwerklich wurde das aber nicht überzeugend umgesetzt. Offensichtlich waren auch hier die Macher des Blockbusters „Curriculum Vitae Annalena“ am Werk und haben für die Show sämtlich Stücke der Kollektion in ein einheitliches Hulk-Grün getaucht. Das bringt unnötige Minuspunkte. Vielleicht wurde aber auch das Foto-Shooting im Kreuzberger Engelbecken gemacht. Dann wäre es kein Wunder, dass im Moment irgendwie die Luft raus ist.

Rotestes Rot ever

Während „Die Grünen“ Bundestagswahl und die Berlinwahlen einheitlich ausstatten, bieten die Designer des Labels „Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD)“ wie gewohnt für jeden etwas. Für die Show Bundestagswahl wurde das roteste Rot ever ausgewählt. Damit wird dem traditionellen Einkäufer signalisiert, es geht zurück zu den radikaleren Wurzeln. Das kontert der nicht zufällig tiefschwarz abgebildete Kandidat, der dafür steht, dass es alles nicht allzu radikal wird. Schon bei Kurt Tucholsky sagt ja ein älterer aber leicht besoffener Herr: „Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich.“

Buzz Word Nachhaltigkeit

Kennzeichen der Show „Abgeordnetenhaus“ ist ein Herzchen. Gemeint ist nicht Topmodel Franziska Giffey, auch bekannt durch den viralen Hit „I don’t need no Doctor“. Das Herz ist vielmehr ein bezauberndes wenn auch etwas süßlich wirkendes Accessoire auf den Plakaten, „Mit ganzem Herzen für Berlin“. Es wurde offenbar mit Hilfe eines Commodore C 64 und eines 24-Nadeldruckers designend. Das Traditionshaus steht eben für Nachhaltigkeit: „Modern sind wir schon sehr lange und weggeworfen wird bei uns nix.“

Insgesamt sind die Auftritte der verschiedenen Anbieter zwar recht bunt, sind aber nur schwer unterscheidbar. „Die Linke“ kommt ebenfalls rot daher, hat aber einen dezenteren Ton gewählt, die FDP ist vorwiegend gelb und etwas blau, die AFD vollständig blau. Die konservative Marke „Christlich Demokratische Union“ bringt Schwarz Rot Gold kreisförmig ins Bild, in Video-Inserts gerne auch animiert kreisend. Für die Berlinwahlen wurde dunkle Gelbtöne in den Vordergrund gerückt, ein Hinweis auf eine angestrebte Koalition?

Mit Euch mach ich das!

Mode ist nie nur Bekleidung. Immer wollen die Macherinnen und Macher auch Botschaften transportieren. Damit sieht es in dieser Saison allerdings mau aus und nur wenige wagen sich aus der Deckung. Das besonders im Osten nach wie vor fest verankerte Traditionshaus „Die Linke“ gibt konkrete Statements an die Einkäufer*innen. Da werden Investoren mit der Vermögenssteuer erschreckt oder die Prêt-a-Porter-Kunden auf der Straße mit einer Erhöhung der Taktzahlen bei der Tram angesprochen. Topmodel Klaus Lederer guckt dazu herausfordernd in die Kamera und verspricht „Mit euch mach ich das! Das ist angesichts der auch in der Fashion-Scene viralen Mee-Too-Diskussion mutig, vielleicht auch ein Tick zu direkt und anspruchsvoll. Die Mitbewerber jedenfalls gefallen sich bis auf wenige Ausnahmen im ungefähren bis hin zu vollständig unverständlichen L’art pour l’art.

Dada oder Gaga?

Das Nischen-Label „FDP“ zum Beispiel lässt das Berlin-Topmodel Sebastian Caja, früher erfolglos tätig als „Tegelretter“, am Manschettenknopf fummelnd Dinge sagen wie „Auch die Mitte braucht ein Bollwerk“ oder „Weniger Zettel, mehr Wirtschaft.“ Das wirkt verspielt, ja hat fast schon Dada-Qualität. Aber dann werden auch eher reaktionäre Retro-Quotes gepostet wie „Wer sein Auto braucht, darf jetzt nicht links abbiegen“ und schamlose Anleihen an große, unerreichte Vorbilder „Baut auf diese Stadt!“ gemacht. Vroniplag hat hier eine 95%ige Übereinstimmung mit Ernst Reuter festgestellt, ohne dass dies als Zitat kenntlich gemacht wurde. Gut, dass der Mann keinen Doktortitel hat!

Währenddessen sitzt das Top-Model des Labels Christian Lindner in einem Keller und arbeitet alte Bestellungen auf. „Es gab noch nie so viel zu tun“ lautet die Ansage. Der arme Mann! Kann denn niemand mal Licht machen? Und die Anstrengung ist offensichtlich zu viel für den Altmeister, obwohl er doch lieber gar nicht regiert hat als schlecht. Zur Bundestagswahl 2017 konnte er sich noch als obercooler Drübersteher präsentieren, der locker gekleidet im Alleingang alle relevanten Fragen abräumt und gleichzeitig für virilen Sexappeal steht. Jetzt sieht er auf den Shots der Kampagne aus wie der leicht angejahrte fusselige Lieblingsonkel, der gleich ein Nickerchen machen möchte. Vorher sagt er noch Sachen sagt wie „Der Schulweg muss wieder in die Zukunft führen“. Schnarch.

Fehlkäufe oder Trends

Eine abschließende Bewertung des Angebots oder gar eine Prognose darüber, welche Trends man getrost aussortieren kann und welche Looks wir stattdessen im Kleiderschrank bzw. im Bundestag begrüßen, ist wie immer unmöglich. Werden wir in der nächsten Saison zufrieden auf das diesjährige Wahljahr zurückblicken oder werden wir feststellen, dass sich wieder einige Fehlkäufe und Trends angesammelt haben, die leider nur Platz wegnehmen und total überflüssig sind. Die Entscheidung wird nicht leicht und die Präsentationen, aufwendig und kostspielig wie immer, sind uns keine Hilfe.

Die weniger geneigte Öffentlichkeit macht sich in unangebrachter Weise lustig über die vielfältigen Bemühungen der Couturiers und hält die Plakatierung in der jetzigen Form für überflüssig, ja für umweltschädlich. Das erscheint mir als zu hart, denn viele Haute-Couture-Aficionados holen immer wieder gern die längste Leiter aus dem Keller, suchen die vorteilhaftesten Laternenpfähle und liefern sich verbissene Duelle mit den Konkurrenten um den höchsten Platz an der Stange. Das mag ein wenig verschroben wirken angesichts Facebook, Youtube und Co, bringt aber vielen die Gewissheit: „Wenn mein Label nicht gebucht wird, ist das nicht meine Schuld.“ Deswegen besteht kaum Hoffnung, dass wir zukünftig ohne die aufwendigen Shows auskommen können. Gleichwohl können wir uns der Sache insgesamt nicht entziehen, sonst gewinnt der schlechte Geschmack auf der ganzen Linie. Also ab in die Umkleide äh Wahlkabine.

Zur Information: In Berlin können am 26. September 2021 insgesamt sechs Stimmen abgegeben werden. Je zwei für den Bundestag und das Abgeordnetenhaus, das vergleichbar ist mit den Landtagen der Flächenländer. Dazu kommt eine Stimme für die jeweilige Bezirksverordnetenversammlung der 12 Stadtbezirke. Schließlich ist da noch die Entscheidung über die Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften „Deutsche Wohnen und Co.“ Von denen bisher in der Landesregierung, dem Senat vertretenen Parteien haben sich nur die Linken dafür ausgesprochen. Die SPD, an der Spitze Franziska Giffey, ist offiziell dagegen. Die Grünen halten sich einstweilen zurück und warten darauf, ob vom LKW was Brauchbares runterfällt.

Aktuelle Ergänzung: Grade als sich aus dem aberkannten Doktortitel von Franziska Giffey kein Honig mehr saugen ließ, wurde bekannt gegeben, dass auch ihre Magisterarbeit "in großen Teilen ein Flickenteppich aus Plagiaten" sei. Leute, verbrennt eure Abi-Klausuren!

https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%AAt-%C3%A0-porter

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