Eine äußerst ruhige Nacht endete bei Sonnenaufgang mit dem Geheule der Wölfe. Okay, eventuell waren es Hunde, die sich gegenseitig riefen. Wir waren uns aber ziemlich sicher, dass es Wölfe gewesen sein müssen. An diesem Morgen verließ ich unsere Burg ohne einen Kaffee genossen zu haben. Dieser musste noch warten, da ich die sanitären Einrichtungen dann doch einfach unbedingt mal erproben wollte bzw. musste. Bei etwa 7 und gefühlten 2 Grad Celsius entschied ich mich für Kabine zwei. Ich war sowohl ernsthaft überrascht über die menschliche Zielgenauigkeit in einer solchen Situation und Position als auch extrem schnell durch mit allen Handgriffen. Lag es an den winterlichen Temperaturen oder an der zugegebenermaßen biomechanisch günstigen Körperhaltung? Ich weiß es nicht. Man(n) lernt aber eben nie aus.
Zurück am Wagen, begann das Leben auch wieder in Kadirs Körper zurückzukehren. Er schwang sich auf und machte sich auf den Weg zur Dusche. Der Zusage von gestern Glauben schenkend. Ich hatte da so meine Zweifel… nach deutlich kürzerer Verweildauer als in den vergangenen Tagen kehrte er leicht zittrig und mit bläulichen Lippen zurück. Ich vernahm neben „Katzenwäsche“ und „arschkalt“ das ein oder andere Schimpfwort, während er im Benz mit dem Fön etwas warme Luft an seinen Körper beförderte. Ich nahm diese Prüfung dann auch auf mich und zwar in atemberaubender Geschwindigkeit. Der anschließende heiße Kaffee schmeckte heute irgendwie noch viel besser als sonst.
Nur Kadirs Laune wurde nicht so wirklich besser. Wollten wir doch zügig los und eine weitere Zusage von gestern Abend wurde heute nicht in die Tat umgesetzt. Da sich der Stecker für unseren Strom in einem abgeschlossenen Kasten befand, waren wir auf einen der Kollegen vom Camp angewiesen. Glücklicherweise spricht Kadir neben deutsch auch türkisch akzentfrei - soweit ich das beurteilen kann - und beorderte den Menschen am anderen Ende der Telefonleitung zu unserem Stromkasten. Der jedoch schickte seinen Adjutanten, welcher sich zu Fuß auf den Weg machen sollte. Ein herzlich dreinblickender Mensch erschien an unserem Platz. Dieser raucht die Zigaretten scheinbar genau so weit wie Onkel Ismet (Kadirs Baba, anm. d. Red.) es immer tat. Jedenfalls war zwischen den Fingerkuppen außer Asche eigentlich nichts mehr zu sehen. Bei Onkel Ismet war ich mir früher immer sicher gewesen, dass er nicht nur einmal auch seine Fingernägel oder wenigstens die Haut der Fingerkuppen mitrauchen würde.
Dann also los. Wir fuhren ohne jeglichen weiteren Verkehr durch eine wunderschöne teilweise offene Landschaft in 1400-1600m Höhe. Kamen an einigen wenigen Baumfällern und Seen vorbei und streiften mindestens ein Skigebiet. Ja, ein Skigebiet inmitten der Türkei. Der heutige Plan besagte, dass wir nach Samsun an die Küste des Schwarzen Meeres fahren. Am Freitag soll es dann quasi ausschließlich an der Küste entlang nach Trabzon gehen. Irgendwann ging es dann aber doch auf eine Schnellstraße, die für unser heutiges Etappenziel auch notwendig war. Wir spulten Kilometer um Kilometer ab und lernten die Attrappen am Wegesrand von den echten Fahrzeugen der Polis zu unterscheiden. Aus der Entfernung sehen diese bemalten Holzwände und der daneben positionierte Cop täuschend echt aus und verfehlen ihre Wirkung tatsächlich nicht. Nicht nur wir verringerten in diesen Situationen immer wieder mal die Geschwindigkeit. Die echten Polizisten gibt es hier natürlich auch an diversen Stellen der Schnellstraßen. Aber ähnlich wie z.B. in Südafrika gerne dort, wo die Kameraden weite Sicht auf den Verkehr und Schatten haben. Bis hierher wurden wir aber noch nicht angehalten.
Wir hatten uns darauf verständigt bei Tosya einen Stopp einzulegen, eines der unzähligen Restaurants am Straßenrand aufzusuchen und anschließend die Plätze zu tauschen. Kadir schlummerte etwas auf dem Beifahrersitz und ich weckte ihn kurz vor der genannten Stadt. Wir hatten nicht mit der relativ weiten Interpretation der Türken gerechnet, was Entfernungen angeht. Mindestens sieben oder achtmal war laut der Werbetafeln vollkommen klar, dass wir in zwei (2) Kilometern unser Mittagessen werden einnehmen können. Aber weit gefehlt. Ich meine, etwa vierzig (40) Kilometer hinter Tosya gab es endlich eine ersehnte Möglichkeit zu stoppen. Das Essen und die Freundlichkeit des Herrn hinter dem Tresen - eigentlich handelte es sich um eine Selbstbedienungstheke - entschädigten uns vollkommen für die Verwirrungen rund um die türkischen Messkompetenzen.
Schnell noch Pismaniye und türkische NicNacs aus der Auslage gekauft und weiter ging es in Richtung Samsun. Wir entschieden uns für den Stellplatz am Wasser, der mit WLAN und den sonstigen bei uns beliebten Ausstattungsmerkmalen warb. In den Rezensionen lasen wir von „ununterbrochenem Verkehrslärm aufgrund einer Schnellstraße und einer Tram-Linie“. In der Diskussion schlug WLAN aber Geräuschpegel, hatten wir doch letzte Nacht Ruhe. Was diese Ländergruppe so alles mit einem macht.
Um zu dem Platz zu gelangen, ging es einmal durch Samsun hindurch. Der Verkehr in dieser pulsierenden Stadt hätte sicher so einige Mitteleuropäer mit langjähriger Fahrpraxis ins Schwitzen gebracht. Kadirs Mund entlockte er jedoch ein begeistertes „Geil! Ich liebe das“. Und als ich bei der vierten oder fünften Beinahe-Feindberührung dann doch mal zuckte, bekam ich von links „Ej, das ist hier so. Hier musst du dir deine Vorfahrt erkämpfen“ zu hören.
Der Stellplatz lag tatsächlich direkt am Meer bzw. Hafenbecken und gehörte zum Areal einer Wassersportanlage. Wir überlegten während des Anmeldeprozesses kurz, ob wir unsere Wakeboard-Skills darbieten sollen. Die heiße Dusche und das WLAN waren selbstredend deutlich stärkere Argumente. Wir schlossen umgehend Freundschaft mit einem Herrn, der mit einem ähnlichen Benz mit Bonner Kennzeichen und BVB-Aufkleber unterwegs war. Er sei auf dem Weg nach Georgien und es wurde schnell klar, dass er ein sehr großes Zeitfenster zur Verfügung hat: „bis ich sterbe“.
Wir machten uns auf den Fußweg in die Innenstadt und verlangten unseren Schrittzählern dadurch alles ab. Waren wir in den letzten sechs Tagen insgesamt höchstens 10t Schritte gegangen, sollten an diesem Abend rund 15t auf dem Counter stehen. Das Gehen tat jedoch sehr, sehr gut. Die Fitnessgeräte am Rande des Trainingskomplexes von Samsunspor ließen wir aber doch lieber ungenutzt. Nach einem weiteren grandiosen Abendessen mit Köfte und Iskender schlenderten wir zurück und schauten bei den diversen Soccer-Courts nach Talenten. Die Aktiven überzeugten uns leider nicht, so dass wir unverrichteter Dinge weiterzogen. Die Müdigkeit hatte uns schnell im Griff und nachdem ich einen Blogbeitrag sowie diverse Bilder im siebten Versuch hochgeladen hatte, winkten wir uns auf unseren Wegen in den West- sowie Nordflügel noch einmal zu. Gute Nacht, Samsun.
Der Güterverkehr der benachbarten Hochstraße rumpelte allerdings direkt durch mein Schlafzimmer…