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Samsun - Trabzon

Veröffentlicht: 12.10.2024

Juten Morjen aus Samsun!


Ich erwachte, als der 40-Tonner mit den Flachstahl-Matten auf seinem Weg aus Aserbaidschan nach Bottrop durch mein Schlafzimmer fuhr. Vielleicht war es aber auch der vor ihm fahrende Sattelschlepper mit den Spax-Schrauben in Blechkisten aus Georgien, der mich aus den Träumen riss. Immerhin hatten die Oropax bis hierhin ganze Arbeit geleistet und mich trotz des zugegebenermaßen immensen Lärmpegels gut schlafen lassen. Nach Verlassen unseres Heimes genoss ich die andere Seite unseres Stellplatzes im wahrsten Wortsinn. Die Sonne war bereits über dem Schwarzen Meer aufgegangen und tauchte das Hafenbecken in ein wunderbares gelb-orange.


Ich nutzte die guten Einrichtungen für einen neuerlichen Haarschnitt samt anschließender heißer Dusche. Bei meiner Rückkehr zum Benz empfing mich Kaffeegeruch und in meinem Schlepptau folgte der Kollege aus Bonn. Ebenfalls einen Kaffeebecher in der Hand. Es entwickelte sich insbesondere mit Kadir ein Gespräch über Wirtschaftsfaktoren, Inflationsrate und Bruttoinlandsprodukt der Türkei. Ich besann mich auf meinen Kaffee und genoss die wärmer werdende Sonne in meinem Gesicht. Die beiden tauschten sich des Weiteren noch über die Vor- und Nachteile der Premium-Version von „Park4 Night“ aus, während ich meinen Aufgaben nachkam und unserem Mobil einen Schluck Motoröl gönnte und selbstverständlich allen anderen Pflichten eines Mitfahrenden nachkam. Hier möchte niemand den Kapitän verärgern. Schon gar nicht heute, sollte es doch an den östlichsten Punkt unserer Runde und somit in Kadirs Heimat aus Kinderzeiten gehen.


Ich freute mich, dass der Capt’n höchstpersönlich die ersten Kilometer am Steuer sitzen wollte. Allerdings erwies sich der Weg vom Stellplatz sowohl zur ersten Tanke - welche der Benz dringend nötig hatte - als auch raus aus der Stadt als völlig entspannt. Auch die heutigen 330km nach Trabzon versprachen viel Ausblick auf das Wasser und eine ruhige Fahrt, da die Küstenstraße durchgängig zweispurig ausgebaut ist.


Raus aus Samsun führte die Straße uns am schicken Stadion von Samsunspor vorbei und nur für einige wenige Kilometer weg vom Meer. Immer wieder hatten wir links von uns Wasser soweit das Auge reicht. Etwa bei halber Strecke stoppten wir für unser Mittagessen. In einem Restaurant mit - Überraschung - Meerblick gab es für uns beide Menemen mit Sucuk und dazu wie hier üblich Brot für ungefähr sieben weitere Personen. Der/ die/ das (?) Menemen wurde in kleinen Pfannen gebracht und besteht aus Zwiebeln, türkischer Paprika, Ei und Tomaten. In unserem Fall eben auch noch mit Sucuk.


Nun übernahm ich die Kontrolle für die restlichen Kilometer bis Trabzon. Es ging so entspannt weiter, wie bisher an diesem Tag. Bis zu einer Polizeikontrolle, die nicht durch die Papp-Kollegen, sondern von echten Polizisten aufgebaut war. Dazu werden hier etwa 300m nach einem Fahrzeug mit Messgerät grundsätzlich Pylonen auf eine der Spuren gestellt, um den Verkehr auf die andere Spur zu leiten. Die Cops in neongelb springen dann vor die gemeldeten Fahrzeuge und weisen ihnen unmissverständlich den Weg an den Fahrbahnrand. Nun wurden die vier oder fünf Fahrzeuge direkt vor uns nach rechts beordert und ich war zu hundert Prozent sicher, dass auch wir… mein Puls stieg um etwa 29 Schläge/ Minute, die Handinnenflächen befeuchteten das Lenkrad, aber irgendwie interessierte sich niemand für unser grünes Mobil. Umgehend registrierte Kadir die Situation und machte rechts von mir unmissverständlich deutlich „FAHR WEITER, FAHR WEITER“! Das konnte ich zwar kaum mit meiner guten Erziehung und meinem Gehorsam gegenüber Obrigkeiten vereinbaren, da ich den Beamten doch noch eine letzte Chance einräumen muss. Ich habe doch zu tun, was diese mir befehlen. Aber dann doch: Gummi! Zack, der Kontrolle entronnen und tatsächlich hat sich wirklich niemand für uns interessiert. Kadir im Brustton der Überzeugung: „Die haben Angst vor uns!“


Als wir 11,4km vor unserem eingegebenen Ziel die ersten höheren Wohngebäude sahen, kam vom Beifahrersitz „Welcome to Trabzon“. Ich wusste natürlich, dass Trabzon am Schwarzen Meer liegt, mir war jedoch nicht bewusst, dass sich die Stadt derart langgezogen an aufsteigenden grünen Hügeln erstreckt. Wir fuhren über einen breiten Streifen neu gewonnenen Landes, wodurch die Stadt vor Jahren weiter ins Meer hinein wuchs. Auf Höhe des Flughafens, welcher sich auch auf diesem Landstrich befindet, ging es rechts herum und umgehend bei mindestens 17% Steigung nach oben. Hier kann sich San Francisco noch eine Scheibe abschneiden und Fahrschüler werden zu Perfektionisten im „Anfahren am Berg mit Handbremse und Kupplung“. Das „Sweet-Home-Suite-Hotel“ erreichten wir nach etwa einem Kilometer. Den Militaria-Benz parkten wir direkt vor dem Hotel. Von den beiden Beschäftigten wurden wir äußerst herzlich empfangen. Es entwickelte sich sogleich ein munteres Gespräch während wir den gereichten heißen Cay in unseren Händen hielten.


Ich wollte Kadir eigentlich mal herzen, hatten wir doch tatsächlich die Idee umgesetzt, welche im Januar 2023 in einem höllisch lauten Brauhaus in München, natürlich beim Bier, entstanden war. Er war aber so im Small-Talk vertieft, dass ich mich erstmal mit mir darüber auseinandersetzte. Wir haben uns vor exakt 42 Jahren kennengelernt als ich nach unserem Umzug in eine neue Klasse kam und er, nach Aussage meiner Mutter, wild gestikulierend den Platz neben sich anbot, während ich wie doof vor seiner Klasse stand. Daraus haben sich in unser beider Leben unzählige Momente und Erlebnisse ergeben. Nur diesen Besuch in der Stadt seiner Kindheit hatten wir bisher nicht hinbekommen. Nun aber. Endlich. Dazu noch auf Achse. Kilometer für Kilometer. So wie es nicht nur Kadirs Eltern, sondern tausende Gastarbeiter aus Westdeutschland in den 70er und 80er Jahren machten. Das jedoch mit Fahrzeugen ohne den Komfort von heute und auf Straßen, fernab des heutigen Flüsterbetons sowie mit zig Grenzkontrollen, die ihrem Namen noch alle Ehre machten. Dann war es aber doch soweit. Wir hielten uns in den Armen und freuten uns.


Danke liebes Leben für diesen Menschen, für seine Herkunft, seine Geschichte und sein Liebe.
Seni seviyorum.


Wenige Minuten später erschien Hakan, der Sohn seines Cousins Haydar. Hakan stoppte quasi auf dem Weg zum Flughafen, da er Kadirs Mutter dort abholen wollte. Spätestens morgen Abend ist dann vollständige Rotation angesagt, wenn auch Rudy und Julchen gelandet sind. Dann wird Kadir mal wieder den Simultandolmetscher machen dürfen, denn sowohl Haydar als auch Hakan sprechen kein Wort deutsch. Leider habe auch ich es vor 40 Jahren versäumt, türkisch mitzunehmen. Obwohl ich mich damals sicher im besten Lernalter befand, reichte es doch nur für die üblichen Schimpfwörter und Begrüßungsfloskeln.


Wir aßen abends zur Abwechslung mal wieder Köfte und dann ging es das erste Mal seit einer Woche in richtige Betten. Ob die jedoch hielten, was wir uns von ihnen versprachen…


Iyi geceler aus Trabzon

Antworten (4)

🙌🙌♥️♥️

❤️❤️

S.
Schön, dass ihr diese bierselige Schnapsidee umgesetzt habt und wir auf diese Weise daran teilhaben dürfen. Grüße aus dem Rheinland.

Tom
Hui! Ganz, ganz herzlichen Dank für die Blumen🙏🏼🙏🏼🙏🏼

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