Go East - Mit dem Fahrrad zu Ev. Gemeinden in Osteuropa
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56. Tag - 2. Sept.: Bekescsaba - Größte Ev. Kirche von Osteuropa

Veröffentlicht: 03.09.2022

Schon kurz nach 6 Uhr klingelte mein Handywecker, weil ich 7 Uhr zum Frühstück bei Pfarrer Atilla sein sollte. Denn, schon 7.30 Uhr kommen in die Diakonie-Sozialstation die ersten Mitarbeiter und bereiten die Aktivitäten vor.  Aber Atittla meinte, das heute nicht so viele wie sonst (20-25) kommen werden, weil für fast den ganzen Tag Dauerregen angesagt war und der Regen etliche Besucher oft abhält. Im Laufe des Vormittages bis zum Mittagessen kamen rund 15 Besucher. Manche nur kurz, andere länger, um die kreativen Angebote zu nutzen, sich zu unterhalten oder miteinander Karten zu spielen. Zur Mittagszeit die schon kurz nach 11 Uhr begann, waren die meisten Besucher da. Immer wurde ich von den meist Älteren etwas beäugt, aber die Mitarbeiter erklärten meine Anwesenheit.

Ich durfte auch noch am Mittagessen teilnehmen und hoffte das der Regen etwas nachlassen würde, denn mein Tagesziel war die große Kreisstadt Bekescsaba. Schon in der Südslowakei wurde mir gesagt, dass ich dort unbedingt die große Evangelisch-Lutherische Kirche besuchen sollte. Weil Pfarrer Atilla am Vormittag auch nach Bekescsaba mit dem Kleinbus fahren musste, bot er mir an mich mitzunehmen, weil es immer noch beständig regnete. Aber ich lehnte ab, weil ich trotz des Regens mit dem Rad fahren wollte. Schließlich machte ich ja eine Fahrradreise. So packte ich nach dem Mittag meine vier Fahrradtaschen und verabschiedete mich von den verbliebenen Besuchern der Sozialstation und den Mitarbeitern und radelte los.

Gerade wegen der vielen Hitzetagen zuvor, war das Fahrradfahren trotz des Dauerregens fast eine Wohltat. Es ging nie bergauf und auf rund der Hälfte der 44km langen Wegstrecke nach Bekescsaba, war die Straße in einem super, glatten Zustand und ich kam gut vorran. Nur zur Navigation machte ich eine Minipause und so brauchte ich keine 2,5 Stunden bis zum Ev. Pfarrhaus in Bekescsaba. 

In der Stadt gibt es gleich drei Evangelische Kirchen und vier Pfarrer.  Ich musste keine 5 Minuten warten und Pfarrer Janosch kam, begrüsste mich und zeigte mir als erstes das Gästezimmer im großen Gemeindehaus, wo ich schlafen durfte.  Da ich vom Schweiß und Dauerregen in meinen Fahrradsachen vollkommen durchnässt war, duschte ich zuerst, zog frische Sachen und dann begann die Besichtigung der Kirchen in Bekescsaba. Und das war sehr beeindruckend. Die Stadt ist sowas wie eine "kleine Evangelische Hochburg" in Ungarn. Von den rund 60.000 Einwohnern gehören immerhin etwas über 1600 zur Evangelisch-Lutherischen Kirche und das hat historische Gründe:

Nach der Vertreibung der Osmanen siedelten sich durch den Ruf des österreichischen Hofkommerzialrat Georg Harucken zwischen 1718 und 1723 über 200 slowakische Bauernfamilien mit zahlreichen Kindern auf dem Flecken an, die ihre Evangelische Konfession behalten durften und sogar Steuervergünstigungen bekamen. Die erste, erbaute Ev. Kirche der slowakischen Siedler wurde bald zu klein für die Sonntagsgemeinde. Denn auch in den Folgejahren siedelten sich jährlich ca. 40 Familien in der neu gegründeten Stadt an. Deshalb reichte der Platz in der ersten Kirche nicht mehr aus und gleich gegenüber wurde eine viel größere Ev. Kirche gebaut, die auch heute durch ihre Mächtigkeit und Erhabenheit eher einen Dom gleicht.

Zuerst besichtigten Pfarrer Janosch und ich das große Gemeindehaus mit einem großen Konferenzsaal, mit zahlreichen Büros der Pfarrer und Mitarbeiter, die neu sanierte Gemeindeküche.  In dem Haus wohnt auch der neue Regionalbischof der Diöszöse Ungarn-Süd. Anschließend gingen wir zur "kleinen" Evangelischen Kirche, welche eigentlich schon ausreichend groß genug ist für die Gottesdienstgemeinde heute. Sie strahlt eine schlichte Schönheit aus und ist die "Winterkirche" der Gemeinde. Im Sommer wird die große Kirche auf der anderen Straßenseite zum Gottesdienst genutzt.  Diese gilt als die größte Evangelische Kirche in ganz Osteuropa und hat eher den Charakter eines Domes. Im schlichten Weis erstrahlt die gesamte monumentale Kirche im Inneren. Direkt über dem Altar ist die Predigtkanzel. Das lutherische Merkmal der Kirche. Ich stellte mir in Gedanken die früheren Zeiten vor, als die Stadt nur von Evangelischen Slowaken bewohnt war und die Kirchen jeden Sonntag gut gefüllt waren. Die Folgen des 1. und des 2. Weltkrieges führten zu den großen Bevölkerungsaustausch von Ungarn und Slowaken. Geblieben sind die Evangelischen Kirchen.

Neben diesen Beiden gibt es noch eine dritte, kleinere Ev. Kirche in der Stadt. Alle drei belegen das besondere evangelisch-historische Erbe der Stadt Bekescsaba. Jeden Sonntag gibt es insgesamt 6 evangelische Gottesdienste in der Stadt zur Auswahl. Auch jeweils zwei in slowakischer Sprache. Zusammengerechnet kommen ca. 500 Gottesdienstbesucher an einem gewöhnlichen Sonntag, außerhalb der Ferienzeit. Zu den Gottesdiensten um 10 Uhr gibt es auch immer einen Kindergottesdienst. Es gibt alle bekannten Gruppen und Kreise und seit einiger Zeit auch eine Band für modernere Kirchenmusik. 

Die Kirchengemeinde betreibt gleich neben der Kirche auch eine Grund- und Mittelschule, sowie ein Gymnasium. Vor der Schule steht sogar ein Lutherdenkmal. Natürlich gibt es auch einen Evangelischen Kindergarten. Auch an diesem Haus ist die Lutherrose weithin sichtbar. Alle Einrichtungen befinden sich in Laufnähe der beiden Kirchen. Wie in Budapest gibt es somit ein großes und für alle Stadtbewohner sichtbares Evangelisches Zentrum in der Stadt. Leicht zu erkennen n den zahlreichen Lutherrosen, als sichtbares Erkennungszeichen des Evangelischen Glaubens in der Stadt.

 Nach der Besichtigung der beeindruckenden Kirchen verabredeten wir uns zum Pizzaessen am Abend in der Nähe. Ich ging etwas einkaufen, weil einige meiner Sachen durch das ständige Aus- und Einpacken kaputt gingen. Zum Pizzaessen tauschten wir uns noch etwas zum Gemeindeleben aus. Ich bereichtete etwas von unserer Gemeindesituation in der Altmark. Janosch kam aus dem Staunen nicht heraus, dass ich mit Pfarrer Silvio Scholz für 36 Dörfer und 27 Kirchen zuständig sind. Ich zeigte ein Fotos von meiner Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Leider gibt es in seiner Gemeinde keinen hauptamtlichen Mitarbeiter für Kinder und Jugendliche, obwohl er sich das wünschen würde. Dann veranschiedeten wir uns und ich ging zu meiner Unterkunft.

Die größte Herausforderung ist gegenwärtig - wie mir Pfarrer Janosch erzählte - ein neues Gottesdienstformat, welches auch Familien und die mittlere Generation ansprechen soll, wofür die Band seit einiger Zeit probt.

Beim Einschlafen in der Unterkunft fragte ich mich, warum bei uns die Lutherrose kaum sichtbar ist, obwohl in Mitteldeutschland sämtliche wichtige Lutherstädte liegen, grübelte eine Weile nach und schlief ohne konkrete Antwort ein.


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