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Tag 37, Tallin

Veröffentlicht: 26.06.2022

Heute geht's nach Tallin, der estnischen Hauptstadt. Zum Einchecken muss ich um 7.30 Uhr am Fährterminal sein. Die Fähre braucht für die 85 km zwischen Helsinki und Tallin zweieinhalb Stunden über die spiegelglatte Ostsee. 


Blick auf Tallin

In Estland leben nur 1,3 Mio. Einwohner. Entsprechend überschaubar ist auch Tallin. Formal gehört Estland zu den baltischen Staaten. Kulturell fühlen sich die meisten Esten jedoch den Finnen näher als den Letten und Litauern. 

Bei der Einfahrt in den Hafen sehe ich noch zwei Kreuzfahrtschiffe. Die kleine Stadt wird hammervoll werden, denn auch unser Schiff ist gut gefüllt. Um dem Rummel etwas zu entgehen, beschließe ich, mich zunächst außerhalb der Stadtmauer umzusehen.

Zunächst sehe ich mir alte Industriearchitektur an, die jetzt für kulturelle Zwecke genutzt wird.

Kurz danach komme ich zum ehemaligen Gefängnis Patarei. Die frühere Seefestung  wurde während des 20. Jahrhunderts von Nazi-Deutschland und anschließend der Sowjetunion benutzt, um unschuldige Menschen zu inhaftieren. Neben Straftätern wurden da auch politische Gegner des Regimes gefangen gehalten und hingerichtet. Insgesamt wurden während der sowjetischen Besatzung geschätzt 45000 Bürger und Einwohner Estlands aus politischen Gründen inhaftiert. Patarei gilt für die Einwohner von Estland als eines der größten Symbole des sowjetischen politischen Terrors. 

Gefängnis Patarei
Gefängnis Patarei
Gefängnis Patarei
Gefängnis Patarei
Gefängnis Patarei
Der Besuch im Gefängnis ist einerseits sehr interessant, andererseits total bedrückend. Vor allem die Schilderungen von einzelnen Häftlingen, die diese Hölle überlebt haben. 

Eins wird mir beim heutigen Besuch Tallins klar: das Land will von Russland nichts mehr wissen und zeigt immer wieder stolz seine Eigenständigkeit, die es 1991 in der singenden Revolution friedlich erreicht hat. 

Das Gefängnis Paterei bildet mit seinen Nachbarn, dem Museum Wasserflughafen, der Entdeckungsfabrik PROTO und dem Kunstzentrum Kai, ein Kultur- und Freizeitzentrum im nördlichen Teil der Stadt, das nur 15 Fußminuten von der Altstadt entfernt ist.

Hier ist viel spannende neue Architektur entstanden, ohne das Andenken der alten Gebäude zu vergessen.

Zusammengepresste Kunst

Auf dem Weg in die Altstadt stehen auf der Straße merkwürdige Geräte, die ich mir ansehe.


Es sind selbstfahrende Roboter der Firma Starship. Auf der Website der Firma steht dazu: "We believe our robots will revolutionise food and package deliveries, offering people convenient new services that improve everyday life."

Ich hatte vorher schon gehört, dass Estland bei der Digitalisierung weltweit ganz weit vorne ist. Wer weiß, ob sich das durchsetzt.

Die Altstadt ist wirklich sehenswert und ich habe Glück - die Horden haben größtenteils die Altstadt bereits wieder Richtung Schiffe verlassen. 


Mitten in der Stadt liegt die russische Botschaft, die von zwei Polizisten bewacht wird. Die Stimmung gegenüber dem einstigen Besatzer ist eindeutig.

Im Juni 1940 besetzte die Sowjetunion das Land. Estnische Intellektuelle wurden verfolgt und deportiert. 1941 kamen die Deutschen und errichteten auch in Estland Konzentrationslager. 1944 fiel das Land zurück an die Rote Armee, die erneut die Elite deportieren ließ. 100.000 tatsächlich oder vermeintlich anti-sowjetische Einwohner Estlands wurden nach Sibirien verschleppt, genauso viele mussten auswandern. Dafür wurden fast 200.000 russische Arbeiter angesiedelt.

Die Sowjetunion ergriff gezielte Maßnahmen, um das nationale Bewusstsein der Esten zu zerstören: Sie schwächte die estnische Sprache, vernichtete Bücher und verbot das Singen von nationalen Liedern. Die Jahrzehnte unter sowjetischer Besatzung waren für viele Esten eine traumatische Zeit, die sie bis heute weder vergessen noch vergeben haben. Ein Viertel aller Esten (vor allem im Osten des Landes) sind russischen Ursprungs und Russland versucht mit gezielten Falschinformationen das Land zu destalbilisieren.
Schrecklich, dass sich genau das gerade in der Ukraine wiederholt.
Interessant ist, wie die Menschen auf die Botschaft vor der Botschaft reagieren. Viele russisch sprachige Menschen laufen ohne einen Blick zur Seite einfach vorbei.

Es ist inzwischen sehr warm geworden und ich suche etwas Abkühlung in der russisch-orthodoxen Kathedrale.

Russisch-orthodoxe Kathedrale 

Ein schöner Tag mit vielen unterschiedlichen Eindrücken geht gemütlich auf der Fähre zu Ende. Es ist ein lauer Sommerabend. Ich genieße das Bier, dass ich zu zivilen Preisen ist Estland gekauft habe in der Abendsonne.

Einkauf auf finnisch in Tallin

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