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Wir sind wieder jung

Veröffentlicht: 02.08.2024

Schulbank drücken, zwei Zimmer in einer WG und die allabendliche Frage "Zu dir oder zu mir?" - wir sind wieder Teenager! Zumindest für die beiden vergangenen Wochen in Montreal.

Wir wurden in dem Wohnheim unserer Sprachschule in einer internationalen 5er WG untergebracht. Unsere Mitbewohnerinnen sind Anfang 20 und kommen aus Brasilien und einigen europäischen Ländern. Da hat man sich schnell auf Englisch als gemeinsame Sprache geeinigt. Kaum angekommen haben wir uns schon als typische Lummerländer geoutet. Wir mussten hier erst einmal gründlich putzen und den stinkenden Müll rausbringen, was uns aber großzügig mit dem Hinweis auf unserem kulturellen Hintergrund verziehen wurde. "Well, Lummerlanders are a bit cleaner and tidier, aren't they?" Aber da hier Alle Humor haben und sich nicht so ernst nehmen, können wir rumflachsen, entspannt miteinander plaudern, uns anstammeln, wenn die richtigen Vokabeln fehlen und die Walnüsse der Mitbewohner auffuttern. Fehler sind menschlich! Und das macht das Zusammenleben hier so nett.

Unsere Sprachschule dagegen nimmt sich sehr ernst. Die hat sich nämlich zur Aufgabe gemacht, uns so richtig was beibringen zu wollen, und zwar in erster Linie Disziplin. So wurde allen Neuankömmlingen eine Art Strafkatalog vorgelegt, was bei einer Verspätung gestaffelt nach der Anzahl der Minuten passiert: Kommt man 5min zu spät, reicht eine einfache Entschuldigung sowie das Gelöbnis zur Besserung. Kommt man mehr als 15min zu spät, muss man weitere 15min auf der Strafbank verbringen, bevor man in den Klassenraum reingekrochen kommen darf. Kommt man mehr als 30min zu spät, erwartet einen die Strafbank bereits für zusätzliche 30min plus ein Gespräch bei der Direktorin. Was im Wiederholungsfall mit uns passiert, schreiben wir hier lieber nicht auf...

Genauso hart wird hier durchgegriffen, wenn man innerhalb des Schulgebäudes (egal ob im Klassenraum oder in der Pause oder auf dem Mädchenklo) in seiner Muttersprache spricht. Beim ersten Mal gibt es eine Verwarnung, beim zweiten Mal ein Gespräch mit der Direktorin und beim dritten Mal bekommt man einen Verweis. Harte Sitten. Vor allen Dingen, die Personen, die einen Anfängerkurs belegt haben, tun uns leid.

Frau Waas hat dennoch viel Spaß in ihrem Englischkurs mit vielen jungen Latinas, die Schwung in den Unterricht bringen und denen (zum Glück) der nötige Ernst fehlt. Frau Waas ist zwar nicht ganz so rassig, lacht aber immer gerne mit. Herr Ärmel hat es da ein wenig schlechter getroffen. Nicht nur, dass seine Französischlehrerin keinen Humor hat, sondern auch die Mitschüler*innen scheinen mit einer gepflegten Pausenkonversation nichts anfangen zu können. Diese Kursteilnehmer*innen stecken sich lieber Stöpsel in die Ohren und wirken regelrecht verstört, wenn sie angesprochen werden.

Aber zur Befriedigung der kommunikativen Bedürfnisse haben wir das "Gouter francais" bzw "English Teatime" entdeckt. Hier kommen einmal wöchentlich Menschen aus allen Altersgruppen und allen möglichen Ländern zusammen, um gemeinsam Französisch bzw, Englisch zu sprechen. Das sind sehr nette Zusammenkünfte und man lernt definitiv Menschen und Kulturen kennen, mit denen man sonst nie in Berührung gekommen wäre.

Allerdings waren wir nach 1,5 Stunden französischer Konversation durchgeschwitzt.

Montreal gefiel uns von Tag zu Tag etwas besser: Im Stadtzentrum trifft man schnell auf Straßenkünstler*innen, meistens Musiker*innen, manchmal auch Maler*innen. Nahe unseres Hotels ist eine Bühne aufgebaut für wechselnde Festivals. Hier gab es Stand Up-Comedy und ein Queer-Festival während unserer Zeit.

Für uns war es nett, einmal an einem Ort etwas länger zu bleiben mit einem halbwegs normalen Arbeitsablauf durch das Schulbankdrücken– so verließen wir etwas die Touri-Perspektive und konnten uns vorstellen, in einer Stadt wie Montréal zu leben. Und Montreal ist ein guter Ort zum Leben.

Allerdings darf man auch nicht in geschönten Jubel verfallen: Anders, als es im europäischen Fernsehen oft erscheint, gibt es auch hier auffallend viele Obdachlose, die teils offen Crack und anderes konsumieren und viele Anzeichen von Altersarmut.

Auch muss man sich einrichten, wenn man hier leben will. Die Suche nach wirklich frischem Brot ist sehr aufwändig und ebenso die Suche nach veganen Produkten, Bioprodukten und Fair Trade-Artikeln. Hier gäbe es noch so manche Marktlücke zu schließen.

Montréal kam uns fast preiswert vor nach New York und Long Island, aber man muss hier viel Geld im Supermarkt lassen – und manchmal ist es nicht einfach, die richtige Menge zu bekommen, da Taschentücher gerne in der ökonomischen 48 Packungen-Verpackung angeboten werden, was nicht ganz zu unseren Rucksäcken passt. Auch die nordamerikanische Küche und wir werden keine innige Beziehung mehr zueinander aufbauen. Aber wenn man sucht, dann finden sich auch alternativere Ecken, in denen man z.B. indische. afghanische oder vegane Küche findet. Aber Montréal ist keineswegs eine europäische Stadt in Nordamerika. Es kommt schon sehr amerikanisch daher, wenngleich man manchmal wirklich nur mit Französisch weiterkommt. Die überwiegend frankophonen Montréaler*innen wechseln aber fast immer schnell ins Englische, wenngleich man vielen anmerkt, dass dies nicht ihre Muttersprache ist. So hatten wir selber manchen Sprachdreher drin beim ständigen Wechsel zwischen Englisch, Deutsch und Französisch. Zumal Frau Waas in der Schule nur Englisch und Herr Ärmel nur Französisch hätte sprechen sollen, was konsequent durchgezogen die gemeinsamen Momente während der Pausen arg erschwert hätte. Insgesamt hat Montréal zwar nicht den Charme von Quebec, aber man kann sich hier sehr gut einrichten.

Zum Essen und abendlichen Abhängen bei Straßenmusiker*innen, die auf extra für sie eingerichteten kleinen Podesten stehen, kann man z.B. in die Rue Duluth. Sowohl hier wie auch an vielen anderen Orten gibt es öffentliche Sitzgelegenheiten und auch Liegegelegenheiten, so dass man auch mit selbst mitgebrachtem Essen oder auch als Obdachlose*r einen Platz für sich findet. Die vielen jungen Polizeikadet*innen, die insbesondere im Stadtkern herumlaufen, bleiben meist sehr zurückhaltend und angemessen im Umgang mit den Obdachlosen.

Doch neben all diesen Alltagsbeobachtung sei die Touri-Perspektive nicht ganz vergessen. So bestiegen wir bei 30°Celsius den Mont Royal, der der Stadt ihren Namen gab und seinen Namen bereits im 16. Jahrhundert erhielt. Von der Aussichtsplattform aus kann man die Skyline Montreals überblicken, das zwar auch seine Wolkenkratzer hat aber doch eher in die Fläche gebaut ist. Auf dem Mont Royal ist man plötzlich fast völlig raus aus der Stadt. Hier trifft man Radler und Leute mit ihren Hunden und läuft durch frisch renaturierte Wälder und es kommt einem Fast vor wie z.B. in Thüringen – nur dass die Hörnchen hier grau sind und die Kaninchen größere Löffel haben.

Östlich vom Mont Royal und nördlich von Stadtkern und altem Hafen (eine echte Altstadt hat Montréal praktisch nicht) findet man die alternativeren Ecken rund um die erwähnte Rue Duluth mit kleinen und größeren öffentlichen Parks, die für gemeinsames Abhängen, Sonnenbäder und Sport genutzt werden.

Sport wird in Kanada insgesamt groß geschrieben, und die alte Olympische Vergangenheit wird in Montréal gerne präsentiert.

Den beim alten Olympiastadion gelegenen Botanischen Garten haben wir dann aber ausfallen lassen in Anbetracht von 23$ Eintritt plus Steuern. (Die muss man in Kanada im Kopf noch draufschlagen, so dass ein Essen dann nicht 20$ sondern 23,46$ oder so + Trinkgeld kostet.)

Was sich hingegen auf jeden Fall lohnte waren die 35$ Eintritt pro Nase für die Lichtshow in Montréals großer Kirche Notre Dame am alten Hafen, dicht beim Rummelplatz. Es war einfach ungemein beeindruckend. Leider oder zum Glück durften wir während der Show nicht fotografieren, so dass wir uns ganz dem Moment hingeben konnten.

Schlaf zu finden ist allerdings nicht leicht im Moment. Es ist schwül und durch das offene Fenster unseres wirklich super zentral gelegenen Wohnheims dringen auch nach 22 Uhr noch die Klänge von „I will survive“ vom nahegelegen Platz, während auf den Bänken junges Publikum im Partyoutfit sitzt nicht weit von einigen Obdachlosen und sich über die Klänge der Musik hinweg unterhält. Aber wer braucht schon Schlaf, wenn man wieder Teenager ist.

Antworten (1)

oliver
Moin aus Bremen! Wegen Zeitverschiebung ist es JETZT und HIER schon so weit, deshalb isses nich zu früh, um Unglück zu bringen, auch wenns bei euch noch n paar Stunden bis dahin sind: Alles Gute zum Geburtstag! Mach Dir n Schönen und lass Dich verwöhnen :-)

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