Veröffentlicht: 23.07.2020
Da ich auf einem Blog zum Thema Insel-Hopping auf den Nordfriesischen Inseln (https://www.indernaehebleiben.de/inselhopping-nordfriesische-inseln/) gelesen habe, dass Inseln und Stress so ganz und gar nicht zusammen passen, beschließe ich nicht die erste Fähre in der Früh, sondern entspannt die um 10:40 Uhr zu nehmen.
Das Packen hat mittlerweile Routine-Charakter und da es vom Campingplatz zum Fähranleger eh nicht weit ist, komme ich sehr entspannt schon ne gute Stunde vor Abfahrt an. Nachdem ich ein Ticket gekauft habe, will ich eig noch ne kleine Runde um den Hafenbereich drehen, als mich ein älterer Herr mit Fahrrad anspricht, ob ich wohl länger unterwegs bin. Ich erwarte schon den üblichen, netten 3 Minuten Smalltalk. Aber da hab ich mich gewaltig getäuscht.
Der mittlerweile 78-jährige gebürtige Österreicher lebt seit über 30 Jahren in Passau und hat mit 70 seine Liebe zum Radreisen entdeckt. Er strahlt übers ganze Gesicht als er von seinen Touren durch Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Skandinavien, Osteuropa, Nordafrika, Mexiko, etc erzählt und wiederholt, dass er noch nie irgendwelche Probleme hatte und die Begegnungen mit den Menschen auf seinen Reisen immer so super herzlich und die Gastfreundschaft überwältigend waren. Außerdem zehre er nach ein paar Wochen reisen immer noch sehr lang von den Erlebnissen, wenn er zurück daheim seine Frau bei Tätigkeiten in Haus und Garten unterstützt. Sie sei durch Kinderlähmung leider körperlich eingeschränkt und könne daher nicht mitreisen, aber er fände es eh besser alleine unterwegs zu sein, weil man so viele Kontakte knüpft und so frei in seinen Entscheidungen ist. Kommt mir bekannt vor ;)
Wir sprechen so lange, bis die Fähre kurz vor dem Ablegen ist, verlieren uns im Beladungs-Gedränge, verabschieden uns dann aber auf Pellworm noch kurz voneinander.
Ich denke noch länger über das Gespräch nach und frage mich, wie gigantisch es sein muss, wenn er mit 78 durchs Radreisen noch so fit ist und so strahlende Augen durch die ganzen Erinnerungen hat, wenn man schon viel früher damit anfängt und dann auf ein ganzes Leben voller solcher Abenteuer zurückblicken kann! Da wären wir vermutlich wieder bei den gefühlten 1000 statt tatsächlichen 100 Lebensjahren, von denen der Amerika-Radler in dem tollen National Geographic Video spricht (siehe Eintrag 24) :)
Auf Pellworm radel ich erstmal quer über die windige Insel zum Campingplatz, wo ich mir direkt einen Platz aussuchen und wieder aufbauen kann. So kurz war der zeitlich Abstand zwischen Zelt Abbauen und Aufbauen glaub ich noch nie :D Und irgendwie auch mal nett mittags schon zu wissen, wo man abends schläft :P
Auf Empfehlung vom Campingplatz Besitzer radel ich außen am Deich entlang Richtung Norden zu einem kleinen Imbiss und esse typische Erbsensuppe. Dann umrunde ich die Insel noch ein Stück weiter, überlege sogar einfach die ganze, gerade mal 27 km lange Runde zu fahren, aber der starke Wind und die um 18 Uhr beginnende Wattwanderung würden da am Ende noch Stress aufkommen lassen, was ja der volle Tabubruch wäre ;)
Also quere ich die Insel vom ziemlich nördlichsten Punkt wieder Richtung Süden, bewundere den Leuchtturm, relaxe und telefoniere im Strandkorb und mache mich dann allmählich auf zum Treffpunkt der Wanderung.
Sie wird wieder von FSJlerinnen der Schutzstation Wattenmeer geleitet und führt zum Norderhever, einem fast 2km breiten Priel, also Fluss durchs Watt. Ganz schön verrückt über eine Stunde durch Mondlandschaft zu laufen und dann plötzlich doch wieder am Wasser zu stehen, das aber wie ein Fluss eben nur in einem bestimmten Bereich läuft und nicht wie die Flut das ganze Watt überschwemmt.
Zwischendrin gibt's immer wieder kurze Stops mit spannenden Erklärungen rund ums Weltnaturerbe Wattenmeer.
Hier meine persönlichen Top 3 Facts:
- Seegraswiesen können mehr CO2 binden als tropischer Regenwald - wow :O (netto pro Quadratmeter und auf einen Zeitraum X betrachtet)
- Die winzige Wattschnecke ist die schnellste Schnecke der Welt, da sie sich mit einem Schleimfilm von unten an die Wasseroberfläche heften und dann quasi mit Wellen mitsurfen kann - mega cool!
- Der Unterschied zwischen einer Insel und einer Hallig ist der Deich - eine Hallig hat schlicht keinen und wird regelmäßig überflutet, man spricht bei einem solchen Event von einem 'Landunter'. Menschen und Tiere harren solange auf der Warft aus, im Prinzip einfach einem künstlichen Hügel, der extra für solche extreme Bedingungen aufgeschüttet wurde.
Nach 3h Marsch durch Misch- und Sandwatt, konnte ich nachts sehr gut schlafen ;)
Und auch wenn ich barfuß gegangen bin und meine Füße doch die ein oder andere unschöne Begegnung mit Muschelschalen gemacht haben, würde ich es jederzeit weiterempfehlen und wieder machen - einfach so faszinierend, das Wattenmeer!