Don Curry on Tour 2
Don Curry on Tour 2
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Don Curry und die Betrüger-Omas

Veröffentlicht: 09.07.2019

Don Curry ist nicht naiv. Er weiß, dass man auf Reisen vielen Menschen begegnet. Die meisten davon meines es gut mit einem; sie sind hilfsbereit, fürsorglich, interessiert und können sogar helfen, Sprachbarrieren zu überspringen - mit ganz viel gutem Willen. Und dann gibt es Menschen, die es nicht ganz so gut meinen, die eher die Unerfahrenheit, Hilflosigkeit, Verständigungsschwäche des Fremden sehen - und das gern auch mal ein bisschen ausnutzen. Don Curry sollte heute zwei besonders perfiden Exemplaren dieser Kategorie in die Hände fallen.

Der Tag begann etwas später als sonst, zumindest für Don Curry. Das gestrige Tasting hatte zumindest bewirkt, dass er noch weniger morgendliche Munterkeit spürte als sonst. Als der Wecker wie immer um 7:30 Uhr loslegte drehte er sich nochmal um; als er sich zurückdrehte war es plötzlich 9:30 Uhr. In einer Stunde würde die Frühstückszeit enden, und Don Currys Organismus brauchte inzwischen ein gewisses Maß an Frühstück, um funktionieren zu können. Um 10:00 Uhr schritt er frisch geduscht das umfangreiche Frühstücksbuffet des Hotels "Volkhov" im Restaurant "Volkhov" ab, erfreute sich an dem typisch sozialistischem Plüsch-Dekor ehemaliger Luxus-Hotels, und genoss ein paar Salate, dicke Pfannkuchen und warmen Käsekuchen.

Nationaldenkmal "1000 Jahre Russland" vor der fast 1000jährigen Sophien-Kathedrale

Nun war er bereit für die älteste Stadt Russlands und ihre Kunstschätze. Doch kaum verließ er das Hotel, setze leichter Regen ein. Don Curry erschien das gar nicht so unpassend, da er sowieso zunächst das Nowgorod-Museum mit seiner berühmten Ikonensammlung besichtigen wollte. Gut geplant, aber der heutige Tag sollte sich mehrfach gegen Don Currys Pläne sträuben. Am Museum stand in russisch und englisch: Dienstags geschlossen! Heute war Dienstag. Don Curry bestaunte dann eben das gewaltige Bronze-Denkmal "1000 Jahre Russland" aus dem Jahr 1862, das unter anderen zeigte, wie der Wikingerfürst Rurik im Jahr 862 auf dem Gebiet des heutigen Nowgorod anlandete und damit den Keim des russischen Reiches legte. 

Detail des Denkmals

Das desolate Wetter mit wechselhaften April-Ambitionen und dementsprechenden Kurzzeitwechseln zwischen Schauern und Sonnenpracht ließ den nächsten Plan in Don Curry entstehen: ein Besuch der Sophien-Kathedrale, der ältesten Kirche Russlands; auch hier würde es alte Ikonen im Überfluss geben. Gab es auch, allerdings fand gerade ein orthodoxer Gottesdienst statt - wie jeden Tag um 10:00 und um 18:00 Uhr - farbenfroh, weihrauchgeschwängert, stimmgewaltig und lang. Don Curry wunderte sich, dass auch die anwesenden Gläubigen zum Mitsingen animiert wurden. Ein Pope dirigierte die Gemeinde, in dem er mit der Hand jede Tonhöhe exakt angab. Das hatte Don Curry so noch nie erlebt. Trotzdem verließ er die eindrucksvolle Kirche wieder, weil eine Besichtigung jetzt nicht statthaft war. 

Bronzetüren der Kathedrale aus dem 12. Jhdt.

Inzwischen war das Wetter wieder auf "Sonne" gesprungen, und Don Curry wollte endlich etwas besichtigen. Er hatte gelesen, dass der Glockenturm, eigentlich eine Glockenwand,  wunderbare Ausblicke Richtung Kathedrale und Richtung Stadt gewähren würde. Also bestieg er den ungewöhnlich breiten Glockenturm In der ersten Etage unterhielten sich angeregt zwei alte Russinnen. Eine saß hinter einem Schild mit der Aufschrift "Cassa". Also orderte Don Curry eine Eintrittskarte bei der betagten Dame - sogar komplett in russischer Sprache. Doch natürlich konnte es so einfach nicht gehen. Die in die Jahre gekommene Kassiererin zeigte ihm diverse Ticket-Möglichkeiten: vom einfachen Glockenturm-Eintritt bis zu umfangreichen Kombi-Tickets. Don Curry entschied sich schnell für ein Ticket, das Glockenturm, Kreml-Mauern und Kathedrale umfasste - immerhin umgerechnet 6,20 €. Er zahlte, bekam sein Dreifach-Ticket und die klare Anweisung, zunächst die Glocken auf dieser Etage anzuschauen und dann die Treppe emporzusteigen. Don Curry bedankte sich und folgte den klaren Anweisungen der Greisin. Sofort protestierte energisch die noch ältere Dame, die einen Meter von der längst ergrauten Kassiererin entfernt saß. "Ticket!" forderte sie. Don Curry zeigte seine gerade vor ihren Augen erworbene Multi-Eintrittskarte vor, die Alte beäugte sie misstrauisch und genau, riss dann den Schnipsel ab, der zum Bereich "Glockenturm" gehörte und gab Don Curry die klare Anweisung, zunächst die Glocken auf dieser Etage anzuschauen und dann die Treppe emporzusteigen.

Die Glockenwand  -  Sitz der Eintrittskarten-Mafia

Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, dachte Don Curry. Oder Putins Trick, um Renten zu sparen. Was eine Oma leisten kann, das können sich auch zwei teilen, mit klar geregelten Kompetenzen: die eine kassiert, die andere kontrolliert. Doch auch die beiden Damen höchst fortgeschrittenen Alters schienen sich keine netten Gedanken über Don Curry zu machen. Eifrig tuschelten sie miteinander. Zunächst dachte Don Curry noch, sie würden sich über seine mangelnden Sprachkenntnisse lustig machen, doch der eigentlichen Machenschaften der greisen Verschwörerinnen sollte er erst viel später gewahr werden.

Blick zu rSophien- Kathedrale

Nach der doppelt verordneten Begutachtung der Glocken auf dieser Etage stieg Don Curry dann die doppelt gezeigte Treppe empor. Der Blick konnte wirklich als grandios bezeichnet werden: sowohl die Kathedrale und weite Teile des Kremls als auch die Stadt Weliky Nowgorod breiteten sich vor Don Curry aus. Am Horizont erblickte er sogar das St. Georgs-Kloster, das er gestern besichtigt hatte. Frohgestimmt verließ Don Curry den Glockenturm, um nun die Fußgängerbrücke über den breiten Volkhov-Fluss zu nehmen. Er plante jetzt, die entferntesten Ziele seines Besichtigungsprogamms anzusteuern, um dann später die Mauern und die Kathedrale - nach Ende der Liturgie - nachzuholen.

Zum anderen Ufer

Das entfernteste Ziel war die Verklärungskathedrale, berühmt für ihre byzantinischen Fresken aus dem 14. Jhdt. Doch das strahlendweiße Leuchten der herrlichen Kirche blieb das einzige, das Don Curry heute erfreute: ein Schild teilte mit, dass Montag und Dienstag Ruhetag sei. Enttäuscht zog Don Curry nur wenige Meter weiter Zur Kathedrale Unserer lieben Frau vom Zeichen, doch dort waren Dienstag und Mittwoch als Ruhetage angegeben. 

Verklärungskathedrale

Bereits leicht frustriert kehrte Don Curry zum Fluss Volkhov zurück; hier lag "Jaroslaws Hof", das ehemalige Zentrum der Hansestadt Nowgorod, die unabhängig von Zar und Fürsten allein von reichen Kaufleuten regiert worden war.  Ein halbes Dutzend Kirchen konnte hier den zerstörerischen Kräften der Zeit entrinnen und bis in die Gegenwart erhalten - wenn auch in ziemlich baufälligen Zustand. Einzig die Nikolauskathedrale war bereits vorbildlich restauriert und für Touristen geöffnet, allerdings nicht am Dienstag. Als nun auch noch eine kräftiger Regenschauer auf ihn niederging, wuchs der Frust in Don Curry mächtig an.

Diverse Kirchen in Jaroslaws Hof

In einer kurzen Regenpause bestaunte er den erst kürzlich angelegten Hansebrunnen und das moderne Hansedenkmal, dessen amorphe Strukturen sich ihm nicht erschlossen. 

Der Hansebrunnen
Matroschka vor Kreml

Kurz vor dem nächsten Regenschauer kehrte er auf die Kremlseite zurück und beschloss den kleinen Mittagshunger in dem einfachen Restaurant am Volkhov-Ufer zu bekämpfen. Eigentlich war das eher ein Imbiss, bei dem man an der Theke bestellte; danach konnte sich der Gast aber entweder einen Tisch in dem großen Zelt oder in einer kleinen privaten Hütte mit Volkhov-Blick wählen - die Bestellung wurde dann gebracht. Don Curry hatte Hühner-Schaschlik mit Zwiebeln, Brot, orientalischer Soße und frittierten Kartoffelecken bestellt, dazu ein hausgemachter Kwas. Das Hühnchen war zwar außen kross gegrillt, innen aber noch nicht ganz durch, der Rest aber durchaus lecker.

Mittags am Volkhov

Danach wollte Don Curry die Kremlmauer besteigen. Der junge uniformierte Kontrolleur empfing Don Curry mit einem russischen Wortschwall. Auf Don Currys Frage, ob er englisch sprechen würde, schwallte er übergangslos in englisch weiter, dass jetzt gerade Mittagszeit für sie beginnen würde und er doch um !5:00 Uhr zurückkehren könne - dann wäre er herzlich willkommen. 

Die Kremlmauer-Ticket-Kontrollier-Garde

Don Curry verstand das Bedürfnis nach Mittagspause vollkommen und beschloss, nun mit seiner Multi-Eintrittskarte die Kathedrale zu besuchen. Doch auch jenseits des Gottesdienstes stand sie allen Besuchern kostenlos offen; niemand wollte Don Currys Ticket kontrollieren. Entrüstet dachte er an die beiden senilen Tuschlerinnen im Glockenturm: die wussten sicherlich, dass das Dreifachticket völlig überflüssig war. Auf Kosten des gutgläubigen Don Currys hatten sie sich ohne jeden Gegenwert 150 Rubel erschlichen, fast 2,10 €. Doch ob die beiden Seniorinnen das ihrer vermutlich kärglichen Rente zuschlagen konnten oder dem Staat zum Erhalt der Kulturgüter abführen mussten, interessierte Don Curry nicht wirklich. Beides war in Ordnung, choroscho - wie der Russe sagt; aber ein Betrug bleibt ein Betrug - auch wenn er von bald Verstorbenen begangen wird!

Sophien-Kathedrale - Die älteste Kirche Russlands
Neben-Ikonostase

Diese divergenten Gefühle belasteten Don Curry allerdings nicht lange, Der Innenraum der Sophien-Kathedrale entfaltete seine wohltuend erhebende Macht. Die omnipräsente Opulenz farbenfroher Fresken und mehrerer Ikonostasen zog ihn unweigerlich in ihren Bann. Auch außerhalb des Gottesdienstes waren die übrigen BesucherInnen vor allem mit Verehrungsgesten, Kerzenaufstellen und bewegten Gebeten beschäftigt. Ein mehrfach angebrachtes Schild untersagte jegliches Fotografieren, doch der reiseerfahrene Don Curry hatte in indischen Tempeln gelernt, dass das Fotografieren mit dem Smartphone nicht als Fotografieren gilt. So gab es auch hier keinerlei Beeinträchtigung, wenn er dezent die Speicherkarte füllte.

Haupt-Ikone

Beseelt und die konspirativ-kriminellen Omas längst begnadigt habend verließ Don Curry den ältesten Kirchenraum Russlands, ja den insgesamt ältesten erhaltenen Innenraum dieses Landes. Draußen regnete es bereits wieder, so dass er beschloss, möglichst schnell wieder irgendwo hinein zu gehen. Das nächstliegendste Ziel stellte das ehemalige Bischofshaus dar, das inzwischen zu einem Museum für kirchliche Kunst umgestaltet worden war. 

Fresken im Bischofshaus

Manche Ausstellungsräume wiesen allerdings auch noch die Original-Fresken aus der Bischofszeit auf. Mit klarer Gestik erfragte Don Curry, ob das Fotografieren erlaubt sei und erntete ein ebenso klares Nicken.

Orthodoxes Weihrauchfass

Klar zeigte sich auch das Wetter in Weliky Nowgorod: der Regen hatte sich endgültig durchgesetzt. Don Curry zog sich auf sein Hotelzimmer zurück. Nach dem strapaziösen Tasting-Event des gestrigen Abends bevorzugte er heute ein frühes, gesittetes Abendessen im hoteleigenen Restaurant mit seinem wunderbar sozialistisch-plüschigem Ambiente. Und noch etwas war ihm nach den moralisch frustrierenden Erfahrungen dieses Tages wichtig: eine anständige, ehrliche Küche. Er wurde nicht enttäuscht...

Restaurant "Volkhov" im Hotel "Volkhov"


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